Es war recht einfach gewesen Taemin von Jiyong und Honey abzulenken und auch Skye vergaß die beiden. Irgendwann fiel ihr nur auf, dass Jiyong mit Yunho und Changmin zusammen saß, von Honey keine Spur. Erst einmal war das nicht sonderlich beunruhigend, doch dann musste Skye auf die Toilette und im Flur fand sie Honey knutschend mit einem der Stripper, also NCT. Zuerst schob sie es auf den Tequila, doch selbst der wäre nicht so erbarmungslos.
Die junge Frau stockte. Sollte sie etwas tun? Etwas sagen? Doch ganz ehrlich, was ging es sie an? Nur weil Jiyong noch ihr rechtmäßig angetrauter Ehemann war? Nein, sie würde sich nicht rein hängen. Sollte Honey machen was sie wollte, mit wem sie wollte. Sie waren alle alt genug.
Skye ging auf die Toilette und hörte, wie die Tür noch einmal aufging. Als sie fertig war, sah sie Honey vor dem Spiegel, wie sie neuen Lippenstift auftrug. Sie lächelte Skye durch den Spiegel zu.
„Honey?“
„Ja?“
„Lass mich nicht bereuen, dass wir dich gerettet habe“, sagte Skye nur und ging dann aus der Tür. Wenn sie beschwipst war, hatte sie ihre Emotionen schlecht unter Kontrolle. Sie konnte zur Furie werden oder sich in die Ecke setzen und weinen. Die Amerikanerin war fast schon ein wenig stolz auf sich, dass sie im Bad nicht total ausgerastet war.
Jongin legte automatisch den Arm um sie, als sie sich wieder zwischen ihn und Taemin auf die Bank setzte. Honey und … Yuka … nein, Yuta, kamen wieder in die Bar, diesmal mit etwas mehr Abstand. Honey ging zu Jiyong und Yuta ging zu Taeyong, der bei Xiumin, Sehun und Johnny saß. Taeyong warf ihr gelegentlich Blicke zu und grinste, wenn sie es bemerkte. Doch nicht nur sie bemerkte das.
„Sag mal, flirtet Taeyong mit dir?“, fragte Jongin skeptisch.
„I don’t think so, it’s probably just about that tabledancer thing“, erwiderte sie und nahm ein Schluck Wasser.
„Tabledancer thing?“, fragten Jongin, Jungkook und Taemin gleichzeitig.
„No chance I’m telling you! That’s a secret between me and NTC.“
„NCT“, korrigierte Taemin.
„Whatever.“
Skye kannte ihren Körper ganz gut und sie wusste, dass sie jetzt nicht weitertrinken durfte. Aber vielleicht war ja Essen eine gute Idee. Es gab drei Restaurants oben, bei denen sie bestellen konnten und auf nichts hatte sie Hunger. Missmutig schaute sie auf die Karten. Der Gesichtsausdruck brachte Jongin zum Grinsen.
„Was willst du essen?“
„I don’t know, maybe a Bratwurst im Brötchen oder Chickenwings mit Pommes oder so ein Knoblauchbaguette mit Käseüberbacken oder Langosch, ach ich vermisse die Weihnachtsmärkte!“ Skye hatte auf Englisch angefangen und war dann in Deutsch übergegangen, was keiner am Tisch verstand. Die Musiker tauschten verwirrte Blicke untereinander aus und fingen dann an zu lachen.
„Eh! Que pasa?!“, fragte Skye entgeistert und brachte die anderen nur noch mehr zum Lachen. Inzwischen drehten sich alle nach dem Tisch um und Skye beschwerte sich mittlerweile auf Italienisch darüber, dass sie nicht wusste, was es hier zu lachen gab.
„Jagiya, ich glaube du solltest ins Bett“, stellte Jongin fest und stand auf, nahm sie bei der Hand und zog sie zu sich.
„Oh mon cher! Tu me rends dingue…“
Jongin hatte keine Ahnung was das bedeutete, aber wie sie es sagte, gab ihm eine Idee und er merkte, wie er rot wurde.
Sie verschwanden fast heimlich, doch Skye hatte alles andere im Kopf als schlafen zu gehen. Sie zog ihre Schuhe aus und schlitterte über den glatten Boden. Jongin hatte etwas Angst, Skye verletzte sich oft aus Versehen und er sah sie schon eine Treppe runterfliegen. Also nahm er sie bei der Hand, was sie als Aufforderung zum Tanzen ansah und gemeinsam tanzten sie musiklos durch die Flure der alten Fabrik.
Es dauerte fast eine Stunde, bis sie vor Skyes Wohnungstür standen und Skye stand vor dem PIN-Board.
„Was ist los?“, fragte Jongin vorsichtig.
„Ich bin mir über den Code nicht so sicher…“
„4815162342?“
„Nein, nachdem du der halben Welt meinen PIN gegeben hast, habe ich ihn gestern geändert.“
„Erstens war das zu einem guten Zweck und zweitens habe ich ewig gebraucht um mir die Zahlen zu merken – wie kannst du sie einfach ändern?“, fragte der Sänger lachend. Aber ernsthaft, wer kam auf solche Zahlen? In diesem Fall die Serie ‚Lost‘. Es waren die Zahlen, mit denen Hurley den Jackpot gewann und nein, es waren nicht die Nummern, mit denen Skye den Jackpot gewann und seither verflucht war. Oder vielleicht doch?
Sie starrte das PIN Board an und begann zu tippen.
„1-8-0-0-7-9-9-7-2-3-3…“ Und das Board sprang auf grün. Jubelnd öffnete Skye die Tür.
„Will ich wissen woher diese Nummern kommen?“
„Eine Episode von Grey’s Anatomy hieß so und man dachte wohl, dass es die Telefonnummer von Jo Wilson ist, doch eigentlich ist es eine Hilfstelefonnummer für Gewaltopfer“, erklärte Skye und ließ die Schuhe fallen.
„Wie merkst du dir das?!“
„Die Frage ist: Wie merkt sich jemand das nicht? Wenn man Geburtstage oder so einen Quatsch wählt, wird man schnell gehackt. Namen der Haustiere, des Freundes und du ahnst gar nicht wie viele Leute 1234 als Passwort wählen. Ich wähle Wörter und Zahlen, die man nicht mit mir in Verbindung bringt. Bei Wörtern benutze ich Shakespear Charaktere wie Ophelia, Ariel, Othello oder Titania. Und als Zahlen nehme ich oft Telefonnummern, von meiner Lieblingspizzeria, dem Popeyes Lieferservice oder eine Versicherungsnummer, die in der Werbung hoch und runter läuft. Auf meine Passwörter kommt niemand.“
„Im Zweifel noch nicht einmal du“, erwiderte er und Skye schmiss ein Kissen nach ihm.
Skye schlief sofort ein wie ein Stein, sobald sie im Bett lag. Jongin war noch eine Weile wach geblieben und beobachtete sie beim Schlafen.
Am nächsten Morgen klingelte gegen 8 Uhr der Wecker. Die Assistentin brummte und zog sich die Decke über den Kopf. Drücken half nichts. Jongin, Chanyeol und Sehun wollten ins Studio und Skye hatte heute ihre erste Therapiesitzung. Yay.
Sie frühstückte mit Absicht nicht, da sie davon ausging, dass sie danach wahrscheinlich Zucker brauchen würde.
„Sei nett“, drohte ihr Jongin, als er aus dem Wagen stieg.
„Was? Was heißt das?!“
„Das du öfters nicht nett bist“, erklärte Chanyeol grinsend.
„Bitte? Ihr verwechselt Arschkriecherei mit Nettigkeit. Ich bin nicht nicht nett, ich bin nur ehrlich.“
„Alles klar“, sagten sie ihm Chor und schlossen die Autotür, bevor das noch zu einer ausufernden Diskussion werden würde.
Skye konnte durchaus nett sein. Wenn sie es wollte und wenn es jemand verdient hatte. In Korea war sie sogar netter als woanders, weil die Koreaner oft nach dem Prinzip ‚Wie es in den Wald hinein ruft, so schallt es hinaus‘ lebten. Während in Japan die Freundlichkeit meistens aufgesetzt und total überzogen war, waren die Koreaner etwas ehrlicher. Skye setzte hier auf die ‚Mädchen in Not‘-Nummer und haute alles an Aegyo raus, wenn sie etwas wollte. Aber wehe das zog dann nicht.
Skye parkte vor dem Gebäude und nur für einen Moment überlegte sie weg zu fahren. Sie wusste es war Quatsch. Sie konnte nicht vor den Sitzungen davon laufen und wenn sie davon laufen würde, würde es nur aussehen, als habe sie Angst. Sie hatte keine Angst. Was wusste schon irgendein Arzt über sie? Über ihre Vergangenheit? Natürlich war der Mordversuch nicht spurlos an ihr vorbei gegangen, doch Skye war der Meinung das sie recht gut damit umging. Der Therapeut würde nur sagen, dass sie es verdrängt. Und wenn schon? Dann verdrängt sie es eben.
Seufzend stieg sie aus dem Auto und fuhr in den 9. Stock des Gebäudes. Die Praxis war groß und hell. An den Wänden hingen Bilder von Wolken auf blauem Himmel und Hundewelpen. Positive Gedanken.
Man führte sie in einen Raum und eine Koreanerin, ungefähr Mitte 40, begrüßte sie.
„Frau Jones, ich freue mich Sie kennenzulernen. Ich bin Doktor Choi, setzen Sie sich bitte.“
Sie bedeutete Skye sich zu setzen, dabei hatte sie sich schon darauf gefreut liegen zu können.
„Was führt Sie zu mir?“
„Hat man Ihnen das nicht gesagt?“ Skye wusste das es unhöflich war eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, doch sie empfand es als nötig. Frau Choi seufzte.
„Fragen wir anders, was erhoffen Sie sich von der Therapie?“
„Mir geht es gut. Ich bin glücklich hier zu sein. Ich habe viel durchgemacht, aber ich bin glücklich am Leben zu sein“, erwiderte Skye mit einem Lächeln.
„Und wieso denken Sie, dass SM Entertainment Sie hier her geschickt hat?“
„SME möchte nur auf mich aufpassen. Das sollte schnell gehen.“
„Ich wurde Ihrem Fall zugeteilt, doch wenn Sie lieber einen männlichen Therapeuten hätten…“
„Weil zwei Frauen versucht haben mich zu töten?“
„Ja und es ist wichtig, dass Sie das Gefühl haben bei der richtigen Person zu sein“, erklärte die Therapeutin.
„Das schätze ich sehr, aber mir geht es gut. Ich brauche nur a Tape and glue-guy.“
„Tape and glue?“
„Ja, Sie wissen schon, stellen Sie mir einfach ein paar Fragen und machen mich wieder ganz. Ich war schon in Therapie, ich habe die ‚großen Sachen’ schon aufgerollt. Es war nur eine Kleinigkeit“, erwiderte die Amerikanerin.
„Man hat versucht Sie zu töten und Sie sagen es wäre nur eine Kleinigkeit?“
„Haben Sie meine Akte gelesen?“, fragte Skye lächelnd. Nach all dem, was Skye widerfahren war, war es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
„Sie sagen, Sie haben schon viel durchgemacht?“
„Ja. Meine Mutter starb an einem Krankenhauskeim, mein Vater an männlicher Dummheit, mein Onkel an einem Herzinfarkt, meine Tante wahrscheinlich an einem gebrochenen Herzen und meine Katze hatte eine Infektion. Das alles in weniger als zwei Jahren.“
„Skye, Ihnen ist etwas schreckliches zugestoßen“, hob Frau Choi hervor.
„Ja und jeden Tag passieren schreckliche Dinge. Ja, man hat mich über eine Brücke geworfen, doch niemand ist gestorben und jeder Tag, an dem niemand stirbt, ist ein guter Tag.“
Natürlich kam sie nicht drum herum von dem Vorfall zu erzählen, zumindest von dem, an das sie sich erinnerte. Man hatte ihr Beruhigungstabletten gegeben und vieles wusste sie nur aus Erzählungen der anderen.
„Und wer hat Sie am meisten besucht, als Sie in der Genesungsphase waren?“
„Jongin natürlich, aber erstaunlicherweise Baekhyun auch. Angeblich hat er die ganze Nacht im Krankenhaus verbracht und hat mich nicht aus den Augen gelassen“, erzählte sie fröhlich.
„Helfen Sie mir kurz nach… Baekhyun ist der, der nicht wollte, dass Sie die Assistentin von EXO werden?“
„Ja und auch nein. Er ist sehr eigen und sehr frech, wir könnten Freunde sein, wenn er wollte und manchmal will er, aber er zeigt es nicht und es endet in Zickereien.“
„Haben Sie Gefühle für Baekhyun? Sind Sie in ihn verliebt?“
Da lachte Skye fröhlich.
„Oh nein, ich schätze ihn sehr als Künstler und ich schätze ihn auch dafür, dass er ist, wie er ist, aber nein, ich habe keine romantischen Gefühle für ihn“, stellte Skye klar.
„Okay, ich frage mich nur, wieso wir über ihn reden und nicht über Sie.“
„Weil er sich albern verhält.“ Das lag ja wohl auf der Hand.
„Nein, nein, ich mache sie nicht fertig, ich versuche sie zu besseren Menschen zu machen. Ich bin ihre Assistentin geworden, das war nett von mir, ich hätte das nicht machen müssen.“
„Nein, aber wieso haben Sie es getan?“
„Und Eunhyuk, Leeteuk und Heechul denken, dass sich EXO zwischen unsere Freundschaft stellt, aber das tun sie nicht.“
„Ganz kurz, wer sind Eunhyuk, Leeteuk und Heechul?“
„Super Junior, hey, besser aufpassen.“
Bevor Skye wieder ins Auto stieg, zündete sie sich eine Zigarette an. Böses Laster, sie wusste es, aber es war besser, als mittags schon mit dem trinken anzufangen.
Danach fuhr sie zu Kona Beans – das nächste Laster.
„Skye! Meine Liebe, wie geht es dir?“, fragte Frau Park und drückte die Amerikanerin an sich.
„Ja, ganz gut soweit“, erwiderte sie lächelnd.
Sie setzte sich zu Skye und erzählte, dass den Super Junior Mitgliedern das gemeinsame Essen mit all den Eltern wohl gut gefallen hatte und sie diesen Sonntag wieder vorbei kommen sollten. Schau mal einer an, zuerst hatten sie Skye noch für den Vorschlag verflucht und nun führten sie es eigenständig weiter.
„Bist du am Sonntag auch da?“, erkundigte sich Mama Park. Skye wollte schon erwidern, dass sie mit EXO in Hong Kong wäre, doch um ehrlich zu sein, wusste Skye nicht, ob sie mit nach Hong Kong durfte. Youngjun hatte sich noch nicht geäußert.
„Vielleicht, ich weiß noch nicht, ob ich mit nach Hong Kong darf“, gestand sie, doch die Mama wusste, wie man aus etwas Schlechtem etwas Gutes machte und tätschelte ihren Arm.
„Ich würde mich freuen, wenn du dabei wärst.“
Natürlich brachte sie Kuchen für ihre Schützlinge mit, was natürlich Youngjun nicht wissen durfte. Kuchen: der Feind. Sie versteckte den Kuchen also in einem der Lagerräume der Stylisten, der inzwischen leer geräumt war und darauf wartete mit neuen Dingen gefüllt zu werden. Dann lief sie durch die Studios und suchte die Sänger zusammen. Skye kam sich vor wie der Rattenfänger von Hameln. Chanyeol, Sehun und Jongin fand sie als erstes im Tanzstudio. Chen und Suho waren im Aufnahmestudio und Baekhyun, Xiumin und D.O kamen gerade von einem Fotoshooting wieder. Sie erklärte niemanden wohin sie gingen und bedeutete ihnen nur ihr zu folgen. Keiner stellte Fragen und leise schlichen sie durch die Flure. Dann kamen ihnen Heechul und Leeteuk entgegen.
Leeteuk wollte gerade Skye begrüßen, als er sich der Szene komplett bewusst wurde. Fragend schauten sie der Gruppe nach, die sie fröhlich, aber knapp, begrüßten.
„Wollen wir wissen was sie vor haben?“, fragte Leeteuk und schaute noch immer den Flur entlang.
„Ich glaube nicht“, erwiderte Heechul nur mit einem Achselzucken und ging weiter.
„Schatz, wohin gehen wir?“, fragte Jongin dann doch irgendwann skeptisch. Er hatte keine Ahnung wie die Therapiestunde ausgegangen war und zu was sie jetzt in der Lage war.
„Wir sind gleich da“, erwiderte Skye und blieb vor einer Tür stehen, die sie öffnete.
„Ta-Da!“ Sie winkte die Sänger schnell rein und verschloss die Tür dann wieder.
„Wenn Youngjun mitkriegt, dass ich euch Zucker gebe, bin ich dran.“
„Heißt das, dass wir jetzt etwas gegen dich in der Hand haben?“, fragte Sehun und nahm sich ein Stück Kuchen. Skye zückte ihr Handy und schoss ein Bild.
„Nein, ihr seid genauso dran – ihr esst den Kuchen ja, Stupid“, erwiderte sie und packte das Handy weg.
„If I’ll go down, you’ll go down with me – so don’t you dare snitch on me!“
„Ich mag es wenn sie ghetto spricht. Sie ist so klein und niedlich und dann lässt sie total den Gangster raushängen“, schwärmte Jongin und Chen rollte mit den Augen.
„Wie war die erste Therapiestunde?“, frage Suho vorsichtig. Sie hatten sich alle auf den Boden gesetzt und den Snack genossen.
„Keine Ahnung, ich behaupte immer noch, dass ich das nicht brauche“, meinte Skye. Viele Leute wollten keine Therapie und hatten sie eigentlich nötig und manche eben nicht. Keiner von ihnen wusste, wie es wirklich in Skye aussah und konnten demnach auch nichts dazu sagen.
„Wir wollen nur, dass du dich wohl fühlst. Keiner von uns weiß wie du dich fühlst und es tut uns sehr Leid, was passiert ist. Wir wollen nur nicht, dass du Angst hast“, erklärte der Bandleader.
„Angst wovor?“
„Vor der Dunkel, dem Hangang, Brücken, Menschen – Frauen um spezifisch zu sein, Fans, Wasser…“, begann Chen eine Aufzählung zu machen.
„Okay, dass sie keine Angst vor Wasser hat, haben wir auf Fiji festgestellt“, deutete Jongin aus.
„Das war warmes, nettes Wasser … ohne Menschen“, bemerkte Chanyeol
„Ich hab keine Angst!“, pauschalisierte Skye und beendete damit die Diskussion. Sie war klein, aber in gewissen Situationen war sie riesig und niemand legte sich mit ihr an.
Als es dann an der Zeit war ins Training zu Nikolai zu gehen, ließ Skye das Auto stehen. Sie würde es ihnen beweisen! Sie würde laufen. Über eine Hangang Brücke. Und sie würde keine Angst haben. Das Kampfstudio lag auf der anderen Seite des Hangangs und die Amerikanerin hatte noch eine Stunde Zeit.
So lief sie los, hochmotiviert, in Richtung Hangang, doch als sie dann an der Treppe, die hoch auf die Brücke führte, ankam, stockte sie. Argwöhnisch schaute sie auf die Stufen, dann nach oben und schließlich ließ sie ihren Blick über den Fluss schweifen. Ihre Füße wollten sich einfach nicht bewegen.
Skye stand bestimmt eine Minute oder länger dort. Leute kamen an ihr vorbei, von oben und auf dem Weg dorthin. Niemand schenkte ihr große Beachtung, doch sie ärgerte sich maßlos über sich selbst. Es war albern. Es war dumm. Es war irrational.
„Damn it!“, flüsterte sie, drehte sich um und lief zur U-Bahn. Die Blöße, dass sie jemand sehen würde, wenn sie ihr Auto bei der Akademie holen würde, würde sie sich nicht geben.
Völlig gehetzt und vornehm zu spät kam sie in der Kampfschule an. Nikolai schaute überrascht auf.
„Ist alles okay?“
„Ja, tut mir leid, ich habe die U-Bahn genommen.“
„Wieso hast du die U-Bahn genommen?“
„Weil mein Auto bei der Akademie stand“, erklärte Skye, was Nikolai nicht unbedingt weiter brachte. Erwartungsvoll schaute er sie an.
„Ich wollte laufen, aber ich … ich konnte nicht … und dann wollte ich nicht zurück, also habe ich die U-Bahn genommen.“
Nun verstand er und sein Gesichtsausdruck wurde milde.
„Was hältst du davon, wenn wir das Training heute ausfallen lassen? Ich bin vorhin gestürzt und habe mir den Knöchel etwas verstaucht. Wir könnten etwas essen gehen und holen das Training am Freitag nach?“, schlug er vor. Skye ahnte, dass der verstauchte Knöchel nur erfunden war, doch er bekam Fleißpunkte für Nettigkeit.
Wahrscheinlich war es auch vernünftiger. Wenn man sich nicht auf’s Training konzentrieren konnte, tat es immer nur weh. Im Training musste man sich voll und ganz darauf konzentrieren und es war egal ob es beim Cheerleading war oder beim Turnen, beim Kampfsport oder beim Tennis. Unaufmerksamkeit führte zu Fehlern und Fehler taten oft weh und Skye wollte ihren nächsten Arztbesuch bis auf weiteres verschieben.
Da sie heute schon Kuchen hatte, hatte sie Lust auf etwas Herzhaftes und Nikolai führte sie zu einem kleinen, koreanischen Restaurant in dem jeder Tisch mit einem Grill ausgestattet war und eine kleine Abzugshaube darüber hatte. Der Geruch von Essen hing schon in den Wänden, die voll und voll mit Plakaten und Flyern der letzten Jahrzehnte waren. Skye blieb stehen und schaute sich um. Sie mochte diese kleinen, urigen Lokale, die noch eine Seele hatten.
Es war kurz nach 19 Uhr und fast alle Tische waren besetzt. Eine junge Kellnerin kam auf sie zu.
„Hello! Too person?“
„Ja, bitte“, erwiderte Skye auf Koreanisch und lächelte. Die Amerikanerin musste oft über die Koreaner schmunzeln. Selbst wenn man ihnen in einem ziemlich perfekten Koreanisch etwas erwiderte, gingen sie irgendwie nicht davon aus, dass jemand tatsächlich Koreanisch sprach. Teilweise konnte das deprimieren und am liebsten würde man sie schütteln und sagen ‚Hey du Vollidiot! Ich spreche Koreanisch, du musst dich nicht auf Englisch einen abstottern‘ – was man natürlich nicht machte, weil man ja nicht als der gehobelte Ausländer auffallen wollte. Dann gab es aber wieder Koreaner, den entgegnete man eine Kleinigkeit auf Koreanisch und man bekam ein Schwall Koreanisch zurück. In Skyes Anfangszeit war das so und damit war sie dann völlig überfordert. Total schnell sprechend und dann am besten auch noch Slang und Skye war wortwörtlich ‚Lost in Translation‘ gewesen. Nikolai sprach auch Koreanisch, aber er hatte diesen harten, russischen Akzent, den Skye, zugegeben, sexy fand.
Man setzte sie an einen Tisch, etwas weiter hinten im Raum und bevor die Kellnerin wieder versuchte auf Englisch mit ihr zu kommunizieren, bestellte Skye für sie ein Barbecue und zu trinken. Manchmal benutzten, vor allem überwiegend junge Koreaner, Ausländer als Englischexperiment.
Einmal saß Skye etwas später am Abend in der U-Bahn, damals, als sie in Seoul studiert hatte und eine Gruppe Jugendlicher stieg dazu. Es waren zwei Mädchen und zwei Jungs und die beiden Mädels hatten die Jungs völlig unter ihrer Fuchtel. Sie lachten und schubsten sich gegenseitig und einer der Jungs trat Skye auf den Fuß. Skye schenkte ihnen keine große Beachtung. In Seoul war es normal angerempelt zu werden, vor allem in den U-Bahn Stationen. Wenn so viele Menschen aufeinander trafen waren kleinere Aneckungen nicht zu vermeiden und in Korea hatte man aufgehört sich dafür zu entschuldigen. Das eine Mädchen beugte sich rüber.
„Hello“, sagte sie zu Skye.
„Annyeong“, erwiderte die Amerikanerin lächelnd.
„Really sorry“, sagte sie weiter und deutete auf ihren Fuß. Skye hatte nur abgewunken.
„Gwenchanayo.“
„You speak korean?!“
„Ne, choenen hanguk maril chogum hamnidda.“
Und ab da an war alles vorbei und bis zu ihrer Station hatte sie die Kids an der Backe gehabt.
„Du hattest heute deine erste Therapie?“, erkundigte sich Nikolai und riss Skye aus ihren Gedanken. Sie rollte nur mit den Augen.
„Du bist sauer deswegen“, stellte er fest.
„Ja, weil es Zeitverschwendung ist.“
„Versuche dir vorzustellen – und ich weiß das klingt total verrückt – dass man das nicht macht, um dich zu ärgern, sondern um dir zu helfen.“
„Ich brauche keine Hilfe.“
„Und die Brücke hast du nicht überquert weil …?“
Skye mochte es nicht ertappt zu werden und noch weniger mochte sie es, wenn ihr die Ausreden ausgingen.
„Weil ich noch nicht bereit dazu war, aber ein Therapeut wird mir nicht helfen schneller damit klar zu kommen.“