Chen hatte sich geweigert sie im Keller zu lassen und hatte stattdessen sein Zimmer geopfert. Die anderen waren nicht wirklich begeistert, doch Chen ließ nicht locker.
Drei Tage lag Nadia in seinem Bett gelegen. Man hätte fest glauben können sie sei tot, doch sie atmete und man sah, wie sich ihre Augen bewegten und sie fragten sich, was sie wohl sah. Chen schlief kaum und wenn er doch vor Erschöpfung einschlief, fuhr er meistens nach ein paar Minuten wieder hoch.
„Man könnte fast meinen, dass du in sie verliebt bist“, kam es von Chanyeol. Ein kläglicher Versuch ihn aufzumuntern.
„So ist das nicht. Ich habe sie gerne und ich habe das Gefühl, dass wir ihr vertrauen können.“
Jongin hingegen war in einem völligen Gefühlschaos. Er wusste nicht was er denken sollte, ob sie Freund oder Feind war. Es betete, dass sie ein Freund war, aus mehreren Gründen. Zum einen war er verliebt in sie und zum anderen würden die anderen nie aufhören es ihm vorzuhalten, wenn er den Feind in ihre Reihen gelassen hätte.
Am dritten Tag ohne Reaktion gingen die Jungs schon lockerer mit der Situation um. Am ersten Tag hatten sie Chen noch mit ihr eingeschlossen, in der Art: Wenigstens erwischt es nicht einen von uns. Chen las gerade ein Buch, als er bemerkte, dass sich etwas tat. Er ließ das Buch senken und schaute zu der Frau auf seinem Bett und bemerkte Blitze unter ihrer Haut.
„Das ist nicht …“
Er kannte es nur aus den Archiven. Wenn ein Mitglied seiner Familie volljährig wurde, gab es ein Ritual, dass ihn oder sie zum vollständigen Mitglied machte. Es gab eine Zeremonie in der man wortwörtlich vom Blitz getroffen wurde und nur diejenigen, die der Familie würdig waren überlebten das Ganze, alle anderen wurden … gegrillt.
Als Chen begriff, was da vor sich ging sprang er auf und beugte sich über sie. Dann begann er die Blitze zu beobachten und er sah, wie sie ein Muster bildeten. Er nahm ihre Arme in die Hand und drehte sie nach innen.
„Wie ist das …?“
Wieso trug sie das Wappen seiner Familie?
Er hatte noch kaum Zeit richtig darüber nachzudenken, da öffnete sie die Augen und fuhr erschrocken nach oben, bis ihre Stirn mit seiner kollidierten. Beide fingen an zu stöhnen und hielten sich die Stirn.
Nur langsam verstand Nadia, dass sie wieder zurück war und schaute Chen an.
„Was ist passiert?“, fragte sie, schien sich aber dann wieder daran zu erinnern. Sie schaute auf ihre Hand und nahm den Ring ab, um ihn ihm zu geben.
„Wieso habt ihr ihn nicht einfach abgenommen?“
„Weißt du! Wenn es denn so einfach gewesen wäre!“, blaffte er sie an und im nächsten Moment musste er sich übergeben.
Die plötzlichen Geräusche aus Chens Zimmer waren ungewöhnlich. Chanyeol und Sehun waren die ersten im Zimmer. Sie sahen nur wie sie Chen übergab und wie Nadia neben ihm saß und den Rücken tätschelte. Sofort griffen sie nach Kerzenständern und anderen Dingen in ihrer Reichweite.
„Du Freund oder Feind?!“, forderte Chanyeol. Die Frau schaute ihn völlig entgeistert an.
„Willst du mich verarschen? Hol eine Schüssel und Handtücher und … Raumspray!“
Sehun zuckte die Schultern.
„Nicht wirklich freundlich, aber auch wohl kein kaltblütiges Monster.“
Nadia verstand gar nicht, um was es ging. Die beiden Kerle verschwanden und bevor sie zurückkamen, sagte ihre Chen: „Sprich mit niemand darüber, sag du kannst dich nicht erinnern … ich habe da so eine ganz wilde Theorie.“
Noch bevor sie ihn fragen konnte, was er damit meinte waren die anderen wieder zurück.
Nach ungefähr einer Stunde waren alle Zuhause. Nadia kam sich vor wie bei einem Verhör. Sie hatte sich gefreut Jongin zu sehen, doch als sie ihn küsste wirkte er distanziert.
„Und du kannst dich an nichts erinnern?“, fragte Suho noch einmal.
„Nein. Wir lagen auf der Decke und sobald ich den Ring übergestreift habe, wurde alles schwarz und als ich wieder aufgewacht bin waren drei Tage vergangen und ich lag in Chens Bett.“
Bei dem letzten Punkt strafte sie Jongin mit einem finsteren Blick, wieso eigentlich Chens Bett und nicht seins?
Die Sänger grübelten vor sich hin, doch Nadia musste zur Arbeit und hatte keine Lust noch weiter verhört zu werden. Man machte sich bestimmt schon Gedanken um sie und Nadia hoffte die Wogen glätten zu können.
„Ich komme mit dir“, sagte Chen sofort und Nadia hätte sich darüber gefreut. Sie war nicht gerade geduldig und würde gerne mehr über die ‚wilde Theorie‘ erfahren.
„Nein, schon gut, ich gehe“, kam es von Jongin und sein Ton ließ keine Wiederworte zu. Nadia seufzte und machte sich fertig.
Auf der Fahrt in den Cardclub sprachen sie nicht viel und das änderte sich in ihren Pausen auch nicht sonderlich.
Nadia hatte gerade ihre Schicht übernommen, als sie sah, wie Barış sich zu ihm setzte. Nicht nur, dass sie im Moment nichts daran ändern konnte, zu allem Übel saßen sie so weit weg, dass sie noch nicht einmal hörte, was sie sprachen.
„Nadia … Pot?“
„Oh“, sie schaute sich schnell um. „480,- raise pot.“
Jongin schaute zwar auf, als sich Nadias Chef zu ihr setzte.
„Hi.“
„Hi“, erwiderte Barış und dann sagte er eine Weile nichts mehr. Das machte ihn in Jongins Augen viel bedrohlicher, als wenn er redete.
„Wo war sie die letzten Tage?“
Nadia arbeitete nicht jeden Abend, doch gestern war sie nicht da und das war nicht typisch für sie. Normalerweise sagte sie ab, immer, unentschuldigtes Fehlen gab es bei ihr nicht. Doch auch schon vorgestern hatte sie nicht auf seine Nachrichten reagiert und das war auch ungewöhnlich.
„Sie ist mit uns nach Japan geflogen, eigentlich sollten wir gestern wieder zurückfliegen, doch wir standen in so einem Stau, dass wir den letzten Flug verpasst haben“, erklärte Jongin ohne von seinem Handy aufzuschauen.
„Komisch, dass sie nicht Bescheid gesagt hat.“
„Ihr Handy war leer, aber keine Ahnung Mann, vielleicht hat sie es auch einfach nur vergessen.“
In diesem Moment langte Barış über den Tisch und schnappte sich Jongin am T-Shirt und zog ihn zu sich.
„Keine Ahnung Mann, aber vielleicht läuft hier auch etwas ganz anderes. Aber so unter uns, wenn ich mitbekomme, dass du irgendeinen Scheiß mit ihr anstellst und sie nicht so behandelst, wie sie es verdient hat, dann werden dir deine kleinen Tricks auch nicht helfen.“
Der Mann musste gar nicht schreien, um bedrohlich zu wirken. Er ließ Jongin los und stand auf.
Nadia sah das Ganze natürlich, doch sie durfte sich nicht noch mehr Fehler erlauben und auch wenn es ihr schwerfiel, so musste sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren. Sobald ihr Kollege sie ablöste, stürmte sie auf Barış zu und boxte ihn.
„Bist du wahnsinnig?! Was hast du getan?!“
Jongin saß nicht mehr auf seinem Platz.
„Komm mal runter, ich hatte nur ein brüderliches Gespräch mit ihm. Alles cool, er steht oben und schnappt frische Luft“, sagte der Türke in seiner gewohnten, fröhlichen Art. Nadia schaute ihn noch immer finster an, eilte aber dann nach oben, um nach Jongin zu schauen. Er stand unweit des Eingangs und rauchte eine Zigarette.
„Hey … sorry wegen Barış“, sagte sie und streckte den Arm nach ihm aus, doch er wich vor ihr zurück.
„Was hast du ihm erzählt?“
„Was soll ich ihm erzählt haben?“, fragte sie, irritiert von seiner abweisenden Art.
„Über uns.“
„Meinst du über uns, also du und ich? Nur das wir zusammen sind.“
„Und woher weiß er von unseren Fähigkeiten?“
Nadias Blick war blank.
„Ja klar, weil ich auch irgendjemand von meinen Alien-Kumpels erzähle, ist klar.“
„Irgendwas weiß er.“
„Nicht von mir“, erwiderte sie. Eigentlich hatte sie gedacht, dass sie über dieses Vertrauensding hinaus waren. Anscheinend nicht. Nadia wusste, dass egal was sie jetzt sagte, würde es nicht besser machen. Sie drehte sich um und ging wieder runter.
Zu ihrer Überraschung kam Jongin nicht wieder. Sie überlegte einen von den anderen anzurufen, entschied sich jedoch dagegen. Sie würde es ja wohl schaffen alleine nach Hause zu kommen, also ins Dorm. Wobei sie heute gerne einfach zu sich gegangen wäre. Sie brauchte mal Zeit für sich alleine, sie musste über das Geschehene nachdenken und das konnte sie nicht, wenn ständig einer bei ihr war.
Heute machte sie schon recht früh Feierabend, um kurz nach 5 Uhr und sie schrieb zumindest Chen eine Nachricht, dass sie bei sich schlafen würde.
Chen hingegen wusste aber auch nicht, dass sie alleine war und ging davon aus, dass Jongin mit ihr zusammen war.
Nadia wohnte vielleicht eine halbe Stunde zu Fuß von dem Club entfernt, eine Strecke die sie schon Tausend Mal gelaufen war, durch kleine und große Straßen. Sie hatte eine Abkürzung, zwischen zwei Häusern hindurch. Es waren Druckereien, doch morgens um diese Uhrzeit war hier noch niemand, der sie sehen konnte. Und es gab kein CCTV. Sie zog ihren Cardigan enger, morgens wurde es doch schon etwas frisch. Die Spuren auf ihrem Arm verblassten langsam und waren fast verschwunden. Als sie aufschaute, sah sie drei Männer in der kleinen Gasse vor ihr stehen. Sie standen dort nicht aus Zufall, das wusste sie, denn sie schauten alle zu Nadia, als würden sie auf sie warten. Die Frau war kein Angsthase, doch die Situation war ihr nicht geheuer. Die letzte Abbiegung lag hinter ihr und so drehte sie sich um, nur um dort auch drei Männer zu sehen.
Es stand außer Frage, wieso sie hier waren und ausgerechnet auf Nadia warteten.
„Ist das so ein Ding, wo es weniger schmerzhaft ist, wenn ich mich nicht wehre?“, fragte sie fast schon resignierend. Doch ehrlich, was sollte sie gegen sechs Männer ausrichten? Einer der Männer nickte schweigend und bedeutete ihr ihnen zu folgen. Ein anderer Mann nahm ihre Tasche und ein dritter durchsuchte ihre Taschen vom Cardigan. Sie hatte nicht vor ihnen das Leben schwer zu machen. Noch trug sie ein Teil von Jongin in sich und sobald er erfuhr, dass sie weg war, würde er sie schon holen.