Taehyung hatte beschlossen Skye ins Dorm zu schmuggeln. Beide mussten früh aufstehen, wieso also nach Hause fahren, wenn das Dorm doch viel näher war? Doch eigentlich hatte sein Manager ausdrücklich der Band verboten, so kurz vor dem Abflug Besuch zu empfangen.
Daher machten sie daraus ein Spiel und schlichen, wie bei Mission Impossible, durch die Fabrik. Ihre Tarnung flog direkt auf, als sie in der Tiefgarage Suho in die Arme liefen.
„Hey Skye – hey Tae! Ich dachte, ihr dürft keinen Besuch haben?“
Das Paar schaute sich an und senkte gleichzeitig den Blick.
„Wenn es nicht klappt – du kannst bei uns schlafen. Chens Zimmer ist ja frei.“
Und damit ging der Bandleader grinsend voran.
„Sie hat auch noch eine Wohnung hier“, rief Taehyung ihm hinterher. Es war vielleicht ein kleiner Anflug von Eifersucht, auch wenn Skye nicht daran glaubte, dass Tae wirklich eifersüchtig war. Bisher hatte er für viel zu viel Verständnis gezeigt. Es war seine Art und genau deswegen bewunderte sie ihn.
„Ich überlege, die Wohnung bei Airbnb reinzustellen“, grübelte sie laut.
„Also Lala, du weißt, dass ich dich liebe und an dich glaube, aber wenn es um Mia vs Lala geht, werde ich auf Mia setzen.“
Schließlich war die Fabrik Mias Baby, ein Ort, an dem Idols unter sich waren.
„Das kommt wohl darauf an, wie schwanger Mia bis dahin ist“, erwiderte sie kühn und glaubte daran, dass sie im Zweifel vor Mia davonlaufen könnte, wenn die Kugel schon groß genug war.
Irgendwie kam es ihr vor, als wäre sie ewig nicht mehr hier gewesen und ein wenig vermisste sie es. Allerdings konnte Skye sich auch noch an gewisse Zeiträume erinnern, in denen sie es verflucht hatte hier zu wohnen. Das Haus war die richtige Entscheidung gewesen, aber es hatte eben auch schöne Zeiten in der Fabrik gegeben.
Die Wohnung würde sie erst einmal behalten. Zwar war ihr Haus vom Entertainment ungefähr genauso weit entfernt, wie die Fabrik, aber man wusste ja nie, für was es mal gut sein würde.
Sie schlichen den Flur weiter entlang und kurz überlegte Skye Super Junior einen Besuch abzustatten. Auch die hatte sie schon lange nicht mehr gesehen, aber wenn Tae schon praktisch sein Leben riskierte, um sie reinzuschmuggeln, würde sie ihn jetzt nicht stehen lassen und stattdessen morgen zum Frühstück bei SJ vorbeischauen.
Tae ging voraus und die Amerikanerin wartete in dem Flur zum Wohnzimmer, ob die Luft rein war. Yoongi saß zwar vor dem Fernseher, hatte jedoch Kopfhörer auf und schien konzentriert zu sein. Die beiden schlichen sich an ihm vorbei zur Treppe, um in Taes Schlafzimmer zu gelangen. Leise schloss er die Tür hinter ihnen und sie atmeten tief aus.
„Hi Skye!“
Beide zuckten zusammen, als plötzlich Jungkook aus dem Bad kam.
„Pssssst“, machten sie dann gleichzeitig und er Jüngere rollte nur mit den Augen und ging zurück in das Bad, dass er sich mit Taehyung teilte.
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So romantisch und spannend die Aktion gewesen ist, Skye in das Dorm zu schmuggeln, spätestens als um 5 Uhr der Wecker klingelte, verfluchte sie sich dafür. Sie wollten kein Risiko eingehen, dass jemand Skye entdeckte. Sie putze sich die Zähne, klaute Tae eine Jogginghose und ein Shirt, denn sie hatte heute ohnehin nur Training und dann schmuggelte er sie wieder raus. Es war 05:30 als sie draußen auf der Straße stand und sich müde umschaute. Ihr Auto stand bei G-Next. Frühstück bei SuJu würde wohl ausfallen.
Etwas demotiviert schaute sie die Straße hoch und dann hinab. Sie könnte sich ein Taxi bestellen, aber Skye war in der Stimmung, für etwas ‚Verrücktes‘. U-Bahn.
Die nächste Station war ungefähr 15 Minuten von der Fabrik entfernt. Die Dämmerung hatte gerade erst begonnen, aber Seoul war an sich keine Stadt, in der man sich im Dunklen unsicher fühlte. Bevor die Amerikanerin hierhergezogen war, war sie die halbe Nacht unterwegs gewesen und war nie in brenzlige Situationen gekommen. Das ‚Schlimmste‘, was passieren konnte war, dass sie jemand erkannte. Nein wartet: Das sie jemand erkannte, aber auch, dass die Klamotten, die sie trug, von Taehyung waren! Netizen waren unheimlich aufmerksam und merkten sich sämtlichen Quatsch. Wahrscheinlich könnte irgendwer genau benennen, wo Tae dieses Shirt angehabt hatte. Sie zog die Kapuze tief, doch der Weg zur U-Bahn blieb unauffällig. Dort angekommen holte sie sich erst einmal etwas zu essen und bemerkte, wie sehr sie es vermisste U-Bahn zu fahren. Jede Station war riesig, mit Shops und Essensständen. Um diese Uhrzeit gab potentiell weniger Ständen, doch die Bäcker hatten bereits auf. Am Mittag rochen so manche U-Bahn Stationen besonders gut, wenn jemand Hodugwaja verkaufte – kleine Walnussküchlein und man konnte es schon riechen, wenn man aus der Bahn ausstieg. So etwas gab es so früh am Morgen noch nicht, aber man konnte schließlich nicht alles haben.
Dennoch ließ es sich die Amerikanerin nicht nehmen fröhlich zu wippen bei den Jingles der U-Bahn – für ein- und ausfahrende Züge und in der U-Bahn für jeden Stopp. Sie fand es einfach niedlich und auch nicht nervig. Bestimmt gab es Leute, die das Gedudel nicht mehr hören konnten, aber Skye hatte es vermisst. So lange war sie nicht mehr U-Bahn gefahren! Dabei war es immer noch das schnellste Verkehrsmitte der Stadt, denn in Seoul konnte man auch selbst nachts um 2 Uhr im Stau stehen.
Manchmal, wenn sie so ganz verrückte Gedankengänge hatte, spielte sie mit dem Gedanken das Label nach Busan zu verlegen. Alles spielte sich in Seoul ab. In Busan wären sie das erste große Label, die Künstler könnten sich wahrscheinlich freier bewegen, das Klima war anders und wirklich, war es am Strand nicht generell schöner? Natürlich waren das nur eine Spinnerei. Noch war nicht raus, ob sie den Musik-Show Wahnsinn mitmachen würden. Die Musiksender ließen sich gut für die wöchentlichen Shows bezahlen und ja, natürlich war es ein Aushängeschild dort aufzutreten, aber musste man wirklich so viel Geld verpulvern? Und nur weil man bei der Musik Bank auftrat, bedeutete das ja nicht, dass man deswegen erfolgreich war.
Das war nur ein Aspekt. Ein anderer, war der Flughafen. Busan war gar nicht mehr so ein kleiner Flughafen und im nah-asiatischen Bereich konnte man auch von Busan erreichen, aber das Streckennetz war nicht mit Incheon oder Gimpo zu vergleichen. Skye mochte Gimpo. Es war der kleinere, überschaubarere Flughafen.
Und wenn man all das ignorierte, gab es immer noch die Tatsache, dass all ihre Freunde hier waren und vor allem Taehyung. Lust auf eine Fernbeziehung hatte sie nicht so wirklich. Und trotzdem wäre Busan nice!
Über all solche Dinge machte sie sich Gedanken, während sie in der U-Bahn saß. Dabei bemerkte sie immer noch, wie drei Mädels sie beobachteten. Koreaner waren manchmal gruselige Fans. In Amerika, wenn man jemand erkannte, ging man hin, fragte nach einem Selfie, plauderte etwas und dann war gut, aber Koreaner folgten einem einfach nur schweigend. Man wusste nie, ob sie einen gernhatten oder heimlich Mordpläne schmiedeten. Sie versuchte die Girls zu ignorieren und stieg in Apgujeong aus. Apgujeong – Rodeo Road wäre zwar näher zum Label, aber Skye wollte etwas laufen. Die Girlies stiegen nicht mit aus, auch wenn Skye auf ihrem Weg immer wieder über die Schulter schaute.
Schließlich erreichte sie das HQ. Um diese Uhrzeit waren nur Sicherheitsleute da. Selbst die Girls am Empfang kamen erst gegen 8 Uhr. Vorher lungerte hier wohl noch niemand rum, auch wenn Skye sich vorstellen konnte, dass Ji hier auch die ein oder andere Nacht verbrachte.
„Guten Morgen Frau Jones“, begrüßte sie der Sicherheitsmann. Man sah ihm die Frage an: Was zur Hölle machen Sie schon hier? Aber er war zu gut erzogen, um sie zu stellen. Zumal, was hätte sie schon antworten können?
Alleine in einem Gebäude zu sein, in dem sonst Leben herrschte, war merkwürdig. Es wirkte alles ganz anders, wenn es so ruhig war. Noch immer wusste sie nicht, was sie mit sich anstellen sollte. Sollte sie sich oben noch mal hinlegen? Sport machen? Ins Studio gehen? Sich die Pläne der nächsten Tage anschauen? Die Amerikanerin war gespannt, wie das geänderte Trainingskonzept laufen würde, aber sie hatte Vertrauen in ihre Band.
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Tatsächlich schlief sie noch mal ein, oben im Büro und wurde in einen Traum gerissen. Sie saß mit den anderen in einem Aufenthaltsraum der Musik Bank und die Tür zum Flur stand offen, weil die Belüftung hier drinnen bescheiden war. Dann tanzte Bruno Mars über den Flur und sang dabei ‚That’s what I like‘, doch als Skye aufstand, um nach ihm zu schauen, war der Flur leer und als sie sich umdrehte, schaute sie direkt in Jiyongs Gesicht.
Sie erschreckte sich dabei so, dass sie aufwachte und tatsächlich Jiyong in der Tür stehen sah.
„Hast du hier geschlafen?“, fragte er irritiert über ihre Schlafsituation, doch die Blondine hatte etwas ganz anderes im Sinn.
„Bruno Mars!“
Damit sprang sie auf und eilte an Jiyong vorbei. Der stockte einen Moment, schaute ihr verwirrt nach, wollte aber dann wissen, was sie jetzt geritten hatte und folgte ihr. Sie lief bis ins Studio und ließ sich dann hinter dem Mischpult nieder. Eigentlich war Skye noch gar nicht richtig wach, aber sie hatte eine Mission. Mit der Maus klickte sie sich von Unterordner zu Unterordner. Sie hatte das Studio mit ihrer Cloud verbunden, damit sie hier und im Studio Zuhause simultan arbeiten konnte. Schließlich fand sie, wonach sie gesucht hatte und mit einem Doppelklick brachte sie die Boxen zum Beben.
Jiyong blieb regungslos stehen, wie er es oft machte, wenn er sich konzentrierte. Er lauschte dem Beat und dann der Musik. Seine Augen wanderten zu ihr.
„Was ist das?“
„Das ist der Song, bei dem mir Bruno Mars geholfen hat. Es war als Solo-Song gedacht, aber…“
Die Bandleaderin breitete die Arme aus, als wolle sie sagen ‚Sie her! Debüt-Song!‘. Jis Reaktionen waren nie einfach zu interpretieren. Oft war nicht klar, ob er entsetzt oder begeistert war, weil es immer einen Moment brauchte, bis er sich ein Bild gemacht hat. Anfangs hatte das Skye irritiert, aber man gewöhnte sich bekanntlich an alles. So stand er da, zog die Augenbrauen zusammen.
„Das ist gut.“
„Wieso passt dein Gesichtsausdruck nicht zu deiner Aussage?“, fragte sie amüsiert.
„Weil ich noch analysiere“, erwiderte er zwinkernd.
Jiyong und Skye arbeiteten an dem Song, bis der Rest der Band eintraf. London begann nach Skye zu Suchen und fand sie immer noch im Studio. Was sie dabei wirklich überraschte, war der Song, an dem die beiden werkelten.
„Hey, das ist der Mars-Song“, kam es als Begrüßung.
„Jup, wir machen aus ihm gerade einen potentiellen Debüt-Song.“
„Wirklich? Du gibst uns deinen Song?“, fragte nun Kendra, doch die Amerikanerin zuckte nur mit den Schultern.
„Wir sind eine Band und sollte ich irgendwann mal Solo gehen, habe ich neue Songs.“
In diesem Moment dachte sie nicht an ihr eigenes Wohl, sondern an das Wohl der Band. Der Song musste etwas umgemodelt werden, weil ja nun Rapteile dazu kommen würden, also wurde auch die Bridge geändert.
So wirklich passte es Skye nicht, Jiyong mit ihrem Song alleine zu lassen, während sie mit den anderen ins Training ging. Kurz hatte sie überlegt das Tanztraining zu schwänzen, aber der beste Song der Welt würde ihnen nichts bringen, wenn sie nicht auch die passenden Skills hätten. Es gab irgendeine Software, die die Synchronität prüfen konnte und laut dieser Software hatten sie noch einiges an Training vor sich.
Dazu kam aber auch, dass sie heute Nacht allgemein nicht viel geschlafen hatte, doch es brachte ja alles nichts. Schlafen könnte sie … irgendwann. Das Tanzen machte sie dann auch etwas munterer, als sie vorher war und bis sie Mittagspause hatten, hatte sie schon wieder vergessen, dass sie müde war. Stattdessen wollte sie schauen, ob Jiyong noch am Song arbeitete oder ob er bereits aufgegeben hatte. Von wegen Aufgeben! Im Studio saßen nicht nur Kush und Jiyong, sondern auch Mister Bang, zwei Kerle, die sie nicht kannte und … Yoongi? Es war wie der Anfang von einem schlechten Witz.
„Oh hey Skye!“ Ji winkte sie zu sich. „Ich habe mir etwas Unterstützung geholt.“
„Das sehe ich.“ Wahrscheinlich konnte sie gar nicht anders, als etwas judgy zu klingen. Er warf ihr einen Blick zu, der sagte ‚Fang gar nicht erst an‘. Manchmal vergaß sie, dass sie und Jiyong dieses unsichtbare Band zwischen sich hatten und dass es manchmal den Anschein machte, als könnte er ihr direkt in den Kopf schauen. Aber Skye war eben auch Skye und sie hatte nicht wirklich geschlafen. Sie wand sich an Bang Shi-Hyuk.
„Und, ist der Song schlecht genug für uns?“
Der CEO rollte mit den Augen.
„Skye, darum geht es nicht und ich denke, dass weißt du. Es geht darum, dass man den Künstlern Platz gibt sich zu entwickeln ohne immer im Schatten des Debütsongs zu stehen.“
Ihr fielen unheimlich viele gehässige Dinge ein, doch die wären alle auf Kosten von BTS gewesen, von daher schwieg sie – fast.
„Das mag vielleicht auf BTS zutreffen, aber es gibt viele Bands mit guten Debütsongs und es hat ihnen auch nicht geschadet – wie Blackpink oder Itzy. Manche Künstler scheinen wohl schon zu wissen, wo sie hinwollen.“
BTS wussten damals noch nicht wohin sie wollten, sie waren noch halbe Kinder gewesen, als sie debütierten, aber bei den 7Kings war die Situation eine andere. Niemand sagte etwas, als wüsste niemand, wie man die Situation davor retten könnte zu kippen. Schließlich ergriff Bang wieder das Wort.
„Der Song ist gut Skye, wirklich gut – wie auch der andere Song. Du hast als Produzent meinen vollen Respekt dafür. Letztendlich liegt es in eurer Hand. Du kannst über das Debüt von BTS denken was du willst, aber man kann nicht abstreiten, dass ich gut im Vermarkten bin, denn zu einem Debüt gehört mehr, als ein guter Song.“
Damit hatte er – leider – recht, aber das tat gerade nichts zur Sache. Die Amerikanerin nickte.
„Das stimmt.“
Mehr Zugeständnis würde er nicht von ihr bekommen.
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Nachdem das Training gegen 19 Uhr beendet war, blieb sie im HQ, denn sie wusste, dass zumindest Jiyong noch im Studio sitzen würde. Tae würde heute Abend keine Zeit haben. Der Flug nach Saudi-Arabien ging morgen früh, um nicht zu sagen heute Nacht und anstatt Zuhause Trübsal zu blasen, konnte sie auch im Studio produktiv sein und sich mit Ji etwas zu essen bestellen. Sie fand den Musiker und zwei Tontechniker im Studio und als sie reinkam, drehte er sich zu ihr um.
„Das wird so gut.“
Immerhin passte nun sein Gesicht zu seiner Aussage, was Skye ungemein beruhigte.
„Lass mal hören.“
Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn.