Taehyung und Skye kamen etwas später als geplant in seinem Hanok an. Sie holten sich etwas zu essen und genossen einfach die Ruhe. Skye wusste, dass die anderen trauerten, doch sie wusste nicht, wie sie helfen konnte und es zog sie mehr runter, als sie gedacht hätte. Sie war so viel von Tod umgeben gewesen, dass sie genug hatte. Sie war Mitte Zwanzig, sie wusste, dass der Tod sie immer wieder heimsuchen würde, doch diesen Abend wollte sie mit Tae alleine sein.
Er hatte ihnen den Whirlpool im Innenhof angemacht und dort genossen sie die Aussicht über Bukchon und die Lichter der Stadt. Es war alles, was sie brachte. Taehyung und Frieden.
Sie wusste, es würde nicht lange halten. Am nächsten Morgen fuhren sie zurück in die Fabrik und Tae ging in sein Dorm zum Frühstücken, während Skye bei EXO vorbeischauen wollte, um zu sehen, wie es ihnen ging.
Die Stimmung war bedrückt, doch es machte den Anschein, dass sie in dieser Nacht mehr Schlaf bekommen hätten. Skye drückte Chanyeol und Chen an sich und Suho drückte ihr eine Tasse Kaffee in die Hand.
„Bist du okay mit der Krystal Kiste?“, fragte Chen. Die Amerikanerin zuckte mit den Schultern.
„Mir wurde nicht wirklich eine Wahl gegeben.“
„Was sagt Tae?“, wollte nun Chanyeol wissen.
„Überraschenderweise ist er okay damit! Er sagt, ich bin ein guter Freund.“
Sie könnte sich darüber immer noch aufregen.
„Aber ganz ehrlich, Krystal ist bald wieder weg und es geht ja nicht drum öffentlich irgendwas zu machen. Wenn Krystal dabei ist, hänge ich eben nicht mit Tae rum.“
Skye nahm sich einen Toast und begann ihn zu schmieren. Die Jungs hatten immer noch vieles von ihr hier, wie Erdnussbutter oder Konfitüre. Sie hörte, wie oben eine Tür aufging und wenige Momente später saß Jongin neben ihr, oben ohne, nur in einer Jogginghose. Die drehte sich halb zu ihm um und schupste ihn dann.
„Dude, get dressed!“
„Was? Ist ja nicht so, als wäre etwas dabei, was du noch nicht gesehen hättest, eigentlich könnte ich na-“ Und da hatte Chen schon etwas nach ihm geworfen.
„Jongin, es geht darum Respekt vor Taehyung zu haben. Du kannst froh sein, dass er ist, wie er ist und mit der Sache okay ist. Wenn er du wäre, hättest du dir auf’s Maul gehauen…“, sie hörte auf zu reden, weil sie kurz über den Satz nachdenken musste und auch Jongin schaute verwirrt.
„Du weißt genau, was ich meine!“
Er rückte ein Stück von ihr weg und hielt ihren Blick fest, während seine Hand sich ihren Toast schnappte.
„Wenn ich er wäre, hätte ich dich nie gehen lassen.“
„Du hast mich gehen lassen.“
„Du weißt, dass das nicht stimmt. Du hast das Land verlassen!“
Schweigen hatte sich über die Gruppe gelegt.
„Ich habe das Gefühl, dass wir nicht hier sein sollten“, flüsterte Suho.
„Wage dich und bewege dich, ich finde das sehr interessant. Ganz ehrlich, wir brauchen gerade etwas Ablenkung“, flüsterte Chanyeol zurück.
„Ja, ich habe das Land verlassen, aber Taehyung hat mich gefunden, während du noch nicht mal gesucht hast.“
Damit stand sie auf und lief aus dem Pit. Eigentlich rannte sie, bis zum BTS Dorm. Sie rannte weiter, bis in Taehyungs Armen und küsste ihn. Der war zwar überrascht, aber wehrte sich nicht. Bis Jin sich räusperte.
„Entschuldigung“, murmelte Skye und löste sich aus Taes Armen, der hingegen grinste, wie ein Honigkuchenpferd.
„Ich finde es toll, wenn du sauer auf Jongin bist.“
„Was? Woher-?“ Sie schüttelte nur den Kopf, dieser Typ durchschaute sie viel zu einfach.
„Wenn du willst, können wir kurz rüber zu dir…“, schlug er vor – und sie ignorierte ihn.
„Ich habe Hunger“, jammerte sie und Jin adoptierte sie und machte ihr Spiegeleier. Tae hatte tatsächlich wieder Brot geholt, das er aus dem Schrank holte. Er war einfach zu gut für diese Welt. Womit hatte sie ihn verdient?
„Skyeeeeeee“, jammerte Jungkook und setzte sich neben sie. „Wann ziehen wir wieder nach Hause?“
Sie schaute zu ihm und zog eine Augenbraue hoch. Ja, sie hatte sich daran gewöhnt, dass er bei ihr wohnte, aber es hielt ihn auch nichts hier. Er könne genauso gut nach Hanam und dort schlafen, doch anscheinend waren sie wohl ein Package Deal.
„Nach der Beerdigung“, erwiderte sie und sein Gesicht hellte sich auf. Plötzlich hatte die Beerdigung einen positiven Beigeschmack. Es war falsch, so falsch.
„Was? Wieso?“, wollte nun Taehyung wissen und schaute sie überrascht an.
„Weil ich seit 48 Stunden hier wieder bin und jetzt schon durchdrehe.“
Es war ja ganz schön, dieses Gewusel und das immer jemand da war, aber es hatte eben auch Nachteile.
Während des Essens, dachte sie noch immer über Jongin nach. Taehyung hatte gestern einfach so in den Raum geworfen, dass Jongin sie noch immer liebte. Tatsächlich hatten sie einander nie gesagt, dass sie sich liebten. Sie waren nicht lang genug zusammen gewesen, um an diesen Punkt zu kommen. Andererseits … Mit Tae war sie auch noch nicht lange zusammen und sie hatten es sich bereits gesagt und es hatte sich richtig angefühlt, oder nicht? Sie empfand etwas für Jongin, das ließ sich nicht abstreiten. Sie wollte ihn beschützen. Von Anfang an. Wieso sonst hatte sie mal einfach ein Krankenhaus gekauft, um dann den Schwindel seiner Ex-Freundin auffliegen zu lassen? Jamal und Nate hatten diese Entscheidung nicht in Frage gestellt, nachdem sie sich die Zahlen des Krankenhauses angeschaut hatten. Vielleicht dachten sie auch, dass bei Skyes Unfallbilanz es das Schlauste wäre, wenn ihr ein Krankenhaus gehörte. In ein paar Jahren hätte es sicher ausgezahlt.
Sie wusste nicht, was sie fühlte und sie wusste nicht, was er fühlte. War es nur die Tatsache, dass sie jemand Neues hatte? Das sie nicht verfügbar war? Oder waren seine Gefühle ehrlich? Jongin und Taehyung waren zwei komplett unterschiedliche Charaktere. Jongin passt in ihr übliches Jagdverhalten, Tae so gar nicht und vielleicht deswegen war es gut – oder war zum Scheitern verurteil. Das würde sich wohl noch herausstellen. Bisher hatte sie es nicht weit bei Männern gebracht, aber Taehyung sprach vom Heiraten und von ‚für immer und ewig‘.
Das viele Denken machte ihr Kopfschmerzen und Taehyung hatte sich in dem einen Sessel bequem gemacht, wo sie sich dazu gesellte und sofort schlossen sich seine Arme um sie.
Sie schaute ihn an und zog die Augenbrauen zusammen.
„Du bist so anders, als das, was man von dir in der Öffentlichkeit sieht“, stellte sie fest, doch sofort bracht lautes Gelächter um sie herum aus.
„Was?“, fragte sie verwundert. Ja, Tae war oft albern und hatte eine andere Ansicht auf Dinge – wie die Jongin Geschichte – und sie lachten viel und alberten herum, aber an sich war er ziemlich handzahm. Den Taehyung aus Youtube würde sie nicht den ganzen Tag ertragen.
„Also Skye, ich zerstöre ja wirklich nicht gerne dein Weltbild, aber der Typ“, und damit deutete Namjoon auf Taehyung, „ist wie eine Springmaus auf LSD. Der lässt nur all seine Energie bei uns aus.“
Nun schaute Tae auf, mit entsetztem Gesichtsausdruck.
„Das stimmt gar nicht! Ich lasse Energie auch bei Lala raus, nur … anders.“
Nun mussten alle noch mehr lachen, inklusive Skye. Entsetzt schaute er zu seiner Freundin, doch sie beugte sich nur zu ihm und küsste ihn.
„Ich liebe dich Kim Taehyung.“
Da grinste er wieder stolz.
„Boah ihr zwei seid so ekelig verliebt!“, meinte Yoongi – als wäre das etwas Schlimmes.
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Irgendwann musste sie sich beschäftigen und so fuhr sie in die Akademie, um zu gucken, ob heute schon wieder jemand funktionierte. Es war wirklich ruhig in der sonst so quirligen Akademie. Die meisten Studios waren leer, andererseits wurde es hier oft gegen Nachmittag erst voll. Die SM Künstler würden sicher noch ein paar Tage aussetzen, auch wenn Skye der Meinung war, dass es eine gute Ablenkung wäre. Eine Aufgabe. Doch ihre Meinung würde man wohl als pietätslos abstempeln und so behielt sie sie für sich. Sie wäre froh für eine Aufgabe. Natürlich könnte sie zu G-Next, aber Jiyong hatte ihr gesagt, dass sie sich wirklich eine Woche Auszeit nehmen sollte, um sich Gedanken zu machen. So viele Gedanken machte sie sich eigentlich gar nicht.
Mia fand sie in ihrem Büro. Noch jemand, der eine Aufgabe brauchte.
„Hey, alles okay?“ Skye setzte sich auf die andere Seite des Schreibtischs.
„Kennst du das, wenn alles so furchtbar ist und du willst dich mit etwas Netterem ablenken und dann eskaliert es total?“
„Jup. Was war die Ablenkung?“
„Babynamen.“
Nun musste die Amerikanerin schmunzeln. Das würde wahrscheinlich viel lustiger werden, als erwartet.
„Wissen wir denn schon, was es wird?“
„Ein Mädchen. Ich hätte ja gewartet, aber Donghae hat mich wahnsinnig gemacht und ja … ich war auch etwas neugierig.“
Mia strahlte richtig. Dafür, dass dieses Baby gar nicht so richtig geplant gewesen ist, schien sie sich nun darauf zu freuen.
„Okay und was ist die Auswahl?“
„Also Donghae ist an irgendeine Seite gestoßen, mit so Hippie Namen. So wie Love oder Rainbow oder India oder Ocean, Shine – Skye gibt’s a übrigens auch. Jedenfalls finde ich es etwas albern. Wirklich, wer nennt denn sein Kind Love?“
„Ich habe eine Bekannte, die heißt Love mit Nachnamen. Summer Promise Love. Aber ja, ihre Eltern kommen auch aus einer Hippie Kommune auf Hawaii.“
Nun stockte Mia, die nicht gedacht hätte, dass es solche Namen in der realen Welt wirklich gab.
„Und was möchtest du?“
„Ich habe ja viele Freunde in Ägypten und bin etwas die arabischen Namen durchgegangen. Ich finde Malika total schön.“
„Oh Malika ist super schön“, pflichtete Skye zu.
„Ja, aber Donghae sagt, dass wir die Zwillinge gemeinsam benannt haben, aber Thalia habe ich mir damals ausgesucht – wobei ich keinen Namen genommen hätte, der ihm gar nicht gefallen hätte. Jedenfalls sagt er, dass er diesmal dran ist.“
Die beiden waren so putzig. Als würde es um eine Katze gehen.
Grübelnd schwieg Skye einen Moment und ratterte Namen durch, die vielleicht ein Kompromiss wären.
„Ich finde es so schwierig, weil man ja nie weiß, wie das Kind wird. Man könnte ja mal so vier Jahre warten, bis man weiß wohin er oder sie sich entwickelt. Ich persönlich würde es wichtig finden, dass man mit dem Namen keine bösen Wortspiele oder sowas machen kann und dass er sich in Hangul umsetzen lässt. Melina … Alina … Lina, hat ja auch irgendwie was Lockeres.“
Sie hatte vor sich hingebrabbelt, doch als sie zu Mia schaute, sah sie die Begeisterung.
„Skye! Das ist Hammer! Alina … das ist … wow! Ich könnte dich knutschen!“
Die Deutsche sprang auf und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
„Komm, wir gehen etwas essen!“
„Übrigens, gegen 17 Uhr fahren wir zur Trauerhalle, kommst du mit?“
Die meisten waren gestern schon gewesen, zumindest Super Junior, EXO, SNSD, f(x), Red Velvet … sie war sich nicht sicher. Heute Morgen nach dem Frühstück waren BTS losgefahren und NTC wollten wohl auch heute gehen. Sie verlor den Überblick.
„Wer ist ‚wir‘?“
„Die Akademie Leute, Donghae war gestern. Bei solchen Sachen treten wir meistens nicht zusammen auf und viele von der Akademie wollen sich verabschieden.“
Skye war sich nicht sicher gewesen, ob sie dort willkommen war. Sie hatte nichts mit Sulli zu tun gehabt, aber koreanische Beerdigungen waren wohl wie koreanische Hochzeiten: Jeder ging hin.
„Hast du noch Klamotten und Trauerumschläge?“
Es war normal Geld zu einer Beerdigung zu geben. Es war schwer den richtigen Betrag zu finden, doch in Anbetracht der Tatsache, dass es Skye nicht an Geld mangelte, konnte sie schon etwas mehr springen lassen.
„Klar.“
Dann hätten sie es hinter sich. Morgen wäre dann die Beisetzung, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Man konnte nur spekulieren, was dazu geführt hat, dass sie sich ihr Leben genommen hat, aber das online Mobbing hatte bestimmt seinen Teil dazu beigetragen und daher war es nur legitim, dass die Öffentlichkeit damit nichts zu tun hatte. Jeder, den die Familie dabeihaben wollte, wäre dabei und darauf kam es an. Sie wusste, dass Heechul dabei wäre und Krystal. Morgen Abend würde es wohl noch einen Umtrunk in der Bar ohne Namen geben und Skye hatte keine Ahnung, was das für sie und Jongin bedeutete. Vielleicht könnte sie einfach wegbleiben. Man musste ja nicht jede Party mitnehmen.
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Bis Skye, Mia und die anderen aus dem Trauersaal rauskamen, fühlte sie sich furchtbar. Sullis Familie tat ihr so leid. Sie wusste, wie sie sich fühlten – in der Regel war Skye in ihrer Position gewesen und konnte heute mitfühlen. Unheimlich viele Leute waren dort und es war ein ständiges Kommen und Gehen. Koreanische Trauerfeiern waren nicht so deprimierend, aber das änderte ja nichts daran, dass man nicht vergessen konnte, wieso man hier war. Sie orientierte sich an Mia, denn bisher war sie noch nie auf einer koreanischen Trauerfeier gewesen, also spielte sie Mias Schatten und fuhr damit wohl ganz gut.
Es war fast 19 Uhr, als sie wieder im Van saßen und alle seufzten erstmal. Sie fuhren gemeinsam in die Akademie und Skye fuhr weiter in die Fabrik. Sie hatte das Gefühl, als hätte man ihr sämtliche Lebensenergie ausgesaugt und sie wollte sich nur ganz, ganz kurz hinlegen. Man durfte sich so etwas nicht vornehmen – es klappte nie.
Taehyung kam ihr auf dem Flur entgegen.
„Lala, wo bist du gewesen?“
„Also zuerst habe ich den Namen für Mia und Donghaes Baby ausgesucht und dann waren wir bei der Trauerfeier und jetzt muss ich mich hinlegen.“
„Oh, ich komme mit, aber wir können nur zwei Stunden schlafen.“
„Weil?“
Sie hatte nicht vorgehabt richtig zu schlafen, aber so wie er das sagte, hörte es sich an, als gäbe es etwas zu tun.
„In Suwon ist irgendeine Party, zu der Yoongi will und ich dachte mir, dass wir mitgehen könnten.“
Skye wusste nicht, ob sie Lust auf Party hatte, aber sie hatte definitiv Lust rauszukommen.