Am nächsten Morgen traf sie Jungkook in der Küche. Sie hatte keine Ahnung, wann er gekommen war – jedenfalls später, als sie eingeschlafen war. Tae hatte ihr irgendwann heute Nacht geschrieben, dass er in der Fabrik schlafen würde.
„Du siehst sehr grübelnd heute Morgen aus“, bemerkte er.
„Hm-mh“, bestätigte sie ihm und nippte an ihrem Kaffee.
„Was ist passiert?“
„You know that feeling, like you’ve entered some alternative reality where the water runs uphill and houses occasionally eat children?“
Jungkook zog die Augenbrauen zusammen.
„Sollte ich?“
„Well, I’m not sure but it seems I’m stuck in it.“
Damit stand sie auf, schnappte sich noch einen Apfel und verließ die Küche.
„Hey, wo gehst du hin?“
„Got things to do – prevent a murder … mine, to be honest. And talk English! Bang asked me to but there’s no point, if I’m the only one talking English!“
Und dann fiel die Tür ins Schloss. Jungkook starrte ihr nach und überlegte sie zu verfolgen, einfach nur um Mäuschen zu spielen.
Schon um 9 Uhr hatte sie ein Meeting bei G-Next. Skye hatte keine Ahnung, wer diese Meetings ausmachte, denn in Jiyongs Schlafzyklus passten die so gar nicht.
Seunghyun traf sie in ihrem Büro.
„Bist du wirklich sicher, dass du das machen willst?“
„Nein“, gab sie zu, „aber ich spiele seit zwei Wochen mit dem Gedanken und wir werden nie erfahren, wie schlecht die Idee ist, wenn wir es nicht durchziehen.“
Seunhyun schien das nicht zu überzeugen. Skye wusste zwar nicht immer, was sie wollte, doch sie wusste in der Regel sehr genau, was sie nicht wollte und sie kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass wenn sie in etwas gefangen war, was sie nicht wollte, ein Countdown gesetzt werden könnte, wann sie austickte oder das Land verlassen würde.
Gemeinsam gingen sie zu dem Meeting, in dem auch Bang anwesend war, neben allen Head of Departments und einigen Leuten von Big Hit, die sie im Moment noch unterstützten. Jiyong schaute fragend, als er seinen Bandkollegen sah, doch dieser setzte sich schweigend neben Skye. Diese konnte den fragenden Blick zu ihrer Rechten spüren, aber er müsste sich nicht mehr lange gedulden.
Auch die anderen schauten fragend und als das Meeting offiziell eröffnet war, stand Skye auf.
„Als G-Next gegründet wurde, hatte ich eine andere Aufgabe. Ich wollte hier debütieren. Dieses Kapitel ist vom Tisch, doch ich bin nicht dafür geschaffen von Meeting zu Meeting zu hüpfen und den ganzen Tag über Emails zu brüten, daher übertrage ich mit sofortiger Wirkung meine Aufgabe als CEO an Seunghyun.“
Schock war wohl der Ausdruck, den sie in den meisten Gesichtern fand – außer in Bangs Gesicht, da fand sie so etwas wie Amüsement.
„Skye! Wie stellst du dir das vor? Was wirst du machen?“ Jiyong war ebenfalls aufgestanden und sie sah sie Wut in seinen Augen aufblitzen.
„Das, worin ich am besten bin. Ich bin gerne das Aushängeschild, bis wir Künstler haben, die wir der Öffentlichkeit zeigen können. Ich gehe gerne mit zu Partys und Dinners und sing alle um den kleinen Finger. Ich werde Songs schreiben und produzieren und sobald wir Künstler haben, die betreut werden müssen, werde ich ins Management gehen – außer bei den Kings, dass kann ich einfach nicht.“
Ji fuhr sich durch die Haare und tigerte durch den Raum. Es war ein untypisches Verhalten für ihn, denn normalerweise war er sehr berechnend und hatte ein gutes Pokerface.
„Skye, du kannst dir nicht nur die Rosinen rauspicken.“
„Doch, genau das kann ich. Ich habe mit dir dieses Label gegründet, um meine eigene Karriere zu pushen, nicht um den ganzen Tag 100 Mails zu beantworten. Ji, mir gehören aktuell 67 Firmen und G-Next ist die kleinste davon. Meinst du, ich kann mich den ganzen Tag mit Quatschanfragen beschäftigen? Nein, in jeder Firma habe ich Leute, denen ich vertraue, die sich um all den Quatsch kümmern und mich fragen, wenn es wirklich gravierende Sachen gibt. Diese Person hier wird Seunghyun sein.“
Präsentativ deutete sie auf Seunghyun, als wären sie in einer Werbesendung und Seunghyun wäre das tolle Kochtopf-Set, dass man sich bestellen konnte.
„Du hast deine Karriere selbst beendet, bevor sie angefangen hat!“
„Ja, weil es eine dumme Idee gewesen ist“, meldete sich Bang zu Wort.
„Wir wissen, dass Skye eine tolle Sängerin und Songwriterin ist, doch ihre Mentalität kollidiert mit der Koreanischen. Lass sie das tun, was sie gut kann, bei dem sie aber nicht so in der Öffentlichkeit steht, um Skandale zu produzieren.“
Das Bang mal ihr ‚Knight in shining armour‘ werden würde, hätte sie heute Morgen auch nicht gedacht. Doch eigentlich war es klar, denn sie wusste, dass er wusste, dass sie die stärkste Stimme gegen ihn war. Sich jetzt auf ihre Seite zu stellen, war purer Egoismus – den sie in diesem Fall willkommen hieß.
„Und du meinst nicht, dass ich du mal mit mir darüber hättest sprechen können, wer deine Aufgaben übernimmt?“
Genervt schaute sie von Jiyong zu Seunghyun und wieder zurück.
„Ich hätte meine Anteile auch meistbietend verkaufen können und dann hättest du auch kein Mitspracherecht gehabt und er ist DEIN Bandkollege! Er ist schon so lange in dieser Szene, er versteht das Business und er hat die Geduld dafür. Das ist keine spontane Entscheidung Jiyong, ich habe die letzten Wochen viel mit ihm gesprochen und es fühlt sich richtig an.“
„Ach, hattet ihr nach dem Sex ein paar ruhige Minuten für Smalltalk?!“
Skyes erster Impuls war es ihm eine Ohrfeige zu verpassen, doch sie waren hier immer noch in einem Meeting. Wütend verzog sie das Gesicht und hob drohend den Zeigefinger und ging einen Schritt auf ihn zu – und er wisch tatsächlich zurück, wusste er genau, dass er zu weit gegangen war. Die Amerikanerin atmete tief ein und wieder aus und kramte dann in der Tasche ihres Cardigangs.
Ein USB Stick rutschte über den Tisch.
„Das sind drei Songs, die ich gestern produziert habe und wenn ich von irgendjemand höre, dass sie zu gut sind, fackel ich etwas ab.“
Damit verließ sie den Meetingraum. Keiner traute sich etwas zu sagen.
„Ich sehe die Klicks auf dem Youtube-Kanal entwickeln sich gut“, kam es von Seunghyun und in jeder anderen Situation, hätte irgendwer angefangen zu lachen.
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Schon seit über 2 Stunden lag Skye auf dem Boden von Mias Büro. Die Deutsche hatte sofort erkannt, dass es aktuell das Beste war zu Schweigen und vor allem keine Fragen zu stellen und so tat sie so, als wäre Skye nicht da.
Bestimmt schon achtmal war sie über die Blondine hinweggestiegen, um zu ihrem Schreibtisch zu kommen. Skye hingegen lag da, zog gelegentlich an der Vape und versuchte die kleinen Punkte in der Deckenverkleidung zu zählen.
Jeder, der in das Büro kam und zu Skye schaute, bekam von Mia ein unauffälliges Schütteln mit dem Kopf, was Skye nicht sehen konnte.
Gut, dann wusste Jiyong von der Sache mit Seunghyun. Und wenn schon? Das lag Wochen zurück, bevor sie mit Taehyung zusammengekommen war und was ging es ihn an? Mit ihrer Entscheidung hatte das nichts zu tun, wenn überhaupt, dann wäre es eine Entscheidung gegen ihn gewesen, doch sie schaffte es, im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten, Sex und Geschäft zu trennen.
Und dann kam Jiyong. Eigentlich wollte er zu Mia, die inzwischen Bescheid wusste, sich nur dazu entschlossen hatte Skye nicht anzusprechen, bevor Skye nicht sprach.
Er blieb in der Tür stehen und schaute zu Skye.
„Was hast du dir gedacht?!“
„Das Beste für die Firma.“ Skye hatte sich aufgesetzt.
„Und du hast nicht gedacht, dass du vorher mal mit mir hättest reden können?!“
„Yeah well, I guess it’s a dose of your own medicine Mister. Wie oft hast du mich nicht Entscheidungen involviert?“
„Da ging es nie um das Wohl der Firma!“
„Nein, da ging es nur um mein Wohl und um das meiner Band. Vor allem, als hättest du anders reagiert, wenn ich es dir vorher gesagt hätte.“
„Da hat sie recht“, kam es von Mia, die direkt mit einem finsteren Blick bestraft wurde.
„Hey, wenn mein Büro zu Waterloo wird, dann habe ich auch Mitspracherecht“, beschwerte sie sich.
„Du musst die Leute dort einsetzen, wo sie sich am besten entfalten können. Skye schreibt tolle Songs und sie ist toll mit Leuten. Ich behaupte, dass sie EXO besser unter Kontrolle hatte, als ich. Die Band, die sie betreuen wird, kann ich glücklich schätzen und seien wir ehrlich, dafür hättest du keine Nerven. Und realistisch betrachtet, weiß man nie wie lange Skye hier sein wird. Sie ist ein Fluchttier, aber Songs schreiben kann sie von überall – selbst auf Fiji.“
Hart, aber herzlich.
„Ich kaufe deine Anteile.“
Skye warf die Hände in die Höhe.
„Meinetwegen, wenn der Gedanke so schlimm ist, dass du dich mit Seunghyun absprechen musste, dann mach. Ich behaupte, dass du im Moment mehr auf mich angewiesen bist, als ich auf dich.“
Von ihm wurden keine Videos auf Social Media hochgeladen und ihre Songs konnte sie an jeden verkaufen.
„Ji, bitte treffe keine überschnellen Entscheidungen. Schlaf doch mal eine Nacht darüber – oder auch drei“, bat ihn Mia. Sie arbeitete seit Jahren mit ihm zusammen und sie wusste, dass er nicht einfach war, sie hatte nur gelernt damit umzugehen und die Dinge hübscher zu verpacken, als Skye es tat. Sie fiel mit der Tür ins Haus und trug ihr Herz auf der Zunge, doch Mia war davon überzeugt, dass Skye diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen hatte.
„Seunghyun geht kaputt. Er versteckt es gut, aber er geht kaputt. Dieses online Mobbing, die ständigen Vorwürfe. Vielleicht wird es Jahre dauern, bis er wieder Songs veröffentlichen oder im Fernsehen auftreten kann und das zerstört ihn. Er braucht etwas, er braucht etwas, was ihm Freude macht, in dem er aufgehen kann. Etwas, wo er gebraucht wird, ansonsten ist das der nächste Sarg, den wir zu Grabe tragen.“
Skye war aufgestanden und ihr Ton war ruhig, besorgt sogar. Es gab Zeichen, schon seit Jahren eigentlich und es war so einfach darüber hinwegzusehen und zu hoffen, dass alles gut werden würde, aber Sullis Tod hatte auch etwas an Skye gerüttelt und sie wollte nicht ihren Freund verlieren.
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Skye versteckte sich den Rest des Tages in der Akademie. Also nicht wirklich, aber man ging ihr aus dem Weg und sie ging nicht ans Telefon, wenn man sie anrief – bis Taehyung anrief.
„Bambi.“
„Klopfer.“
Sie konnte hören, dass er ganz genau wusste, was passiert war.
„Hast du schon was gegessen?“, fragte er sie.
„Nicht wirklich.“
„Dann ist es ja gut, dass ich etwas besorgt habe.“
Sie schaute auf und sah ihn in der Tür stehen. Er war gut, dass musste sie ihm lassen.
„Komm, wir suchen uns ein Plätzchen.“
Tae streckte die Hand nach ihr aus und gemeinsam fuhren sie hoch in ihr altes Büro – das mit Aussicht. Sie setzten sich auf den Boden und sie erzählte ihm alles, ihre Gedanken, ihre Sorgen. Sie erzählt ihm nicht, dass Jiyong ihr den Sex mit Seunghyun vorgeworfen hatte, aber sie erzählte ihm, dass sie sich Sorgen um ihn machte.
„Lala, ich finde, dass du mit allem recht hast, ich denke auch, dass Jiyong das irgendwann einsieht, aber meinst du nicht, du hättest vorher mit ihm reden sollen?“
„Ja vielleicht, aber über meinen Kopf hinweg wurden so viele Entscheidungen getroffen und ich habe nie eine Szene gemacht. Ich wollte, dass er merkt, wie sich das anfühlt.“
„Auge um Auge …“
„Ach jetzt hör schon auf!“, motzte sie, lachte dabei aber und Taehyung hielt ihr noch ein Hähnchenteil hin.
Er schaffte es sie runterzubringen, er war wie das Innere eines Sturms, wie eine Seifenblase und sie hätte sich gerne noch etwas länger bei ihm versteckt, doch er musste zurück ins Training. Skye versprach ihm später vorbeizuschauen, denn sie trainierten in der Halle an der Fabrik.
Irgendwann hatte Skye beschlossen, dass sie mal wieder einen Mädelsabend brauchte und setzte den Freitag an. Sie bastelte eine Einladung und schickte sie an so ziemlich alle Frauen raus, die sie kannte.
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Sie fuhr früher in die Fabrik, weil sie noch bei Super Junior vorbeischauen wollte. Zu ihrem Erstaunen stellte sie fest, dass sie tatsächlich mal den Pin geändert hatten und so klingelte sie brav, bis Heechul ihr die Tür aufmachte.
„Ich bin stolz auf euch“, war ihre Begrüßung.
Heechul schaute sie fragend an.
„Ihr habt den Pin geändert“, erklärte sie und sein Gesicht hellte sich auf.
„Ja, keine Ahnung, irgendjemand hat gesagt, dass das voll die Sicherheitslücke ist, wenn wir das nicht regelmäßig machen.“
Eunhyuk, Kyuhyun und Siwon waren Zuhause und natürlich hatte sich schon herumgesprochen, was heute Morgen passiert war. Verdammtes Idol-Book.
„Heißt das, dass du jetzt endlich unsere Assistentin wirst?“, fragte Eunhyuk voller Hoffnung.
„Dir ist schon aufgefallen, dass SM Entertainment mich hasst?“
„Ich glaube uns hassen sie auch die meiste Zeit“, bemerkte Kyuhyun.
„Wir können mit Kim reden“, meinte Eunhyuk weiter.
„Auf gar keinen Fall! Ich gehöre immer noch zu G-Next, ich habe nur die doofen Aufgaben abgegeben, dass heißt nicht, dass ich nichts mehr zu tun habe.“
„Aber wenn du Songs schreiben willst, brauchst du Inspiration – wenn du mit uns rumhängst, bekommst du sie.“ Eunhyuk ließ nicht locker.
„Ja, wenn ich Songs über Midlifecrisis schreiben will oder über Reha Sport.“
Nun lachte selbst Siwon kurz auf, doch Heechul und Eunhyuk fanden das nicht so witzig.
Der Besuch war kürzer, als gedacht und so lief sie zu sich ins Apartment, wo sie Jongin vor ihrer Tür fand. Wieso waren die, wie die drei Geister der Weihnacht, wenn etwas passierte? Sie blieb stehen.
„Ich komme in Frieden“, rief er ihr grinsend zu und langsam ging sie weiter.
„Ich wollte nur sehen, ob alles okay ist.“
„Never better, hier, ich habe dir einen Song geschrieben.“
Sie schmiss ihm einen USB Stick zu und kurz geriet er ins Schludern, weil das kleine Ding so unvorbereitet geflogen kam.
„Du hast …?“
Skye schloss die Tür auf und er lief mit rein, womit zu rechnen war.
„Ja, ich hatte Gedanken, die rausmussten.“
„Und schon bekomme ich Angst“, erwiderte er grinsend.
Es war natürlich nicht damit getan ihm einen USB Stick zu geben, Jongin wollte hören, was sie da getan hatte. Skye hatte den Song auf ihrem Handy und verband sich mit der Anlage im Apartment. Der Sänger hatte sich auf ihre Couch gelegt und wartete ab. Skye nahm sich einen Sitzsack und ‚Hello Stranger‘ begann. Jongin hatte die Augen geschlossen, doch irgendwann öffnete er sie und schaute zu Skye. Es war kein langes Lied, aber Skye mochte die Melancholie des Songs und trotzdem hatte es eine gewisse Leichtigkeit. Von der Vibe erinnerte es sie an die alten Craig David Sachen und sie fand, dass dieser Stil sehr gut zu ihm passte.
„Kann ich es noch einmal hören?“, fragte er, als es fertig war und Skye startete die Aufnahme erneut. Wieder hörte er zu und seine Lippen bewegten sich, weil er begann sich den Text zu merken. Als der Song vorbei war, schaute er sie schweigend an.
„Es geht um mich, richtig? Um Jongin und Kai?“
Skye nickte. Er war diese zwei Personen, einmal die private und einmal die Person der Öffentlichkeit und beide waren unsicher auf verschiedene Arten. Wie er sich damals auf dem EXO Konzert versteckt hatte und das, obwohl Tausende nur wegen ihm gekommen waren.
Er stand auf und ging zur Tür. Verwundert setzte Skye sich auf.
„Das ist deine Reaktion?“
„Nein, meine Reaktion wäre es dich zu küssen und dir die Klamotten vom Leibe zu reißen, aber das darf ich im Moment nicht, also gehe ich.“
Sie schämte sich für den Schauer, der diese Worte in ihr auslösten.
„Skye?“ Er stand in der Tür und schaute über die Schulter.
„Hm?“
„Danke.“
Sie hasste das. Jetzt konnte man jemanden noch nicht mal einen Song schreiben! Und sie hatte das Bedürfnis zu duschen, obwohl gar nichts passiert war.