Es funktionierte. Ich und Kyuhyun und der Versuch ihn nicht ins Irrenhaus zu befördern, weil er mit seinem Schutzengel sprach – was kein einfaches Unterfangen war. Ich brachte ihn dazu wieder mehr am Gemeinschaftsleben teil zu nehmen, mit den anderen weg zu gehen, nach den Proben mit den anderen Essen zu gehen. Ich war bei ihm, ich war immer bei ihm.
Und langsam, ganz langsam behandelten ihn die anderen wieder normal. Ungefähr zwei Wochen nachdem Kyuhyun das Gespräch zu Siwon gesucht hatte, kam dieser auf ihn zu.
„ Hey Kyuhyun, hast du eine Minute?“
Kyuhyun war eigentlich gerade dabei mir zu zeigen wieso Starcraft das ober-tollste aller Spiele war. Vielleicht bin ich zu altmodisch, aber ich konnte mit all diesen Computerspielen nichts anfangen. Zumal man mit anderen zusammen spielte – verbunden durch das Internet, getrennt durch Lebensraum. Wieso um alles in der Welt trafen sich diese Menschen nicht und spielten wirklich miteinander? Allerdings glaubte das Kyuhyun Starcraft mehr mochte als Gott und ich würde mich schon nicht Gott anlegen und in seinem Fall noch nicht mal mit Starcraft.
Kyuhyun klappte den Laptop zu. Ich hatte in den letzten Wochen lauter neue Wörter gelernt, wie Laptop und WiFi und Patbingsu und ich hatte gelernt das Elfen nicht nur Waldgeister waren, sondern auch Menschen die Super Junior toll fanden – verrückt, nicht wahr? Anfangs hatte ich mich immer gefragt von was er spricht. Elfs hier, Elfs da, ich überlegte ob er ein Buch las, aber auch das hätte den Kontext nicht erklärt.
„ Weißt du noch wie du mir vor ein paar Wochen von deinem Schutzengel erzählt hast?“
Kyuhyun wirkte jetzt schon genervt.
„ Also, gestern nach der Bibelstunde habe ich mit Vater Jaesun gesprochen.“
„ Du hast was?“
Kyuhyun hatte keine Lust das sein mentaler Zustand zum Gespräch wurde.
„ Er hat mir gesagt dass es einige ähnliche Erfahrungen gibt, auf der ganzen Welt. Manchmal werden solche Erlebnisse durch traumatische Situationen hervorgerufen, wenn man gestresst ist oder sich alleine fühlt und sich in den Glauben flüchtet, auf der Suche nach Antworten. Jedenfalls will ich dass du weißt das ich nicht denke dass du verrückt bist und ich möchte mich entschuldigen, wenn wir uns in letzter Zeit nicht gut um dich gekümmert haben und du das Gefühl hattest mit all dem hier allein klar kommen zu müssen. Es war für uns alle sehr stressig und vielleicht haben wir vergessen uns umeinander zu kümmern.“
Kyuhyun sah aus als hätte er etwas anderes erwartet, mehr Skepsis, mehr Fragen. Doch nicht jeder war so misstrauisch wie er und so lächelte er.
„ Danke Hyung … das bedeutet mir viel.“
Siwon schien zufrieden mit sich zu sein.
„ Ich freue mich dass das geklärt ist … und du weißt, du kannst immer zu mir kommen.“
Siwon verließ das Zimmer und Kyuhyun warf mir einen genervten Blick zu.
„ Ich finde das war süß. Er macht sich Sorgen um dich.“
„ Pfff…“, war die Antwort die ich bekam.
„ Komm, wir gehen mal weg.“
Kyuhyun stand auf und zog sich eine Jacke an. Es war Frühjahr und auch wenn die Sonne schien, war es noch nicht wirklich warm. Eines der guten Dinge am tots ein war, dass mir das Wetter herzlich egal war.
„ Wo gehen wir hin?“
„ Zu etwas, was ungefähr genau so alt sein dürfte wie du.“
Beleidigt blieb ich stehen, doch je weiter er ging um so mehr spannte sich dieses unsichtbare Band zwischen uns, dass mich zu ihm zog.
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Wir nahmen sie U-Bahn. Nicht meine Lieblingsart der Fortbewegung. Unter der Erde fühlte ich mich komisch, eingeengt. So muss ich wohl auch ausgesehen haben, denn Kyuhyun tippte auf seinem Handy ‚Bist du okay?‘.
„ Geht so, ist es noch weit?“, ich konnte ja sprechen.
‚Nein. Wieso können wir eigentlich nicht so was cooles wie Gedankenlesen machen?‘, schrieb er auf.
„ Weil ihr Menschen zu doof dafür seid. Der Großteil eures Gehirn benutzt ihr als Kopfballast, damit er euch nicht von den Schultern wegfliegt.“
Menschen könnten so viel mehr, doch sie wollen nicht. Dafür treffen sie sich mit Freunden in einem Chatroom – wenn sie sich mehr anstrengend würden, bräuchten sie keine Chatrooms dafür.
‚Hahaha‘, schrieb Kyuhyun auf und schaute mich finster an.
Das war also meine Rache für die Ausflugsbeschreibung von heute.
Kyuhyun führte mich zu einer der Palastanlagen in Seoul.
„ Was ist das für ein Palast?“, fragte ich in Faszination von der alten Anlage, die in der Tat wahrscheinlich so alt war wie ich.
„ Das ist der Gyeongbokung. Der Palast hat schon ziemlich viel überstanden, ist niedergebrannt worden und wurde wieder aufgebaut. Ich dachte mir du bist nun schon länger hier und hast bisher kaum etwas gesehen.“
Kyuhyun hatte sein Headset auf, damit es so aussah als würde er telefonieren. Die meisten Leute waren ohnehin zu sehr damit beschäftigt auf sich selbst zu achten, dass kaum jemand wirklich darauf achtete was er sagte. So konnte sich Kyuhyun auch noch frei bewegen, es war Donnerstag, Nachmittag und die Zielgruppe, die Super Junior wohl möglich kennen könnten, war kaum in der Nähe. Elfen.
Super Junior gab es noch nicht sehr lange, trotzdem hatten sie schon eine große und fest zusammenhaltende Fangemeinde. Auch das war für mich neu. Bands. Fans. Clubs. Zu meiner Zeit gab es Barden! Wobei, wenn jene so niedlich gewesen wären, wie die Sänger heute, wären bei uns die Frauen vielleicht auch ins Schwärmen geraten. Doch bei uns galten andere Ideale, ein Mann musste Grund haben und vielleicht ein paar Dutzend Kühe. Kyuhyun besaß nicht eine Kuh, auch wenn er sich gelegentlich wie eine aufführte. Dafür gab es im Himmel auch keine Kühe, doch dort zählten materielle Dinge ohnehin nichts.
Er stellte sich brav an um ein Ticket zu kaufen und wir gingen Spazieren.
„ Was ist das da?“, fragte ich und deutete zu einem Gebäude in der Mitte von einem See. Kyuhyun folgte meinem Blick und schaute in der Broschüre nach.
„ Dort hat früher die königliche Familie gespeist.“
„ Können wir dort hingehen?“
„ Ich glaube nicht. Zumindest ich nicht, aber dich hält ja nichts auf.“
Aufgeregt hibbelte ich hin und her, ich wollte mir das näher angucken. Kyuhyun nickte mir aufmunternd zu und ich tänzelte über das Wasser hinweg, bis ich zu dem Haus kam. Es war ziemlich groß um dort nur zu Abend zu essen. Ich dachte daran dass es ziemlich einsam sein musste hier zu sitzen, mit weniger als 200 Leuten. Das Erdgeschoss war riesig und oben gab es auch noch ein Stockwerk. Wieso musste alles immer so groß sein? Ich mochte es gemütlich lieber.
Ich ging umher und schaute mir die alten Malereien an, die schönen Schnitzereien und die wertvollen Teppiche.
„ Das war wunderschön“, erzählte ich Kyuhyun begeistert als ich zurück war.
„ Ja, geb du nur an.“
Das Palastgeländer war einzigartig, so weitläufig und grün und so ganz anders gebaut als alles was ich bisher kannte.
„ Könntest du dir vorstellen hier mit deiner Familie zu leben?“, fragte ich ihn.
„ Nein, ich denke nicht. Ich denke im Winter ist es ziemlich kalt hier.“
Ich kicherte fröhlich, in Wirklichkeit würde er nur sein Internet vermissen.
„ Würdest du hier leben wollen … wenn du eine Familie hättest?“
Ich schaute mich um und schüttelte den Kopf.
„ Nein, ich denke nicht. Es ist so groß, man würde sich nie sehen.“
„ Vermisst du deine Familie?“
„ Im Moment etwas weniger.“
Ich konnte mich kaum an meine Familie erinnern, doch Kyuhyun weckte Gefühle in mir, menschliche Gefühle. Ich fühlte mich geborgen in seiner Näher, ich kannte ihn oder zumindest kannte ich ihn besser als jeden anderen Menschen zuvor. Vielleicht waren diese Gefühle egoistisch, eigentlich war ich nur dazu da um auf ihn aufzupassen, nicht um ihn zu mögen. Aber irgendwo musste ein Sinn sein, ein Sinn darin das er mich sehen konnte, hören konnte. Solche Dinge geschahen nicht aus Zufall und irgendwie fügte sich alles nahtlos zusammen, auch wenn wir den Sinn dahinter nicht immer sahen.
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Am kommenden Morgen machte sich Kyuhyun mit seinen Kollegen auf zu einer Fernsehsendung. Das Studio lag etwas außerhalb von Seoul, auch wenn ich mir nicht den Namen merkte. Ohnehin waren sie so viel am Reisen und umherirren, dass es eigentlich unmöglich war sich das alles zu merken. Sie hatten einen Manager der jeden Termin in einem Buch vermerkte, was wahrscheinlich auch besser war. Sie waren nur zu viert heute und im Van war jede Menge Platz. Dies war einer der Gründe wieso ich mich dazu bequemte tatsächlich im Auto zu sitzen und nicht, wie sonst, dem Auto einfach zu folgen. Dreizehn Leute in einem Van? Dazu kamen noch Manager und Fahrer, nein, nein, für mich war da kein Platz mehr.
Sie waren schon früh los gefahren und als der Manager das Programm von heute besprach, fielen zumindest Eunhyuk und Shindong ständig die Augen zu. Wer konnte es ihnen verübeln? Kaum einer ging frühzeitig schlafen. Vielleicht lag meine eigentliche Aufgabe darin Kyuhyun vor seinen Bandkollegen zu beschützen, die ihm seinen Schlaf raubten, was auch Dauer nun auch nicht gut war.
Der Tag in dem Studio war hektisch. Zu viele Leute irrten umher, gaben Anweisungen, sprachen in ihre Telefone. Kyuhyun und die anderen saßen mitten drin und warteten darauf das ihnen jemand sagte was sie tun sollten. Ich saß oben, dort wo die Scheinwerfer befestigt waren. Hier war es zumindest nicht ganz so hektisch und ich hatte einen guten Überblick.
„ Welcher Tag ist heute eigentlich?“, fragte Leeteuk irgendwann verwirrt und ich lächelte. Sie arbeiteten so hart.
„ Der 19. April“, erwiderte Kyuhyun.
Zu den anderen war er recht frech und ließ sich wenig gefallen, aber vor Leeteuk hatte er wohl zumindest etwas Respekt. Er war der Älteste der Gruppe und wirkte immer so in sich gekehrt. Außer wenn er bei Shows und Events war, da war er plötzlich aufgedreht und kindlich und albern. Es war als versuchte er eine Rolle darzustellen, die er eigentlich gar nicht war, auch wenn ich der Meinung war, dass es ihm gut tat ab und zu mal aus sich raus zu kommen.
Es war Nachmittags als sich die vier wieder auf den Weg nach Hause befanden. Selbst ich empfand ein Gefühl von Erschöpfung, auch wenn das eigentlich nicht möglich war. Ich saß neben Kyuhyun dem hin und wieder die Augen zu fielen. Irgendwann schnallte er sich ab um sich hinzulegen. Automatisch rutschte ich ein Stück weiter weg, ich mochte es nicht wenn man durch mich durch ging oder wie in diesem Fall ‚durch fiel‘. Meine Reaktion brachte ihn zum Grinsen und ich konnte nicht anders als auch zu grinsen, als …
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Einen Moment hatte ich nicht acht gegeben, ihn nicht davor gewarnt sich abzuschnallen, als ein Auto ins unseres rein fuhr. Mir konnte kein Schaden geschehen, dafür war ich nicht gedacht und ich sah mit an wie alle, die in dem Wagen saßen zerstört wurden, beschädigt. Manche wurden durch die Scheibe geschleudert, manche waren noch im Wagen oder dem was davon übrig war. Von einer Sekunde zur nächsten war alles anders. Chaos, Hysterie, Schmerzen. Nicht nur die Menschen in unserem Wagen, nein, die Leute in dem anderen Wagen auch und das einzige woran ich denken konnte war Kyuhyun.
Ich spürte auf einmal die Gesellschaft anderer Schutzengel. Sie wachten von weiter weg und eilten nun zu ihren Schützlingen.
„ Kyuhyun!“
Ich achtete nicht auf die anderen, nur auf ihn. Er lag auf der Straße und panisch schaute ich mich um dass er nicht von einem anderen Auto überfahren wurde.
„ Kyuhyun“, wiederholte ich und seine Augen schlugen müde auf und schauten zu mir.
„ Jungsu …“
„ Ihm wird es schon gut gehen.“
Ich schaute nach dem Bandleader, Blut, überall Blut, aber Blut war nicht immer das schlechteste alle Zeichen. Viel wichtiger war er und er war nicht in Ordnung. Er hatte Schmerzen, furchtbare Schmerzen und als meinen Schützling teilte ich diesen mit ihm. Doch es waren nicht die einfachen Verletzungen die mich beunruhigten, seine Organe, etwas war nicht in Ordnung.
In solchen Situationen verging die Zeit zu langsam, zu lange brauchten die Krankenwagen und viel zu wenig Überblick herrschte. Ich saß nur neben ihm und hatte versagt. Ich war bei ihm gewesen, wie hatte so etwas passieren können. Endlich, endlich kam jemand zu ihm und hob ihn auf eine Trage. Seine Augen schlossen sich vor Erschöpfung und ich eilte ihm nur nach.
„ Kyuhyun, Kyuhyun verlass mich nicht, bleib hier … bleib bei mir, Kyuyhun …“