Gegen 5 Uhr lag sie in ihrem Bett und starte in die Dunkelheit. Es war ein komisches Gefühl zu Hause zu sein, in ihrem Bett zu liegen. Komisch, einfach komisch. Dabei konnte sie noch nicht einmal sagen, was tatsächlich so komisch war. Irgendwann gab sie den Kampf auf und griff zum Telefon. In Korea war es jetzt kurz nach 12 Uhr mittags, keiner konnte sich beschweren.
„Hallo Mia“, sagte Donghae.
„Hey sweetheart, how are you?“
„Gut, wieso schläfst du nicht?“
„Weiß nicht, es ist komisch zu Hause zu sein.“
Das konnte er sich vorstellen, ihm ging es nicht besser, wenn er seine Mom besuchte.
„Erinnere dich daran zu Hause zu sein, sei kein Fremder, du brauchst die Zeit mit deinen Eltern und Freunden.“
„Ich weiß.“ Und wieso war es dann so schwer?
„So, ich wünsche dir jetzt eine gute Nacht, hab schöne Träume.“
„Danke Donghae.“
Und tatsächlich schlief sie kurz darauf ein.
Nur weil sie etwas hatte, was man in der Regel ‚Urlaub‘ nannte, hieß das noch lange nicht, dass sie keinen Stress hatte. Um 9 Uhr schmiss Starwars sie aus dem Bett und ihr erster Weg führte ins Solarium. Etwas Sonne musste sein und nach dem heutigen Tag, würde sie ein paar Wochen nicht mehr gehen können. Danach fuhr sie zurück nach Hause und ging duschen – wieso roch mal nach dem Solarium immer so komisch? Mia machte sich so weit fertig, weil sie erst mal nicht nach Hause kommen würde. Um 11 Uhr saß sie ihm Wartezimmer ihres Frauenarztes, denn sie ließ das Stäbchen in ihrem Arm erneuern. Es war eigentlich noch 4 Monate wirksam, da sie sich aber noch nicht damit beschäftigt hatte, ob es dieses Stäbchen auch in Korea gab oder welche anderen langfristigen Mittel es dort gab, dachte sie, sie ließ das hier noch mal machen.
Danach ging es in die Innenstadt. Das Kubu war gegenüber von der alten Oper – eines von Mias Lieblingsgebäuden. Früher war im KuBu das Mövenpick gewesen, doch dann schloss es und Kuffler & Bucher machten eine komplett neue Location daraus. Mia glaubte dass es nicht soooo gut lief, aber welche teure Gastronomie tat das im Moment? Sie wollte die Zeit etwas nutzen, ihre alte Firma war nicht weit weg, doch heute wollte sie da nicht vorbei gehen. Lieber schlenderte sie die Goethe-Straßen entlang – Frankfurts teuerste Einkaufsstraße. Praktisch wie die Straße auf der sich SM in Seoul befand. Mit dem Unterschied dass dort eine vierspurige Straße die Läden voneinander trennte und dass dort die Designer eigene Häuser hatte. Der erste Laden an dem sie langsamer wurde war Burberry, gleich am Anfang. Sie mochte dieses schöne, zeitlose Muster. Sie ging weiter und kam an More & More, dem Nespresso-Café und Jil Sunder vorbei, doch Mia wusste ganz genau wo sie hin wollte. Der halbe quietsch-hysterische Anfall bekam sie vor Jimmy Choo und stürmte rein. Schuhe und Frauen, was soll ich noch sagen? Der Plan war es sich ein paar Schuhe zu holen, als Belohnung für die letzten Wochen und Monate und als Ausgleich dafür dass sie es sonst nicht schaffte Geld auszugeben. Sie war immer nur unterwegs, bekam Essen, Trinken und Klamotten bezahlt, Friseurtermine und Wellnessanwendungen – für was sollte sie Geld ausgeben? Das bisschen was sie im Ausland für sich und Freunde einkaufen ging, fiel nicht wirklich ins Gewicht und Fakt war dass die Designer-Sachen in Deutschland ungefähr 1/3 günstiger waren als in Asien. Deswegen fielen die ganzen Chinesen ja immer bei Louis Vuitton ein. Jedenfalls holte sie sich am Ende zwei Paar Schuhe für die sie Donghae hassen würde, weil der Absatz so hoch war. Bei Louis Vuitton wurde sie dann auch wieder langsamer, ging aber dann doch in den neuen Prada-Laden an der nächsten Ecke. Der war früher da gewesen, wo heute der Jimmy Choo Laden war und sie hatte den neuen Laden noch nicht gesehen. Mit Mühe und Not ging sie an Chanel und Tiffanys vorbei und überquerte die Straße zum Goethe Platz, auf dem ein großes Denkmal des Schriftstellers stand.
„Da steh ich nur ich armer Thor und bin so klug als wie zuvor …“, murmelte sie und steuerte Zielscher den Hugendubel an. Mia hatte schon vor Korea alles in Englisch gelesen und suchte sich weiterhin ihre Bücher in der englischen Sektion des Ladens unten im Erdgeschoss.
Über die Fressgass – eine Parallelstraße zur Goethe – wanderte sie zurück in Richtung Kubu, hielt aber vorher im Apple-Store an, um nach einer süßen Tasche für ihren MBA zu suchen. Bisher hatte sie nur so eine ganz normale und der Re-Store in Myongdong gab da auch nicht mehr her. Hier fand sie tatsächlich eine Mac Book Air Tasche, die aussah wie eine Clutch-Bag … okay, wie eine zu groß geratene Clutch-Bag, aber sie sah toll aus.
Am Ende wäre sie fast noch zu spät zu dem Meeting mit VOX gekommen. Es war nicht schwer sie zu erkennen, zwei Männer, eine Frau, eine Kamera. Heute schon? Das konnten sie vergessen.
„Hallo, ich bin Mia Martin“, sagte sie fröhlich.
„Ah hallo, ich bin Frank Weißhaus, das ist meine Kollegin Frau Stephanie Pietrow und das ist Sebastian Steiner, möchten wir uns setzen?“
„Sehr gerne.“
Eine Kellnerin führte sie zu einem Tisch und sie bestellten sich etwas zu trinken.
„Ich denke wir können beim Vornamen bleiben, oder?“, fragte der Reporter.
„Natürlich, kein Problem.“
„Tja Mia, du kennst sicher unsere Sendung. In der Regel begleiten wir Leute die ins Ausland gehen von Anfang an und sind bei den Vorbereitungen dabei. Hättest du dich nicht früher bewerben können?“, fragte er lachend.
„Na ja, ich rege mich meistens nur über die Unorganisiertheit der Leute auf die ins Ausland gehen“, gab sie zu.
„Wie hast du dich auf deinen Aufenthalt vorbereitet?“, fragte Stephanie und packte ein Diktiergerät aus.
„Bevor ich nach Seoul gezogen bin, war ich erst mal zum Urlaub und für das Vorstellungsgespräch in Seoul gewesen. Ich habe davor etliche Reiseführer gelesen, habe mir Sehenswürdigkeiten und mein Hotel auf einer Stadtkarte markiert um einen Überblick zu bekommen wo was ist, habe angefangen die Sprache zu lernen, habe mich mit dem Essen vertraut gemacht … eigentlich das, was man so tun sollte, wenn man in ein fremdes Land fährt.“
Alle zogen die Augenbrauen hoch, okay vielleicht war ihre Urlaubsvorbereitung etwas übertrieben, doch zumindest hatte sie sich nie unsicher in Seoul gefühlt.
„Und nach dem Vorstellungsgespräch, wie hast du dich gefühlt?“
„Als ich die Bewerbung geschrieben hatte, wäre ich im Leben nicht darauf gekommen, dass man mich nimmt, doch dann hatte ich plötzlich eine Email von SM gehabt, bei der gefragt wurde ob ich ein Videointerview führen könnte, doch dann habe ich geschrieben dass ich im September in Seoul bin und haben einen richtigen Termin ausgemacht. Danach war ich – platt. Unheimlich viele Gedanken stürzten über mich ein. Was mache ich mit meinem Job? Wie bringe ich es meinen Eltern bei?“
„Wie gingst du mit der neuen Situation um?“
„Na ja, es mussten Sachen vorbereitet werden. Ich habe meine ganzen Verträge gekündigt, Handyverträge, Verträge vom Fitnessstudio. Ich hatte noch eine Ratenzahlung, die ich dann sofort bezahlt habe. Die Versicherung meines Autos wurde auf meine Eltern überragen, ich musste viel zu Ämtern. Ich habe gekündigt, intensiver Koreanisch gelernt du mich mit dem Koreanischen Musikmarkt beschäftigt.“
Die Kellnerin kam mit ihren Getränken.
„Das hört sich ganz schön stressig an“, stellte Stephanie fest.
„Das ist es. Es ist Stress ins Ausland zu gehen und wir reden hier vom anderen Ende der Welt.“
„Wie kam es dann dazu dass du so eine Karriere als Model und Tänzerin gemacht hast?“
Mia bließ die Backen auf. Es war so viel in Korea geschehen, wie sollte man es einfach ausdrücken?
„Es fing an mit ein paar Shootings, die ich mit Super Junior gemacht habe. Danach kam eine Anfrage von dem Label One-4-You und irgendwann sagte man mir, es sei besser wenn wir meinen Vertrag ändern und plötzlich purzelten die Aufträge so rein. Im Moment toure ich mit SHINee als Tänzerin, ich hatte vorgestern die letzte Sendung einer Kochsendung bei der ich eingeladen war, ich trete in Shows auf und habe einige Fotoshootings, erst vor kurzem für DKNY. Ich gebe Interviews, werde auf der Straße erkannt und wenn ich zurück bin, mache ich bei einem Musikvideodreh mit.“
Dieser Lebenslauf schien die drei zu beeindrucken.
„Wow, das nennt man wohl durchstarten“, sagte Sebastian.
„Und deswegen würden wir gerne eine Reportage über dich machen. Um jungen Leuten zu zeigen, wie man sich richtig Vorbereitet – du bist praktisch das Paradebeispiel für eine Auswanderin“, erklärte Frank.
„Wie soll das Ganze denn ablaufen?“
„Wir hatten vor eine Woche nach Seoul zu fliegen und dich bei der Arbeit und zu Hause zu filmen.“
Mia grübelte einen Moment.
„Ich hoffe ihr wisst dass ich mit Prominenten zusammen arbeite. Es gibt Sachen, die nicht an die Öffentlichkeit geraten dürfen und ich hoffe dass jeder im Stande ist sensibel mit diesen Sachen umzugehen.“
„Ja, dein Management hat uns schon einen Vertrag zukommen lassen mit Dingen die wir nicht tun dürfen … was ziemlich viele sind … und welche Strafen auf VOX warten, wenn den Anweisungen nicht Folge geleistet wird.“
Mia fand das gut, nicht auszudenken was sie alle mit ansehen würden und wie vieles davon nicht öffentlich gemacht werden durfte. Es wurde noch ein gutes Datum beschlossen und sie einigten sich auf Anfang Juni. Mias Gefühle waren unklar. Natürlich war es eine Ehre und eine gute Chance, andererseits würde es sie aber auch in ihrem Bewegungsfreiraum einschränken.
Nachdem die drei gegangen waren, bestellte sich Mia etwas zu essen und grübelte wieder über Dresden. Sollte sie hin gehen? Sie wusste nicht genau, aber plötzlich stand sie mitten auf der Zeil vor Appelrath & Cüpper. Ein teures Ankleidungsgeschäft. Ihre Garderobe war nicht wirklich auf die Semperoper vorbereitet und so ging sie in den zweiten Stock und schaute sich die Abendkleider an.
Ich bin irre, vollkommen irre, sagte sie sich immer wieder während sie die Reihen abging. Okay, hier gab es total tolle Kleider. Mia wusste später nicht wie, aber am Ende hatte sie drei Kleider gekauft – man wusste ja nie und wie oft war sie in Korea zu irgendwelchen Dingern eingeladen bei denen man schick aussehen sollte? Morgen würde sie ein taubenblaues Kleid anziehen. Es ging bis zu den Knien, hatte keine Träger und auf dem Rücken eine Schleife.
Doch damit nicht getan. Als nächstes fuhr sie nach Hanau, fuhr in Lamboy ab und fuhr dann weiter in Richtung Innenstadt und stand am Ende vor Inris Tattoo-Studio.
„Seeeeeeervus Inri!“, sagte sie fröhlich und ging in das Hauptzimmer. Inri saß hinter einem Typen der sich irgendwas auf die Schulter tätowieren ließ.
„Na Miststück, lässt du dich auch mal wieder blicken?“ – das war seine Art zu sagen ‚Hi, ich hab dich vermisst‘.
„Hey, ich leb jetzt in Korea, ist doch nicht mein Problem wenn du aus deinem Provinzkaff nicht raus kommst.“ – das bedeutete: Ich dich auch.
„Provinzkaff … ich leg dich gleich über’s Knie! Was willst du machen lassen? Eine Reisschüssel?“
Einen Moment schaute sie ihn finster an, aber böse war sie ihm nie. Er war halt ein Rocker, durch und durch und man musste bei ihm nur lernen zwischen den Zeilen zu lesen. Als sie ihr erstes Tattoo hat stechen lassen, hatte sie mega Angst vor ihm gehabt.
„Nur ein Wort auf die Innenseite des linken Arms.“
Mia deutete auf die Stelle, an der sie noch eine kleine Narbe von dem Unfall im Januar hatte. Von dem nicht planmäßige Zusammenstoßen mit ihr und einer Glasflasche. Sie hatte den Jungs doch gesagt sie würde sich etwas drüber tätowieren lassen.
„Ich brauch hier noch einen Moment, geh rüber und quatsch Verena voll.“
Verena war seine Piercerin und sie saß mit Inris zweitem Tätowierer in der Küche.
„Na, heute nur ein Tattoo?“, fragte sie.
„Jup, hab mir vor ein paar Wochen erst die Ohren piercen lassen.“
„Zeig mal…“
Verena stand auf und schaute sich die neuen Piercings an.
„Sieht gut aus, tut’s noch weh?“
„Geht …“
„Ja, Knorpel braucht immer ein wenig.“
Und so saßen sie da und quatschten. Mia beschwerte sich nicht. Sie hatte letzte Woche aus Korea angerufen und hatte den Termin ausgemacht und Inri hatte sie rein gequetscht. Normalerweise konnte man bei ihm 2-3 Monate auf einen Termin warten, doch Mia wollte ja wirklich nur eine Kleinigkeit und sie war seit 10 Jahren Stammkundin.
„Weißt du Verena, du könntest mir doch etwas piercen …“, sagte sie und die beiden Frauen machten sich ans Werk.
Das einzige was aus dem Piercingraum drang war ein Quietschen.
„Weißt du, wenn du dir schon die Brustwarze piercen lässt, hättest du wenigstens warten können, bis ich auch Zeit habe zu zugucken … Miststück“, brummte der Tätowierer als sie dann doch noch auf seine Stuhl landete.
„Inri … ich bin so alt wie deine Tochter!“
„Ich weiß doch …“
Doch was ließ sich Mia tätowieren? Das fragte sich Inri auf.
„Chinesisch sieht anders aus.“
„Das ist auch nicht Chinesisch! Guck, da steht No-Ra-Go. 너라고.“
Der Mann schaute auf, hob skeptisch eine Augenbraue und schüttelte dann den Kopf. Es wäre auch mal etwas Neues, wenn Inri irgendetwas gefallen würde.
Das Tattoo war schnell gestochen und Mia fuhr in Richtung Heimat. It’s you. Das ist die Übersetzung von Norago. Mia liebte dieses Lied, von Anfang an. Sie mochte viele Super Junior Lieder, aber zu keinem hatte sie so eine emotionale Bindung wie zu diesem Lied. Das erste Lied was sie von Super Junior kennen gelernt hatte war ‚Sorry Sorry‘ und sie mochte es, aber als sie ‚It’s you‘ entdeckt hatte, war es vorbei und es entwickelte sich zu einem ihrer typischen Ohrwurm.
Zuhause angekommen war sie irgendwie ziemlich fertig. Für ihren ersten Urlaubstag war das alles ziemlich anstrengend gewesen. Kaum schloss sie die Haustür hinter sich, klingele es und Lily kam. Dann musste sie Lily und ihrer Mom alles erzählen, wie es mit VOX gelaufen war und wie nun der Ablauf war. Ebenfalls eröffnete sie die Information, dass sie Morgen nach Dresden fliegen würde. Lily zwang sich dazu ein ehrliches Kommentar zu unterdrücken, da sie nicht wusste, wie viel Mias Mom wusste. Dann entführte Mia Lily in ihr Zimmer und grinste sie an.
„Oh-oh.“
Mia legte fragend den Kopf zur Seite.
„Wenn du so grinst heißt das nichts Gutes“, erklärte Lily.
„Du wirst nicht glauben was ich dir gleich erzähle.“
Sie war selbst noch total hibbelig.
„SM Town kommt nächsten Monat nach Paris!“
Lily stockte.
„Ich … weiß.“
„Wie du weißt das?!“
„Ja, das wurde irgendwann vor drei Wochen veröffentlicht.“
„Wirklich?!“
„Wirklich.“
„Wieso hast du mir nichts gesagt?!“
„Hallo? Wer von uns beiden arbeitet für SM?“, fragte Lily verdattert.
„Ich geh doch nicht mehr ins Internet!“
„Hey, deine Abneigung dem Internet gegenüber wegen deinem Täschtelmäschtel mit Hae ist nicht mein Problem.“
Mias Mund öffnete sich, schloss sich dann wieder und öffnete sich wieder.
„Wir haben kein Täschtelmäschtel!“
Lily tätschelte die schmollende Frau.
„Ich hab Karten für dich und Lise …“
„Schatz, wir haben auch Karten …“
Sie konnte es einfach nicht fassen.
„Okay … dann nehm ich die Backstage-Karten wieder mit …“
„Ehm .. Backstage-Karten haben wir nicht.“
Da grinste Mia und händigte die beiden Karten aus. Zumindest eine gute Tat hatte sie also vollbracht.
„Denkst du das mit Dresden ist eine gute Idee?“
Lily war ziemlich auf dem aktuellsten Stand bezüglich Jihoon und die die Frage war nur berechtigt.
„Ich hab keine Ahnung, aber irgendwie will ich hin …“
Eine Stunde später lag sie allein in ihrem Zimmer, vollkommen fertig mit sich und der Welt. Sie war aufgeschnitten worden, tätowiert, gepierct und sie war shoppen gewesen. Kein Wunder dass sie so kroggi war.
Heute schaffte sie es auch um 22 Uhr im Bett zu liegen und tatsächlich einzuschlafen.