Der Tag begann früh – es gab ja auch einiges zu tun.
Peter hatte sich in den Kopf gesetzt nach den Teufelsfrüchten zu suchen. Mia wagte er nicht ihm zu sagen, dass er keine finden würde. Andererseits, was war hier schon unmöglich? Vielleicht würde er wirklich Teufelsfrüchte anschleppen und bei Mias Glück würde sie sich dann in eine Giraffe verwandeln. Super. Giraffen hatten grüne Zungen – hat da schon mal einer drauf geachtet? Mia schon, spätestens als ihr mal eine Giraffe quer über die Hand geleckt hatte, hatte sie das bemerkt.
Sie blieb alleine zurück im Hasenbau und flickte die Klamotten der Jungs. Als Kind war Mia gut im Sticken gewesen, doch im Stopfen war sie weniger gut – dafür hatte sie jetzt genug Zeit zum üben.
Irgendwann bemerkte sie etwas. Alles wirkte so verschwommen. Sie wusste dass sie im Nimmerland war und auch das sie die Mutter der verlorenen Jungs war, doch wo kam sie her?
„Seoul“, sagte sie bestimmt. Doch was tat sie da?
„Donghae, Leeteuk, Siwon, Kyuhyun, Ryeowook …“, ihr Gedächtnis schien vernebelt.
„Donghae, Leeteuk, Siwon, Kyuhyun, Ryeowook, Eunhyuk, Yesung …“, sie musste sich ganz schön anstrengen, bis sie alle Namen zusammen hatte und es endete damit, dass sie begann die Namen der Welpen in den Erdbogen mit einem Ast zu kratzen.
Wie war sie noch mal hier her gekommen und wie hieß der Junge, der bei ihr war? Es kostete die Frau einige Mühe sich zu erinnern. Was war mit diesem Ort? Es war das Nimmerland. Verbrachte man hier zu viel Zeit vergaß man was davor war, nur das hier und das jetzt war wichtig und sie machte sich auch keine großen Gedanken um die Welpen, sorgte sich nicht um sie.
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Sie hörte ein Poltern und Trampel als die verlorenen Jungs zurück kehrten und Peter mit strahlendem Gesicht auf sie zu rannte.
„Lyra! Lyra! Wir haben großartige Neuigkeiten!“, begann er aufgeregt.
„Ich war bei den Meerjungfrauen gewesen, als sie mir erzählten dass ein Sänger im Nimmerland sei!“
„Ein Sänger?“
„Ja, er soll eine großartige Stimme haben, so schön wie die der Meerjungfrauen.“
Sofort dachte sie an Jonghyun, konnte er hier sein?
„Peter, du musst mir alles erzählen!“
Also erzählte er, was die Meerjungfrauen gesagt hatten, dass ein Sänger aus einem fernen Land in der Stadt der Drachen sei. Es musste Jonghyun sein, er musste es einfach sein und sie musste ihn finden. Mia griff nach seinen Händen.
„Peter, wir müssen da hin!“
„Aber … wir müssen durch den Mangrovenwald…“, begann einer der Jungs.
„Und dann durch die Wüste in die Stadt der Drachen …“
„Und dir Piraten darf man auch nicht vergessen …“
Also die Jungs waren nicht so überzeugt.
„Dann bleibt eben hier!“, bellte Peter, der darin nur ein neues Abenteuer sah, was er bestreiten wollte.
„Bleibt hier mit den Frauen der Indianer und näht neue Kleidung, ich werde die Stadt der Drachen finden!“
Jetzt hatte er aber einen empfindlichen Nerv getroffen, Mädchen wollten sie ja nun nicht sein und dann standen doch alle bereit.
„Wir gehen zu den Indianern, sie werden uns begleiten“, meinte Peter und zeigte den Weg.
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„Denkst du die Piraten werden ein Problem?“, fragte sie ihn flüsternd und dachte an gestern – oder war es der Tag davor?
„Die Mangroven werden mehr ein Problem sein.“
„Was ist in den Mangroven?“
„Hexen. Sie lassen nicht jeden gewähren und haben Zauberkräfte. Wenn wir sie nicht überzeugen uns durch den Wald ziehen zu lassen, werden wir alle sterben.“
Ach so, ist klar. Es war faszinierend wie locker er über’s Sterben sprach, doch es war Peter Pan und der Tod war für ihn nur ein weiteres Abenteuer.
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Also gingen sie zu den Indianern, die sie begleiten würden – nicht nur die verlorenen Jungs waren neugierig. Hier lernte die auch Tigerlili kennen. Das Mädchen wirkte stark und bestimmend, sogar Peter ließ sich von ihr rum scheuchen, als es darum ging Waffen und Essen zusammen zu packen.
Und dann zogen sie los.
Das Nimmerland war ein merkwürdiger Ort. Es war gestaltet von den Träumen der Kinder, somit konnte die Größe variieren, aber auch das, aus was das Nimmerland bestand. Plötzlich konnte ein Dschungel dort sein, wo vorher keiner war oder eine Wüste. Alles war möglich – so wie in den Träumen der Kinder. Mia wünschte sie könnte sich einen Helikopter her träumen, dass würde vieles vereinfachen.
Der Wald erschien größer als sonst, sie durchschwammen einen Fluss und mussten durch eine Höhle. Peter hätte fliegen können, doch so war es viel spannender.
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Sie waren einige Stunden unterwegs und ruhten sich gerade einmal aus, als einer der Indianer die Hand hob und ihnen bedeutete sich zu verstecken. Peter nahm Mia bei der Hand und gemeinsam flogen sie hoch in die Baumkronen, während sich die anderen unter Blättern und hinter Steinen versteckten. Mia traute ihren Augen nicht, als sie sah, wie sich Captain Hook auf einem kleinen Boot quer durch den Wald tragen ließ. Die Männer, die das Boot trugen, wirkten alle schon ziemlich erschöpft und noch war das Ende nicht in Sicht.
„Pass auf“, flüsterte Peter ihr zu und begann dann ein Ticken nach zu machen. Peter Pan war Meister darin Stimmen und Geräusche zu imitieren und sie musste an Onew denken. Hooks Reaktion war Panik. Sofort schmiss er sich hin, flach auf den Boden.
„SMEE!“, rief er entsetzt und das Boot krachte zu Boden, als die Piraten ebenfalls in Panik gerieten vor dem Ticken des Krokodils. Alle waren in Alarmbereitschaft und Mia musste Peter den Mund zu halten, damit er nicht anfing zu lachen. Laut fluchend rappelte sich Hook wieder auf und zückte seine Pistole, lauschte nach dem Geräusch, was je verstummt war, als Peters Mund von Mia festgehalten wurde.
Schau nicht nach oben, schau nicht nach oben, schau nicht nach oben, betete sie innerlich und was geschah? Als hätte sie es laut ausgesprochen, schaute Hook nach oben und feuerte die erste Kugel ab, dann die zweite. Mia wusste nicht was geschehen war, Peter hatte sie so schnell weg gezogen und flog nun mit ihr – lachen – zwischen den Bäumen hin und her um Hooks Kugeln geschickt auszuweichen.
„Na alter Mann! Können wir nicht mehr zielen?“, verhöhnte er ihn und dann griffen die Indianer und verlorenen Jungs aus ihren Verstecken die Piraten an, die alle gebannt nach oben geschaut hatten und mit diesem Angriff so gar nicht gerechnet hatten.
Die Kämpfe wurden je unterbrochen, als ein helles Licht durch den ganzen Wald drang und eine Stimme erschien, die von überall zu kommen schien.
„Dies ist der Wald der Göttin. Euer Blut soll hier nicht vergossen werden. Legt eure Feindschaft nieder oder verlasst den Wald, der nicht euer ist.“
Alle hatten mitten in ihrer Handlung angehalten und schauten gebannt zu den Frauen in ihren dunkelblauen Gewändern.
„Hexen“, flüsterte Peter.
„Nein, Priesterinnen“, flüsterte Mia zurück ohne ihren Blick von den Frauen abzuwenden.
„Was sollen uns schon ein paar Hexen anhaben?!“, kam es von Hook, der damit seinen Männer neue Motivation gab und sie fingen an zu brüllen und sich wieder auf die Indianer und die verlorenen Jungs zu stürzten. Peitschenartige Pflanzen schossen blitzschnell aus dem Boden und schnappten sich die Piraten. Wie bei einem Laufband wurden sie wieder gereicht und sie brüllten und strampelten mit den Beinen, bis sie außer Hörweite waren. Nimmerland. Komischer Ort, am Ende müssten sie noch Ypsilon (die dicke, rauchen Raupe aus Alice im Wunderland) nach dem Weg fragen.
Mia und Peter landeten, als die Priesterinnen ihnen bedeutete zu folgen. Das taten sie, ganz ohne Murren und gewagte Aktionen, selbst Peter Pan schien zu verstehen, wenn er einmal nicht die Überhand hatte. Sie führten die Gruppe tiefer in den Wald hinein und erreichten bald die Mangroven. Ein Fährschiff stand bereit und bewegte sich wie von Geisterhand durch das Wasser. Sie steuerten mitten auf die Mangroven zu, die Priesterinnen standen vorne am Bug und bewegten sich nicht, doch Mia war sich ziemlich sicher, dass sie mit den Mangroven kollidieren würden. Kurz bevor sie dagegen krachten, glitten die Bäume zur Seite, als wären sie ein Vorhang, den man aufgezogen hatte. Die verlorenen Jungs saßen hinter ihr, mit offenen Mündern und betrachteten dieses neue Reich. Die Bäume waren 20, 30 Meter hoch, noch nie hatte Mia so hohe Bäume gesehen.
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Die eigentliche Siedlung der Priesterinnen lag oben in den Bäumen und erinnerte die Deutsche an Lothlorien, das Waldreich der Elben. Mit Hängebrücken waren die Plattformen miteinander verbunden und die Häuser waren filigran gearbeitet, waren offen und leuchteten zwischen den dunklen Bäumen. Das Holz war weiß, wie von einer Birke, doch Mia hatte weit und breit keine Birken gesehen.
„Hier könnt ihr euch ausruhen und stärken. Die Herrin wird entscheiden ob ihr weiter reisen dürft oder umkehren müsst“, sagte einer der Priesterinnen und wand sich zum Gehen ab.
„Wann wird das sein?“, verlangte Peter zu wissen.
„Wann auch immer die Herrin bereit ist eine Entscheidung zu treffen.“
Wow, das war eine tolle Antwort, Mia selbst hatte ein großes Interesse daran weiter zu ziehen, doch sie wusste, dass es nichts brachte die Priesterinnen zu hetzen. Sie ging runter, an den Fluss und wusch sich, so weit es ging. Obwohl sie seit Tagen nicht mehr geduscht hatte roch sie nicht und obwohl sie ihre Haare genau so lange nicht gewaschen hatte, waren sie immer noch frisch und mussten nur gebürstet werden.
Die Dämmerung kam bald und die Priesterinnen brachten ihnen und den Indianern Suppe, Brot und getrocknetes Fleisch, aber auch Decken und Kissen, denn so wie es aussah, würden sie heute Nacht hier bleiben.
Da die verlorenen Jungs alle samt noch Kinder waren, fingen sie bald an zu gähnen und sich müde zu strecken. Mia erzählte weiter von den Strohhut-Piraten und heute gesellten sich auch die Indianer dazu und lauschten gebannt ihren Worten. Mia war noch wach, zwei Jungs hatten ihren Kopf in ihren Schoß gelegt und Mias Finger fuhren gedankenverloren durch ihre Haare. Sie waren Kinder und sie brauchten eine Mutter. Ob Mia sie mitnehmen durfte, wenn sie wieder nach Hause ging? Im Dorm lebten ohnehin fast ein Dutzend Menschen, ein paar mehr würden den Bock wohl nicht fett machen.
Ihre Aufmerksamkeit wurde umgelenkt, als eine der Priesterinnen in der Tür stand und Mia zu sich winkte. Vorsichtig stand sie auf, um die Jungs nicht zu wecken.
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„Die Herrin wünscht Euch zu sprechen.“
Mia nickte nur und folgte der Frau. Die hohe Priesterin schien abseits der anderen zu leben. Sie überquerten viele Brücke, die alle mit Fackeln erleuchtet waren, bis sie zu einem Baum ankamen, um dessen Stamm herum ein einsames Haus gebaut war. Mia sah Kerzenschein im inneren und stockte, als die Priesterin nicht weiter gehen.
„Von hier an müsst ihr alleine gehen.“
Die Deutsche schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und ging über die letzte Brücke. Was wollte die Hohe Priesterin von ihr? Unentschlossen stand sie vor der Tür.
„Komm herein mein Kind.“
Hohe Priesterinnen … mit Röntgenblicken.
Es war schwer das Alter der Frau zu bestimmen, ihre Haare hatten graue Strähnen im schwarzen Haar, doch ihr Gesicht wirkte zeitlos. Sie war von kleiner Statur, zweifellos eine Frau des alten Volks. Ohne zu wissen wieso, kniete sich Mia vor ihr hin.
„Dein Kommen hat für viel Unruhe gesorgt.“
„Das tut mir leid Herrin.“
„Ich habe nicht gesagt dass es schlecht ist. Veränderungen sind gut, auch wenn wir manchmal ihren Grund erst später erkennen.“
Mia wusste nicht was sie darauf sagen sollte, sie wusste ja selbst nicht was sie hier her geführt hatte.
„Sag was führt dich hier her?“
„Herrin, ich glaube ich bin tot.“
Nun hob die hohe Priesterin erstaunt die Augenbrauen.
„Tot? Fühlst du dich tot?“
„Ich bin mir nicht sicher. Ich komme aus einem fernen Land und doch bin ich hier, ich weiß nicht wie, noch warum, doch alles was zuvor war scheint so weit weg zu sein…“
„Glaubst du an die Göttin?“
„Ja, das tue ich.“
„Dann wird sie dich leiten, egal wo du bist. Sie wird dich schützen und dir Trost spenden.“
Das war ein schöner Gedanke an den sich Mia gewöhnen könnte.
„Herrin … werdet ihr mich weiter ziehen lassen um meinen Freund zu finden?“
„Du wurdest von der Göttin hier her geführt und ich werde dich nicht weg schicken. Doch nur du darfst die Wüste betreten, deine Freunde müssen hier bleiben, denn sie sind ohnehin in dieser Welt bereits verloren. Es liegt nun an dir zu entscheiden wohin dein Weg dich führen soll.“
Getrennt von Peter und den verlorenen Jungs? Zuerst ergriff Mia Angst, denn sie kannte sich hier nicht aus und alle möglichen Dinge, die ihr gefährlich werden konnten, lauerten vielleicht hinter der nächsten Ecke. Und doch … sie musste heraus finden ob es Jonghyun war und wie es ihm ging und dann mussten sie einen Weg nach Hause finden.
„Ich werde in die Stadt der Drachen gehen“, sagte sie bestimmend und die Frau nickte.
„Gehe nun. Meine Priesterinnen werden dich an das Ende des Waldes bringen, dort wartet eine Karawane, die auf ihren Weg durch die Wüste an der Stadt der Drachen vorbei kommen. Gehe jetzt und blicke nicht zurück, denn vergangen ist vergangen und du musst nun deine Zukunft bestreiten.“
Mia rappelte sich auf, verbeugte sich vor der Hohen Priesterin und verließ das Haus. Die Priesterin, die sie her geführt hatte, wartete noch immer und brachte Mia runter an den Fluss. Eine Fähre wartete auf sie und als Mia auf das Boot stieg drehte sie sich um.
„Danke … viel alles.“
„Möge die Herrin dich begleiten Schwester“, erwiderte die Priesterin.
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Der Wald lag in Dunkelheit, nur eine Laterne hing vorne am Boot und leuchtete ein Stück des Weges, doch das Boot schien sich fast von alleine durch die Gewässer zu bewegen. Die beiden Fährfrauen sprachen nicht viel und gaben Mia Zeit ihre Gedanken zu ordnen. Man konnte die Vögel hören, ansonsten war es still in dem Wald.
„Lyra!“
Die Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien, erschreckte Mia zu Tode. Peter flog neben ihr und schaute sie böse an.
„Du bist einfach gegangen!“
„Ich hatte keine Wahl Peter. Sie haben nur mir die Weiterfahrt gewehrt und ich muss herausfinden, wie es meinem Freund geht. Es tut mir sehr leid…“
„Kommst du zurück?“
„Ich weiß es nicht Peter.“
Trotz stand in dem jugendlichen Gesicht, in das man sich leicht verlieren konnte. Und dann flog er davon, ohne ‚Leb wohl‘ ohne ‚Auf Wiedersehen‘.
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Und habt ihr Weihnachten soweit gut überstanden? Habt ihr das bekommen, was ihr euch vom Weihnachtsmann gewünscht habt? 🙂