Nadia stand in den Ruinen eines Palastes. Sie hatte keine Ahnung, wie sie hierhergekommen war. Der Palast stand noch, ebenso die Stadt an dessen Ausläufen, doch man sah Einschläge durch den Krieg. Zerstörte Gebäude und Trümmer und doch war es das Schönste, was sie je gesehen hatte. Der Himmel war Lila, wohl Dämmerung, denn von einem Sonnenaufgang oder Untergang war hier nicht die Rede. Die Wolken hingen sehr tief, beziehungsweise gab es mehrere Wolkenschichten. So waren über ihr Wolken am Himmel zu sehen, doch auch zwischen der Stadt und dem Palast trieben Wolken müde vor sich her.
Drei Monde standen am Himmel, zwei sehr nahe zusammen, einer blau und einer fast weiß und auf der anderen Seite des Himmels stand ein roter Mond.
Der Palast schien auf einer Landzunge zu stehen und die Stadt verband den Palast mit dem Festland. Es erinnerte sie etwas an Kings Landing auf Game of Thrones, doch bisher hatte sie auch noch keinen geografischen Überblick.
So schön es war, so unheimlich war es auch, wenn es gab kein Geräusch. Noch nicht einmal den Wind hörte man und Nadia fragte sich, ob sie vielleicht ihr Gehör verloren hätte. Selbst wenn hier niemand lebte, so gab es doch Geräusche? Doch hier nicht.
Sie riss sich von dem Blick los und begann den Palast zu erkunden. Wie war sie eigentlich hierhergekommen? Eben noch hatte sie mit Chen auf der Wieso gelegen und nun war sie hier. Sie hatte seinen Ring angezogen, war sie vielleicht in seinem Ring und all das hier war nur eine Erinnerung? Nein, es konnte keine Erinnerung sein, denn er starb, bevor die Artaner die Planeten erreichten. Doch wieso sollte sie in Chens Ring gezogen werden und nicht in Jongins? Ja, sie hatte sich mal kurz gebeamt, aber das hier war ja verrückt auf einem ganz anderen Level.
Als sie den Palast betrat, war es draußen heller geworden. Der Himmel war blau, doch das Lila durchzog den Himmel hier und dort. Ähnlich wie Nordlichter, nur am Tag. Anscheinend gab es eine Sonne. Oft waren Exo Planeten im gravitativen Einfluss von Braunen Zwergen – oder eben anderen Sternen. Exo Planeten gehörten einem Planetensystem an, welches einen Zentralstern besaß. Entweder ein Brauner Zwerg oder eben ein Stern. Ein Stern war ein massereicher, selbstleuchtender Himmelskörper aus Gas und Plasma.
Keine Sorge, Nadia hatte Wikipedia gefragt. Sie fühlte sich fit genug, um sich bei der NASA zu bewerben.
Sie lief durch eine lange Galerie, an deren Seiten einige Balkone waren. Immerhin gaben ihre Schuhe einen Laut von sich, ebenso ihr Echo. Den Hörsinn hatte sie also noch nicht verloren. An der Wand säumten sich Portraits der Könige, zumindest ging sie davon aus. Am Ende der Reihe blieb sie vor dem letzten Bild stehen. Es war Chen oder auch nicht. Die Gesichtszüge waren ähnlich, aber nicht identisch. Neben ihm war seine Frau, Suhos Schwester. Sie strahlte und zu Nadias Verwunderung bewegten sie sich. Suhos Schwester schaute anhimmelnd zu Chen und dann wieder zu Nadia und sie schien fast überrascht sie zu sehen.
Nadia testete, ob das mit den anderen Portraits auch so war und es schien, dass wenn man vor einem Bild stehen blieb, man die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Sie ging zurück zu Chen und seiner Frau.
„Könnt ihr auch sprechen?“, fragte Nadia und kam sich blöde vor. Woher sollten sie Koreanisch können oder Englisch oder irgendeine andere irdische Sprache sprechen können? Doch Chen schüttelte traurig den Kopf, was zumindest bedeutete, dass er sie verstand. Nadia seufzte.
Schließlich kam sie runter in die Stadt. Die Häuser waren hoch und schlank, so wie auch der Palast, mit langen Fenstern und hoch geschwungenen Dächern. Die Pflanzen zeigten, dass hier schon lange niemand mehr lebte und sie eroberten sich langsam die Stadt zurück, doch sie konnte ahnen, wie es einst ausgesehen hatte.
Nadia traute sich nicht weit weg von dem Palast, was, wenn jemand kommen würde, um sie zu holen? Andererseits fragte sie sich, ob sie wirklich hier war oder nicht. Selbst nach Stunden verspürte sie keinen Hunger, andererseits konnte sie Schmerz empfinden – beispielsweise, wenn sie staunend durch die Gegend lief und sich den Fuß anstieß.
Irgendwann wurde es wieder Nacht. Sie saß unten am Strand und schaute über das Wasser, als eine kalte Brise sie erwischte. Endlich hatte sie Wind und nun war es kalt. Nadia ging zurück zum Palast. Er war riesig. Wie fand sich hier irgendwer zurecht? Und wie viel Schritt verlief man hier so am Tag? Sie blieb wieder vor Chens Portrait stehen und seine Frau deutete in eine Richtung.
„Ich soll da hoch?“, fragte Nadia und das Portrait nickte.
„Na dann folgen wir doch mal der Richtungsanweisung des Portraits“, murmelte sie und lief die Treppen hinauf. Sie wurde in einen etwas weniger pompösen Teil geführt, wobei man das so nicht sagen konnte, lediglich die Decke war nicht mehr 6 Meter hoch.
Es schien ein Privatbereich zu sein. Es wurde immer dunkler und dunkler, bis Nadia kaum noch die Hand vor Augen sah. Lichtschalter gab es hier mit Sicherheit nicht. Ihre Finger suchten nach der Wand und sie zuckte erschrocken zusammen, als diese bei ihrer Berührung anfing zu leuchten. Ein Leuchten durchfuhr die Wand, wie wenn man eine Gewitterwolke von oben betrachtete. Es war die Familie der Blitze, erinnerte sie sich und berührte noch einmal die Wand. Wieder begannen feine Lichter über die Wand zu zucken, nur diesmal zog sie die Hand nicht zurück. Die Lichter wurden immer größer und verbanden sich, bis die ganze Wand leuchtete. Vorsichtig nahm sie die Hand von der Wand und erwartete schon fast, dass das Licht ausgehen würde, doch es blieb. Zufrieden nickte Nadia und ging weiter.
Am Ende des Flurs lag eine schwere Doppeltür, die sie aufstieß. Sie hatte sich auf ein Bett gefreut oder eine Couch, denn auch wenn sie nicht wirklich müde war, so war sie erschöpft. Stattdessen fand sie einen Raum, den sie, wenn sie ganz weit ausholen müsste, mit einer Kirche vergleichen würde. Die Wände des runden Raums verliefen steil nach oben und trafen sich außerhalb ihrer Sichtweite. In der Mitte stand eine Art Altar. Die Wände waren reich verziert mit einem feinen Muster, welches fast einer Schrift glich. Die Frau hatte das Gefühl, dass dieser Ort nicht der Öffentlichkeit zugänglich war und so blöd es sich anhörte, so schien eine Stimme sie zu rufen. Geistesabwesend ging Nadia auf den Altar zu. Er war ebenfalls rund und hatte ein Muster aus Rillen, die in der Mitte zusammenliefen. Dort war eine Art Handabdruck. Nadia streckte fast willenlos die Hand aus und legte sie auf die glatte Oberfläche. Aus dem nichts schoss ein Blitz aus der Decke auf den Altar hinab, viel zu schnell, als das Nadia hätte reagieren können und gefolgt von einem tiefen Donner, der den Palast zum Erbeben brachte. Sie hatte schon damit gerechnet das Zeitliche zu segnen, doch es schmerzte nicht. Es war warm und angenehm. Der Blitz verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war und zuerst dachte Nadia der Blitz wäre an ihr vorbei gegangen, doch dann sah sie wie kleine Blitze unter ihrer Haut zuckten. Fasziniert betrachtete sie ihre Arme, als ein stechender Schmerz einsetzte. Sie suchte nach der Quelle und fand sie in ihren Unterarmen, wo die Blitze sich in die Haut einbrannten und ein filigranes Muster hinterließen.
Nach ein paar Sekunden war der Spuk vorbei, nur das Muster blieb und wenn sie die Innenflächen ihrer beiden Unterarme zusammenhielt, sah sie ein Wappen. Nadia wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, doch sie verließ mit schnellen Schritten den Raum und suchte nach einem Ort an dem sie sich ausruhen konnte.
Kaum hatte sie die Tür verlassen, fand sie sich in Chens Bett wieder.