Nadia wachte auf ohne jegliches Zeitgefühl und ohne wirklich zu wissen wo sie war. Sie lag in einem weichen Bett und hatte ein T-Shirt an. Sie hatte das Gefühl sauber zu sein, wie auch immer man das beschreiben konnte. Langsam setzte sie sich auf und schaute sich in dem futuristischen Schlafzimmer mit Panoramascheibe um. Nach und nach kamen die Erinnerungen zurück.
Von allen 20 Millionen Einwohnern von Seoul lief, war sie ausgerechnet vor das Auto von BTS gelaufen. Sie hatten Nadia mit nach Hause genommen. Dunkel erinnerte sie sich daran, wie sie duschen gewesen ist und, dass ein Arzt da war, doch sie hatte keine Ahnung wie lange sie schon hier war. Sie stand auf und ging zu dem großen Spiegel.
Sie hatte noch überall blaue Flecken, die gerade die Evolution der Farbe durchliefen. Sie hatte mehrere Schnittwunden, doch sie schienen ganz gut zu heilen, auch wenn sie noch weh taten.
Die Tür ging auf und aus Reflex machte Nadia erst einmal einen Sprung. Dann erkannte sie, dass es nur Taehyung war.
„Hi“, sagte er lächelnd. „Du bist wach.“
„Ja … wie lange habe ich geschlafen?“
„Vor zwei Tagen haben wir dich aufgesammelt“, erwiderte er. Nadia schaute schweigend zum Boden.
„Wir haben … wir haben Essen bestellt, hast du Hunger?“
„Bärenhunger!“, sagte sie und Taehyung streckte die Hand nach ihr aus. Zögernd nahm sie die Hand an und seine Finger umschlossen sich um ihre.
Nadia hatte gar nicht gewusst wie hungrig sie gewesen ist. Eine Woche lang nur ein wenig Reis und Wasser waren eine harte Diät gewesen. Die anderen plauderten fröhlich um sie herum, doch die Frau bekam das Gefühl nicht los, dass sie sie nur ablenken wollten. Es war okay, es war nett.
Nach dem Essen gingen manche auf ihr Zimmer und am Ende saß sie nur mit Jungkook, Namjoon und Taehyung am Tisch.
„Nadia …“, begann Taehyung. Sie wusste, dass dieses Gespräch nur aufgeschoben war. Wenn ihr jemand total zerschunden vor das Auto laufen würde, würde sie auch wissen wollen, was los war.
„Du hast gesagt ‚Keine Polizei, kein Krankenhaus, kein EXO‘“, sagte er weiter.
„Wir müssen wissen, ob EXO dir das angetan haben“, meinte nun Namjoon ernst.
„Nein!“, sagte sie sofort. Sie waren zwar indirekt daran schuld, dass ihr das widerfahren war, aber sie haben es nicht selbst getan.
„Sie … es ist wirklich kompliziert, aber ich würde euch bitten ihnen nicht zu sagen, dass ich hier war.“
„Hier warst?“, fragte Taehung verwundert.
„Es tut mir leid, dass ich euch Sorgen bereitet mache, aber ich denke ich gehe wohl lieber.“
Sie wollte nicht nach Hause. Wenn diese Kerle wussten wo sie arbeitete, dann wussten sie auch sicher wo sie wohnte. Sie könnte zu Barış, da würde sie sicher sein, doch sie wollte nicht wissen, was er mit Jongin anstellen würde, wenn er Nadia so sah. Es würde ihm egal sein, was sie sagte und er würde keine Ruhe geben, bis er sie gefunden hatte.
„Wo willst du hin?“, wollte Namjoon wissen.
„Ehm … ich glaube ich kann nicht nach Hause, ich werde mir ein Goshi nehmen, bis …“ Ja, bis wann eigentlich?
„Auf gar keinen Fall“, kam es von den drei Sängern gleichzeitig.
„Du kannst so lange hierbleiben wie du willst, ich teile mir das Zimmer mit Jungkook, du kannst meins haben“, bot Taehyung an. Es war zu verlockend, aber irgendwie wollte sie auch nicht ständig bei anderen Leuten wohnen. Wobei die EXO WG nicht so wirklich freiwillig war.
„Ehrlich, wir haben so viel Platz, es wird uns wahrscheinlich gar nicht auffallen, dass du hier wohnst“, sprach Namjoon ihr gut zu. Tatsächlich war das BTS Dorm riesig. Es hatte hohe Decken und riesige Fenster, durch die man den Hangang überblickte. Der Boden war aus hellem Stein und das Dorm hatte mehrere Etagen. Ja, wahrscheinlich würde sie nicht auffallen. Sie zögerte, doch Tae, der neben ihr saß, lehnte sich an ihr.
„Do you wanna be my roomate …?“, sang er in der Melodie von ‚Do you wanna build a snowman‘. Nadia lachte fröhlich und Jungkook beschwerte sich, dass das mehr eine Drohung war.
Tatsächlich willigte sie ein, doch sie brauchte ein paar Sachen von Zuhause und sie brauchte einen Supermarkt. Da Nadia aber auch nicht Aylin über den Weg laufen wollte, war es eine Nacht und Nebenaktion.
Die Jungs von BTS wollten sie begleiten und sie war froh darum. Sie hatte Angst alleine nach Hause zu gehen, doch sie hatte auch Angst, dass BTS etwas passieren könnte, allein weil sie Nadia begleiteten. Da sich die unwissend mutigen Sänger nicht abhalten ließen, sagte sie, dass nur einer mitdurfte. Natürlich machten sie daraus ein Casting.
„Ich bin der Bandleader, ich sollte mitgehen.“
„Du bist groß und dein Gesicht erkennt jeder“, kam es von Yoongi.
„Ich bin klein und flink und ich habe ein Alltagsgesicht“, warb nun Jimin für sich und die anderen Stöhnten.
„Fishing for compliment“, warf Namjoon ein.
„Ich gehe mit“, bestimmt Hoseok.
„Du bist ein viel zu großer Schissen“, meinte nun Jimin.
Am Ende begleitete Jin sie nach Hause. Nachts um 2 Uhr fuhren sie los und schlichen sich über den Keller rein. Nadia wusste, dass es Kameras im Eingangsbereich gab, aber nicht vom Keller. Sie versuchte die Gedanken an ihre Gefangenschaft zu verdrängen und eilte zum Fahrstuhl. Dort zogen sie die Kapuzen tief. Nadia hatte auf ihre Hand geschrieben ‚I’m okay‘ und in die Kamera gehalten. Sie wusste, dass Barış es sehen würde, wenn er merkte, dass sich etwas in ihrer Wohnung verändert hatte.
„Oh wow, du hast eine schöne Wohnung“, sagte Jin als sie in ihrer Wohnung ankamen. Zum Glück hatte sie an diesem Abend ihr Portemonnaie nicht in der Handtasche gehabt, dass hatte sie vorher hiergelassen, weil sie noch ein paar Sachen am Morgen mitnehmen wollte und sich gefragt hatte, für was sie auf der Arbeit ihre Geldbörse brauchte. Ihr Pass, die Bankkarten und all diese Dinge waren noch da. Sie hatte nur kein Handy, das ließ sich ersetzen.
„Ach komm, ihr wohnt in einem Palast“, erwiderte sie lachend.
„Soll ich dir etwas verraten?“ Jin ließ sich auf die Couch nieder. „Manchmal mag ich es etwas kleiner. Manche Teile vom Dorm hallen immer noch und ich habe alles versucht! Teppiche, Pflanzen, nichts hilft. Ich vermisse unser altes Dorm, da hatte man nicht das Gefühl in einer Lagerhalle zu sein“, meinte er weiter. Nadia schaute sich um. Sie hatte eine zwei Zimmer Wohnung, nicht so hypermodern wie das BTS Dorm, doch auch keiner diese Nachkriegsbauten. Eigentlich war die Wohnung wie eine Wohnung, die man in Amerika oder Europa fand. Tatsächlich gehörte sie nicht zu den Leuten, die Dinge horteten. Das passierte schnell in Korea. Tassen mit Katzen, Lampen die aussahen wie ein Fuchs, Pikachus, Plüsch-Donuts – es gab so viel Schnickschnack und viele Leute verliebten sich in die Sachen und kauften, obwohl sie es vielleicht gar nicht brauchten. Nadias Schmerzgrenze war bei Zierkissen, aber auch nur, weil sie sich gerne in einen Berg von Kissen fallen ließ. Dafür mochte sie Bilder und ihre Wände waren voll mit Fotografien. Und sie mochte indirektes Licht. Sie hatte so eine Stimmungslampe, die eine Wand anleuchtete und sie hatte Blumenvasen, in denen zwar nur Plastikblumen standen, aber immerhin leuchtete die Vase, wenn es dunkel wurde. Doch im Gegensatz zu den meisten Haushalten in Korea, könnte man ihre Wohnung noch als neutral bezeichnen. Sie mochte nicht, wenn zu viele Farben aufeinandertrafen. Ihr Wohnzimmer war in Erdtönen gehalten, so waren die Fotografien an der Wand auch im Sepia-Ton. Ihr Schlafzimmer war eher blau gehalten, mit einer Wand in Tiffany-Blau und der passenden Bettwäsche dazu. Bunte Bettwäsche ging gar nicht an sie – dafür hatte sie sechs Kissen in verschiedenen Größen.
Um ehrlich zu sein fiel es ihr schwer die Wohnung sich selbst zu überlassen. Das war ihr Zuhause, doch solange sie sich nicht wohlfühlte, konnte sie nicht hierbleiben. Vielleicht waren es nur ein paar Tage, vielleicht ein paar Wochen
Zurück im BTS Dorm sah sie, dass die Sänger auch nicht untätig gewesen sind. Und das mitten in der Nacht. Auf ihrem … oder eher wohl Taehyungs Bett, lag ein Bademantel und Hausschuhe. Daneben lag ein Handy. Nadia drehte sich um und sah Tae in der Tür stehen.
„Das wäre nicht nötig gewesen“, sagte sie lächelnd.
„Mir ist aufgefallen, dass du kein Handy mehr hast. Mach dir keine Gedanken, wir haben hier so viele Handys rumfliegen. Ich habe mich auf die Kurzwahltaste 1 gespeichert“, erklärte er und grinste stolz. Sie ging zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Du bist sehr süß.“