Es war schrecklich. Ich sah wie andere Schutzengel herbei strömten, zu den anderen Jungs. Ich saß neben Kyuhyun, hilflos.
„Du warst hier gewesen, wieso hast du nichts getan?“, fuhr mich einer der Schutzengel an.
„Ich …“
„Ich wünschte ich wäre hier gewesen, dann hätte ich wenigstens meinen Schützling warnen können“, kam es von einem anderen.
„Ich …“
„Du weißt schon was unsere Aufgabe ist?!“
„Ich …“
Um uns herum geschah so viel, Krankenwagen, Polizei, alle Autos standen und da saßen wir, unberührt von der Welt der Menschen und ich war das Opfer. Wieso hatte ich keinen Schutzengel. Doch was wussten sie schon? Sie beobachteten ihre Schützlinge von weit weg, ich war bei ihm gewesen, habe ihn kennen gelernt und er hatte mich sehen können. Hatte er mich vielleicht nur sehen können, weil er bereits todgeweiht war? Ich hatte keine Ahnung und so wie es im Moment aussah, konnte ich auch niemanden fragen.
Die Hektik ging weiter. Im Krankenwagen kämpfte man um das Leben der Jungs, doch ich hatte nur Augen für Kyuhyun. Er lag da, bleich, bewegungslos und sein Atem war flach. Ich habe schon viele sterben sehen, das gehört dazu. Manchmal kommen wir Schutzengel an einem Punkt, an dem wir einfach nicht mehr helfen können, wo die Natur ihre Wege geht, doch nie hatte es mich so mitgenommen wie heute, hier, bei ihm. Ich wollte nicht das er starb, er musste leben, musste atmen, lachen und aus irgendeinem Grund wollte ich, dass ich es mit ansehen konnte.
Ich verstehe nicht viel von Medizin, in meinem Leben ist Medizin belanglos geworden und das, was ich vielleicht vorher wusste, ist schon lange vergessen, mit all den anderen Dingen, die mit meinem irdischen Leben im Zusammenhang standen. Doch ich verstand, dass etwas mit seiner Lunge nicht stimmte und das er eine ziemlich schwierige Operation brauchte. Seine Eltern waren da und sprachen mit den Ärzten und entschieden über das Leben ihres Sohnes. Es gab wohl zwei verschiedene Operationstechniken und bei der einen war wohl ziemlich sicher, dass Kyuhyun nicht mehr singen würde. Das konnten sie ihm nicht antun! Gebannt wartete ich auf die Antwort seiner Eltern, doch auch sie wussten sein Talent zu schätzen und entschieden sich für die schwierigere Variante.
Stunden vergingen die ich im OP bei ihm saß und betete, dass ihm nichts geschehen würde. Er lag in den Händen der Ärzte und es gab nichts, was ich tun konnte, außer über ihn zu wachen und zu beten.
Das tat ich ziemlich lange. Ich saß in seinem Zimmer, Tag und Nacht. Es war deprimierend. Es war Nacht und niemand sonst war da. Ich saß auf seiner Bettkante und beobachtete ihn. Sonst war er doch auch so ein Holzkopf, er würde sich doch jetzt nicht von so einem Unfall unter kriegen lassen! Ich beugte mich runter und küsste seine Stirn. Für einen Moment wurde ich egoistisch. Wenn er sterben würde, dann könnte er vielleicht mit mir zusammen sein, zwei Wesen der gleichen Art. Vielleicht müsste sie kein Schutzengel mehr sein, weil sie eine neue Bestimmung gefunden hatte. Wo konnte sie eigentlich kündigen?
„Elena…“
„Kyuhyun!“
Müde öffnete er die Augen, lächelte aber.
„Du bist ein schlechter Schutzengel…“
Na klar, der stirbt fast und kaum hat er wieder Kraft zum Reden, wird er frech.
„In dem Fall schon.“
„Das ist okay, ich bin bald wieder auf den Beinen.“
„Das hoffe ich sehr.“
Ich kann nicht weinen, das liegt nicht in unserer Natur, doch wenn ich ein Mensch wäre, dann denke ich, dass ich in diesem Moment geweint hätte, aus Freude, ihn wieder reden zu hören.
Doch nur weil er wieder die Augen öffnete, hieß das noch lange nicht, dass er über den Berg war. Kyuhyun musste lange im Krankenhaus bleiben und er hasste es. Seine Bandkollegen, seine Familie und Freunde kamen ihn zwar besuchen, doch ich merkte schnell, dass er raus wollte, nach Hause und ich konnte es verstehen. Als Schutzengel war man zwar nur für einen zuständig, doch man merkte, wenn anderen um einen herum etwas passierte und ich spürte ständig wie der Tod die Leute heim suchte und zu sich nahm. Das ist kein nettes Gefühl.
„Ist schon wieder einer gestorben?“, fragte mich Kyuhyun, als ich mich leicht schüttelte und ich nickte nur.
„Es war ein alter Mann, seine Zeit war gekommen.“
„Hm.“
Auch er mochte er nicht vom Tod umgeben zu sein und sei es, dass er es nur bemerkte, weil ich mich ständig schüttelte, wenn jemand starb.
„Denkst du ich werde auch noch sterben?“
„Sicher, irgendwann. Irgendwann muss jeder sterben.“
Ich sah seinen panischen Blick und begriff das er mich falsch verstanden hatte.
„Aber ich denke du hast jetzt das Schlimmste überstanden.“
„Wieso fühle ich mich dann so mies?“
Ich fing an zu grinsen.
„Das ist die Rache für all deine Gehässigkeiten!“
„Ach komm!“
Und wir beide fingen fröhlich an zu lachen – bis die Tür auf ging. Siwon schaute sich fragend um, als er Kyuhyun lachen sah.
„Was ist so komisch?“
„Ach nichts.“
„Elena?“
Nun wurde Kyuhyun aber hellhörig.
„Du glaubst mir die Geschichte doch eh nicht.“
Er war schließlich schon im Krankenhaus und wollte nicht noch in der Klapse landen.
„Na ja, wenn sie dafür verantwortlich ist, dass ich heute mit dir reden kann und dass du das alles überlebt hast, dann wäre es doch nur fair dir zu glauben, oder?“
Ich schaute zu Kyuhyun, der immer noch zögerte.
„Ich habe zu ihr gesagt, dass ich mich noch ziemlich schlecht fühlte und sie meinte daraufhin, dass die Rache für meine Gehässigkeiten sei.“
Da fing Siwon aber auch an zu lachen! So Unrecht hatte ich anscheinend nicht.
„Bist du sicher dass sie dein Schutzengel ist und nicht dein Gewissen?“
Kyuhyun schaute fragend zu mir, doch ich schüttelte nur den Kopf.
„Wenn ich dein Gewissen wäre, hättest du den Unfall nicht überlebt.“
„Sehr witzig.“
Tage vergingen und auch wenn Kyuhyun das Gefühl hatte nie wieder aus dem Krankenhaus zu kommen, so konnte ich sehen, wie es ihm langsam aber sicher besser ging. Seit einiger Zeit hatte ich dieses komische Gefühl in meiner Brust. Etwas zog mich von hier weg. So fühlte es sich an, wenn man einen neuen Schützling bekam und sich von dem alten trennen musste. Wahrscheinlich war ich zu emotional geworden, was Kyuhyun betraf oder es war die Strafe dafür, dass ich am Tag des Unfalls versagt hatte. Ich hatte versucht das Gefühl zu ignorieren, eine Weile funktionierte das, doch ich wusste, dass ich mich nicht ewig wehren konnte. Als ich sah, dass es ihm zunehmend besser ging, wusste ich, dass die Zeit des Abschieds gekommen war.
„Kyuhyun, ich muss mit dir reden?“
Er legte seinen Laptop weg und schaute fragend auf.
„Was ist denn?“
„Ich muss weg.“
„Wie? Wo musst du hin?“
„Ich weiß noch nicht genau, zu einem neuen Schützling.“
„Was? Wieso? Ich will nicht das du gehst! Was ist mit mir?“
„Du wirst einen neuen Schutzengel bekommen.“
„Ich will keinen neuen Schutzengel! Du funktionierst zwar nicht richtig, aber ich will keinen neuen! Mit wem muss ich reden?“
Wenn’s denn so einfach wäre.
„Du kannst mit niemanden reden. Manche Dinge geschehen einfach und ich merke, dass ich weg muss. Bevor ich einfach verschwinde, wollte ich es dir erklären.“
Kyuhyun war es nicht gewohnt nicht zu bekommen was er wollte und entsprechend schmollig wirkte er.
„Werde ich meinen neuen Schutzengel auch sehen können?“
„Ich fürchte nicht. Normalerweise ist es nicht so…“
Und dann saßen wir so da, eine Weile und keiner sagte ein Wort. Ich hätte ihn gerne getröstet, doch wusste ich nicht wie.
„Kyuhyun, es war mir eine Ehre dein Schutzengel zu sein. Ich habe dich sehr lieb gewonnen. Versprichst du mir, dass du auf dich aufpasst?“
„Wirst du mich ab und zu besuchen kommen?“
„Ich werde es versuchen.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“
Und da zwang er sich doch mal zu einem Lächeln.
„Auf wiedersehen Kyuhyun.“
„Auf wiedersehen Elena.“
Ich wusste, dass ich ihn wahrscheinlich nie wieder sehen würde. Das Leben eines Menschen war so schnell vorbei und wir Schutzengel hatten so viel zu tun, doch ich sagte nicht ‚Leb wohl‘, denn ich selbst hätte mich gefreut ihn eines Tages wieder zu sehen.