„Ernsthaft, die Franzosen wissen wie man lebt! Schaut euch an wie unterschiedlich wir frühstücken!“
Chanyeol war hin und weg. Es war wohl der Zauber von Korsika.
„Allein schon diese … diese…“
„Eclairs“, vervollständigte Chen grinsend.
„Eclairs! Und diese Pain Chocolate! Und diese Marmelade!“
„Konfitüre…“, korrigierte Skye.
„Wieso ist das Konfitüre?“, wollte Sehun wissen.
„Weil Marmelade aus Zitrusfrüchten besteht und Himbeeren sind keine Zitrusfrüchte und deswegen ist das Konfitüre.“
Vier Leute zückten gleichzeitig ihr Handy, um das im Internet zu überprüfen.
„Oh Mann, wieso muss sie immer Recht haben?“, beschwerte sich Chanyeol, der wohl als Erster die Antwort gefunden hatte.
„Sie ist meine kleine Hermione Granger“, erwiderte Jongin.
„Hermione“, erwiderte Skye, den Namen richtig ausgesprochen. Die Koreaner taten manchmal gruselige Dinge zu Namen. Alle stöhnten genervt.
An diesem Morgen ging es nach dem Frühstück in die Berge. Korsika war ein beliebtes Reiseziel für Wanderer und Fahrradfahrer. Korsika hatte in der Mitte einen Gebirgszug, der sich von Nord nach Süd erstreckte.
„Skye, können wir abends mal an den Strand?“, fragte Sehun im Van.
„Klar, wenn ihr es mal schafft länger als 21 Uhr wach zu bleiben“, erwiderte sie und bekam Protest von allen Seiten.
„Wir haben Jetlag!“
„Wir arbeiten den ganzen Tag!“
„Die frische Luft macht müde!“
Natürlich hatte sie Verständnis, ihr ging es ja selbst nicht besser und das mit der frischen Luft stimmte, es machte nur viel zu viel Spaß sie etwas zu ärgern. Die erste Woche damals auf Korsika war sie spätestens um 22 Uhr total erschöpft ins Bett gefallen, obwohl sie eigentlich außer am Strand rumliegen, etwas surfen und shoppen gehen nicht viel gemacht hatte.
Sie fuhren eine Bergstation an. Der Trip heute war von der korsischen Tourismus Organisation geplant worden. Diese saß eigentlich in Ajaccio, doch die Straße von Bonifacio nach Ajaccio war eine reine Katastrophe. Eigentlich erst ab Pianottoli, aber was tat das schon zur Sache? Jedenfalls führte die Straße an der Küste entlang und Skye meinte sich daran zu erinnern, dass dort offiziell 100 km/h erlaubt waren! Sie war wirklich kein Schisser, aber auf dieser Straße schaffte sie nie mehr als 50 km/h und selbst da bremste sie in so manchen Kurven ab. Sie war zwar diesmal nicht der Fahrer, aber stundenlang von einer Seite auf die andere geworfen zu werden und dabei der permanenten Angst sein Leben zu verlieren ausgeliefert zu sein war etwas, auf das sie dankend verzichten konnte. Also hatte sie so lange mit dem Tourismusbüro diskutiert, bis sie sich darauf eingelassen hatten, dass sie sich am Cascades de Polischellu trafen. Es war ein Wasserfall, der in einer Schlucht lag. Nicht nur war die Aussicht wunderschön, auch der Fluss war mehr ein Flüsschen und lud zum Baden ein. Von ihrem Hotel war es eine 2 Stunden Fahrt, die viele nutzen um noch etwas zu schlafen.
Skye war von Jongins Armen umschlossen. Er war eingeschlafen und sie nutzte die Zeit, um mit Youngjun zu schreiben. In Korea war es jetzt schon Abend und der Manager wollte natürlich wissen, ob soweit noch alles in Ordnung war. Die Assistentin war stolz auf sich, zwei Tage auf Korsika und noch keiner hatte geblutet. Gut, sie waren am Strand, in der Stadt und auf einem Boot. Heute würden sie Bekanntschaft mit der Natur machen und spätestens dann wäre es vorbei mit der Glückssträhne. Skye hatte den Erste Hilfe Kasten vorab gecheckt, Pinzetten, Desinfektionsmittel – zweimal, einmal eins das brannte, für die, die frech wurden und einmal eins das nicht brannte, für die, die nett waren – Pflaster, wasserdichte Pflaster, Verbände, Kühlpacks war alles eingepackt und Einsatzbereit.
Sie schrieb noch eine Nachricht fertig, als sie merkte, wie Jongins Hände sich den Weg unter ihr Shirt suchten.
„Jongin …“, flüsterte sie grinsend. Sie hatten zwar die Rückbank für sich alleine, doch eine Reihe weiter vor ihnen saß Chanyeol und Sehun und davor saßen Suho und Chen. Er begann ihr Ohr zu küssen und genussvoll schloss sie die Augen. Sie lehnte sich nach hinten und ihre Lippen fanden einander.
„Ich habe dich vermisst“, flüsterte er zwischen den Küssen, doch dann riss sie eine Kurve auseinander. Skye besann sich wieder, nein, sie konnten nicht im Van mit den anderen rummachen, auch wenn es schwer war die Finger von ihm zu lassen. Sie setzte sich auf die andere Seite und schnallte sich fest. Entsetzt schaute er zu ihr rüber und auch Chanyeol drehte sich um.
Sie erreichten den Parkplatz und erkannten die Tourismusorganisation sofort. Sie hatten einen riesigen Van, wohl eher einen Bus und einen Transporter. Skye, als Verantwortliche, ging auf den Van zu und wurde direkt begrüßt.
Die Sänger hingegen schauten über die Berge und staunten.
„Wow, ist das schön“, kam es von Chen und einige nickten zustimmend. Es war von der Grundtemperatur nicht so warm, dafür schien die Sonne.
Nach ein paar Minuten kam Skye mit zwei Männern und einer Frau zu der Gruppe und stellte sie vor. Sie hatte im Flugzeug nach Paris EXO ein paar Floskeln beigebracht, an die sie sich nur noch halb erinnerten und bald fingen alle an zu lachen. Chen bekam es noch hin zu sagen, dass es sehr schön war und sehr lecker, was etwas aus dem Zusammenhang gerissen war, aber die Korsen wussten schon auf was er hinauswollte. Baekhyun lobte den Wein und brachte die Korsen wieder zum Lachen.
„Also, ihr habt zuerst eine Quadtour hier durch die Wälder“, erklärte Skye. Sie Fotografen sahen nicht begeistert aus, aber schließlich waren sie ja auch nicht im Urlaub.
„Danach gibt es hier Mittagessen.“ Deswegen waren die Tourismuszentrale auch mit dem Wohnmobil angerückt und bauten schon jetzt ein Vorzelt auf, indem sie später sitzen konnten. Sie hatten einen eigenen Fotografen dabei, schließlich war es etwas Besonderes, wenn Megastars aus Asien angereist kamen, wobei Skye ihnen erklärt hatte, dass sie die Bilder erst nächste Woche veröffentlichen durften, da sie vermeiden wollte, das europäische Fans auf der Insel einfielen.
EXO wurden in den Vans fertig gemacht. Die Stylisten hatten gestern in Bonifacio T-Shirt von Korsika geholt und dachten sie würden super für das Shooting passen. Die korsische Tourismuszentrale hatte ebenfalls T-Shirt mitgebracht und die Stylisten berieten sich, wer welches Shirt tragen sollte. Skye war ja der Meinung, dass wenn sie oben ohne fahren würden, es eine viel bessere Werbung wäre, aber nun gut. An manchen Shirts legten die Stylistinnen auch noch mal selbst Hand an mit der Schere. Wenn Skye so etwas machte endete es immer in einer Katastrophe, doch Hanni und ihre zwei Kolleginnen waren echte Künstlerinnen und machten die einfachen T-Shirts besonders. Bei manchen schnitten sie die Ärmel großflächig ab, so dass auch etwas Haus zu sehen war. Bei anderen machten sie nur ein paar Schnitte und in Chanyeols Shirt schnitten sie auf dem Rücken einen Totenkopf aus.
„Ich hoffe es ist in Ordnung, dass wir Anpassungen vornehmen. Korea ist sehr Stilbewusst, man muss immer trendy sein“, erklärte Skye Albert, dem Hauptverantwortlichen heute. Korsika ticket doch etwas anders und dann war Albert auch noch eine andere Generation. Die Amerikanerin war sich nicht sicher, ob er wirkliches Verständnis für das koreanische Styling hatte.
„Nein, schon in Ordnung. Ich finde es sehr interessant wie spontan die Stylisten reagieren“, erwiderte der Mann. Skye hörte mit halben Ohr zu, wie Hanni Jongin sagte, dass er jetzt nicht mehr knutschen dürfte, weil er geschminkt war und Skye fing fröhlich an zu lachen, wie einige der Sänger, die in der Nähe standen. Albert schaute fragend.
„Entschuldigung, manchmal sind sie etwas albern.“
„Ich finde es sehr faszinierend wie sie nicht nur hervorragend Französisch sprechen, sondern auch Koreanisch.“
„Vielen Danke, ich finde Sprachen ganz wundervoll.“
„Jagiya! Du hörst dich so sexy an, wenn du Französisch redest!“, rief Jongin ihr zu und Skye schüttelte nur den Kopf. Sie war sehr froh, dass die Korsen die Koreaner nicht verstanden und die Koreaner nicht die Korsen.
Die Fotografen wurden verkehrtherum auf einem Quad mit Fahrer gesetzt und Skye hatte sich freiwillig als Fahrer für Paul gemeldet. Einer der Korsen schnallte sie gerade zusammen, denn rückwärts Quad zu fahren war alles andere als ungefährlich und deswegen waren auch alle mit Helmen ausgestattet – bis auf EXO, die sollten ja gut für die Bilder aussehen. Skye musste schnell sein, denn Paul wollte sie in Action fotografieren und brauchte etwas Vorsprung, so dass sie auch anhalten konnten, ansonsten würden die Bilder vielleicht zu unscharf werden.
„I hope you know what you’re doing“, sagte er und Angst schwang in seiner Stimme mit.
„Don’t worry, I’m a great driver.“ Auf Fiji erkundete sie ständig das Gelände der großen Nachbarinsel mit dem Quad, sie war es gewohnt über Stock und Stein zu fahren.
Dadurch das die Sänger keine Helme trugen war es auch gar nicht so viel Action und auch nicht so schnell, wobei Paul schon gelegentlich Geräusche von sich gab, die Skye fröhlich lachen ließ.
Nach fast einer Stunde bekamen dann auch EXO Helme und auf dem Rückweg zum Parkplatz durften sie dann Gas gaben und lieferten sich wilde Jagden durch die Wälder. Paul saß nun richtig herum hinter Skye und klammerte sich an ihre fest.
„You don’t have to compete with them!“, rief er gegen den Fahrtwind.
„I know, but I want to“, erwiderte sie und fuhr ab vom Weg, quer Feld ein und schaffte es Sehun zu Chen zu überholen.
Zurück auf dem Parkplatz war die Band gut gelaunt und die Fotografen und Stylisten am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Gut das jetzt erstmal Mittagspause war. Skye saß mit Pierre bei Albert und den anderen Korsen und plauderte fröhlich. Natürlich nachdem sie die ersten Wunden versorgt hatte. Chen hatte einen Kratzer am Bein, ebenso Sehun und Suho. Einige hatten auch an den Armen Kratzer, aber noch taten sie es ab und nannten Skye ‚Omma‘, weil sie darauf bestand alles zu desinfizieren und zu reinigen.
Nach dem Mittagessen, von dem Baekhyun enttäuscht war, weil es kein Wein gab, machten sie sich auf zu dem Wasserfall. Eigentlich wäre es eine Tour von ungefähr 40 Minuten, doch durch die Fotografen und das Posieren, brauchten sie fast 1,5 Stunden. Skye genoss die entspannte Wanderung.
„Wie kamen Sie eigentlich auf Korsika? Nehmen Sie es mir nicht übel, aber Sie sind Amerikanerin und leben in Korea“, fragte Jacqueline, eine der Frauen aus der Tourismuszentrale.
„Ich reise gerne und oft und vor zwei Jahren habe ich den Sommer hier verbracht und mich verliebt“, erzählte sie.
„Hier ticken die Uhren noch etwas anders und zeigt uns Großstadtkindern, dass man manchmal Dinge etwas entspannter nehmen muss.“
„Da haben Sie recht“, gab Albert lachend zu.
„Ich liebe die Natur und den Geruch. Ich fotografiere gerne. Hier kann man tatsächlich noch die Milchstraße fotografieren. Ich habe viele Nächte mit fotografieren verbracht.“
„Sagten Sie Milchstraße?“
Skye nickte und zückte ihr Handy.
„Man könnte meinen Sie arbeiten für die NASA! Das sind wundervolle Aufnahmen“, sagte die Frau.
„Vielen Dank.“
„Jemand wie Sie könnten wir gut bei uns gebrauchen. Wenn ihnen Korea zu langweilig werden sollte, können Sie mich gerne anrufen“, bot Albert an.
„Langweilig wird Korea bestimmt nicht …anstrengend vielleicht, aber nicht langweilig“, sagte sie und beobachtete wie Jongin und Chanyeol auf Steinen im Flussbett standen und sich gegenseitig in das Wasser werfen wollten.
„Hier gibt es Süßwasserkrokodile!“, rief sie ihnen zu und man kann sich kaum vorstellen, wie schnell sie sein konnten!
„Das war nicht witzig“, beschwerte sich Chanyeol nach 20 Minuten später immer noch.
„Woher sollen wir wissen, ob es nicht vielleicht Krokodile hier gibt?“
„Weil ich euch dann von vorn herein nicht ins Wasser gelassen hätte … außer Baekhyun vielleicht“, erwiderte sie.
„Da hat sie recht“, pflichtete Chen ihr bei.
„Das habe ich gehört!“, rief wiederum Baekhyun von weiter hinten.
Sie erreichten den Wasserfall. Es war kein reißender Wasserfall, wie die Victoria Falls, sondern eben ein kleiner, hübscher Wasserfall inmitten der Berge. Das Wasser war entsprechend kalt, doch die Sänger freuten sich trotzdem über die Abkühlung – auch ohne Krokodile.
Es war kurz nach 17 Uhr, als sie im Hafen von Bonifacio parkten.
„Okay, ihr habt bis 18:30 Uhr Freizeit … also … mit Fotografen. Ihr könnt einkaufen gehen oder euch in ein Café setzen – wie ihr wollt. Um 18:30 Uhr treffen wir uns hier, Paul will noch Bilder während des Sonnuntergangs im Hafen schießen und dann gehen wir rüber ins Centre Nautique zum Abendessen.“
Alle verfolgten Skye Arme, die in alle möglichen Richtungen deuteten. Sie erinnerte die Band an einen Fluglotsen.
Tatsächlich fand sie die Altstadt in Porto Vecchio am schönsten zum Bummeln und Einkaufen, wobei es hier im Hafen viele Boutiquen gab und als wäre es abgesprochen gewesen, landeten sie alle in dem gleichen Laden mit Shirts. Skye stand vor dem Laden und rauchte eine, als Jongin zu ihr kam. Er nahm ihr die Zigarette ab und zog selbst daran.
„Können wir heute Abend etwas machen? Alleine?“
Skye merkte wie ihr die Röte in die Wangen stieg.
„Ja, können wir machen“, erwiderte sie.
Skye blieb schließlich im Café sitzen. Sie wollte schon mal durch die Bilder schauen, die in den letzten Tagen entstanden waren. Und okay, sie wollte mal ihre Ruhe. Seit Bangkok hing sie 24/7 mit EXO zusammen … die Zeit im Knast jetzt mal ausgenommen. Sie wollte einfach in Ruhe einen Kaffee trinken und mal nicht nach jemand gucken müssen.
„Wie kann es sein, dass so eine hübsche Mademoiselle alleine sitzt?“, flirtete der Kellner mit ihr.
„Weil eine Mademoiselle ab und an alleine sein will“, erwiderte sie nur. Er verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und ließ sie in Ruhe.
Wieder hörte sie in den Song von Taehyung rein. Was machte sie mit dem Kerl nur? Er hatte sich so unbemerkt in ihr Herz geschlichen. Sie wusste, dass es zu einem Konflikt kommen würde, wenn sie mit Tae zusammenarbeiten würde. Skye war nicht auf den Kopf gefallen. Sie wusste das Jongin, um den Frieden zu bewahren, sich cool stellte, doch spätestens, wenn sie mit Taehyung im Aufnahmestudio stand, würden die Probleme anfangen. Dabei reizte sie es wirklich. Das Lied war toll und sie würde gerne ein Teil davon sein. Sie wollte aber nicht direkt schon ihre Grenzen austesten. Sie mochte Taehyung, aber nicht so gerne, um ihre Beziehung mit Jongin auf’s Spiel zu setzen.
Das Shooting im Hafen war super und als sie im Centre Nautique ankamen, hatten sie auch alle Hunger. Es war nicht nur ein Restaurant, sondern auch ein Hotel. Wenn Skye privat hier wäre, wäre es wahrscheinlich ihre Wahl gewesen, doch es war sündhaft teuer, eben aber auch sündhaft schön. Es gab eine Terrasse im ersten Stock als Lounge mit Blick auf die Burg Bonifacio, wo sich die Altstadt befand.
Alle sanken in die Sessel ein und genossen für einen Moment die Aussicht. Skye und Jongin teilten sich eine Bank und er rückte näher an sie heran.
„Sag nicht, dass du müde wirst“, drohte sie ihm lachend.
„Auf gar keinen Fall!“, gab er zurück.
Nach dem Essen wollten die anderen noch im Hafen bleiben. Skye wollte ihnen schon erklären, dass sie Taxi fahren sollten, doch Pierre winkte nur ab.
„Kein Problem, ich muss so wie so noch etwas erledigen und sie werden ja sicher nicht bis 4 Uhr bleiben.“
„Nein, ich denke nicht“, erwiderte Skye grinsend. Ansonsten wären sie Morgen auch alle kaputt.
Skye und Jongin hingegen bekamen einen der Vans.
„Kannst du so etwas fahren?“, fragte der Sänger und wurde von einem finsteren Blick gestraft.
„Sorry, schon gut“, entschuldigte er sich, ohne dass Skye ein Wort hätte sagen müssen. Als er nach hinten blickte sah er einen Korb.
Sie fuhren ungefähr 40 Minuten, als Skye auf einen Schotterweg abbog.
„Ja, wir sind noch richtig“, meinte sie. Der Weg bestand nur aus Sand und Steinen und sie wurden ganz schön durchgeschüttelt. Manche Abschnitte brachte das Achterbahnfeeling in ihre Mägen, weil es so steil nach unten ging. Skye musste sich vor allem im Dunklen gut konzentrieren, denn die Piste änderte sich ständig und war heute anders als vor zwei Jahren. Mal war hier ein Schlagloch, mal dort. Die Bauern die hier hinten lebten taten ihr schon leid, auch wenn die wussten, auf was sie sich eingelassen hatten, so war die Hauptpiste tatsächlich noch ein öffentlicher Weg und wurde von der Stadt Pianottoli verwaltet. Nur das sie eben auf Korsika waren und bei Korsen generell etwas langsamer und gemütlich waren. An einer Stelle ging es ziemlich steil runter, dort hatte die Stadt irgendwann geteert, doch nur bis zum Ende des Hügels. Beim Rauf- und Runterfahren wurde demnach immer unterhalb des Teers eine Kuhle ausgewachsen, die irgendwann so groß wurde, dass normale PKWs das nicht mehr stemmen konnten. Anstatt das irgendein Bauarbeiter den Teer mal zwei Meter weitergezogen hätte, dann würde das nämlich nicht passieren. Aber das waren die Korsen, bis zu Ende denken lag ihnen oft nicht.
Schließlich bog Skye von der Hauptpiste auf eine Nebenpiste ab, hier begann das Privatgrundstück und hier ging es zuerst ziemlich steil bergab.
„Ok Schatz, ich weiß was du vorhast“, begann Jongin.
„Was habe ich denn vor?“
„Du willst mich umbringen und verscharren und hey, es ist ein toller Plan, denn hier wird mich nie im Leben irgendwer finden. Du lässt es aussehen wie ein Unfall, sagst wir waren nachts schwimmen und plötzlich war ich weg und dann erzählst du deine Horrorgeschichten von niedlichen Haien und pinken Partyschnecken, die einen in zwei Minuten mit Nervengift töten und jeder wird dir glauben, weil es überzeugend klingt und du klein und niedlich bist.“
Skye schaute zu ihm rüber.
„Hast du gerade eine Panikattacke? Wenn ja übergib dich bitte aus dem Fenster, Pierre bringt mich um, wenn das Auto riecht.“
„Rührend wie du dich um mich kümmerst“, stellte er trocken fest.
„Weil ich dich liebe“, sagte sie lächelnd, eher so dahin, doch als die Worte ihren Mund verlassen hatten, stellte sie fest, was sie gesagt hatte. Skye hatte angehalten und für einen Moment schauten sie sich an.
„Ehm … kannst du mal das Tor aufmachen?“
Vor ihnen war ein Tor – oder eher Bambus mit Maschendrahtzaun, der mit Draht an einem Pfeiler festgemacht war. Jongin stieg aus, öffnete das Tor und wartete, bis sie durch war, um es dann wieder zu schließen. Vor ihnen lag ein Haus und eine Frau stand davor. Skye blieb vor dem Eingang stehen, es war schwer in Dunkelheit viel auszumachen, denn es brannte nur ein Licht direkt vor dem Eingang.
„Christa!“, rief Skye und nahm die alte Frau in den Arm.
Der Sänger ging zu den beiden, nachdem er das Tor wieder zu hatte und stellte fest, dass sie gar nicht Französisch sprachen, sondern Deutsch!
„Hallo, guten Abend“, sagte er auf Deutsch, verbeugte sich aber.
„Guten Abend“, erwiderte die Frau lächelnd.
„Habt ihr alles? Braucht ihr Taschenlampen?“, fragte sie Skye.
„Nein, nein, schon gut, ich habe alles.“
„Na dann, habt einen schönen Abend. Und macht später wieder zu. Ihr könnt ruhig bis vorfahren.“
„Vielen Dank“, sagte das Paar und stieg wieder ein.
„Wer genau ist das?“, fragte Jongin nun.
„Das ist die Familie Podszus, deutsche Auswanderer. Sie kamen vor knapp 30 Jahren hier her und haben dieses Land gekauft. Sie haben nicht mehr viel Landwirtschaft, aber Rolf macht noch Aperitif selbst und Christa die Weltbeste Marmelade UND Konfitüre. Ich habe ihnen ein paar Wochen geholfen. Sie vermieten auch Wohnwagen.“
„Okay, cool.“
Sie fuhren noch etwas weiter in die Dunkelheit, bis Skye vor einem viel kleineren Tor stehenblieb. Den Rest mussten sie zu Fuß gehen, da sie die Grundstücksgrenze erreicht hatte. Michele gehörte das Grundstück am Meer und den Podszus das dahinter. Skye nahm den Korb und gab ihm eine Taschenlampe.
„Es sind nur zehn Minuten“, erklärte sie und öffnete das Tor.
Es war schon komisch. In der Stadt waren wir jederzeit von allen möglichen Geräuschen umgeben, um die man sich gar keine Gedanken machte. Autos, Menschen, Telefone, piepsende Ampeln. All das war normal. Doch auf Korsika, mitten im nirgendwo, in einer Finsternis, dass man mit bloßem Auge die Milchstraße sehen konnte, achtete man viel mehr auf die Geräusche. Ein Rascheln, das Bellen eines Hundes in der Ferne. Jongin hatte darauf bestanden den Korb zu nehmen, doch nachdem er das dritte Mal zusammengezuckt war, nahm die Amerikanerin ihn den Korb ab.
„Keine Sorge, die Hunde sind in Monacia, der Wind und die Berge tragen das Bellen bis hier runter“, erklärte sie.
„Schlangen schlafen nachts und es gibt hier auch keine Giftigen, die Kühe sind nachts im Stall. Das Schlimmste, was uns begegnen kann sind Wildschweine, aber nicht wie Wildschweine, sondern wilde Hausschweine. Die machen nichts.“
Anfangs hatte Skye noch bei ihrer Freundin und ihren Eltern gewohnt, in einer Stadt nahe an Bonifacio. Dort war es schon ruhig, aber nicht so ruhig wie hier draußen. Die ersten Nächte hatte sie praktisch gar nicht geschlafen, weil sie nicht auf die Stille klarkam. Es gab vier Wohnwagen auf dem Grundstück der Podszus, zwei in der Nähe vom Haus und zwei im Wald hinter dem Haus. Je zwei Wohnwagen hatten ein Dusch-Toiletten-Häuschen.
Schon am ersten Tag, als sie ankam, begegnete sie der ersten Schlange, die in der Fußschwelle zum Haus lebte und Skye sehr entsetzt angeschaut hatte. Sie hatte einen Wohnwagen für sich alleine gehabt und lag nachts wach, bis sie auf die Toilette musste. Alle Wohnwagen hatten einen Vorbau mit Küche und Sitzecke und man musste zwei Stufen zum Wohnwagen hochgehen. In dieser Nacht entschied sich eine Baumratte genau dort zu sterben. Zum Glück hatte Skye geleuchtet, sonst wäre sie draufgetreten. Zuerst dachte sie, sie wäre schon tot und als sie die Schippe holte, um sie raus zu schaffen zuckte sie. Baumratten waren eigentlich ziemlich niedlich und flauschig. Es führte dazu das Skye bis zum Sonnenaufgang passive Sterbehilfe leistete und der Baumratte klassische Musik vorspielte. Als sie tot war, konnte sie sie auf der Schippe auch rauswerfen, aber als sie noch gelebt hatte, hatte sie es nicht übers Herz gebracht.
Christa erklärte ihr dann beim Frühstück, dass sie noch Giftköder ausliegen hatte. Super. Skye verstand wieso die Bauern das taten, denn Baumratten nagten sich durch alles durch, vor allem durch die Wohnwagen, die vermietet werden sollten. Trotzdem wäre sie gerne emotional darauf vorbereitet gewesen.
In der dritten Nacht wollte sie die Milchstraße fotografieren. Sie hatte das neue Objektiv und beschloss sich erstmal auf der Wiese zwischen Haus und Stall zu platzieren, dass wenn sie nicht zurechtkam, sie schnell im Wohnwagen mit Licht war. Sie war gerade auf halbem Weg zu der Wiese, da hörte sie einen Schrei, der ihr durch alle Knochen ging. Sie stockte und machte sofort die Taschenlampe aus – in fester Überzeugung, dass der Serienmörder sie nun gefunden hatte. Was ein Quatsch. Kein Mörder würde sie da Arbeit machen da raus zu gehen! Fern ab von Gut und Böse. Der andere Wohnwagen war vermietet, Skye vermutete, dass wenn es kein Mörder war, sich die beiden Frauen wohl umgebracht hatten. Zuerst überlegte sie zurück zum Wohnwagen zu gehen, doch das wäre im Falle der Mörder-Theorie dämlich. Beleuchtete Wohnwagen fand man leicht. Sie ging also weiter auf die Wiese und schoss Bilder. Am nächsten Morgen erklärte Christa, dass das ein Fuchs war und die solche Geräusche machten. Danke für die Warnung.
Skye war also schon auf so ziemlich jedes Tier gestoßen, was es hier zu finden gab.
„Woher kennst du den Weg?“ Jongin schaute sich verzweifelt um. Sie standen mitten in einem Feld aus Gestrüpp und die Wege waren noch nicht einmal so breit wie sie selbst, so dass sie aufpassen mussten nicht an irgendwelchen Dornen hängen zu bleiben.
„Ach, wenn man das oft genug läuft, weiß man es irgendwann.“
Tatsächlich gab es auch Sackgassen. Die Wege waren von Kühen gemacht und die liefen nicht immer nach Sinn. Zugegeben, nachts sah doch noch mal alles etwas anders aus. Für Jongin war es eine völlig ungewohnte Umgebung, doch es beruhigten ihn das Skye so entspannt war. Schließlich kamen sie auf eine Art Straße.
„Super, hätten wir nicht einfach hierherfahren können?!“
„Ich habe Michele nicht erreicht“, verteidigte sie sich und ernsthaft, sie waren nur ein paar Minuten unterwegs gewesen!
Am Ende der Straße wartete noch ein kleiner Wald. Die Wellen hatte er schon lange gehört, doch nun konnte er das Meer riechen.
„Watch out for the Binsen“, meinte sie noch.
„Was ist eine Binsen? Autsch!“
„That’s a binsen“, erklärte sie lachend. Es war eine Art Busch mit langen, spitzen Stacheln, eigentlich bestand der ganze Busch nur aus Stacheln. Sie waren nicht gefährlich, aber taten halt erst einmal weh.
Schließlich erreichten sie den Strand. Hier wurde oft Seetang angeschwemmt, der sich gut einen Meter hoch angehäuft hatte und eine gemütliche, weiche Unterlage bot. Hier lag man auf jeden Fall weicher, als auf dem Sand. Das Stück Strand vor dem Meer war wieder Sand. Jongin leuchtete nach links und nach rechts. Ihre Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt und doch war es schwer den ganzen Strand auszumachen.
„Wow, wir sind hier ganz alleine“, bemerkte er.
„Ja, Michele wohnt dort drüben, aber die Lichter sind aus.“
Skye breitete eine Decke aus, die sie an den Ecken beschwerte. Sie hatte Wein und verschiedene Früchte, Wasser und ein paar Sachen vom Bäcker. Sie hatte auch eine Campinglampe, die sie in die Mitte der Decke stellte. Sie setzten sich hin und Jongin öffnete die Flasche.
„Das ist wirklich schön hier … aber … Trinkbecher?“
„Wind und Sand – vergesse die Weingläser“, erklärte sie und mit einem Schulterzucken füllte er ihre Becher.
Nach einer Weile stand sie auf.
„Kommst du mit schwimmen?“
„Schwimmen? Skye, das Wasser ist total kalt.“ Da flog auch schon ihr Shirt, dann ihr Rock und dann die Unterwäsche. Kalt hin oder her, aber das ließ er sich nicht entgehen.