Mitten in der Nacht wachte Mia auf und holte sich etwas zu trinken, als sie sah, dass im Wohnzimmer der Fernseher an war. Sie schlich zur Tür und fand ihre Mom mit einem Milchkaffee auf der Couch.
„Na, kannst du nicht schlafen?“, fragte sie ihre Mom und setzen sich neben sie.
„Ach, ich bin aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen.“
Eine Weile saßen sie da und schauten fern.
„Ist es in Ordnung für dich, dass wir in die Schweiz ziehen?“
Mia schaute rüber und seufzte.
„Es ist eure Entscheidung. Ich mein, ich mag Frankfurt, aber wenn ihr in die Schweiz ziehen wollt ist das euer Ding – ihr habt mich ja auch nicht aufgehalten als ich nach Korea bin.“
„Ach Schatzi, wenn ich vor einem Jahr gewusst hätte wie sich die Sachen entwickeln, dann hätte ich dir den Korea-Urlaub verboten, dann könntest du mit uns kommen und an einer Uni in Zürich studieren, was auch immer du studieren möchtest.“
„Mom, ich bin eigentlich glücklich mit dem was ich tue, mach dir um mich keine Sorgen.“
„Aber es ist schon sehr einsam ohne dich … und dann noch das mit Max …“
„Ich vermisse euch auch.“
Da drückte Mia ihre Mom mal.
„Du weißt was es bedeutet, wenn wir in die Schweiz ziehen?“
„Das die Geschäfte gut laufen?“
Ihre Mom nickte.
„Das bedeutet dass ich auch mehr Zeit habe und ich verspreche dir, dass ich dich so bald es geht besuchen komme.“
„Mach ruhig, ich hab heraus gefunden, dass meine Wohnung ein Gästezimmer hat.“
Ihre Mom schaute skeptisch.
„Hey, ich wusste das halt vorher nicht!“, verteidigte sie sich und beide lachten.
Mia schlief diese Nacht schlecht und war um kurz vor 8 Uhr schon wieder wach. Sie machte sich daran die restlichen Sachen zu packen. Ihr kleiner Bruder arbeitete in einer Spedition und hatte für heute Nachmittag einen Sprinter besorgt, mit dem sie die Sachen an den Flughafen fahren konnten. Gegen 10 Uhr klingelte es an der Tür und die Welpen kamen um Mia in ihrem Zimmer zu finden. Es war ziemlich alles eingepackt und sie saß auf ihrem Schrank und starrte vor sich hin.
„Alles okay?“, Leeteuk setzte sich neben sie.
„Ich bekomme nur etwas Panik“, sagte sie so dahin, zu ruhig für ihre Verhältnisse.
Die drei Männer tauschten einen Blick untereinander aus.
„Panik? Wieso? Ist etwas passiert?“, fragte sie Donghae.
„It’s just … all these things happens and there is nothing I can do about it, no time to rethink or anything …“
„Aber du willst in Korea bleiben?“
„Ja schon, es ist nur … alles etwas viel.“
Da kam sie für eine Woche nach Hause und alles ändert sich. Alles.
Sie hatte immer gewusst, dass wenn in Seoul etwas schief geht, wenn etwas nicht so läuft wie sie sich das vorgestellt hatte, dann konnte sie nach Hause. Nicht das sie jetzt kein Zuhause in Europa mehr hatte, sie kannte es nur noch nicht.
Leeteuk beschloss das Ablenkung das beste Mittel war und so frühstückten sie mit Mias Eltern, bevor die zum ‚Scheckpoint‘. Es war ein riesiger Edeka – riesig für Deutsche Verhältnisse. Mia wollte noch ein paar Sachen einkaufen, angefangen von Konfitüre – Himbeer-Physalis, ihre Lieblingskonfitüre – bis zu Eszet-Schnitten, Kakaopulver, alles was Mia in Korea ab und zu mal vermisste und schlecht bekam. Gerne hätte sie etwas Leerdammer mit geschmuggelt, aber sie bezweifelte dass der Käse den Flug überstehen würde. Dafür holte sie Suppen, Deutsche Suppen, Brokkolicremesuppe, Spargelcremesuppe, Spätzle, Fertigsaucen, all solche Sachen. Es war albern, die meisten Sachen bekam sie auch in Korea und wenn sie etwas brauchte, könnte ihr das jemand schicken. Es war als versuchte sie ein Stück Deutschland mitzunehmen.
In dem Buch das sie gelesen hatte, über die Deutsche die ein Jahr in Korea bleiben wollte und dann doch irgendwie länger geblieben ist, hatte die Autorin geschrieben, dass das Heimweh irgendwann kommt. Bei manchen früher, bei manchen später, bei Mia wohl jetzt. Es war ja gar nicht so, dass sie hier bleiben wollte, sie drehte eigentlich schon wieder total durch, weil sie ihre Bambis ewig nicht gesehen hatte, weil sie nicht wusste was ihre Cheerleader so trieben, weil sie Myongdong vermisste, ihr Zimmer, das alberne Mobilee. Sie war nur leicht situationsüberfordert und versuchte es in den Griff zu bekommen.
Auf dem Weg nach Hause hielten sie noch beim Roberto. Er hatte eine Eisdiele auf der oberen Bergerstraße – laut Mia machte er das beste Eis der ganze Stadt und so setzten sie sich hin und bestellten etwas.
Für die drei Kerle war es schwer sich zu entscheiden. Eis wie hier gab es in Korea nicht. Dort beschränkte man sich auf Softeis. Leeteuk und Donghae hatten letztes Jahr in Italien Bekanntschaft mit italienischem Eis gemacht und liebten es.
„Also, ich denke ich fange damit an und dann … das da … und Teukie, teilen wir uns dann den Becher?“
Hae studierte gerade die Karte und bekam Mias auf den Kopf geknallt.
„Hey!“, protestierte er.
„Ein Becher, du machst dir nur schlecht“, ermahnte sie ihn, womit sie vollkommen Recht hatte. Er konnte nicht so viel Eis essen wie er wollte und sie würde es nicht ertragen, wenn er seinen Mageninhalt im Flugzeug neben ihr in einer Papiertüte sammeln würde.
Sie einigten sich darauf, dass jeder einen anderen Eisbecher bestellt, damit sie untereinander tauschen konnten.
Ihr Flieger würde um 19 Uhr gehen, da sie so viel an den Flughafen schleppen mussten, würden sie sich um kurz vor 16 Uhr auf den Weg machen und Mias Mom wollte das sie vorher noch etwas Gescheites zu essen bekamen. Ihre Brüder kamen kurz nach ihnen nach Hause und schnüffelten schon.
„Sag mir nicht …“, begann ihr kleiner Bruder und lachte schon.
„Ja, sie hat Lasagne gemacht.“
Die Lasagne ihrer Mutter war weltklasse, das Rezept stammt eigentlich schon ihrer Nachbarin aus Bruchköbel, die es ihrer Mutter vermacht hatte. Normalerweise machte sie eine Auflaufform, in Anbetracht der Tatsache dass jetzt sechs hungrige Kerle hier rum saßen, hatte sie sich dazu entschlossen zwei zu machen. Weise Entscheidung, am Ende war kaum noch etwas übrig.
„Mia, du musst dir dieses Rezept geben lassen! Das war wirklich lecker“, sagte Leeteuk begeistert und sammelte mit einem Stück Weißbrot den letzten Rest auf seinem Teller auf.
„Es schmeckt ihnen“, übersetzte Mia sinngerecht ihrer Mutter.
„Na, da bin ich beruhigt. So habt ihr wenigstens noch etwas gegessen.“
Mit Ausruhen nach dem Essen sah es schlecht aus. Die Sachen mussten in den Sprinter verladen werden, die Koffer packten sie gleich mit dazu und dann ging es mit noch zwei Autos an den Flughafen.
Am Check-In schaute man nicht schlecht als die Umzugskolonne dort ankam, doch es war ja alles angemeldet und bald war alles eingecheckt.
Mia drückte ihre Eltern und Bruder feste an sich.
„Wir lassen dich wissen wenn wir umziehen, die neue Adresse schicke ich dir per Email.“
„Alles klar.“
Wieder einmal standen ihrer Mutter Tränen in den Augen.
„Fang jetzt bloß nicht an!“, schimpfte Mia die kurz davor stand mit zu heulen und wenn sie heulte, dann würde Hae auch anfangen.
„Und das nächste Mal kommst du mich besuchen.“
„Ja mein Schatz, versprochen.“
Noch ein letztes Mal drückte sie ihre Mom und dann verabschiedeten sie sich voneinander.
„Alles klar, Schmuck, Metallsachen und Sonstiges zu mir.“
Mia hatte den drei Welpen den Zugang zur Personenkontrolle verwehrt.
„Du bist nicht im Dienst!“, sagte Hae, deutlich genervt davon selbst in Deutschland bemuttert zu werden.
„Still, I don’t wanna spend an hour hearing you peeping like whatever.“
Widerspenstig zogen sie alles aus, was auch nur so aussah, als könnte es piepen und tatsächlich, sie kamen ohne Probleme durch die Kontrollen.
„Geht es dir gut?“
Sie waren durch den Duty-Free geschlendert, da sie noch etwas Zeit hatten und Mia war gedankenversunken durch die Reihen gewandert, bis Donghae zu ihr kam und nach ihrer Hand griff.
„Ja klar“, war ihre Standardantwort, die ihr keiner mehr abnahm. Doch was blieb ihm schon anderes übrig?
Im Flugzeug saß Donghae neben ihr, Leeteuk und Siwon eine Reihe hinter ihnen. Morgen würde sie wieder in Korea sein, in ihrer Wirklichkeit. Donghae klappte die Zwischenlehne nach oben und legte den Arm um Mia.
„Also, welchen Film wollen wir gucken?“, fragte er sie ein paar Minuten später, nachdem das Flugzeug in der Luft war, doch da schlief Mia schon tief und fest.
„Immer das Gleich“, sagte er und grinste.