Gegen 1 Uhr waren sie Zuhause und heute schliefen Skye und Taehyung tatsächlich mal getrennt. Skye wollte mal in Ruhe duschen und schlafen, ohne ständig der Versuchung ausgesetzt zu sein und Taehyung musste früh raus, viel früher als Skye, deren erster Termin tatsächlich erst um 11 Uhr war. Yay.
Sie kamen vor ihrer Tür zum Stehen.
„Gute Nacht Klopfer.“ Er streifte ihr durch die Haare und ihr Körper wollte ihn nur zu sich ziehen.
„Gute Nacht Bambi“, erwiderte sie und legte ihre Hand auf sein Herz.
Als die Tür hinter ihr zuging, seufzte sie. Sie verbrachte gerne Zeit mit ihm, egal ob es Training war oder gemeinsam Essen. Er war ein Sonnenschein.
Skye räumte noch etwas in der Küche auf, als es an der Tür klopfte. Sie fing an zu grinsen und rechnete damit, dass Taehyung noch einmal zurückgekommen war, doch als sie die Tür aufschob, fand sie Seunghyun davor.
„Oppa!“ Sie sprang ihm in die Arme und er drückte sie fest an sich.
„Ich habe gehört du hast dich zurück nach Korea geschlichen…“
„Entschuldige bitte, dass ich noch nicht bei dir war“, sagte sie, als sie sich aus der Umarmung lösten. Seit sie zurück war, hatte sie praktisch für nichts Zeit gehabt. So viel war passiert.
„Ich habe gehört du bist jetzt ein Idol.“ Er grinste so frech, dass sie ihn leicht boxen musste.
„Ich glaube ich brauche einen Drink…“
Und so öffneten sie eine Flasche Wein. Seunghyun wollte alles wissen und Skye hatte vor ihm keine Geheimnisse. Angefangen von der Zeit nach Korea bis zu Paris, nach New York und die ereignisreiche letzte Woche.
„Aber jetzt kein Wort mehr von mir – was ist bei dir passiert? Ihr habt euer Album veröffentlich – herzlichen Glückwunsch!“
„Danke – hast du es bestellt?“, wollte er wissen und grinste neckisch.
„Aber natürlich!“
„Welche Edition? Jiyong oder mich?“
„Ich habe 300 mal Youngbaes Edition bestellt und habe sie als Tontaube benutzt. Meine Zielsicherheit hat sich bedeutend verbessert.“
Sie sagte das ganz trocken und Seunghyun fing herzlich an zu lachen. Oh, der hatte sie vermisst!
Sie redeten und redeten und redeten. Über die neue Tour, den Druck und die Erwartungen und irgendwann war es dann doch 4 Uhr morgens, bis Seunghyun sich verabschiedete. Skye versprach ihm, dass sie die Tage etwas essen gehen würden. Sie hatte ihn vermisst. Nicht nur ihn. Sie hatte BTS vermisst und Red Velvet, Super Junior und auch EXO. Das Problem war nur, dass es viel zu viele Leute waren, als das Skye sich um alle gleichzeitig kümmern konnte.
Kaum kam sie aus der Dusche, da klopfte es wieder. Argwöhnisch schaute sie auf die Uhr. Welcher normale Mensch kam um diese Uhrzeit? Doch dann stellte sie fest, dass sie keine normalen Menschen kannte. Sie rechnete schon mit Noah oder Fynn, doch nun fand sie Taehyung vor der Tür.
„Bambi? Hast du mal auf die Uhr geschaut?“
„Hast du mal auf die Uhr geschaut?! Du stehst bei Line als online und ich frage mich, wie das sein kann“, entgegnete er. Er versuchte ernst zu wirken, was potentiell schwierig war, da er einen Pyjama anhatte.
„Seunghyun kam vorbei und wir haben uns verquatscht“, gab sie zu. „Was machst du noch wach?“
„Ich habe gearbeitet, natürlich.“ Das war gelogen, er hat Videospiele gespielt, aber das tat ja nichts zur Sache.
„Und jetzt gehen wir schlafen.“ Er nahm Skye bei der Hand und schloss die Tür, ging hoch ins Schlafzimmer und machte das Licht aus. Kaum lag sie in seinen Armen, schlief sie ein.
Als Skyes Wecker klingelte, war Tae schon weg. Sie hatte nicht mitbekommen wir er aufgestanden war, doch sie bekam genau mit, wie sie versuchte aufzustehen und kläglich scheiterte. Ihr ganzer Körper tat ihr weh! Oft kam Muskelkater erst am zweiten Tag und dann hatte sie gestern wieder trainiert. Sie turnte, machte Saltos und Back Tucks, Handsprings und Aerials aber anscheinend benutzte man beim Tanzen ganz andere Muskeln als beim Turnen. Die sagten gerade ‚Hallo‘. Skye rollte sich wieder auf den Rücken und verzog das Gesicht. Wieso musste sie auch ein ebenerdiges Bett haben?! Wie sollte sie hier jemals wieder hochkommen? Und ihr Handy lag unten in der Aufladestation. Sie würde verhungern. Sie würde sterben.
20 Minuten später.
Skye war froh das sie nicht Teil irgendeines V Live Chanels waren, auf dem die Leute sie beobachten konnten. Sie hätten viel zu lachen gehabt. Nachdem sie das Aufstehen bewältigt hatte, kamen als nächstes die Stufen. Sie hatte sich ihre Klamotten mit runtergenommen. Auf gar keinen Fall würde sie da jemals wieder hochgehen. Tatsächlich stand heute kein Tanztraining auf dem Plan und Skye vermutete, dass Mia da ihre Finger im Spiel hatte.
Die Amerikanerin zog sich eine blaugemusterte Plumphose an, ein bauchfreies, enges, weißes Top und schlüpfte in Sandalen.
An diesem Morgen war ein Marketingmeeting bei SM angesetzt und zu Skyes Überraschung waren Yoona, Yeri, Sunny, Amber und Luna auch da. Amber grinste schon, als sie Skye in den Raum kommen sah. So ganz hatte sie ihren Groove noch nicht wieder und sie lief viel steifer, als man das von ihr gewohnt war.
Sie lernten ihren Manager kennen, Park Yongmin. Skye überlegte ihn zu fragen, ob sie ihn ‚Minnie‘ nennen dürfte, entschied sich jedoch dagegen.
„Also Skye“, begann die Frau von der PR und schon jetzt hatte sie das Gefühl in Schwierigkeiten zu stecken.
„Damit wir in Zukunft auf alle Eventualitäten vorbereitet sind, müssen wir wissen welche Skandale eventuell entstehen können. Bitte erzähle uns, was eventuell an die Öffentlichkeit kommen könnte.“
Oh Shit. Wieder wollte sie fragen, ob sie es alphabetisch oder nach Schweregrad ordnen sollte, entschied sich aber auch hier dagegen. Sie war so gut als Idol.
„Uhm … das ist etwas … privat, oder?“
„Liebes, das Wort ‚privat‘ kannst du direkt streichen“, kam es wieder von der Frau. Skye wartete, dass sie anfing zu lachen … und wartete und wartete. Ok, war kein Witz gewesen um das Eis zu brechen.
„Ah … pfff … wo fange ich an? Also eigentlich heiße ich Laila Skye Jones, ich gehöre zu den reichsten Menschen dieser Welt. Mir gehört eine Insel und gut 20 Firmen weltweit. Ich habe gerne Sex und wenn ich jetzt hier meine Sexpartner aufzählen soll, dann lasst uns gleich Essen bestellen, denn das wird etwas dauern. Meine Familie ist tot, bis auf eine Cousine die ich nicht leiden kann, aber die ist alt und weiß nicht was das Internet ist. Ich ehm … war drei Monate mit G-Dragon verheiratet, was sicherlich schon bekannt sein sollte und … Kai und ich sind nicht mehr zusammen, aber es besteht eine gute Chance, dass ich mit BTS Taehyung zusammen kommen … er plant schon Geschichten für unsere Enkel. Man hat versucht mich umzubringen, ich habe mal in einem Stripclub gesungen – tatsächlich nur gesungen und halbwegs … verschlossen gekleidet. Und wenn jemand behauptet das ich eine ‚evil bitch’ bin, dann stimmt das meistens. Oh und Siwon und ich habe .. paarmal geknutscht, aber es war nichts Ernstes. Und ich habe mal Taeyong geküsst, aber das war nur ein Mittel zum Zwecke. Aber meine gute Seite ist echt gut! Vorbildliche Schülerin und Studentin, ich habe geturnt, war Cheerleader, habe als Rettungsassistentin gearbeitet, habe einen Kumpel mit einer Boing 747 und bin unglaublich witzig.“
Damit beendete sie ihren Vortrag und lustigerweise schaute sie gerade jeder so an, wie sie eben geschaut hatte, als sie darauf gewartet hatte, dass die Frau anfing zu lachen. Amber lachte tatsächlich, aber auch nur, weil sie wusste das es alles wahr war.
„Okay … das nennt man wohl einen PR Overkill“, kam es von der Frau deren Namen Skye nicht mitbekommen hatte.
„Ich wünschte sie könnte kein Koreanisch“, kam es von einem anderen.
Während das PR und Marketing Team einen Nervenzusammenbruch erlitt, ging die Band auf’s Dach.
„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken du versuchst aus der Sache rauszukommen“, meinte Yeri, zwinkerte Skye aber zu.
„Die haben gesagt ich soll ehrlich sein!“
„Ja, koreanisch ehrlich, nicht amerikanisch ehrlich“, erklärte Yoona. Oh. Das hätte man Skye vorher sagen sollen.
„Was ist heute eigentlich mit dir los? Einer deiner sexuellen Partner oder macht dir tatsächlich Mias Training zu schaffen?“, erkundigte sich Amber und zog dabei eine Augenbraue hoch.
„Tatsächlich habe ich seit drei Monaten kein Sex mehr gehabt“, sagte sie stolz und ignorierte diesen Ausrutscher mit Jongin in New York gekonnt. Einmal war keinmal, oder?
„Oh wow, das mit dir und Tae ist wirklich ernst!“, stellte nun Amber fest und wirkte überrascht.
Zurück im Meeting hatte das PR Team wohl beschlossen, dass sie mit diesen Dingen wohl irgendwie umgehen konnten. Schließlich war Skye mit Sicherheit nicht die einzige, die mal besoffen in Las Vegas geheiratet hatte, oder?
„Nun, Skye“, begann Yongmin und wieder hatte sie das Gefühl in der Klemme zu stecken.
„Du bist die einzige neue Sängerin im Team, ergo brauchst du noch einen Stagenamen.“
Wieder wartete sie. Wahrscheinlich hatte sich SM irgendeinen Künstlernamen ausgedacht, den sie ganz schrecklich finden würde. So etwas wie ‚Blue‘ weil der ‚Sky‘ blue war oder so etwas.
„Vorschläge?“, kam es stattdessen von Yongmin.
„Ich wäre für Arielle“, schlug Amber vor. Skye tritt sie unter dem Tisch.
„Ich bin für Genie“, kam es von Sunny grinsend. Vielleicht hatte sie für heute das falsche Outfit gewählt. Dann fing das Marketingteam an und es kam natürlich Blue, aber auch Lani, was hawaiianisch war und Himmel – Sky – bedeutete. Aber sie hatten eine Luna und dann auch noch eine Lani waren irgendwie zu viele Ls. Sie selbst hatte sich darüber bisher keine Gedanken gemacht. Sie war davon ausgegangen, dass Skye tatsächlich als Name reichen würde. Es wurden auch viele Englische Namen vorgeschlagen, die sie wohl als elegant empfanden, wie Charlotte oder Vanessa. Skye hatte Kopfschmerzen. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen.
Dann öffnete sich die Tür und Taehyung streckte den Kopf hindurch.
„Oh, Entschuldigung, ich wusste nicht, dass ihr noch im Meeting seid.“
Er wollte schon wieder rausgehen, doch Amber und Skye winkten ihn hinein.
„Wir suchen noch einen Künstlernamen für Skye“, erklärte Yongmin. „Das du eine Idee?“
Eigentlich war es mehr pure Verzweiflung von dem Manager. Was hatte Taehyung bei SM Entertainment schon zu sagen? Doch die Sänger ließ sich nicht beirren und fing an zu grinsen.
„Was bekomme ich, wenn ich ihr einen Künstlernamen gebe und er allen gefällt?“
Oh oh, zuvor war Skye genervt gewesen, aber jetzt hatte sie Angst, wirkliche Angst. Da würde bestimmt Klopfer bei rauskommen. Yongmin stützte seinen Kopf schon auf seinen Händen ab.
„Was möchtest du denn? Falls wir alle den Namen gut finden…“
„Skye für den Rest des Tages!“
Der Manager seufzte.
„Meinetwegen.“
Wohlgemerkt war es schon 15 Uhr. Seit 4 Stunden saßen sie hier nun schon. Taehyung stellte sich gerade hin und öffnete die Arme, als wäre er ein Prophet. Er atmete tief ein, ließ sich etwas feiern.
„Fiji“, sagte er triumphierend.
„Fiji?!“, fragte die Gruppe zurück, noch irritiert, doch dann ließen sie es sacken.
„Hm … Fiji … klingt gar nicht schlecht.“
„Kurz und knackig.“
„Kann man sogar in Hangul schreiben.“
„Und ihr gehört eine FijI Insel … es wäre auch passend.“
„Sie ist auch dieses typische Surfergirl, blond, gebräunt, fröhliche Ausstrahlung – Skye, kannst du surfen?“
„Ja, ich kann auch surfen.“
„Fiji … doch … geht gut über die Zunge.“
„Wieso sind wir da nicht draufgekommen?“
„Skye?“, war Yongmin, der die anderen übertönte. „Wie findest du den Namen?“
Hey! Da fragte sie jemand nach ihrer Meinung! Sie dachte darüber nach und schaute dann in die Runde.
„Ja … ich mag es“, gab sie zu und Taehyung fing an zu jubeln, nahm ihr Gesicht in seine Hände und hätte sie fast vor Übermut geküsst.
Auf dem Weg nach Hause schaute Skye immer wieder zu Taehyung.
„Wieso schaust du so?“, fragte er grinsend.
„Ich überlege.“
„Was überlegst du?“
„Ob du mein Retter oder mein Entführer bist“, erwiderte sie und gestand sich ein, dass sie mit beidem gut leben konnte.
„Vielleicht solltest du das am Ende des Wochenendes beantworten.“
Nun zog sie die Augenbrauen zusammen.
„Du entführst mich das ganze Wochenende? Aber ich habe Mia versprochen … nein, das stimmt nicht … sie hat mich dazu gezwungen ihr mit den Ehrlich Brothers zu helfen.“
Und um ehrlich zu sein wollte sie schlafen. Auf der Couch. Keine Chance, dass sie die nächsten Tage diese Treppe hochging.
„Du kannst nicht helfen, wenn du gar nicht in Seoul bist. Mal abgesehen davon, lasse ich dich nicht in die Nähe dieser Magier.“
Immer wenn er etwas sagte, kamen immer mehr Fragen auf. Sonst war das ein Talent von Frauen, wie schaffte er das?
„Ach, jetzt bin ich noch nicht mal mehr in Seoul? Und wieso lässt du mich nicht in die Nähe der Zauberer?“
Er rollte gespielt mit den Augen.
„Hallo? Alle Frauen stehen auf Zauberer! Und der eine ist Single. Er zaubert dein Herz in einen Hut, wo es … von einem Kaninchen gefressen wird.“
Die Amerikanerin fing an zu lachen und zwickte ihm dann in die Wange.
„Du bist süß, wenn du eifersüchtig bist.“
„Ich bin nicht … ich bin nicht eifersüchtig“, verteidigte er sich.
„Mhm, ist klar. Also, wo sind wir das Wochenende?“ Sie bog gerade in die Tiefgarage ein.
„Bei meiner Familie in Daegu.“
„Was? Aber …“ Aber was? Sie kannte seine Familie schon, sie konnte also schlecht die Ausrede nutzen, dass es noch zu früh war seine Familie kennenzulernen. Und wahrscheinlich würde es ihr gut tun mal ein paar Tage rauszukommen. Seit sie nach Korea zurückgekehrt war, war einfach zu viel passiert. Ihm würde es auch guttun. Bald würde der Stress anfangen. Taehyungs Promotion und die Vorbereitung auf die nächste Tour. Und Skyes Idoltraining bis hin zum Debüt.
„Nichts ‚aber‘, meine Eltern sind dir sehr dankbar, dass du meine Tante gerettet hast und sie wissen das wir … potentiell ‚mehr‘ sind. Und meine Großmutter will dich kennenlernen. Da wo wir wohnen kommen nicht viele Ausländer hin.“
„Manchmal habe ich das Gefühl, dass du mich gar nicht als Person magst“, bemerkte sie und parkte den Wagen ein. „Du benutzt mich nur als shock value.“
Nun fing er herzlich zu lachen. Skye hatte bisher einige Mitglieder seiner Familie kennengelernt, doch seine Großmutter kannte sie noch nicht. Sie wusste das eine Großmutter gestorben war und er zu ihr ein sehr enges Verhältnis hatte, aber von der anderen wusste sie bisher nicht viel und so begann er ein wenig zu erzählen.
„Deine Großmutter war Kartenlegerin? War das nicht gruselig? Hat sie dir als Kind gedroht dich zu verfluchen?“
Noch heute gab es viele Kartenleger in Korea und viele Leute gingen dort hin, um sich ihre Zukunft vorher sagen zu lassen. Es gab ganze Straßenabschnitte in Seoul, auf denen kleine Zettete sich eng aneinanderreihten.
„Nein, sie hat mir immer nur gedroht mich auf mein Zimmer zu schicken.“
„Das hört sich nicht sehr gruselig an“, stellte Skye, fast enttäuscht, fest.
„Das sagst du nur, weil du sie noch nicht kennst.“
Das war der Moment, in dem sie sich fragte, wen Tae als Shock Value benutzte, Skye oder seine Großmutter?
Unverhofft fand sie sich früher an den Treppen wieder. Sie musste einen Koffer packen. Sie fuhr auf’s Land. Es war heiß und schwül. Und sie wollte helfen. Skye war niemand der anderen dabei zusehen konnte, wie sie schufteten. Also packte sie praktische Klamotten ein. Einen langen und einen kurzen Jumpsuite, eine Shorts, drei Shirts und ein dünnes Jäckchen, falls es anfing zu regnen und ihren Jeanscardigan. Sie liebte dieses Teil, er hatte eine Kapuze und war lang geschnitten, schief. Sehr stylisch und modern. Skye nahm auch ein paar Turnschuhe mit, Sandalen zog sie an und sie hatte noch ein Paar im Koffer. Eigentlich war sie gut im Packen, doch heute wusste sie nicht so genau, was sie erwarten würde und sie bezweifelte, dass Daegu großartig Shoppingmöglichkeiten hatte. Wenn sie in London war oder New York oder Paris oder Rom und ihr war kalt, dann kaufte sie sich einfach einen Pulli oder ein paar Schuhe. Aber Daegu? Daegu war winzig. Relativ. Gut, es hatte 2,5 Millionen Einwohner, aber im Gegensatz zu Seoul oder Busan war es winzig und seine Eltern hatten eine Farm und würden nicht mitten in der Stadt wohnen. Und es war nicht so, als könnten sie wirklich gemeinsam in die Stadt. Jeder kannte Taehyung, entweder weil er dort aufgewachsen war oder aus dem Fernsehen.
Letzten Endes passte alles doch irgendwie in ihre Victoria’s Secret Weekender Tasche. In ihrem Optimismus hatte sie sogar einen Badeanzug eingepackt. Nach einer halben Stunde holte Taehyung sie ab, doch Skye bestand noch darauf im Common Ground zu der einen Bäckerei zu gehen.
„Du weißt, dass meine Mama so viel Essen haben wird, dass wir uns kugeln werden?“, meinte er als sie in den Wagen stiegen.
„Ist doch egal, als Gast bringt man eine Kleinigkeit mit und ich hatte keine Zeit einen Kuchen zu backen.“
Also würde sie eine Regenbogentorte kaufen. Wer mochte keine Regenbogentorte? Also wirklich …
Sie hatten Seoul noch keine 30 Minuten hinter sich gelassen, da hatte Skye sich schon auf dem Beifahrersitz zusammen gekugelt und schlief. Taehyung konnte schwer die Augen von ihr lassen, selbst im Schlaf wirkte sie perfekt. Normale Leute hatten den Mund auf beim Schlafen, sabberten oder schnarchten, aber Skye schlief immer wie ein Model für eine Matratzen-Werbung. Anfangs hatte er oft geglaubt, dass sie sich nur schlafen stellte, weil sie so perfekt wirkte. Mit beiden Händen unter dem Gesicht und den Lippen leicht offen, als würde sie darauf warten, dass jemand sie wachküsste. Manchmal machte sie Geräusche, aber dann war es eher ein Seufzen.
„Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte Skye müde und streckte sich.
„Wir sind bald da.“
Mit der Aussage konnte Skye erst einmal nichts anfangen und schaute auf die Uhr. Es war nach 19 Uhr.
„Was? Ich habe so lange geschlafen?! Wieso hast du mich nicht geweckt?“
„Du bist süß, wenn du schläfst“, meinte er und tat es mit einem Schulterzucken ab, sah dann aber ihren Blick.
„Du bist auch süß, wenn du wach bist“, fügte er eilig hinzu.
Die Kims begrüßten Skye herzlich. Mama Kim nahm sie sogar in den Arm. Taehyungs Geschwister Jeonggyu und Eonjin waren sehr viel älter, als das Internet glaubte. Als Skye auf dem Geburtstag seiner Tante eingeladen war, hatte sie vorher mal im Internet geschaut, doch da kursierten nur Bilder von kleinen Kindern mit Taehyung, vielleicht 6, 7, 8 Jahre alt. Dann gab es eine Cousine, die man mal als seine Schwester betitelt hatte, was sich dann als falsch herausstellte. Umso überraschter war sie, als sie auf der Geburtstagsfeier zwei erwachsene Geschwister antraf. Eonjin studierte in Deagu und lebte noch Zuhause, obwohl sie wohl unter der Woche in einem Goshi wohnte. Jeonggyu studierte in Busan. Taehyung hatte es geschafft seine Geschwister aus den Medien herauszuhalten. Die Kinder auf den Bildern waren bestimmt irgendwelche Cousinen oder Cousins.
Eonjin kam aus dem Haus gestürmt und fiel ihrem Bruder um den Hals. Sie war hübsch, mit einer natürlichen Ausstrahlung, ganz wie der große Bruder.
„Hallo Skye!“ Die Jüngere verbeugte sich kurz. „Seid ihr jetzt ein Paar?“
„Eonjin!“, schimpfte Mama Kim.
„Was denn? Schon damals auf Tantchens Geburtstag war es nur ‚Skye dies‘, ‚Skye das‘, ich will nur wissen, ob er es endlich geschafft hat.“
Skye schaute grinsend zu Tae, dessen Gesicht etwas röter geworden war.
„Aha“, sagte sie nur und hob eine Augenbraue, während sie ihn noch immer anschaute.
„Nein, wir sind ‚noch‘ nicht zusammen“, sagte er nur knapp, da er sich deutlich unwohl bei dem Thema fühlte und führte Skye stattdessen in das Haus.
Die Kims wohnten etwas außerhalb und ihr Haus stand in Mitten von Wiesen und Feldern. Die Kims hatten Milchkühe und Hühner und dazu wohl noch einen Garten für den Eigenbedarf. Ein kleines, flauschiges Hündchen sprang kläffend auf Tae zu und der Mann nahm ihn in den Arm. Und da entdeckte Skye die Großmutter. Sie saß an einem Runden Tisch und stickte.
„Oma!“
Taehyung umarmte sie, während sie sitzen blieb.
„Mein Junge… endlich bist du mal wieder Zuhause!“ Erst nett und dann patz, volle Breitseite.
„Oma, du weißt doch, dass ich viel zu tun habe.“
„Ja, das ganze Haarfärbemittel steigt dir wohl zu Kopf.“
Unwissend, was er erwidernd sollte fuhr er sich durch die Haare.
„Oma, darf ich dir Skye vorstellen?“
Er lächelte Skye aufmunternd zu und sie verbeugte sich.
„Es freut mich sehr Sie kennenzulernen. Taehyung erzählt sehr oft von ihnen.“
Die besten Beziehungen beruhten auf einer Lüge. Die Oma schaute hoch.
„Erst rosa Haare und jetzt eine als Koreanerin getarnte Amerikanerin? Kann sie überhaupt kochen?“
„Oma …“
„Und was arbeitet sie?“
Skye stand immer noch direkt neben Taehyung. Sie hasste es, wenn man über sie sprach, als wäre sie nicht da.
„Ich bin super reich“, erwiderte sie. Das brachte Oma wenigstens dazu ruhig zu sein. Für den Moment.
Wie zu erwarten war, hatte Mama Kim sich selbst übertroffen und das komplette koreanische Kochbuch auf den Tisch gezaubert. Skye konnte gar nicht so viel essen, weil sie die letzten Tage kaum gegessen hatte.
Auch wenn Mama Kim sich wehrte, so half Skye beim Abräumen und beim Abwasch. Mama Kim, Eonjin und Skye standen in der Küche und plauderten.
„Tae hat gesagt du wirst jetzt auch Idol.“ Eonjin war gut informiert.
„Ja, wahrscheinlich.“ Training hin oder her, Skye würde Yongmin 1000 Gründe geben sie rauszuwerfen und sie glaubte erst daran, dass sie das durchziehen würde, wenn sie auf einer Bühne stand.
„Kannst du etwas für uns singen?“
„Eonjin!“ Frau Kim stieß heute nervlich wohl an ihre Grenzen. Skye grinste.
„Kein Problem – magst du Ailee?“ Eonjin nickte und Skye suchte das Instrumental zu ‚Insane‘ aus ihrer Datenbank heraus.
Skye sang nicht nur, nein, sie machte die Küche zu ihrer Bühne und baute die Stühle und Teller und Lappen mit in ihre Choreo ein. Natürlich bekamen Taehyung und sein Vater mit, dass da in der Küche etwas los war und schlichen sich zur Tür. Stolz schaute Taehyung ihr zu.
„Nicht schlecht“, sagte sein Vater und seine Mutter und seine Schwester fingen begeistert an zu klatschen.
Nachdem die Küche wieder in Ordnung war, setzte Skye sich raus in den Garten und atmete tief durch. Sie mochte Landluft, so frisch und rein. Man konnte Blumen riechen, Gräser und Bäume.
Nach ein paar Minuten hörte sie Schritte und drehte sich um. Taehyung lächelte.
„Ich beneide dich.“
„Mich? Weil ich so einen süßen Fast-Freund habe?“, fragte sie neckisch. Taehyung dachte gespielt darüber nach.
„Ja … auch deswegen. Ich beneide es, dass du einfach singen kannst. Egal wo, egal wann.“
„Ihr braucht mehr Selbstbewusstsein“, stellte sie fest.
„Was? Wir?“
„Ja, du, Jungkook und vor allem Jimin.“
Taehyung wusste nicht ob es Spaß oder ernst war.
„Wie kommst du da drauf?“
„Weil ich beobachte. Ihr seid sicher bei euren eigenen Songs, aber ihr habt zu oft kein Vertrauen in eure Stimmen, ihr traut euch nicht. Ihr habt so viel Potential. Ihr seid unsicher, wenn ihr live singt und noch unsicherer, wenn ihr nicht eure eigenen Songs sing. Auf Malta habt ihr verkackt. Alle.“
Taehyung stand der Mund offen. Normalerweise sagten die Leute immer nur, dass sie es nicht verkackt hatten und dass alles gut war und sie sich keine Gedanken machen sollte. Das mal so ins Gesicht gesagt zu bekommen war … erfrischend.
„Hey, das waren mildernde Umstände, Alkohol, Nervosität.“
„Bullshit, alles Ausreden. Ich behaupte ich singe nach dem zweiten Glas Wein am besten. Ihr braucht mehr Vertrauen in euer Können. Du weißt ich liebe deine Stimme, ich liebe BTS, euren Flow und keiner erwartet von euch, dass ihr die besten Sänger der Welt seid, aber es tut mir weh, wenn ich sehe, wie ihr mit euren Stimmen kämpft, wie ihr unzufrieden seid und wisst nicht, was ihr ändern könnt, dabei könnte es so einfach sein.“
Man durfte nicht vergessen, dass wenn die meisten Idols gecastet wurden, sie nicht mehr waren als Kinder. Kinder mit einem Traum. Die meisten können nicht singen. Scheiße, viele können immer noch nicht singen, wenn sie debütierten. Wenn man sich Super Juniors alte Aufnahmen ohne Playback anhört, grenzte das an Körperverletzung. Sie wurden Jahre lang gedrillt, bis sie eine Range hatte, in der sie sich halbwegs wohlfühlten, die aber wohl mehr oder weniger jeder hinbekommen könnte. Es gab wenig reine Naturtalente. Die meisten Teens wurden wegen ihrem Aussehen angesprochen oder wegen ihrem Selbstbewusstsein.
Keiner wurde gerne mit seinen Schwächen konfrontiert, auch nicht Taehyung, auch wenn er wusste, dass sie nicht versuchte gemein zu sein, sie war nur ehrlich. Seufzend setzte er sich hin und Skye ging vor ihm in die Hocke, nahm seine Hände.
„Deine Stimme ist wie ein Schwert. Wenn ein Schwertkämpfer kein Vertrauen in sein Schwert hat, wenn er es als Fremdkörper sieht, dann kann er nicht gewinnen. Er muss eins werden mit seinem Schwert, so wie du eins werden musst mit deiner Stimme. Trainiere sie, habe keine Angst davor etwas falsch zu machen, sondern lerne, wie du es richtig machst.“
Er schaute sie lange an.
„Okay, ich mache dir nie wieder ein Kompliment“, beschloss er und Skye fing an zu lachen.
„Nein, ernsthaft, ich mache dir ein Kompliment und du machst mich total fertig.“
„Buhu – du weißt, dass das nicht wahr ist oder ist irgendetwas, von dem was ich gesagt habe, nicht wahr?“
Der Sänger zögerte.
„Leider nein. Ich würde gerne so viel mehr sein.“
Doch wann blieb schon Zeit? Man erwartete jetzt von ihnen, dass sie ihre eigenen Songs schrieben, produzierten, sie trainierten und tanzten und oft wollte er einfach nur schlafen. Doch dafür war keine Zeit, die Konkurrenz lauerte nur, dass sie sich eine Pause gönnten, Schwäche zeigten.
„Kannst du keinen Sixpack haben?“, wollte Skye wissen.
„Ehm … doch.“
„Wieso?“
„Wie wieso? Wenn ich trainiere habe ich wieder einen Sixpack.“
„Aha … wenn du trainierst. Mehr brauchst du nicht? Du hast alles was du brauchst, du hast einen Bauch, du hast Muskeln und mit den richtigen Übungen hast du einen Sixpack.“
Er legte den Kopf schräg.
„Du willst mir sagen, dass ich schon alles habe, um ein großartiger Sänger zu sein, ich muss nur trainieren.“
Sie nickte und zwinkerte ihm zu.
„Genau. Was denkst du wieso so viele Sänger irgendwann nicht mehr ihre eigenen Songs singen können? Es ist nicht so, als wären ihre Stimmen immer ausgeleiert – was passieren kann, nein, sie trainierten nicht mehr, weder ihre Stimme, noch ihren Körper, denn du musst körperlich fit sein für gewisse Noten, du brauchst genug Luft für gewisse Noten und Töne.“
Vor allem bei Sängerinnen sah man oft, wie sie innerhalb von ein paar Jahren die hohen Töne nicht mehr schafften. Es war schwer, es war hart, es brauchte ständiges Training und Alkohol (in Übermaßen) und Drogen halfen da nicht weiter. Frauen hatten oft ein sehr viel breit gefächertes Spektrum an Tönen, als Männer. Männer sangen nicht so hoch. Eine der wenigen Sängerinnen, die es immer noch drauf hatte war Mariah Carey. Sie hatte ihr schlechten Phasen gehabt, aber sie rockte noch immer. Wenn man sich hingegen Whitney Houstons letzten Live Auftritt anschaute, könnte man weinen. Wobei bei Whitney viele Faktoren zusammenkamen. Zu viele Touren, zu viele Shows, Zigaretten, Drogen, Gewichtszunahme, Stress. Es heißt, dass die Stimme einer Frau in den 30ern bis zu Mitte der 40ern ihren Höhepunkt hat und viele professionelle Trainer und Ärzte rieten dazu ab zu früh zu viel zu singen und dass, das vielen Sängerinnen zum Verhängnis wurde.
„Den Vergleich mit dem Sixpack fand ich besser, als der mit dem Schwert“, sagte er, nur um sie auch in etwas kritisieren zu können.
„Damit kann ich leben.“