Natürlich durften sie nicht in einem Bett schlafen. Zucht und Ordnung herrschte im Haushalt Kim. Um ehrlich zu sein wäre es allen wohl egal gewesen, wann da nicht die Oma wäre. Taehyung hatte den Dachboden ausbauen lassen und dort war sein Zimmer, in dem Skye schlief. Tae hingegen schlief im Erdgeschoss, im Zimmer seines Bruders und vor der Treppe lag das Zimmer zur Oma und die hatte die Tür auf. Man sollte meinen, dass ältere Leute einen festen Schlafen hatten, doch Taehyungs Oma war wie Gandalf und schlief nur mit einem Auge.
Die Oma war gut schon eine Stunde im Bett, als er das erste Mal versuchte sich an ihr vorbei zu schleichen.
„Hast du etwas vergessen?“, kam es aus dem Schlafzimmer. Obwohl es dunkel war, traute er sich nicht mit den Augen zu rollen, aus Angst sie würde es trotzdem sehen.
„Oma, ich muss nur auf die Toilette.“
„Dann benutze doch die hier unten.“
Mit gesenkten Schultern ging er zurück – nein, er ging zuerst auf die Toilette und drückte die Spülung, damit es den Eindruck machte, dass er wirklich auf Toilette war.
Nach einer halben Stunde musste er wirklich auf die Toilette.
„Na, schwache Blase heute?“, kam es aus Omas Zimmer.
Er wartete eine weitere Stunde, stolperte aber über Schuhe, die plötzlich im Weg lagen.
„Schon wieder auf die Toilette?“, fragte Oma Kim.
„Nein Oma, ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebhabe.“
„Geh schlafen!“
So leicht würde Taehyung nicht aufgeben! Er musste zu härteren Maßnahmen greifen. Er ging zurück, öffnete das Fenster und lief um das Haus herum. Hinter dem Haus war ein Schuppen, der an das Haus grenzte, wenn er dort auf das Dach ging, war das Fenster vom Wäschezimmer im 1. Stock und das Fenster war schon immer kaputt und ließ sich öffnen. So hatte er sich früher weggeschlichen. Er kletterte auf das Dach und schob das Fenster auf. Nur das es sich nicht aufschieben ließ! Sein Vater hatte das Fenster vor zwei Jahre repariert, was Tae nicht wusste, weil er diesen Einstieg ja ewig nicht mehr gebraucht hatte. Er traute sich nicht ein Geräusch zu machen, doch am liebsten hätte er geschrien. Aber was war das? Licht?! Er presste sein Gesicht gegen die Scheibe und hoffte das es Eonjin oder Skye war und nicht seine Eltern. Doch es kam tatsächlich Skye aus der Badezimmertür, allerdings schaute sie nicht in seine Richtung. Mist! Wenn er klopfte, bestand eine gute Chance, dass Oma ihn hören würde – auch wenn ihr Zimmer auf der anderen Seite des Hauses lag, doch er wusste, dass sie das Fenster offen hatte. Winken im Dunklen würde nichts nützen, doch dann hatte er die Idee. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und machte es an. Gerade rechtzeitig, denn Skye drehte sich schon ab, stockte dann aber.
Sie konnte einfach nicht schlafen. Sie lag in Taehyungs Zimmer und dachte darüber nach, wie er hier aufgewachsen war, wie er als Junge war. Lieder schwirrten in ihrem Kopf und Choreografien und ihr Debüt. Sie kam aus dem Badezimmer und streckte sich, als sie aus den Augenwinkeln etwas sah. Sie drehte sich zu dem Licht und sah eine Gestalt. Fast hätte sie geschrien und ihr Herz machte einen kurzen Satz, bis sie erkannte, dass es Tae war. Er hatte den Zeigefinger auf seine Lippen gelegt und mit skeptischem Blick ging sie auf das Fenster zu und öffnete es. Leise stieg er hinein und gemeinsam schlichen sie nach oben.
„Was tust du?“, flüsterte sie, nachdem er die Tür verschlossen und mit Handtüchern abgedichtet hatte.
„Ich will bei dir schlafen … also bei mir ja eigentlich … mit dir bei mir … warte nein, also nebeneinander … nicht das ich mit dir nicht schlafen will …“
Sie hatten beide wohl den ein oder anderen Soju zu viel gehabt. Skye zog die Augenbrauen zusammen und ging ins Bett. Ihm fiel auf wie sexy sie war, selbst in Nachtwäsche. Sie hatte ein Seidenhöschen an und ein Shirt was etwas bauchfrei war.
„Erzählst du mir eine Geschichte?“, fragte Skye und legte sich in seinen Arm. Er zog sie noch enger zu sich und lehnte seinen Kopf gegen ihren.
„Es war einmal ein Drache, der wollte immer ein Einhorn haben. Deswegen zog er los und plünderte alle Städte, um Diamanten und Gold zu sammeln, denn das Einhorn sollte sein größter Juwel werden. Als er alles Gold und alle Edelsteine gesammelt hatte, formte er damit ein Einhorn. Es war wunderschön, mit Diamanten als Augen und goldene Seide als Mähne. Es war das schönste Geschöpf, das der Drache je gesehen hat, doch ein Problem gab es da: Es lebte nicht, denn dazu brauchte es ein Herz und zwar keines aus Stein.
Er zog also wieder los und suchte ein Herz so rein und unschuldig, wie ein Einhorn eines haben sollte. Er fand eine junge Prinzessin. Ihr Gesicht war entstellt, durch einen Unfall in der Kindheit und obwohl die Leute schlecht über sie sprachen, half sie anderen, wo es ging. Sie backte Kuchen für die Kinder im Dorf und half alten Damen ihre Einkäufe zu besorgen. Der Drache beschloss, dass genau sie das reine Herz hatte, was er suchte, also legte er sich auf die Lauer und wartete, bis die Prinzessin in den Wald ging, um Kräuter zu sammeln. Er flog los, schnappte sie und brachte sie zu seinem Nest…“ und mehr bekam Skye nicht mit, weil sie eingeschlafen war.
Als Taehyung am Morgen aufwachte, lag Skye nicht mehr neben ihm. Verschlafen schaute er auf die Uhr, es war gerade einmal 07:20 Uhr. Er setzte sich auf und ging dann auf die Suche nach Skye. Unten im Haus war noch alles ruhig, doch er fand sie hinten im Garten. Sie machte Yoga. Um ehrlich zu sein wirkte sie eigentlich viel zu quirlig, um Yoga zu betreiben, doch sie bewegte sich ganz ruhig und irgendwie hatte es etwas Beruhigendes. Andererseits setzte das Kopfkino auch ein.
„Hey Bambi“, rief sie zu ihm und riss ihn aus seinen Tagträumen.
„Hast du hinten Augen?!“, fragte er scherzhaft.
„Nein, in den Füßen“, erwiderte sie und vorbei war es mit dem Kopfkino.
Kaum waren die beiden wach, wachte der Rest vom Haus auch auf. Oma natürlich als erstes. Skye war mit Mama Kim zum Hühnerstall gegangen, um die Eier einzusammeln und freute sich schon auf das Frühstück.
„Skye, kannst du mir mal helfen?“
Skye deckte gerade den Tisch und schaute verwundert auf, als Oma sie ansprach.
„Natürlich“, sagte sie nur. Wenn die Oma sie das erste Mal direkt ansprach, würde sie sich nicht wehren.
„Ich muss etwas zu Freunden bringen, kannst du mir tragen helfen?“
Zögernd schaute sie zum Frühstückstisch, dann wieder zur Oma. Sie hatte sich wirklich auf das Frühstück gefreut …
„Na klar“, erwiderte sie stattdessen. Taehyung und Eonjin beobachteten das Ganze, sagten aber nichts dazu. Zuerst kam sie mit einem Sack. Skye warf ihn sich über die Schulter, irgendwas war da drin, doch es war nicht wirklich schwer. Dann ging sie wieder aus dem Wohnzimmer und kam mit einer Tasche wieder. Die Amerikanerin hing sie sich über die andere Schulter. Die Tasche war etwas schwerer, als der Sack. Als sie wieder den Raum verließ, kam sie mit einer riesigen Kiste wieder. Skye hob die Kiste an und fragte sich, ob da Backsteine drin waren.
„Was ist das?“
„Oma will nur, dass du ein paar Sachen für sie trägst“, sagte Mama Kim im Vorbeigehen.
„Ja, das habe ich vor 20 Kilo begriffen …“ Taehyung fing an zu grinsen, mischte sich aber immer noch nicht ein. Mama Kim tätschelt Skyes Rücken, als sie mit den Sachen rausging.
Zielsicher steuerte sie auf das Auto zu, doch Oma winkte nur ab.
„Nein, nein, wir nehmen nicht das Auto. Zu Fuß ist es viel kürzer, weil wir über die Felder gehen können.“
Damit machte sich Oma Kim dann auf den Weg und Skye folgte brav. So zerbrechlich die ältere Frau auch wirkte, sie legte ein Tempo vor, dass Skye Probleme hatte mitzukommen – ohne die Kiste fallen zu lassen oder eine Tasche zu verlieren.
30 Minuten später zweifelte Skye stark an der Aussage, dass der Feldweg viel kürzer war. Es hatte leicht angefangen zu regnen und Flip Flops waren wohl nicht das richtige Schuhwerk, um über die Felder zu laufen. Einmal hatte sie sich getraut zu fragen, ob es noch weit war und hatte als Antwort ein ‚nein‘ bekommen. Das war ungefähr vor 10 Minuten. Oma hatte übrigens auch ein Regenmantel für sich dabei.
„Kannst du nicht etwas schneller machen?“, sagte sie irgendwann über ihre Schulter. Die junge Frau war an einem Punkt angelangt, an dem sie sich schon nach einer guten Stelle umschaute, wo sie die Oma verscharren könnte, ohne dass man sie zu schnell fand.
„Kannst du nicht auch etwas nehmen?“, murmelte Skye und stolperte fast über ein Erdloch.
Gefühlt eine halbe Ewigkeit später, blieb Oma Kim endlich vor einem Tor stehen und öffnete es. Skye brach fast vor der Tür zusammen. Sie war nass, von Regen und Schweiß. Eine weitere Oma öffnete die Tür.
„Oh, guten Tag, das ist aber schön, dass ihr da seid“, sagte sie und machte die Tür auf. Skye stellte die Sachen auf einem Tisch ab und die Frau kam mit einem Handtuch.
„Das ist aber lieb, dass du die Sachen hergetragen hast.“
„So bin ich“, erwiderte Skye nur. Die Frau konnte ja nichts dafür.
„Haben wir Besuch?“, hörte sie eine männliche Stimme und war überrascht, als ein Ausländer in die Küche kam.
„Oh hallo, ich bin Bernhard“, stellte er sich auf Koreanisch vor.
„Ich bin Skye, sind Sie Deutscher?“, fragte Skye auf Deutsch und er nickte lächelnd.
„Du sprichst Deutsch?“, fragte Oma Kim verwundert.
„Ehm … ja, auch Spanisch, Französisch, Zulu, Mandarin, Schwedisch, Italienisch, Balinesisch, Thai und Japanisch.“
Nicht alles fließend, aber hey, manchmal musste man sich etwas aufplustern. Für einen klitzekleinen Moment schien Oma Kim überrascht zu sein.
„Ich dachte du bist reich?“
„Ja, aber vorher war ich auch schon schlau.“
Das gemischte Paar schaute unsicher zwischen den beiden hin und her.
Jedenfalls hatte Bernhard die Küche unter seiner Kontrolle und er hatte eine Brotbackmaschine und heute Morgen hatte er frisches Brot gebacken. Es war noch etwas warm und er hatte auch Käse. Skye nahm nicht viel, weil sie wusste wie schwer es war an gescheiten Käse zu kommen, doch Susanne – Frau Parks deutscher Name, als sie damals in Deutschland gelebt und Bernhard kennengelernt hatte – schob ihr den Teller immer wieder zu.
„Wie lange seid ich schon verheiratet?“, fragte die Amerikanerin.
„Seit 41 Jahren“, sagte Susanne stolz und griff nach Bernhards Hand. „Wir mussten natürlich zweimal heiraten, einmal in Deutschland und dann natürlich auch hier in Korea.“
„Das war eindeutig die witzigere Hochzeit!“, warf Bernhard ein.
„Und ihr habt euch in Deutschland kennengelernt – wieso seid ihr nach Korea gegangen?“
„Nun, ich habe meine Eltern vermisst und Bernhard war Ingenieur. Er konnte überall auf der Welt Arbeit finden. Seine Eltern starben früh, unsere Kinder waren gerade im Kindergarten und der Grundschule und dann beschlossen wir hier her zu ziehen. Das ist mein Elternhaus“, sagte Susanne und deutete um sich herum.
Das Paar plauderte sehr viel über ihre Beziehung, über das was schwierig war und auch über das, was einfacher war, als sie sich vorgestellt hatten. Skye wunderte sich, ob Oma Kim sie hergebracht hatte, um zu sehen, dass Mischehen zwar funktionieren konnten, aber auch immer mit gewissen Kompromissen verbunden waren oder ob sie Skye ein deutsches Frühstück gegönnt hatte. Susanne und Oma Kim hatten sich in den Garten gezogen – natürlich hatte es aufgehört zu regnen. Jetzt. Wo sie hier waren.
„Sie war am Anfang sehr gegen unsere Beziehung gewesen“, meinte Bernhard, als er Skyes Blick verfolgte.
„Chungsook meinte, dass die Kulturen zu unterschiedlich seien, doch als wir dann hier waren und ich ihr ein paar Mal geholfen habe, hat sie angefangen sich mit mir zu beschäftigen. Ich konnte damals schon ganz gut Koreanisch, doch es Zuhause mit der Frau zu sprechen war schon anders, als dann hier. Chungsook hat mir sehr dabei geholfen.“
„Sie hätte mit mir auch herkommen können, ohne dass ich den halben Haushalt durch Daegu schleppen muss.“
Bernhard fing an zu lachen.
„Nehme es ihr nicht übel, sie will nur testen, ob du ihren Enkel verdient hast.“
Ha! Wenn es danach gingen würde Skye ganz klar ‚nein‘ sagen. Taehyung war viel zu gut für diese Welt.
„Ich glaube sie hat dich gern“, fügte Bernhard noch hin.
„Sie hat eine lustige Art das zu zeigen…“
Auf dem Weg zurück wurde Oma Kim etwas gesprächiger.
„Dein Koreanisch ist sehr gut.“
„Danke.“ Noch traute Skye dem Frieden nicht und die alte Schachtel müsste früher aufstehen, um sie bluffen zu können.
„Was sagen deine Eltern dazu, dass du hier in Korea bist?“
„Beide tot“, erwiderte sie.
„Oh … und deine anderen Verwandten?“
„Auch tot … bis auf eine Cousine die ich nicht ausstehen kann.“
Oma Kim blieb stehen und zum ersten Mal schien sie besorgt.
„Du hast keine Familie?“
Skye biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. Sie hatte sich daran gewöhnt, auch wenn das nicht bedeutete, dass es nicht weh tat. Es tat weh und sie vermisste ihre Eltern, aber es gab auch nichts, was sie daran ändern könnte.
„Kpop ist meine Familie. EXO, Super Junior und BTS und Mia und irgendwie auch andere.“
Sie sagte nichts mehr dazu und sie gingen weiter. Vielleicht kannte Oma Kim die ganzen Bands nicht oder vielleicht verstand sie es nicht.
Endlich wieder Zuhause musste Skye direkt duschen gehen. Als sie aus dem Badezimmer kam, stand Taehyung gegenüber am Türrahmen gelehnt.
„Hast du gespannt?“, fragte sie neckend.
„Ich habe es versucht, aber unser Bad ist unglücklich geschnitten“, erklärte er. Es war nun schon Mittag und Tae wollte sie in eines seiner Lieblingscafés entführen. Nachdem sie geföhnt und geschminkt war – und natürlich wieder angezogen – machten sie sich auf nach Daegu. Wenn man Seoul und Busan kannte, dann war Daegu ziemlich langweilig. Es war ganz süß, ja, aber es war nie so, dass Skye sagen würde ‚Oh, ich fahre lieber nach Daegu als nach Seoul‘. Sie war schon einmal quer durch’s Land gefahren, oft um die Natur zu genießen und zu fotografieren. Am liebsten waren ihr die Küstenregionen. Sie mochte es nahe am Meer zu sein, es beruhigte sie. Sie mochte aber auch Berge und Wiesen, wenn sie blühten und doch war Seoul immer irgendwie Zuhause gewesen. Man könnte meinen, dass Busan ihre koreanische Heimat wäre. Es war groß und bunt und lag am Meer, doch irgendetwas war mit Seoul. Sie war gerne ein paar Tage in Busan, aber dann reichte es auch. Es gab viele Städte, die etwas Besonderes hatten. Jinju hatte im Herbst das Laternenfestival und Jeonju hatte die Hanoks, Gyeongju hatte die großen Paläste und Tempel. Das war alles für 2,3 Tage ganz schön. Daegu hingegen war Seoul in Mini. Mini-Mini. Ja, es war sauber und ordentlich und es gab so ein Fest, da ließ man Laternen steigen, aber Daegu war nichts über-besonderes. Doch es war Taehyungs Heimat und sie versuchte es durch seine Augen zu sehen.
Mitten in der Stadt suchte er einen Parkplatz. Natürlich hatte er Mundschutz und eine Baseballkappe auf. Skye zu ‚verstecken‘ war schwieriger, einfach weil sie als Ausländerin ohnehin mehr auffiel und das dann auch noch in Daegu, wo potentiell noch mal weniger Ausländer unterwegs waren, als in Seoul. Sie hatte eine große Sonnenbrille als Tarnung, noch mal würde sie sich heute ihre Frisur nicht versauen, indem sie ein Kappi aufsetzte.
Er hatte in einer kleinen Seitenstraße geparkt. Hier gab es keine Hochhäuser und es waren in der Mittagshitze auch nicht viele Leute unterwegs – was wahrscheinlich genau der Grund war, wieso sie jetzt hier waren. Das Café passte schon von außen nicht in das Bild der Nachbarschaft, mit Holz als Fassade und in Pastelltönen angestrichen. Von innen war es eines dieser süßen Cafés mit Liebe zum Details. Korea war voll davon. Natürlich gab es auch in Amerika coole Cafés, die individuell und einzigartig waren, doch man sah sie nicht in solchen Massen wie in Korea. Eigentlich war es ein Konkurrenzding, weil bei so vielen Cafés, die es in Korea gab, musste man sich von der Masse abheben.
Das Besondere am Golmak 23 war, dass es einen Außenbereich gab, der aussah wie ein Garten. Natürlich war es nur Kunstrasen, aber es war total süß gemacht, mit kleinen, weißen Picknickbänken und Zelten.
„Ah mein Junge, wie geht es dir!“, begrüßte wohl die Besitzerin den Sänger. Er verbeugte sich.
„Sehr gut, vielen Dank. Ich freue mich hier zu sein.“
Sie nickte auch Skye zu und führte sie dann nach hinten in den Garten, allerdings blieben sie nicht dort, denn eine weitere Tür führte zu einem ‚Hintergarten‘, wenn man so wollte. Hier gab es sogar einen richtigen Kräutergarten und es wirkte, als würde dieser Teil eher privat genutzt werden, doch man hatte eine Decke auf den Kunstrasen gelegt und einen dieser niedrigen Schirmchen. Neben der Decke standen zwei Bett-Tablets, damit man eben im Liegen trinken konnte. Skye war noch am Staunen, da flüsterte Tae der Besitzerin etwas zu und sie verschwand.
„Ist das dein Liebesnest?“
Verlegen grinste er.
„So zu sagen. Ich komme sonst mit meiner Schwester her.“
Idols brauchten solche Orte. Wie oft hatte Jiyong sie durch irgendwelche Hintertüren geführt. Mit Jongin war das einfacher gewesen. Natürlich wollten sie auch mal ihre Ruhe haben, aber sie konnten sich auch einfach in Café oder Restaurant setzen, ohne das daraus ein Skandal wurde. BTS war bisher ziemlich skandalfrei und das obwohl sie Partner hatten. Sie schafften es so präsent zu sein, dass ihre Fans das Gefühl hatten sie überall hin zu begleiten und gleichzeitig schotteten sie ihr Privatleben komplett ab. Wie auch bei Jiyong fragte sie sich, ob es das war, was sie wollte. Sie wollte die Öffentlichkeit nicht an ihrem Liebesleben Teil haben lassen, doch war sie auch nicht gut darin Emotionen zu verstecken. Meistens.
Die beiden setzten sich auf die Decke. Der Himmel war blau und es war heiß. Und was half bei heiß? Richtig: Eis.
Die Besitzerin kam wieder und hatte nicht nur zwei Getränke, sondern auch ein riesiges Pfirsisch-Bingsu, dass Skye der Mund offenstand.
„Was ist das denn?!“
„Hm … das ist frischer Erdbeersaft und das ist ein Monsterbingsu von dem mein Manager niemals erfahren darf.“
„Ich glaube meiner auch nicht“, gab Skye zu und sie fingen an zu lachen. Man musste auch mal sündigen und an Tagen wie heute war es wichtig, dass der Blutzucker bespaßt wurde.
Taehyung erzählte, dass das Café bekannt war für ihre Erdbeerkreationen. Erdbeerkuchen, Mousse, Törtchen, doch im Sommer war das Pfirsisch-Bingsu unschlagbar. Skye war eigentlich ein Fan von dem halbwegs normalen Bingsu, wie beim Café Benné. Normalerweise war Bingsu gefrorene, gecrashte Milch, dazu dann rote Bohnen. Beim Café Benné machten sie noch Rice Cake mit rein und Nüsse und es war super lecker, doch so Frucht-Bingsus im Sommer waren total erfrischend. Allerdings auch sehr kalt und mehr als einmal standen sie kurz vor Gehirnfrost.
Nachdem sie das Dessert fast geschafft hatten, legten sie sich auf die Decke, unter den Schirm versteht sich.
„Was geschah mit der Prinzessin, nachdem der Drache sie mitgenommen hatte?“, wollte Skye wissen.
„Als der Drache sein Nest erreicht hatte setzte er die Prinzessin ab und sagte ‚Ich werde dich jetzt töten!‘! ‚Aber wieso? Ich tue nur Gutes und würde niemals jemanden Leid zufügen. Du bist doch ein guter Drache‘, sagte die Prinzessin verzweifelt. ‚Ja, ich war immer ein guter Drache, doch jetzt brauche ich ein Herz so rein wie deins‘ und gerade als er sich auf sie stürzen wollte, stockte er. Er konnte sie nicht töten, nur damit er sein Einhorn bekam. Er brach vor der Prinzessin zusammen, weinte und entschuldigte sich, weil er ihr Angst gemacht hatte. Was der Drache nicht wusste war, dass die Prinzessin eine Fee war, die auf Erden geschickt worden ist, um den Menschen zu zeigen, dass wahre Schönheit von innen und nicht von außen kam. Da der Drache dies erkannt hatte, erfüllt sie ihm einen Wunsch und erwachte das Einhorn zum Leben. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann fliegen sie noch heute.“
„Fliegen?“
„Das Einhorn hatte natürlich Flügel, wie sollte es sonst mit dem Drachen fliegen können? Die Flügel waren übrigens aus Goldmünzen und bei jedem Flügelschlag klingelten die Münzen“, erklärte Taehyung und Skye lachte fröhlich.
„Eine schöne Geschichte.“
Nach dem Café war Skye total müde. Im Gegensatz zu ihrem normalen Tagesablauf war das alles noch harmlos – es konnte nur an der frischen Luft liegen. Sie ging hoch in ihr Zimmer und öffnete die Dachfenster, um für etwas Durchzug zu sorgen. Es gab auch eine Klimaanlage, aber eigentlich mochte sie das Warme. Die Amerikanerin blickte zu dem Bett. Vielleicht nur einen kleinen Moment …
Eine halbe Stunde später ging Tae auf die Suche nach ihr, weil sein Bruder gekommen war, doch Skye schlief tief und fest. Lächelnd drehte er sich ab und stockte dann. Sie war doch so süß, wenn sie schlief … vielleicht nur für einen kleinen Moment …
Eonjin weckte die beiden kurz bevor es Abendessen gab. Skye gähnte und schaute zu Taehyung.
„Wann hast du dich hierher geschlichen?“
„So gegen 16:30 Uhr. Du hast so süß ausgesehen … oh, Jyeonggyu ist gekommen“, erinnerte er sich wieder.
Gemeinsam gingen sie runter und fanden die Geschwister im Wohnzimmer.
„Ich freue mich meinen Bruder zu sehen und dann verschwindest du im Schlafzimmer einer hübschen Frau und kommst nie mehr wieder!“, beschwerte sich der Jüngere. Tae und Skye wurden beide rot, ehe Tae vom Thema ablenkte und Skye erst einmal vorstellte.
Nun waren sie ja noch einer mehr und Skye hatte das Gefühl, dass der Tisch gar nicht mehr ausreichte.
„Du Tae, mein Literatur-Kurs macht heute eine Nachtlesung, es wäre cool, wenn ihr kommen könntet. Es ist total interessant.“
Irgendwie begriff Skye sofort, dass ‚Literatur-Kurs‘ für Party stand. Tae begriff das nicht.
„Oh, was wird gelesen?“, fragte er mit ernsthaftem Interesse.
„Sommernachtstraum von Shakespeare“, erwiderte Eonjin.
„Oh, ich liebe dieses Stück!“
Eonjins und Skyes Blick trafen sich und zwischen ihnen herrschte ein stilles Einverständnis. Am liebsten hätte Skye mit den Augen gerollt, traute sich aber nicht, da die Oma sie beobachtete. Die hatte wahrscheinlich auch begriffen, dass sich Samstagabend mit Sicherheit nicht der Literaturkurs zusammensetzen würde.
Sie saßen noch lange nach dem Essen zusammen. Gestern war noch so viel von dem Regenbogenkuchen übriggeblieben, dass sie heute alle davon essen konnten, doch danach gingen die ‚Kids‘ hoch, um sich fertig zu machen. Skye zog Taehyung beiseite.
„Du weißt wir gehen auf eine Party?“
„Party? Wann?“
„Ja heute.“
„Aber ich dachte wir gehen zu dem Literatur-Kurs?“
„Das ist die Party! Du verstehst den Wink mit dem Zaunpfahl auch nicht …“
Enttäuschung machte sich in seinem Gesicht breit.
„Was? Ich mag den Sommernachtstraum!“
Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch.
„Party. Heute. Wir. Du: fertig machen. Es darf nur keiner wissen, dass du da bist … oder wer du bist.“
Keiner von ihnen zog sich zu auffällig an, Eonjin und Skye hatten sogar noch dünne Pullis über. Zumindest hatte es sich gelohnt ein Kleidchen einzupacken. Oma saß auf der Veranda, als sie das Haus verließen. Sie musste nichts sagen, ihr Blick reichte vollkommen, um zu wissen, dass sie genau wusste, was los war. Auf der anderen Seite waren sie alle erwachsen, was in Korea zwar nicht immer etwas zu sagen hatte, aber zumindest eine fundamentale Grundlage jeglicher Diskussion sein konnte.
Jedenfalls war die Feier im Wald, weil der Sohn vom Förster sturmfreie Bude hatte. Tae hatte ein Kappi und auch seinen Mundschutz, doch sie würden im Wald sein, bei Nacht und niemand dort erwartete einen Superstar.
Sie fuhren tief in den Wald hinein, die Straße wand sie eng um die bergige Landschaft. Sie hatten die Musik aufgedreht und alle sangen fröhlich mit. Es war die ideale Szene für einen Horrorfilm. Vier junge Leute, nachts unterwegs im Wald, mitten im nirgendwo. Wahrscheinlich würde sie jetzt ein Werwolf anfallen oder ein Typ mit Eishockeymaske würde auf der Straße stehen.
Nach ungefähr einer halben Stunde tauchten Lichter im Wald auf. Einige Autos standen schon auf der Wiese und Eonjin parkte den Wagen. Taehyung schien etwas nervös zu sein. Viele Leute, Handys – alles konnte schiefgehen. Skye drückte kurz seine Hand und lächelte fröhlich.
Im Endeffekt hatte jemand ein paar Bänke und Tische aufgestellt, jeder hatte etwas zu essen oder zu trinken mitgebracht. Es gab ein Lagerfeuer und ein paar Boxen, aus denen Musik schallte. Es war ziemlich dunkel und relativ schnell war es Tae mit dem Mundschutz zu doof. Niemand würde ihn hier auch nur sehen können!
Eonjin stellte ihnen ein paar Freunden vor, doch eigentlich hielten sich Taehyung und Skye mehr im Hintergrund auf und versuchten nicht aufzufallen. Er der Superstar, sie die Ausländerin. Sehr unauffällig. Sie saßen beim Feuer und hätte Skye gewusst, dass es ein Lagerfeuer gab, hätte sie Teig für Stockbrot gemacht.
„Wünschst du dir manchmal, dass das hier noch deine Realität wäre?“, fragte sie ihn. Er war schon lange in Seoul und hatte schon lange sein Privatleben abgelegt, es wäre normal. Tae dachte einen Moment darüber nach und schüttelte dann den Kopf.
„Nein. Ich habe das große Glück so viele Dinge zu erleben, die die meisten Menschen niemals erleben und ich habe das Glück diese Dinge mit sechs tollen Freunden zu teilen. Ja, manchmal ist es anstrengend, wenn die Fans einem so auf die Pelle rücken oder wenn wir einen Durchhänger haben, aber das hat doch jeder, wir sind nur Menschen. Kein Leben ist perfekt und wir müssen für das dankbar sein, was wir haben.“
Er war sehr bescheiden und bodenständig.
„Und wenn ich nicht ich wäre, dann hätten wir uns nicht kennengelernt“, fügte er hinzu.
„Na ja, vielleicht schon. Ich war vor vielen Jahren in Daegu. Wenn du kein Idol geworden wärst sondern … einen Blumenladen hättest, dann hättest du mir schon vor fünf Jahren Blumen verkauft.“
„Aber das heißt ja nicht, dass du dich in mich verliebt hättest.“
„Ich habe mich in dich verliebt wegen dir, nicht weil du Idol bist – ich hoffe das weißt du?“
„Ja, aber wer würde schon einen Blumenhändler beachten?“
„Mit dem Lächeln? Ich auf jeden Fall …“
Und dann schenkte er ihr eines seiner bezaubernden Lächeln.
Die beiden hatte wirklich mal Zeit zum Reden, nicht dass sie nicht auch sonst redeten, aber oft ging es um die Arbeit oder andere Idols. Jetzt, hier im Wald, abgeschieden von allem, philosophierten sie über alles andere. Über die Sterne, die Zukunft der Menschen und deren Vergangenheit.
Irgendwie fing der erste an zu schreien und Skye ging schon davon aus, dass sie von Werwölfen angegriffen wurden. Noch jemand schrie, aber es war mehr dieses freudige Jubeln, als panische Schreie und neugierig machten sich die beide auf die Suche nach dem Grund des Enthusiasmus. Immer mehr Leute rannten an ihnen vorbei und begannen sich auszuziehen. Taehyung stockt, doch Skye hatte eine Ahnung.
„Findest du das auch komisch?“, fragte er sicherheitshalber.
„Nope“, erwiderte sie und zog ihn bei der Hand hinter sich her, bis sie nach ein paar Meter zum Stehen kam. Es gab einen See und die Leute sprangen mit Anlauf in das kühle Nass. Es war unendlich warm, es war klar, dass jemand auf die Idee schwimmen zu gehen.
„Kommt mit!“, rief Eonjin, als sie nur in Unterwäsche an ihnen vorbeirannte. Skye sah an Taehyungs Gesichtsausdruck, dass das etwas war, was er gerne ungesehen machen würde. Grinsend zog sie ihn weiter. Nie und nimmer würde er hier ins Wasser gehen, also schnappte sie sich eine Picknickdecke, die achtlos neben einem Tisch lag und ging weiter um den See herum. Er war recht groß und weiter hinten verästelte sich das Gewässer in kleinere Buchten. Sie konnten die Musik und die Stimmen noch hören, doch sie waren außer Sichtweite. Skye ließ seine Hand los und begann sich auszuziehen. Sein völlig entsetzter Blick ließ sie stoppen.
„Was?“
„Das kannst du nicht machen!“
„Dir fehlt definitiv Zeit an der Uni“, stellte sie fest und legte ihr Shirt auf einen Stein. Dann kam ihre Hotpans und als sie ihren BH öffnete bedeutete sie ihm sich umzudrehen, was er sofort tat. Taehyung wartete einen Moment und hörte, wie sie ins Wasser stieg.
„Na komm! Sei kein Frosch!“, rief Skye aus dem Wasser und langsam drehte er sich um. Sie war ein Stück weg vom Ufer und hinter ihr waren Felsen, die sie vor den Blicken der anderen schützten. Unbehaglich schaute er sich um.
„Okay, ich drehe mich um“, rief sie und wand sich ab. Er zog seine Hose aus und legte sie zu seinen Klamotten.
„Ich hoffe du denkst nicht daran das Shirt anzulassen.“
Wieder stockte er und sah an sich hinab.
„Was willst du später anziehen, wenn es nass ist?“
Später?! Wer dachte denn jetzt an später, wenn ihn das JETZT so überforderte?! Sein Herz raste, nicht weil er sich schämte, sondern weil er Angst hatte die Kontrolle zu verlieren. Sie war angezogen schon so sexy und jetzt wartete sie nackt, im Wasser, alleine im Wald. Er wusste gar nicht wie er damit umgehen sollte.
Schließlich zog er sein Shirt aus und ging ins Wasser. Es war kühl, aber es half ihm nur beim Denken. Als Skye hörte wie er ins Wasser kam drehte sie sich um. Es war fast Vollmond und das Licht erhellte die Umgebung genug, um alles zu erkennen. Sie war so schön.
„Sag nicht, dass du Angst vor mir hast?“
Er schwamm langsam auf sie zu.
„Nein, niemals“, erwiderte er und kam bis auf eine Armlänge an sie heran. „Du bist mein Sommernachtstraum.“
Skye überwand die Distanz zwischen ihnen und legte ihre Arme um seine Schultern, noch berührten sich ihre Körper nicht, doch es war als würde eine Hitze von ihr ausgehen.
„Liebe schaut nicht mit den Augen, sondern mit der Seele, und daher wird der geflügelte Amor blind dargestellt“, zitierte Skye aus dem Theaterstück, wo sie wieder bei Amor wären und der Geschichte von Amor und Psyche. Sie schauten einander in die Augen, schließlich war es Taehyung der sie zu sich zog. Lippen trafen auf Lippen und Haut traf auf Haut und in diesem Moment war ihnen der Pakt recht egal, der Moment war zu perfekt als ihn vergehen zu lassen. Bisher hatten sie sich immer nur kurz geküsst, doch diesmal ließen sie nicht voneinander los. Intensiv und langsam nahm er sie ein, begann ihren Körper zu erkunden. Sie merkte wie sich sein ganzer Körper anspannte, als ihren Lippen Töne der Zustimmung entwischen, als müsste er mit seinem eigenen Körper kämpfen nicht den letzten Rest Verstand aufzugeben.