Als Skye um kurz vor 6 Uhr aufwachte, hatte sie zig Nachrichten von Tae und Kookie, mit Videos von ihrem Konzert in Riad. Das mal eine Kpop Gruppe in Saudi Arabien auftreten würde, hätte sie bis vor Kurzem auch nicht gedacht. Sie erinnerte sich zurück, ungefähr 12 Jahre, als sie damals mit ihrem ersten Koreaner zusammen gewesen ist und sie bei ihm Zuhause koreanisches Fernsehen geschaut hatten. Damals war das alles noch so fremd, so weit weg. Dabei hatten sie gute Gruppe gehabt, tolle Musikvideos und gute Songs. DBSK, SNSD, Super Junior, die Anfänge von SHINee, 4Minute, 2PM, 2AM, Rain, irgendwann kamen dann MLAQ und Beast. Heute blickte sie ja kaum noch durch bei all den Gruppen, die rauskamen.
Sie gab den Kampf auf, noch einmal einzuschlafen und stand wirklich auf. Unten in der Küche begegnete ihr schon Frau Lee.
„Sie sind schon wach?“, fragte sie ungläubig. Die Amerikanerin zuckte mit den Schultern.
„Ich bin es nicht gewohnt mehr als 5 Stunden Schlaf zu bekommen.“
True. Immer war irgendwas. Nur in der Regel ging sie eher spät ins Bett, als das sie früh aufstand.
„Kann ich helfen?“
Und so fütterte sie die Hühner und ließ sie raus ins Außengehege. Sie mochte Hühner, vielleicht sollte sie sich ein paar anschaffen. Weil sie ja so viel Zeit hatte. Innerlich verdrehte sie die Augen. Wieso hatte der Tag so wenig Stunden?
Herr Lee war am Fluchen, als die Sprinkleranlage im Gartenbereich nicht funktionierte.
„Was ist passiert?“ Skye war über das Feld gelaufen.
„Irgendwo klemmt was…“
„Okay, stellen Sie mal an und ich schaue, welcher nicht rausfährt.“
Der Mann schaute nicht schlecht, als das blonde Girly ihm das anbot, doch er konnte ja nicht wissen, dass Skye jemand war, der gerne Dinge in die Hand nahm. Die meisten Versenkregner funktionierten mit Druck. Wasser kam zum ersten Sprinkler und der wurde durch den Wasserdruck hochgedrückt. Damit war Platz für das Wasser, um weiter zu ziehen und den nächsten hochzudrücken und dann weiter zum dritten und so weiter. Also entweder war der Wasserdruck zu gering, dann wäre das Problem die Pumpe oder ein Sprinkler war verkeilt und damit konnte das Wasser nicht weiter fließen. Da die Bewässerungsanlage im Boden eingelassen war, passierte es schnell, dass Sand, Erde und kleine Steinchen reinrutschten und sich verkeilten. Sie fand das Problem an einem Sprinkler und schnappte sich die Werkzeugkiste und eine Gießkanne. Herr Lee war viel zu fasziniert ihr dabei zuzusehen, wie sie den Sprinkler ausgrub, aufschraubte, auseinandernahm und reinigte, als ihr zu helfen. Ein kleiner Stein steckte zwischen der Sprungfeder. Nachdem alles gereinigt und wieder zusammengebaut war, sollte Herr Lee das Wasser wieder anstellen und ta-da – es funktionierte. Skye war voll mit Matsch und Wasser, doch sie jubelte fröhlich und Frau Lee kam raus, als sie das Geschrei hörte.
„Sie hat den Sprinkler repariert!“, rief der Mann seiner Frau zu, die nur lachend den Kopf schüttelte.
Gut, sie musste erste einmal duschen gehen und dann gab es Frühstück, dass sie sich verdient hatte.
„Sie haben so etwas schon öfters gemacht?“, fragte Herr Lee nach.
„Ja, auf Adavaci kam das ständig vor. Nur selten ist etwas gebrochen und muss ersetzt werden. Ich finde es irgendwie befriedigend mit meinen Händen zu arbeiten.“
Und in den vergangenen Monaten hatte sie das viel zu wenig gemacht. Sie hatte nichts im Haus renoviert. Nichts. Sie hatte nicht geschliffen, nicht lackiert, nicht gebohrt, nicht gemalt, nicht gesägt. Sie hatte alles machen lassen – weil sie eben keine Zeit hatte. Das musste sich ändern. Skye merkte wieder, wie befriedigend es war, etwas selbst zu machen. Im Studio sitzen und Songs schreiben, war auch befriedigend, aber sie würde sich ein Projekt suchen. Das Haus war groß genug und das Grundstück erst recht.
Die Lees verboten ihr weiter zu helfen. Schließlich war sie Gast und sie war ja aus der Großstadt hergekommen, um etwas zu entspannen. Also ging sie zum Strand und Nari begleitete sie. Das Mädchen ging jedoch nicht ins Wasser und saß stattdessen nur mit ihrem Hund am Strand. Gut, so warm war das Wasser nicht mehr, aber es war so ein schöner, sonniger Tag, dass Skye es sich nicht entgehen lassen würde etwas zu schwimmen. Sie hatte ihre Tauchermaske dabei und zwei Kilo Blei. Frau Lee hatte ihr ein Messer geliehen und so ging sie nach Muscheln tauchen für das Abendessen – das hatte sie Frau Lee nicht gesagt, weil sie es ihr wohl verboten hätte, aber Mütter mussten ja auch nicht alles wissen.
Sie vermisste das, dieses …. einfachere Leben. Nicht, dass sie auf Adavaci nichts zu tun gehabt hatte oder das Bauern ein leichtes Leben hatten. Das war es nicht. Es war körperliche Arbeit von morgens bis abends, aber es war nicht so hektisch, wie das Leben, dass sie gerade führte. Wo sie an fünf Orten gleichzeitig sein musste. Vielleicht musste sie lernen sich in Seoul zu entschleunigen. Musste sie überall gleichzeitig sein oder redete sie sich das nur ein?
Mittags fuhr sie dann mit Nari wieder nach Daecheon. Herr Lee hatte ihr sein Auto gegeben, auch wenn man ihm ansah, dass er sich nicht wirklich wohl dabei fühlte. Männer und ihre Autos. Wie versprochen fuhren sie die Zipline, die es auch als Doppelzipline gab, so dass sie zusammenfahren konnten. Seit dem ‚Brückenvorfall‘ hatte Skye ihre Meinung zu Höhe etwas geändert. Alleine wäre sie das Ding im Leben nicht gefahren, doch es machte tatsächlich Spaß und sie konnte die Aussicht über den Strand und das Meer genießen.
Einige Cafés säumten sich an der Promenade und Skye lud das Mädchen noch auf ein Eis ein. Am liebsten würde sie einfach hierbleiben. Fern ab von all den Sorgen und Gedanken, aber genau bei einer solchen Kurzschlussreaktion hatte sie sich auf Fiji eine Insel gekauft und hatte sich Monate dort versteckt. Verstecken brachte nichts, sie musste sich nur organisieren.
Wieder ‚Zuhause‘ musste sich Skye erst einmal hinlegen. Inzwischen war es 15 Uhr und sie schlief fast zwei Stunden.
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Als Skye aufwachte fühlte sie sich rastlos. Was tat sie denn? Sie wollte sich Gedanken machen, über eine ganz wichtige Sache und irgendwie kam sie zu keinem klaren Gedanken.
Die Amerikanerin griff zum Telefon.
„T-oppa!“, rief sie fröhlich.
„Was willst du?“, kam es direkt zurück.
„Entschuldige mal bitte, kann ich nicht meinen Freund Seunghyun anrufen, ohne etwas zu wollen?“
„Keine Ahnung, darf ich denn mit dir sprechen?“
„Na klar, wieso nicht?“
„Ja, diese ganze G-Next Geschichte und Jiyong verwirren mich“, gab er zu.
„Mich auch“, musste sie eingestehen und lachte.
„Ehm folgendes … kannst du mich abholen? Mein Auto wurde abgeschleppt.“
Sie könnte förmlich sein Grinsen hören.
„Wo steckst du?“
„In Wonsando.“
„Wo?!“
Natürlich stimmte er zu, doch er würde noch ein paar Stunden brauchen. Skye erklärte ihrer vermeidlichen Gastfamilie, dass sie heute Abend abgeholt werden würde, doch Frau Lee hatte ihre ganz eigenen Vorstellungen …
Es war später Nachmittag, als Seunghyun bei den Lees eintraf und Skye anrief.
„Hey, ich bin hier.“
„Okay, du musst reinkommen.“
„Ich muss was?“
„Reinkommen?“
„Wieso?“
Ein Idol wie T.O.P., am Ende der Welt, mit Skye. Der Skandal wäre unbeschreiblich. Um Skye tummelten sich schon viel zu viele Skandale – und um ihn auch.
„Weil Frau Lee gesagt hat, dass sie uns nicht mit leerem Magen gehen lässt.“
Nun hatte Skye Nari schon vorgewarnt. Herr und Frau Lee hatten sicherlich keine Ahnung, mit wem sie es da zu tun hatten, aber Nari hingegen schon. Das Mädchen musste der Amerikanerin versprechen, niemand ein Wort zu sagen und wirklich, wer würde ihr schon glauben, wenn sie erzählen würde, dass T.O.P. bei ihr zu Besuch gewesen ist?
Männer ließen sich gut mit Essen locken und so ließ sich auch Seunghyun breitschlagen.
Da saßen sie nun, die liebe Familie am Ende der Welt, der Superstar und Skye. Seunghyun zeigte sich von seiner besten Seite. Er konnte so charmant sein, so liebenswürdig. Eigentlich sollte Skye das nicht überraschen. Es hatte schon seine Gründe, wieso da ein Funken entstanden war, auch wenn sie immer noch der Meinung war, dass sie als Freunde besser waren, wie als Paar.
Er war ein guter Kerl, nur konnte er es manchmal nicht ausdrücken. All die Erwartungen der Außenwelt. Von Anfang an, hatte er sich schützend vor sie gestellt. Damals, als das mit ihr und Ji anfing. Wie er sich immer um sie gekümmert hatte. Wie oft sie gelacht hatten. Er war der Freund, den sie nie erwartet hatte und sie war froh, dass dieses Techtelmechtel ihre Freundschaft nicht zerstört hatte.
Nach dem Abendessen ging sie mit ihm zum Strand für einen Spaziergang. Die Sonne war am Untergehen und tauchte alles in ein warmes orange. Skye würde das Geräusch der Wellen vermissen. Sie dachte immer, dass sie den Strand vermisste oder tatsächlich das Wasser als solches – zum Schwimmen und Tauchen – aber eigentlich vermisste sie nur das Geräusch der Wellen. Zu wissen, dass das Meer nahe war.
„Ist dir schon mal aufgefallen“, bracht Seunghyun die Stille, „dass du ständig von Leuten adoptiert wirst?“
Der Schalk klang in seiner Stimme mit und Skye grinste.
„Tja, ich habe die Mädchen-in-Not-Nummer wohl ziemlich gut drauf.“
„Glaube ich nicht“, erwiderte er und schüttelte den Kopf.
„Du hast diesen natürlichen Charme. Man will dich einfach um sich haben. Nicht, weil du hilflos wirkst und in jedem ein Helfersyndrom weckst – in der Regel machst du ziemlich schnell klar, dass du alles andere als hilflos bist. Aber irgendwie … und trittst jedem ohne Vorurteil entgegen. Egal ob ein Farmer oder ein Popstar.“
Fragend schaute sie zu ihm hoch. Wieso sollte sie einen Farmer anders behandeln, als einen Popstar? Sie hatte das noch nie verstanden, diese ganzen Vorurteile. Früher, in der Schule, als sie über die Bewegung der Afroamerikaner gesprochen hatten, hatte Skye es einfach nicht verstanden. Sie hatte ihren Lehrer gefragt, wieso Afroamerikaner denn nicht auf dem Bürgersteig gehen durften, wie alle anderen oder wieso sie auf den Feldern arbeiten mussten. Ihr Lehrer hatte ihr erklärt, dass es an ihrer Hautfarbe lag. ‚Aber was hat das mit irgendetwas zu tun?!‘ hatte sie völlig entsetzt gefragt. Sie hatte es nicht verstanden und noch heute vertrat sie die Meinung, dass es egal war aus welchem Land man kam, ob man Christ, Buddhist oder Moslem war, ob man Mann oder Frau war, ob man studiert hatte oder nicht, es keine Rolle spielte. Es war alles egal. Egal, wen man liebte. An wen man glaubte. Es gab gute Menschen und Vollidioten. Vollidioten gab es überall. Es gab Leute, die furchtbar schlau waren, aber nie studiert hatten und Leute, die furchtbar dumm waren und studiert hatten. Am Ende kam es doch auf den Menschen an. Auf seine Taten. Seine Sichtweisen und Gedanken. Was sagte ein Beruf oder eine Religion über jemand aus? Nichts. Wer war auf die Idee gekommen, dass Frauen weniger wert waren, nur weil sie keiner Männer waren? Gut, das waren wohl die Männer gewesen. Vollidioten. Es herrschte noch so viel Unterdrückung und Skye fand es ganz furchtbar, dass Mädchen in vielen Ländern noch immer Bildung verwehrt wurde oder das Leute vertrieben wurden, aufgrund ihrer Religion oder ihrer Sexualität. Furchtbar war es! Die Menschheit im 21. Jahrhundert sollte sich schämen.
Sie zuckte mit den Schultern.
„There are good people and there are douchebags. A farmer can be a good person – or a douchebag. So can the popstar.“
Wenn sie es sagte, klang es so einfach und grinsend schüttelte er den Kopf. Wenn jeder die Welt durch ihre Augen sehen könnte, hätten sie sehr viel weniger Probleme.
Sie blieben viel länger, als geplant und irgendwann war es so spät, dass Frau Lee ihnen verbot jetzt noch die weite Strecke nach Seoul zu fahren. Seunghyun könnte auf der Couch schlafen. Skye konnte Nari die Aufregung ansehen. Und die Enttäuschung, dass sie mit niemand darüber reden durfte.
Gemeinsam saß die Familie mit den zwei Gästen zusammen und Skye sang auf der Gitarre einige Lieder für sie. Sie hatte es gestern ja versprochen. Frau Lee war begeistert, ihr standen Tränen in den Augen.
„Sie haben wirklich ein so wunderbares Talent!“
„Ich habe doch gesagt, dass sie gut ist“, kam es motzig von Nari, weil nie jemand auf sie hörte.
Skye erinnerte all das hier an Fiji. Dieses ‚normale‘ Leben.
Man musste sich um die Ernte kümmern, sonst ging sie ein und man hatte nichts zu essen und keine Einnahmen. Man musste sich um die Tiere kümmern und die Bewässerungsanlagen freihalten. Man musste sich auf schlechtes Wetter vorbereiten und auf Hitze. Alles ging Hand in Hand und jeder wusste, was zu tun war und wenn man nachts ins Bett fiel, dann wusste man, dass man alles erledigt hatte und es am nächsten Tag weiter gehen würde.
In letzter Zeit hatte Skye selten das Gefühl, alles erledigt zu haben. In ihrem Kopf waren zu viele Gedanken, die sie einfach nicht ordnen konnte.
Seunghyun bekam ein Bett auf der Couch hergerichtet und es war schon geringfügig witzig, wenn man bedachte, dass er sonst in den besten Hotels, in den teuersten Suiten wohnte, weil es jedem so eine Ehre war, ihn als Gast zu haben. Die Amerikanerin wusste, dass er nur halb so verwöhnt war, wie er manchmal tat und die eine Nacht würde er sicher überstehen.