Dieser Morgen war ein sehr viel besserer Morgen als gestern. Skye war nicht schlecht, die Welt drehte sich nicht schneller, als sie sollte und sie lag nackt im Bett mit Jiyong.
„Wieso bist du eigentlich immer so früh wach?“, fragte er ohne die Augen zu öffnen.
„Um den Tag zu nutzen“, erwiderte sie und setzte sich auf, doch Jiyong zog sie wieder zu sich.
„Nein, erst Zähne putzen, dann Sex.“
Nun schlug er doch die Augen auf.
„Aber wir sind doch schon im Bett“, stellte er fest.
„Ja, aber vor dem Zähneputzen kann ich sowas nicht.“
„Ich habe noch nie eine Frau wie dich getroffen.“
„Das wäre auch komisch. Komm jetzt, Zähne putzen“, sagte sie und zog ihm die Decke weg.
Etwas später saßen sie beim Frühstück.
„Übrigens, Seunghyun hat uns heute Abend zum Essen bei sich im neuen Haus eingeladen.“
„Oh, ist es fertig?“
„Ja, richtige Stühle und sogar ein Tisch“, erwiderte Jiyong grinsend.
„Wobei die Farbeimer etwas charmantes hatten“, erinnerte sich Skye.
„Sag mal, was schenkt ihr Mia zum Geburtstag?“
„Oh, ich mache bei dieser Sammelaktion nicht mit. Die anderen schenken ihr ein Tattoo – oder eher einen Gutschein. Von Seoul Ink. Es ist einiges zusammen gekommen. Sie will so ein Mandala Muster auf der Schulter, das sie auf und zuklappt, wenn sie den Arm hebt oder sowas. Ich schenke ihr einen Flug in einem Heißluftballon.“
„Oh, das ist aber auch cool.“
„Ja, nur das sie Höhenangst hat.“
Jiyong gehörte wohl zu der Art Freunde, bei denen man keine Feinde mehr brauchte.
„Aber sie spricht seit Jahren davon, ich schubse sie nur über ihren eigenen Schatten“, sagte er und grinste zufrieden. Ja, eindeutig, man brauchte keine Feinde.
„Wo hast du deine Tattoos machen lassen?“, fragte er.
„Vieles auch bei Seoul Ink, Arang ist super, den Rücken habe ich auf Hawaii machen lassen.“
Jiyong selbst war voll und voll mit Tattoos, wobei sie lieber zusammengehörige Tattoos vorzog, als viele kleine überall zu haben. Manche Tattoos von ihm fand sie entzückend, wie sein Geburtsdatum oben auf der Schulter. Oder das auseinandergeschriebene ‚To-get-her’. Auch mit dem Dragon Ball konnte sie leben. Die anderen hatten für ihn sicherlich eine Bedeutung, aber ihr war es zu unzusammengehörig. Aber er war wer er war, so wie sie war, wer sie war und kein anderer Mensch konnte einem vorschreiben, was sie mit ihrem Körper anstellten. Über ihr Bein schwammen zwei Dutzend Fische, wenn jemand Fische nicht leider konnte, war ihr das herzlich egal. Wenn sie es ansah dachte sie an das Meer und das Gefühl, dass es in ihr hervorrief. Am Handgelenk hatte sie in Kalligraphie ‚Für immer‘ auf Koreanisch – Yongwonhi – stehen und es würde sie für immer daran erinnern, dass Korea einen besonderen Platz in ihrem Herzen hatte. Das Maori Muster hingegen, auf ihrem halben Rücken, empfand sie einfach als schön. Es war fließend und filigran und schön. Ebenso die beiden halben Mandalas auf den Fußinnenseiten. Sie waren mit Punkten gestochen, was sehr aufwendig war und die Haut dort ist sehr empfindlich, aber sie war entzückt gewesen, als es fertig war. Wenn man Zuhause eine Wand blau strich, dann machte man das auch nicht, weil es eine Bedeutung hatte, sondern weil man die Farbe mochte. Skye empfand so für ihren Körper. Er war ihr Zuhause. Wenn sie sonst kein Zuhause hatte, dann ihren Körper.
Mia hatte heute ein Fotoshooting für ein Sportlermagazin, die eine Reportage über sie als Tänzerin machten, doch Mia sah alles andere als motiviert aus.
„Was ist mit dir?“, fragte Skye und schaute zu ihr rüber. Sie hatte ein rotes Glitzer-Make-Up und ein schwarzes Tanzoutfit, eine Harmeshose und ein enges Oberteil.
„Das bin ich nicht.“ Mia starrte sich im Spiegel an.
„Entschuldigung, wer sind Sie dann?“, fragte Skye und Mia schaute zu ihr.
„Ich bin doch keine … ich weiß nicht. Ja, ich tanze gerne, aber ich bin doch keine Sportlerin. Die sprechen über meine Leistungen und Erfolge, aber im Gegensatz zu richtigen Sportlern … es ist zu wenig. Die tun so, als hätte ich bei Olympia mitgemacht. Was habe ich schon groß geleistet?“
Skye hätte nicht gedacht, dass es einer Frau wie Mia an Selbstbewusstsein mangeln würde. Manchmal machte man so viele Dinge, das man sich über die einzelnen Dinge gar nicht freuen konnte, sie gar nicht sah, weil es für einen selbst zu normal waren, zu wenig.
„Wie viele Choreografien hast du gemacht?“, fragte Skye.
„Weiß nicht … 13, 14 Musikvideos und für Konzerte … 30 oder so.“
„Wie viele Sportevents hast du organisiert?“
„Zwei oder drei jährlich.“
„Und du leitest eine Akademie und gibst Kurse und arbeitest mit internationalen Künstlern.“
„Ja, aber das mache ich doch alles nebenbei“, sagte Mia.
„Was du nebenbei machst würden anderen niemals hinbekommen. Nebenbei hast du noch Restaurants und eine Bar und Cafés, nebenbei kümmerst du dich irgendwie immer noch um Super Junior und nebenbei bist du auch noch Mutter von drei Kindern. Und du findest trotzdem die Zeit Flohmärkte für Idols zu machen und deine Assistentin zu verkuppeln. Ganz nebenbei bemerkt müsste es dich drei Mal geben.“ Das hatte Skye ja ohnehin schon festgestellt. Mia lächelte.
„Ja, aber für mich ist das alles so … normal.“
„Du kannst dein ‚Normal‘ nicht mit dem von anderen messen. Dein ‚Normal‘ ist für andere ‚Über‘.“
Skye wusste wie Mia sich fühlte. Skye interessierte sich für unheimlich viele Sachen. Sie hatte all diese Sprachen gelernt, sie liebte es zu reisen, sie liebte Tiere, sie liebte das Tauchen und die Fotografie. Sie fand diese Welt so faszinierend und wollte alles wissen. Vom Mariannengraben bis zum Everest, bis hin zu Stern Sirius, dem hellsten Stern am Himmel. Ihre Familie war gestorben und trotzdem hat sie ihre Master Arbeit nicht verschoben, sie war 3. Beste des Jahrgangs. Für Skye war das alles normal. Sie konnte Reifen wechseln, kannte sich mit Technik aus. Sie hasste es auf andere angewiesen zu sein. Nach Hilfe zu fragen. Deswegen konnte sie Computer auseinander nehmen und wieder zusammensetzen. Sie wusste wie man von der CD bootete und wie man Datenbanken programmierte und im Endeffekt hatte sie sich alles selbst beigebracht. Mia und Skye waren Macher. Sie standen nicht hilflos neben einem platten Reifen und hofften darauf, dass ein starker Mann zur Hilfe kommen würde.
Skye war einmal mit einem Mann ausgegangen und sie hatte so erzählt, was sie alles machte, wo sie überall gewesen ist, wo sie noch hin wollte und er sagte ‚Wow, ich finde es gut, dass du so viele Hobbys hast‘ und Skye fragte ihn dann, mit was für Frauen er sonst ausginge und er antwortete, dass sie immer nur Kaffee tranken und shoppen gingen.
Andererseits hatten Frauen wie sie es schwer einen Partner zu finden. Sie wollten keinen Langweiler, der nur Zuhause saß und nichts machte, sie wollten aber auch keinen Macho, der versuchte sie zu dominieren.
Mia und Donghae schienen genau auf der richtige Welle zu surfen. Ob das bei Skye und Jiyong so war, würde sich noch herausstellen.
„So und jetzt sei ein Macher, du bist Mia Martin!“, sagte Skye bestimmend.
Mia schaute zu ihr und nickte dann.
„Danke.“
Das Shooting lief danach super. Zuerst posierte sie. Skye fand die Deutsche unheimlich fotogen. Etwas, was man ihr auch nachsagte. Skye scheute Fotos nicht, aber sie wüsste nicht, ob sie ein richtiges Shooting durchhalten könnte. Mia ließ die Musik aufdrehen und tanzte dann einfach darauf los. Skye schaute dem Fotografen teilweise über die Schulter, um zu checken ob seine Kameraeinstellungen richtig waren. Mia hatte selbst die Playlist zusammengestellt und am Ende tanzte jeder mit.
Skye saß bei dem Fotografen, als er die erste Vorauswahl traf. Die Bilder waren super, sie sollte davon Abzüge machen und sie aufhängen.
Nach dem Shooting brachte man ihnen Mittagessen und Mia zog sich um und schminkte sich ab für das Interview. Das dauerte auch noch fast eine Stunde und dann waren sie auf dem Weg in die Akademie.
Mia lehnte sich zurück und schloss die Augen. Wie konnte es so weit kommen? Sie waren doch nur Kinder, die Superstar spielten. Sie hatten doch keine Ahnung was sie taten. Oder doch? Hatte Skye am Ende Recht und sie sah nur nicht was sie leistete?
In der Akademie ging es direkt weiter. Mia hatte einen Tanzkurs, irgendwas wie ‚Dance like an Idol 2.0‘ oder so. Skye hingegen machte Erledigungen für Mia. Sachen aus der Reinigung holen, die Bestellung bei Nike abholen und zwischen drin für heute Abend eine Flasche Wein kaufen. Sie hatte nicht gefragt wer noch alles kommen würde, ging aber davon aus, dass die ganze Band da sein würde. Würde ein Wein da reichen? Nein, sie durfte nicht trinken, sie musste sich voll unter Kontrolle haben. Und sie wollte nicht trinken. Nicht nach Vorgestern. Just in diesem Moment klingelte ihr Handy.
„Mister Jay?“
„Hallo Liebes, warst du schon Zuhause?“ Das war eine komische Frage.
„Ehm … nein.“
„Sehr gut, packe einen Bikini ein.“ Nach einer komischen Frage kam eine komische Aussage, Skye hätte es wissen müssen.
„Schatz. Es ist Januar.“
„Und Seunghyun hat einen riesigen, beheizbaren Whirlpool.“
Ah, da war die Erklärung.
Skye hatte wenig Lust auf Siwon zu treffen. Nachdem sie alles erledigt hatte, hatte Mia sie nach Hause geschickt. Sie musste duschen und sich umziehen. Vorsichtig öffnete sie die Tür zum Loft. Eunhyuk und Yesung saßen an dem Esstisch und schauten auf, als sie den Kopf rein streckte.
„Er ist nicht da“, sagte Eunhyuk, der ihr Verhalten genau richtig deutete und Skye setzte sich seufzend dazu.
„Ihr habt euch also noch nicht ausgesprochen?“, schlussfolgerte Yesung.
„Woher – sag nicht das ihr es wisst?!“
„Jedes kleine, dreckige Detail“, erwiderte Eunhyuk grinsend und Skye warf ein Küchenhandtuch nach ihm. Es gab keine dreckigen Details.
„Aber ernsthaft, ihr müsst darüber reden.“
„Ich weiß nicht was es da zu reden gibt. Ich bin mit Jiyong zusammen und er kommt daher, mit seinen weichen Lippen und seinem kitzelnden Dreitagebart und küsst mich.“
Yesung schaute von Skye zu Eunhyuk.
„Stell dir mal vor Mia hätte anfangs so ein Vokabular gehabt, sie hätte uns so fertig gemacht“, stellte er fest. Damals konnten sie wenigstens noch so tun als würden sie Englisch nicht verstehen. Eunhyuk ignorierte ihn.
„Vielleicht solltest du ihm das sagen, dass du nicht vor hast Jiyong für ihn zu verlassen.“
„Was? Ist das jetzt meine Schuld? Nur weil ich kein Eigentümerschild trage, heißt das, dass man mich einfach küssen kann?“
„Nein, natürlich nicht. Siwon ist nicht so gut in solchen Dingen.“
„Na dann hoffe ich, dass er in so Entschuldigungsdingen besser ist.“ Damit stand sie auf und ging auf ihr Zimmer.
„Sie macht uns schon fertig und dabei ist sie gar nicht unsere Assistentin“, bemerkte Yesung und schaute ihr nach.
Heute ließ sie ihren Neopren-Badeanzug in der Schublade und nahm einen Bikini mit. Er hatte über den Rücken und an der Seite vom Höschen viele Riemchen, deswegen zog sie ihn nicht gerne in der Sonne an – man konnte dann praktisch Schach auf ihrem Rücken spielen. Aber im Dunklen war es wohl okay. Sie zog eine Leggins an und einen Oversize-Pullover, der über ihre Schulter fiel. Ihre Haare steckte sie zu einem wuschigen Dutt hoch, damit sie später nicht nass wurden und sie legte ein leichtes Make Up auf. Schließlich war es ein Essen unter Freunden, kein Grund sich aufzubrezeln.
Als sie an den Männer wieder vorbei ging, schaute Eunhyuk ihr nach.
„Schläfst du heute Nacht wieder Zuhause?“, fragte er hoffnungsvoll.
„Weiß ich noch nicht“, antwortete sie ehrlich.
Sie fuhr selbst mit dem Wagen zu Seunghyun und heute sah das Haus schon wesentlich einladender aus, als beim letzten Mal. Sie parkte in der Einfahrt und klingelte.
„Hi, schön dass du da bist, komm doch rein“, begrüßte sie Seunghyun und umarmte sie. Langsam ging sie in das Haus rein und schaute sich um.
„Es ist genau wie du es beschrieben hast“, sagte sie zufrieden und reichte ihm den Wein.
„Ja, ein paar Kleinigkeiten fehlen noch, aber die fehlen ja immer“, erwiderte er schulterzuckend. Seunhyuks Geschmack war eine Gratwanderung aus stilvoll und verrückt. Die Möbel waren alle sehr modern, gradlinig und wahrscheinlich unbequem. Er hatte unheimlich viel Kunst, moderne Kunst, Gemälde und Fotografien und er hatte Möbel, bei denen Skye sich nicht sicher war, ob es wirklich Möbel waren oder Kunstgegenstände. Er hatte eine riesige Bulldoggen Statue mit Anstrich der englischen Flagge und eine englische Telefonzelle, die lustigen Roten. Skye schaute skeptisch.
„Sie funktioniert, also das Telefon. Ich habe einen Klappstuhl einbauen lassen.“ Er war ihrem Blick gefolgt und grinste.
Skye mochte es lieber gemütlich, wie das Loft. Das Loft war zwar urban, mit Beton, Stahlträgern und Backsteinwänden, aber es hatte auch Gemütlichkeit. Ein flauschiger Teppich, die Kokons, verschiedene Lichtquellen, Sitzkissen und warme Farben, wie Holz, de beige Teppich, die rote Küche. Hier kam sie sich eher vor wie in einem Museum.
Daesung war bereits da und als nächstes kamen Seungri und Lisa. Skye schaute zwischen den beiden hin und her und sie fingen an zu grinsen.
„Ja, wir sind ein Paar“, sagte Seungri.
„Das wusste ich gar nicht“, gab Skye zu, fand es aber irgendwie süß.
„Ja, seit fast zwei Jahren. Wir wollten die Medien noch nicht daran teilhaben lassen“, erzählte Lisa und Skye bewunderte die beiden dafür, dass sie die Beziehung so lange verheimlichen konnten. Jedenfalls hatte sie jetzt weibliche Unterstützung und Seunghyun mixte den beiden erst einmal einen Cocktail.
„Sie haben vielleicht keine Vulkane, aber dafür mehr Alkohol“, sagte er beim Servieren.
„Lass das bloß nicht Jiyong hören“, sagte Daesung lachend.
Es folgte Youngbae mit seiner Freundin Hyorin. Skye wusste nicht viel über sie, nur das sie Schauspielerin war, auch wenn Skye jetzt nicht sagen könnte, wo sie mitgespielt hatte. Nur Jiyong ließ auf sich warten. Skye war nicht die Freundin, die ständig ihren Kerl anrief, also fragte sie Seunghyun.
„Er hat vorhin gesagt er wollte kurz ins Studio, er kommt sicher bald“, war seine Antwort.
Die Gruppe stand in der Küche und quatschte. Küchen waren ein lustiger Raum. Egal wie groß das Haus oder die Wohnung war, die lustigsten Dinge passierten immer in den Küchen. Keine Ahnung wieso das so war, Skye mochte Küchen noch nicht einmal.
Während sie auf Jiyong warteten, deckten sie den Tisch ein. Seunghyun hatte einen Tischgrill, richtig mit Abzug und es würde Bulgogi geben. Im Kühlschrank fanden sie lauter kleine Schälchen, gefüllt mit Gemüse, Saucen und Fleisch und der Reiskocher war auch schon angeschmissen.
„Gruselig hier“, sagte Lisa, als sie alleine im Wohn-Essbereich waren und Skye lachte.
„Also ich weiß nicht ob es gruselig trifft, es ist … eigen.“
„Ja, sehr“, sagte sie Sängerin und schaute sich um.
„Du hast Psychologie studiert, was sagt dir die Einrichtung?“, fragte Lisa. Es gab keinen Kurs der ‚Zeig mir dein Heim und ich sag dir was für ein Mensch du bist‘ hieß, doch natürlich konnte man in Einrichtung interpretieren. Jiyongs Wohnung war auch nicht wie aus einem Katalog. Er hatte viele Designersachen, er hatte ein großes Prada Schild im Wohnzimmer und eine Liege von MCM, doch es waren nur Prestigeobjekte. Seunghyun hingegen versuchte die Facetten seiner Gedankenwelt zum Ausdruck zu bringen und manche waren ziemlich düster.
Skye beobachtete Youngbae und Hyorin. Das war ein Paar, dass sie nicht verstand. Er war der König von Passiv-Aggressivistan und sie die Vorstandsvorsitzende von Kichern-wenn-einem-nichts-besseres-einfällt. Skye wollte noch nicht mal denken, dass sie dumm war, aber sie war so eine typische, oberflächliche Tussi, die zu allem Übel auch noch eine fürchterliche Körperhaltung hatte und früher oder später deswegen einen Buckel bekommen würde. Vielleicht war sie gut im Bett, aber wenn es nur das war, waren sie ganz schön lange zusammen. Vielleicht stand er auch drauf, jemanden zu haben, der nicht alles so verstand, was um einen vorging. Jemand der froh war, dass jemand da war, um die Führung zu übernehmen.
Plötzlich erschreckte sich Skye. Was wenn Youngbae genau das in ihr sah, was sie in Hyorin sah?
„Sag mal wirke ich dumm auf dich? Also leicht minderbemittelt?“, fragte sie Lisa grübelnd.
„Was?!“ Jetzt verstand die Sängerin gar nicht mehr, um was es ging, doch sie sah, dass Skye eine Antwort wollte.
„Nein, du siehst eher aus wie ein Miststück versteckt in einer serienreifen Puppe. Gerissen und biestig.“
„Danke … glaube ich“, erwiderte Skye grübelnd.
„Aber mal ernsthaft: Wer hat dieses Gesicht gemacht?!“, fragte Lisa lachend. Die Grübchen, die hohen Wangenknochen, dieses breite Lächeln, umgeben von vollen Lippen und diese Stupsnase.
„Mama und Papa“, erwiderte Skye grinsend.
„Na wenn die Eltern plastische Chirurgen sind ist das natürlich einfach“, gab Lisa zurück und stupste Skye mit der Schulter an.
Sie fingen ohne Jiyong mit dem Essen an und Skye war schon ziemlich angesäuert. Angesäuert führte dazu dass sie trank, wobei sie schon noch mitbekam, wie Seunghyun ihren Wein mit Wasser streckte.
„Er wird sicher gleich kommen“, versicherte der Rapper ihr.
„Ja, es ist schön, dass er sich nicht komplett von Liebe verblenden lässt und seinen Job noch ernst nimmt“, kam es von Youngbae. Daesung, Lisa und Seungri beobachteten die beiden und waren beunruhigt. Seunghyun versuchte zu retten, was noch zu retten war und Hyorin bekam die Spannungen am Tisch wahrscheinlich gar nicht so mit.
Eine viertel Stunde später stürmte der Bandleader durch die Tür und hatte als Wiedergutmachung Nachtisch besorgt. Er gab Skye einen Kuss und sie erwiderte ihn. Sie würde nicht die ätzende Freundin spielen und eine Szene machen. Er war Musiker. So war das eben. What you see is what you get.
Schnell war die Stimmung wieder ausgeglichen.
Nach dem Essen trennten sich die Männer und Frauen und Lisa stand in der Küche und mixte ihnen noch einen Cocktail.
„Ein wirklich schönes Haus“, sagte Hyorin und schaute sich um.
„Ja und im Zweifel ein Verhütungsmittel“, erwiderte Skye und Lisa fing an zu lachen.
„Verstehe ich nicht“, meinte Hyorin unsicher, doch Skye winkte nur ab.
„Nicht so wichtig.“
„Hey, gibt es in dem Haus eigentlich Musik?“, fragte Lisa und schaffte es immerhin sich per Bluetooth mit der Hausanlage zu verbinden. Die Frauen jubelten, während sie Männer noch gar nicht begriffen hatten wie das passiert war.
„Also ich würde sagen das bedeutet Pooltime“, kam es von Seungri grinsend und alle verteilten sich, um sich umzuziehen. Seunghyun hatte für alle Bademäntel und Handtücher bereit gelegt. ‚Whirlpool‘ war die Untertreibung des Jahres gewesen. Der Pool war fast fünf Meter lang und hatte an den beiden Enden jeweils drei Liegen im Wasser, mit Luftdüsen und Massagefunktion. Es war fast ein Olympiabecken, nur beheizt und mit LED Beleuchtung.
Als Skye auf die Terrasse ging, war Daesung der Erste, der ihre Tattoos entdeckte.
„Wow, ich hoffe das sind Süßwasserfische“, scherzte er und zog damit die Aufmerksamkeit der anderen auf Skye. Lisa wollte sich das alles genau anschauen und saß mit Skye auf den Liegen am Poolende.
„Das hat bestimmt lange gedauert“, sagte sie.
„Ach na ja, wenn man was will, dann muss man es auch durchziehen“, meinte Skye. Sie verstand nicht wie Leute beim Tätowieren von Schmerzen sprechen konnten. Es war ein selbstzugefügter Schmerz, etwas, was man wollte. Wie die Beine epilieren oder die Augenbrauen zupfen. Es war nicht unerträglich. Es gab Stellen, die waren empfindlicher als andere, doch man tat es für das was man wollte. Skye würde nie einfallen deswegen zu jammern, sie hatte es sich ja selbst ausgesucht.
„Sieht man dir gar nicht an, dass du so hart bist“, meinte Taeyang und lehnte sich im Pool zurück.
„Und dir sieht man nicht an, dass du so ein kleinkarierter, vorurteilsverseuchter, arroganter, medienüberschätzter Arsch bist“, erwiderte Skye und die Welt schien stehen zu bleiben. Niemand rührte sich, als würden sie darauf warten, dass Skye anfing zu lachen. Doch das geschah nicht.
„Wenn ich jetzt sagen würde, dass Kinder und Betrunkene immer die Wahrheit sprechen, wäre das kontraproduktiv, richtig?“, flüsterte Seungri zu Daesung.
„Richtig“, bestätigte er seinem Bandkollegen und beide wurden von Jiyongs finsterem Blick getroffen.
„Okay, okay, okay, wir wollen uns alle etwas beruhigen“, versuchte Seunghyun zu beschwichtigen.
Skye stieg aus dem Wasser, nahm sich einen Bademantel und ging ins Haus. Wieso tat sie sich das an? Es konnten sich nicht alle Menschen verstehen, mussten sie auch gar nicht. Sie würde jetzt damit aufhören sich das anzutun. Bester Freund hin oder her. Sie zog sich wieder um, als es klopfte.
„Liebes, ich bin’s“, kam es von Jiyong vor der Tür. Als sie nichts antwortete, kam er rein.
„Was tust du?“
„Ich gehe nach Hause.“
„Komm, was ist denn los? War das wirklich nötig eben?“
Skye drehte sich um.
„War das nötig? War das nötig?! War es nötig, dass du mich hier Stunden lang alleine lässt, mit deinen Bandkollegen und Freunden? War es nötig mich mit dem König von Passiv-Aggressivistan alleine zu lassen, der den ganzen Abend nichts Besseres zu tun hatte als spitze Kommentare von sich zu geben? Oh die Amerikaner bla bla bla, oh die Blondinen bla bla bla, oh die steigende Anzahl von Ausländern in Korea bla bla bla. War das nötig? Ich habe alles getan. Ich habe ihm alle Fragen beantwortet. Ich war ehrlich. Ich habe über meine toten Eltern gesprochen, über meinen toten Onkel, über meine Tante, über meine tote Katze, darüber wie ich alles verloren habe. Es ist vorbei, ich höre auf ihm gefallen zu wollen. Soll er mich hassen. Ich hasse ihn auch und er kann froh sein, dass ich Sanitäter bin, denn wenn ich ihn in dem 1,5 Meter tiefen Pool ertränkt hätte, wäre ich tatsächlich dazu verpflichtet gewesen ihn danach zu retten. Und du hast die Nerven mich zu fragen, ob das nötig gewesen ist? Und überhaupt, wie kannst DU sie leiden? Sie ist eine Dumpfbacke! Wenn es natürlich blonde Koreaner geben würde, wäre sie die erste. Und du lässt zu, dass dein bester Freund durch seine Beziehung sukzessive verblödet.“
Jiyong starte sie an. Das waren viele Worte gewesen.
„Der König von was?“, fragte Jiyong, sichtlich verwirrt von dem Vortrag.
„Passiv-Aggressivistan“, antwortete Skye und stürmte aus dem Bad, nur um Youngbae davor zu finden.
„Euer Hoheit“, sagte sie zu ihm und deutete einen Knicks an, bevor sie die Haustür ansteuerte.
„Skye, nun warte doch, so kannst du nicht Auto fahren.“ Jiyong eilte ihr hinterher.
„Ich werde auch nicht Auto fahren. Ich bin in der Lage mir ein Taxi zu rufen. Dafür brauche ich dich nicht!“ Und dann krachte die Tür ins Schloss.
Die anderen hatten sich natürlich auch rein geschlichen und den Streit mit angehört.
„Willst du ihr nicht nach?“, fragte Seunghyun.
„Bist du wahnsinnig? Was soll ihr passieren? In dem Zustand würde sie einen T-Rex auseinander nehmen“, bemerkte Seungri, nicht zu unrecht.
„Also … tja … das ist der Moment wo die Stimmung endgültig am Arsch ist?“, fragte Daesung in die Runde und jeder ging sich, ohne weiteres Kommentar, umziehen.