Bevor sich Skye ein Taxi rief, lief sie. Sie lief und lief und lief um all diese Wut los zu werden. Laufen war gut. Schreien war besser, doch es war in der Nacht und sie wollte nicht die Ausländerin im Porzellanladen sein. Ehe sie sich versah war sie zum Loft gelaufen. Sie hatte keine Ahnung wie weit es gewesen ist, doch ihre Step-App sagte etwas von 5,4 Kilometern. Das Step-App sagte ihr auch, dass sie ihr Tagesziel erreicht hatte. Yay.
Als sie ins Loft kam, war alles dunkel. Mia hatte ihr frei gegeben. Eigentlich hatte sie bei Jiyong schlafen wollen, doch daraus war ja nichts geworden. Nun konnte sie schlafen und ausschlafen und auf keins von beidem hatte sie Lust.
Sie nahm sich ihr Kissen und legte sich in einen Kokon, als sie eine Tür hörte.
„Schauen wir wieder die ISS?“, fragte Leeteuk und setzte sich zu ihr.
„Nein. Die ISS gucken wir, wenn wir schlafen wollen.“
„Und wir wollen nicht schlafen?“
„Nein, wir wollen wieder gut gelaunt sein. Wir gucken Tape Face.“
„Tape Face?“, fragte Teukie und Skye sagte ihm, er solle es nur abwarten.
Skye war am nächsten Morgen eine der Ersten in der Akademie und setzte sich fleißig an die Vorbereitung für Shanghai und ging den Plan durch. Sie waren nur eine Nacht in Shanghai und viel Zeit für Freizeit gab es nicht. Wobei Shanghai im Sommer auch schöner war, wenn im Yu Garten alles blühte und man abends am Flussufer spazieren gehen konnte, mit Blick auf die Skyline auf der anderem Seite. Es war kalt und die Wettervorhersage zeigte auch Schneefall. Immerhin war ihr Hotel auf einer der Haupteinkaufsstraßen und sie freute sich drauf die neusten Modetrends zu entdecken.
„Ich dachte du hast heute frei?“
Mia lehnte am Türrahmen und schaute überrascht.
„Schrecklicher Abend bei Seunghyun, lass mich arbeiten, sonst komme ich noch auf die Idee mir im Internet eine Anleitung zum Bau einer Bombe runterzuladen.“
Mia zog die Augenbrauen hoch.
„Oh-kay… du sagst, wenn ich die Internetleitung kappen lassen soll?“
„Nicht nötig, ich habe ja Arbeit.“
Und dafür würde Mia auch den Rest des Tages sorgen.
Der Nächste, der den Mut besaß seinen Kopf durch die Tür zu stecken, war Seunghyun.
„Hi, was tust du hier? Schadensbegrenzung?“, fragte Skye ihn.
„Nein, ich wollte dir dein Auto bringen und Mia hatte geschrieben du hast frei, daraufhin bin ich ins Dorm gefahren, aber die sagten du wärst hier“, erklärte er und schmiss ihr den Autoschlüssel zu.
„Danke …“, meinte Skye, doch wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war Seunghyuns Party gewesen und sie hatte sie kaputt gemacht. Okay, eigentlich hatte Youngbae angefangen, aber das wäre eine kindische Argumentation.
„Sorry wegen gestern“, fügte sie schließlich an.
„Mach dir keine Sorgen, bis auf Youngbae und Jiyong hatten wir alle viel Spaß gehabt“, erwiderte er grinsend.
„Na das ist ja schön, dass wir euch belustigen konnten.“
„Nein, nein, so ist das nicht. Viele würden sich nicht gegen Youngbae auflehnen. Du weißt nicht wie viele Beziehungen er von Jiyong auf dem Gewissen hat. Bisher hatte Jiyong ihn immer beschützt, doch bei dir ist er anders. Als du weg warst, ging es mit den beiden gleich weiter. Jiyong sagte ihm, dass er dich zu respektieren hatte und wenn er dazu nicht in der Lage war, es besser wäre nur auf professioneller Ebene zu arbeiten.“
Skye fiel der Kiefer runter.
„Ich wollte nicht, dass die beiden sich streiten.“ Das war ehrlich gemeint. Dass sie sich mit ihm fetzte war eine Sache, aber die beiden waren Freunde und Skye würde auch nie verlangen, dass Jiyong sich zwischen ihnen entscheiden müsste. Seunghyun sah das aber recht locker.
„Wir streiten uns alle mal, Freunde hin oder her. Wir sind alle unterschiedlich und manchmal gibt es Reibungen. Es tut Youngbae vielleicht mal ganz gut“, erklärte er und ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen.
Das nächste Big Bang Mitglied, das Skye suchte, war Jiyong. Er klopfte an ihre Tür, doch sie sah ihn nicht hinter dem riesigen Blumenstrauß.
„Puddin‘, is that you?“, fragte Skye und er ließ ihn sinken.
„Some flowers for my flower“, erwiderte er und gab ihr einen Kuss.
„Bist du gut nach Hause gekommen?“
„Ja, ich bin gelaufen.“
„Was? Wieso hast du nicht angerufen? Ich hätte dich geholt.“
„Ich hätte auch ein Taxi rufen können, doch ich wollte laufen. Laufen ist gut“, versicherte sie ihm und kurz schauten sie einander an.
„Es tut mir wirklich leid, ich hätte dich verteidigen müssen. Ich werde dich jetzt immer verteidigen“, versprach er.
„Nicht immer. Youngbae ist dein Freund und hat vielleicht manchmal Recht … nicht das ich dafür schon ein Anzeichen gesehen hätte, aber du weißt ja wie das mit den blinden Hühnern und den Körnern ist …“
Skye grinste und Jiyong fing an zu lachen.
„Aber Schatz“, und dabei schnappte sich Skye ihn beim Kragen.
„Das nächste Mal wenn du zu spät kommst, komme ich gefälligst mit zu spät, anstatt irgendwo zu sitzen wie bestellt und nicht abgeholt.“
„Versprochen“, erwiderte er und sie küsste ihn. Sie wollte nicht nachtragend sein. Für ihn war es auch nicht einfach und Skye wusste nicht, wie sie an seiner Stelle reagieren würde. Genau das war der Grund, wieso Skye keine Freunde hatte. Man kam viel zu oft in Situationen, in denen man sich nicht zu helfen wusste. Nein, an sich hatte Skye mit vielen keinen Kontakt mehr, doch eigentlich vermisste sie ihre Freunde und wollte das nur nicht zugeben.
Da Skye ja nun auf der Arbeit war, nahm Mia sie mit zu dem einen Kinderkrankenhaus, wo sie einmal im Monat eine Tanztherapie machten. Die Pfleger und Ärzte suchten vorher aus, welche Kinder fit genug waren und ansonsten konnte jeder teilnehmen wer wollte und die Eltern gleich mit. Einmal im Monat dachte sich die Akademie ein Thema aus und eine einfache Choreografie, damit jeder mitmachen konnte. Neben Mia und Skye waren noch fünf andere Tänzer dabei und gemeinsam fuhren sie in dem Van zu dem Krankenhaus.
Die Schwestern kannten die Truppe inzwischen und begrüßten sie fröhlich. Es standen auch schon die ersten Kinder bereit und schauten neugierig durch die Fenster ihrer Zimmer in den Flur. Man gab ihnen ein Zimmer zum Umziehen und plötzlich stand Mia mit einem blauen Kleid vor ihr.
„Oh, hübsch“, sagte Skye, die die Katastrophe schon kommen sah und freundlich zuwinkte.
„Das bist du. Ich Anna, du bist Elsa.“
„Ich bin Skye, du bist Mia“, korrigierte Skye, wohl wissend, dass das nicht die Antwort war, die Mia hören wollte.
„Nein, du bist Elsa, ich bin Anna.“
Skye schaute zu dem Kleid und zurück zu ihrer Chefin, wenn Logik nichts brachte, dann half vielleicht Jammern.
„Omo, omo Unni, ich bin keine Tänzerin“, beklagte sich die Amerikanerin und setzte ihr bestes Schmollgesicht auf.
„Du bist meine Assistentin und du assistierst mir.“ Daran ließ sich auch nichts mehr ändern.
Natürlich führten sie ‚Let it go‘ auf. Die ersten drei Englischen Worte, die jedes koreanische Kind sprechen konnte: Let it go.
Um ehrlich zu sein fand Skye Frozen total überbewertet. Rapunzel war um Längen schöner gewesen, aber irgendwie war Frozen der totale Überflieger geworden, selbst jetzt noch – Jahre nach dem großen Erfolg. Elsa war natürlich ein Magnet für die Kids und Skye war umgeben von Kindern, sie sich mit ihr fotografieren ließen. Sie hatten auch zwei Prinzen und zwei Tänzerinnen hatten sich ganz weiß geschminkt und hatten eine weiße Afro-Perücke, um als Schneemann durchzugehen.
Die drei Stunden flogen nur so an ihnen vorbei und die Tänzer beschlossen sich nicht umzuziehen und so essen zu gehen. Super Idee. Wobei man bestimmt schon Verrückteres in Seoul gesehen hatte. In Japan würden sie wahrscheinlich noch nicht mal auffallen. Sie saßen in dem Restaurant und schossen unzählige Bilder. Mia machte ständig Selfies mit Skye und schickte sie der halben Welt. Erst Harley Quinn und jetzt Elsa. Skye war begeistert.
Schließlich erreichten sie wieder die Akademie. Es hatte angefangen zu schneien und alle eilten in das Gebäude. Mia und Skye schlenderten, als eine Gestalt aus dem Schatten trat. Es war Youngbae.
„Ich geh schon mal vor“, sagte Mia und klopfte Skye auf die Schulter.
Als der Sänger die Kostüme der beiden erkannte fing er an zu grinsen.
„Was ist heute mit euch? Seit ihr die drei Geister der Weihnacht?“, fragte Skye. Seunghyun, der Geister der Vergangenheit. Jiyong, der Geist der Gegenwart und Youngbae, der Geist der Zukunft. Er schien nicht zu wissen, dass sowohl Seunghyun, als auch Jiyong schon bei Skye gewesen waren.
„Ist nicht wichtig“, sagte sie, nicht unfreundlich und hob die Augenbrauen. Ihr war natürlich vollkommen klar, dass sie in dieser Aufmachung weder ernst genommen wurde, noch wirklich sauer wirken konnte, aber gut, daran ließ sich jetzt nichts ändern.
„Ich wollte mit dir über gestern reden“, begann er und Skye biss sich auf die Wange um nicht so ein Kommentar wie ‚Wäre ich nie drauf gekommen‘ abzugeben.
„Ich weiß ich habe mich vielleicht etwas zu sehr in eure Beziehung gehängt. Jiyong ist wie ein Bruder für mich und er ist wirklich schon oft auf die Nase gefallen.“
Skye schaute ihn einfach nur an. Er schien mit solchen Dingen nicht viel Erfahrung zu haben und erwartete wohl, dass sie etwas erwiderte.
„Weiter?“, war alles was er bekam. Youngbae seufzte und trat von einem Fuß auf den anderen.
„Ich bin vielleicht etwas unfair gewesen…“
„Ja“, unterbrach sie ihn.
„Und ja, du hattest gestern recht. Es war nicht nötig dich so anzugreifen. Ich tue viele Dinge die nicht nötig sind.“
Sie betrachtete ihn einen Augenblick. Hatte er wirklich nur das Gute für seinen Freund im Sinn? Sie wollte es mal glauben, sie war schließlich eine Disney Prinzessin, sie musste optimistisch sein.
„Entschuldigung angenommen“, erwiderte sie und wollte sich abdrehen.
„Und jetzt du“, kam es von Youngbae und Skye drehte sich um.
„Hm?“
„Du hast gestern auch ein paar unnette Dinge gesagt“, meinte er.
„Ja, weil du angefangen hast!“ Egal, jetzt würde sie diese Argumentation durchboxen.
„Du hast mich provoziert!“, warf er ihr vor.
„Ich habe dich provoziert? Wie denn genau? Durch meine bloße Anwesenheit?!“
„Du bist rechthaberisch und herablassend.“
„Willst du jetzt auf dein Dummchen von Freundin anspielen?“
„Sie ist kein Dummchen!“
Drinnen – im Warmen – saßen Mia und Kai vor der Überwachungskamera und schauten sich den Krimi vor der Tür an. Sie hatten den Hörer von der Sprechanlage runtergenommen, damit sie auch zuhören konnten.
„Was haben die eigentlich für ein Problem?“, fragte Kai.
„Keine Ahnung, ich glaube sie beide haben Jiyong zu gerne.“
„Ja, aber wie kann man sich darüber streiten jemanden gern zu haben?“
„Schatz, nur weil ich älter bin als du, heißt das nicht, dass ich auf alles eine schlaue Antwort hatte.“
Kai seufzte enttäuscht. Durch ihre Unterhaltung haben sie nicht mitbekommen, wer von den beiden den ersten Schneeball geschmissen hat. Natürlich gab es später zwei Versionen, einmal die, bei der Skye angefangen hatte und dann die, wo die Schuld auf Youngbae zurück geht.
Draußen keiften sie sich immer noch an und beschmissen sich dabei mit Schneebällen. Elsa, als Königin des Eis, hatte da theoretisch betrachtet deutlich die besseren Chancen. Irgendwann erwischte ein Schneeball ein Auto so stark, dass die Alarmanlage ausgelöst wurde. Youngbae und Skye tauschten einen Blick aus und ergriffen dann die Flucht gemeinsam.
Auf Schnee rennen war natürlich eine tückische Sache und Skye rutschte aus und setzte sich schmerzhaft auf den Hintern. Youngbae blieb stehen und wollte ihr aufhelfen, doch sie zog ihn zu sich runter und verlor den Halt. Da saßen sie nun beide im Schnee. Als sie sich anschauten fingen sie herzlich an zu lachen. Halbherzig schmiss Skye einen Schneeball nach ihm.
„Ich hasse dich!“
„Ich hasse dich mehr!“, erwiderte er und wieder fingen sie an zu lachen. Das nannte man dann wohl Waffenstillstand.
Nass und durchgefroren gingen sie in der Akademie duschen. Youngbae hatte hier einen Spint mit Wechselklamotten und Skye nahm sich eine Jogginghose und einen Pullover von Seunghyun, weil sie mehr ‚Swag‘ hatten, als die von Jiyong – und weil sie Angst hatte mit ihrem Hintern nicht in seine Hosen rein zu passen, was zwar Quatsch war, aber so schob man sich eben die Argumente zurecht.
Nach dem Duschen trafen sie sich in der Küche.
„Hier, ich habe dir einen Tee gemacht“, sagte sie zu ihm und reichte ihm die Tasse.
„Danke.“ Er nahm die Tasse entgegen, doch Skye beugte sich zu ihm rüber.
„Der ist gestreckt mit Rum – nur das du Bescheid weißt“, flüsterte sie ihm zu und der Sänger fing an zu lachen.
„Mir gefällt wie du denkst.“
„Danke“, erwiderte sie und sie setzten sich an den Tisch.
Mia und Kai standen um die Ecke und lunzten durch die Tür.
„Kannst du mir mal erklären, wieso die sich jetzt verstehen?“, wollte Kai wissen, der aus dieser ganzen Kisten nicht schlau wurde.
„Keine Ahnung, ich glaube sie beide haben Jiyong zu gerne.“
Kai schaute Mia entsetzt an.
„Das war deine Ausrede dafür, dass sie sich streiten. Du kannst nicht die gleiche Ausrede für zwei gegensätzliche Dinge benutzen!“
Mia zuckte mit den Schultern.
„Liebe und Hass liegen sehr nahe beieinander“, meinte sie nur und zog ihn weg, um den anderen beiden etwas Freiraum zu geben.
Später fuhr Skye zu Jiyong und musste Mia versprechen Morgen bis zum Flug nicht zu arbeiten. Sie klingelte an der Tür und wartete. Dann klingelte sie wieder. Und dann noch mal, bis er endlich die Tür öffnete.
„Hörst du die Klingel im Ostflügel nicht?“, fragte sie. Dabei hatte Jiyong sie mit Absicht warten lassen, aus einem ganz bestimmten Grund.
„Wenn du den Code kennen würdest, könntest du einfach rein kommen.“
Wieder schlug Skye die Hände auf die Ohren und ging mit einem ‚lalalala‘ an ihm vorbei. Grinsend folgte er ihr, schnappte sie und schmiss sich zusammen mit ihr auf die Couch.
„Sag mal, sind das Seunghyuns Klamotten?“, fragte er und schaute sie prüfend an.
„Ja“, antwortete sie wahrheitsgemäß.
„Okay.“
„Okay?“ Er machte sich um viel zu wenige Sachen Gedanken.
„Ich habe aufgehört alles, was ich nicht verstehe, in Frage zu stellen.“
Dann küsste er sie und begann sie auszuziehen, bis sie zusammenzuckte.
„Was ist los?“, fragte er besorgt und schaute an ihr runter, bis er einen großen blauen Fleck entdeckte, der sein volles Ausmaß noch nicht erreicht hatte.
„Der ist von Youngbae“, erklärte sie und nun setzte der Rapper sich auf. Wenigstens wusste sie diesmal, woher der blaue Fleck stammte.
„Also, du kommst hier her und hast Seunghyuns Klamotten an und einen blauen Fleck von Youngbae?“ Er wollte das nur klar stellen, nicht dass er hier etwas verpasste.
„Ja.“
„Muss ich mir Gedanken machen?“
„Nein.“
„Dann ist ja gut“, erwiderte er und legte sich wieder zu ihr. Skye mochte dieses Unkomplizierte. Andere Kerle wären jetzt vielleicht durchgedreht oder wollten ihre Freundin auf Schritt und Tritt verfolgen. Sie mochte es nicht so eingeschränkt zu werden und das war auch der Grund vieler gescheiterter Beziehungen von ihr. Sie vertraute ihm ja auch und schickte keine 20 Nachrichten am Tag. Jiyong machte aber auch nicht den Eindruck, als sei es ihm gleichgültig, er vertraute ihr einfach und auf Vertrauen baute eine Beziehung auf. Sie hatte nicht das Gefühl ihm irgendwas erklären zu müssen oder Rechenschaft abzulegen und dafür war sie auch nicht der Typ. Sie hatte noch nie jemanden betrogen. Bevor es dazu kam beendete sie die Beziehung. Mit Jiyong verspürte sie keinen Druck, sie nahmen jeden Tag wie er kam und jeder Tag brachte etwas Neues.