Oh mein Gott. Ich kann nicht nach Hause.
Morgens, Seoul, Sonnenschein. Die Frisur? Für’n Arsch. Es war kurz nach 5 Uhr. Mia war gelandet, hatte ihren Koffer geholt und saß nun vor dem Flughafen in Incheon, holte Stresszigaretten nach. Die Sonne war gerade aufgegangen, schon jetzt war auf dem Flughafen reges Treiben. Leute kamen und gingen, Taxifahrer fragten sie ob sie ein Taxi brauchte. Mia schickte sie alle weg.
Irgendwie hatte sie nicht nachgedacht. Was sollte sie denn bitte tun?! Sie konnte nicht ins Dorm, ohnehin wollte sie erst einmal langsam machen und gucken, wie die Lage war. Sie konnte nicht nach Hause. Zu viele Leute hatten den Sicherheitscode, sie konnte sonst wem in die Arme lauf.
Sie war obdachlos.
Sie rauchte noch eine Zigarette. Stress.
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Es verging eine weitere Stunde, in der Mia nur da saß und durch die Gegend starrte. Schließlich packte sie ihren Laptop aus, am Flughafen hatte man Wifi und sie ging auf booking.com. Wieso? Um sich ein Hotel zu buchen! Wenn sie in keines ihrer zwei Zuhause konnte, würde sie sich eins mieten! Mia war schon drauf und dran sich in ein tolles 5 Sterne Super-Hotel zu buchen, als sie nachdachte. In solchen Hotels würde sie viel schneller auffliegen, als in kleinen Hotels. Keine Kameras, kein richtiger Check-In. Das war ein Hotel wie es Mia brauchte.
Also buchte sie sich erst einmal für 5 Nächste das Hill House. So ziemlich vor einem Jahr, als sie Urlaub in Korea gemacht hatte und das Vorstellungsgespräch bei SM Town hatte, war sie im Hill House gewesen. Es lag zwischen Namdaemun und Myongdong, verwinkelt und verborgen. Es war modern und sauber, das einzige was etwas komisch war, war dass es keine Kleiderschränke gab, sondern nur ein kleines Regal, aber gut, man kann ja auch aus dem Koffer leben.
Mia buchte direkt online und suchte sich dann ein Taxi. Sie konnte dem Fahrer schnell erklären wo sie hin musste und so fuhren sie los.
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Eine Stunde später kam sie am Hotel an. Es war noch zu früh zum einchecken, hier hatte sie keinen Sonderstatus.
„Aber Sie können gerne ihre Sachen hier lassen, das Zimmer wird ungefähr um 12 Uhr fertig sein“, sagte die Frau hinter dem Schalter in Koreanisch und Mia musste erst einmal umdenken.
„Danke, ich komme dann wieder.“
Es hörte sich an wie eine Drohung.
„So, was nun?“, murmelte sie und trat aus dem Hotel
Frühstücken! Frühstücken war eine super Idee. Mia lief den Berg runter, hielt sich rechts, kam an der Woori Bank vorbei und ging dann über die riesige Kreuzung, auf deren anderen Straßenseite Myongdong lag. Sie fühlte sich wie vor einem Jahr, aufgeregt, touristisch. Sie hatte noch immer ihre Jogginghose vom Flug an und ein Shirt – die Jacke hatte sie im Hotel gelassen. Ihre neuen, kurzen Haare standen noch wie eine Eins, niemand würde sie so schnell erkennen. Sie ging die erste Straße hoch in das verwinkelte Viertel. Vor einem Jahr war auch das ihr erster Weg gewesen und mit Faszination und Herzklopfen hatte sie Korea entdeckt. Quer durch die Stadt war sie gelaufen und war doch nie verloren gewesen. Schon letztes Jahr, als sie Seoul betreten hatte, hatte ihr Herz gewusst, dass sie ihr eine Heimat gefunden hat. Nur die neue Familie kam später.
Sie schlenderte die Straße entlang, bis die überdimensionalen Poster von Super Junior ihr beim SPAO praktisch entgegen sprangen. Oh oh. Hier könnte sie ihnen schlecht aus dem Weg gehen. Obwohl sie versuchte so schnell wie möglich zu gehen, ohne zu rennen, starrte der Riesen-Donghae sie vorwurfsvoll an. Schnell ging sie weiter, bis vor zu Nature Republic und ging dann nach links, bis sie zum Dunkin Donut kam. Endlich wieder ‚richtige‘ Donuts! Die Amis hatten zwar alle möglichen, aber nicht den, den Mia wollte. Mit Donuts und Getränk bewaffnet, setzte sie sich auf eine Mauer, unweit vom Apple Store und beobachtete die Leute.
Den ganzen Tag könnte sie hier sitzen und das tun und zugegeben, eine Weile blieb sie wirklich einfach nur da sitzen und tat nichts. In Korea sitzen und nichts tun war ungewohnt und bald schon fühlte es sich wie ein schlechtes Gewissen an, doch es gab einfach nichts zu tun. Sie war obdachlos, ausgestoßen, eine Gesetzlose. Mia versuchte eine Filmfigur zu finden, die ihrer Person im Moment ähnelte, fand aber keine.
Mal abgesehen davon war es unbeschreiblich heiß in Seoul. In der Morgensonne war es ja noch nett gewesen, doch nun, wo es immer wärmer wurde, merkte Mia wie die Luftfeuchtigkeit anstieg und eigentlich, eigentlich wäre es die richtige Temperatur um sich am besten irgendwo in wassernähe, optional mit Strand, hinzulegen. Ob sie zur Caribbean Bay sollte? Nein, alleine war das doof und ihr Auto war sonst wo. Alles was mit der U Bahn zu erreichen war, war ja okay, aber den Bussen traute Mia nicht über den Weg. Es gab keine richtigen Buspläne und irgendwie fuhren sie wohin und wann sie wollten. Das Prinzip der Busse in Seoul war ihr einfach nicht begreiflich.
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In aller Ruhe schlenderte sie durch das verwinkelte Viertel und schaute in die Schaufenster. Sie mochte Seoul. Es war anders, total, und doch fühlte sie sich hier so wohl. Wie hatte sie jemals weg gehen können? Hier lag ihre Zukunft, ihr Job, ihre Liebe. Sie hatte Panik gehabt, ja, doch sie könnten das hinbekommen – sobald Mia auch nur einigermaßen einen Plan hatte wie sie das anstellen wollte.
Gegen Mittag ging sie zurück ins Hotel und bekam ihr Zimmer. Sie hatte so ziemlich das größte Zimmer gebucht, was es gab – wenn schon kein Kleiderschrank, dann ein großes Zimmer. Durch die Fenster schaute sie über die Dächer der Nachbarschaft. Sie hatte so ein extremes Deja-vu Erlebnis zu vor einem Jahr, dass es gruselig war. Es kam ihr vor, als hätte sie nicht die letzten Monate hier gelebt, sie sah Seoul aus völlig neuen Augen.
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Mia ging duschen und legte sich noch einmal hin. Mit der Klima Anlage an, war es in dem Zimmer wirklich angenehm. Sie traute sich allerdings nicht den Fernseher einzuschalten, aus Angst sie könnte ein Programm erwischen, in dem einer ihrer Welpen Teil nahm. Da musste sie jetzt wieder vorsichtig sein. Im Amerikanischen Fernsehen war es sehr unwahrscheinlich gewesen, doch hier lauerten sie überall. Mia kam sich ja jetzt schon von der Werbung gestalkt vor.
Gegen 19 Uhr wachte sie wieder auf und streckte sich müde. Was nun? Vieles traute sich Mia nicht. Die Ausgehviertel, in denen sie wusste, dass sie bei ihrem Glück sicherlich jemanden in die Arme laufen würde. Ihre Lieblingsrestaurants. Aber auch zu öffentliche Plätze versuchte sie zu vermeiden.
Sie zog sich an und machte sich fertig und fuhr mit der U Bahn dann nach Hongdae. Am erstbesten Stand holte sie sich einen Mundschutz. Das war Teil ihrer Ninja-Tarnung.
Das Knurren ihres Magens verriet ihr, dass sie mal wieder etwas zu sich nehmen musste. Sie verschwand in den engen Gassen des Studentenviertels und setzte sich in ein kleines Restaurant, was um diese Uhrzeit gut gefüllt war. Natürlich fiel sie auf. Sie war eine Ausländerin. Daran konnte auch das Ninja-Image nichts ändern. Dafür schaffte sie es die ganze Portion Bibimbap zu essen. Etwas, was ihr bisher selten passiert war. Sie trank einen Soju und hatte eine Suppe gehabt. Nach dem Essen bei den Amis war das alles eine willkommene Abwechslung. Es war ’nach Hause kommen‘. Nur das sie nicht nach Hause konnte.
Die Deutsche hatte den Geschmack des Essens vermisst und das koreanische Geschnatter, das sie halbwegs gut verstand.
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Es war kurz vor 22 Uhr, als sie aus dem Restaurant ging. Was nun? Jetzt schon in das Hotel, wo sie weder den Fernseher noch das Internet einschalten konnte? Ein Gedanke streifte die äußersten Gefilde ihrer Hoffnungen. Könnte sie das tun? Wäre es nicht zu auffällig?
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Leeteuk und Eunhyuk erreichten das KBS Gebäude wie gewohnt ungefähr 15 Minuten bevor ihre Sendung begann. Irgendwie waren sie heute alle ziemlich geschafft. An den Feiertagen gab es zig Shows und sie wurden von einem Ort zum anderen gehetzt. Dazu kam, dass sie Zoey heute verloren hatten. Nicht wirklich verloren – zum Glück, die Assistenten-Verlust-Rate würde ansonsten zu hoch werden. Nein, Zoey, war schlicht im falschen Studio gewesen. Es hatte einige Überredungskunst gebraucht, sie davon zu überzeugen, dass sie falsch war und nicht alle anderen.
Jedenfalls freute sich Leeteuk auf sein Bett und auf etwas zu essen. Er hatte noch Essen von gestern im Kühlschrank stehen, von seiner Mama gemacht und was gab es Besseres? Morgen früh würde Donghae wieder kommen. Er hatte heute mit ihm gesprochen und irgendwie hatte er sich nicht gut angehört. Die vergangenen Tage hatte er gut versucht zu überspielen was geschehen war, doch nun, wo er bei seiner Familie war und ein ganz wichtiger Teil seiner Familie eben nicht da war, machte ihm das zu schaffen.
„Bereit?“
Leeteuk schaute von seinem Handy auf und nickte. Noch zwei Stunden.
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Natürlich hatten sie auch bei SuKiRa einige Specials wegen Chuseok und es war auch schön zu erfahren, was die Fans so über die Feiertage erlebt hatten.
Es war 23:30 Uhr. Leeteuks Magen war bereits zu Hause, am Kühlschrank. Es lief gerade Musik.
Du musst dir die Fans anschauen.
Mias Fluch. Nie hatte er vergessen, wie panisch sie gewesen war, als sie ihm das gesagt hatte und wie immer schaute er auf, schaute wirklich, ließ die Gesichter der Fans, die draußen vor der Scheibe standen, auf sich wirken. Er hatte gerade seine ‚Runde‘ gedreht, da fiel ihm ein paar Augen auf. Er hatte erst weiter geguckt, hatte es eine Sekunde zu spät realisiert. Seine Augen weiteten sich und gingen zurück, zurück an den Punkt mit den Augen. Doch nichts war zu sehen. Eunhyuk hatte angefangen weiter zu moderieren und Leeteuk war so verdattert, dass er seinen Einsatz verpasste. Verwundert schaute er zu seinem Bandleader und stupste ihm an.
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„Verdammt!“, flüsterte Mia auf Deutsch. Über eine Stunde hatte sie hier gestanden, in aller Ruhe und dann musste Leeteuk sich tatsächlich ihren Rat zu Herzen nehmen! Sie war vollkommen zufrieden damit gewesen hinten am Rand zu stehen, den beiden zuzugucken und ja, mehr als einmal standen Tränen in ihren Augen. Sie waren so nah. Mama und Papa. Ihr Herz stach sie ab und zu, um sie daran zu erinnern, dass sie selbst an dem Schlamassel Schuld war. Sie wusste das es Quälerei war, doch sie konnte sich nicht bewegen, wollte sich nicht bewegen und sich in dem süßen Schmerz noch ein wenig sonnen. Die Welt drehte sich weiter, egal ob sie ein Teil des Lebens von Super Junior war oder nicht.
Dann, nur für einen Moment trafen sich ihre und Leeteuks Blicke und sie wusste sofort, dass er sie gesehen hatte. Schnell hatte sie sich weggeduckt, bis zum Ende des Fensters. Sie wusste dass er seinen Platz nicht verlassen konnte. Eilig schlich sie sich weg, weg von KBS, weg vor wachsamen Augen. Um runter zu kommen lief sie bis zur anderen Uferseiter. Die Brücken über den Hangang waren ewig weit. Es war Donghaes Schuld, dass sie überhaupt so verrückt war, über so eine Brücke zu laufen, er hatte sie damals dazu überredet. Da stand sie irgendwann, mittig auf der Brücke, als würde sie zwischen zwei Welten schweben, über dem Fluss, der schwarz unter ihr lag wie ein Universum.
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„Ich schwöre dir, es war Mia!“
Als die Sendung fertig war hatte Leeteuk unter den Fans, die in der Lobby warteten, genau geschaut, doch da war Mia nicht mehr zu sehen.
„Hyung, wieso sollte sie hier her kommen, wenn sie sich vor uns verstecken will? Unsere Fans kennen sie. Wie oft hat Mia da draußen gestanden, wie oft hatte sie dabei ihre Ruhe gehabt?“
„Nicht sehr oft …“, murmelte Leeteuk gefrustet.
„Eben. Meinst du Mia hätte da draußen stehen können, einfach so?“
„Wahrscheinlich nicht …“
Er checkte den ‚Schnitzeljagd-Twitter-Account‘, doch auch da war kein Hinweis darauf, dass Mia bei Sukira gewesen ist. Sollte, da nicht ein Hinweis sein, wenn sie da gewesen wäre?
„Aber diese Augen …“
„Vielleicht war es ein europäisches Mädchen. Es war ziemlich dunkel da draußen, du wirst dich getäuscht haben.“
So sehr Eunhyuk betete, dass Mia bald wieder kam – allein schon um Donghaes Willen – so versuchte er realistisch zu bleiben. Jedes Mal, wenn die Assistentin sich bei Sukira raus gewagt hatte, war sie von Fans umzingelt gewesen. Mal abgesehen davon waren sie alle schon so sensibel, dass sie begannen Mia überall zu sehen. Das Gleiche war geschehen, als Hangeng damals die Band verlassen hatte. Jedes Mal wenn sie in China gewesen sind, hatte Eunhyuk Hangeng an jeder Ecke stehen sehen. So war es jetzt auch mit Mia.
„Hyung, ich hoffe auch dass Mia bald wieder kommt“, sagte er aufmunternd, nachdem er Leeteuks traurigen Blick sah.
„Eunhyukshi, ich schwöre dir, Mia hat da draußen gestanden.“