Bei Skyes phänomenalen Sturz, der übrigens auf mehreren Handys festgehalten wurde und inzwischen einige Klicks auf Youtube hatte, hatte sie sich mehrfach überschlagen und dabei eine Platzwunde an der Stirn und mehrere Prellungen zugezogen. Die Wunde musste genäht werden und man hatte Skye über Nacht dort behalten, um sie zu beobachten. Jiyong hatte dafür gesorgt, dass sie nicht in ein Krankenhaus kam, sondern in eine private Praxis und er war die ganze Nacht über bei ihr geblieben. Am Morgen musste er dann zu einem Gastauftritt und wurde kurz darauf von Mia abgelöst.
„How’s it poppin’?“, fragte die Deutsche und zog sich einen Stuhl heran.
„Ugh“, stöhnte Skye nur, als sie versuchte sich etwas weiter aufzusetzen.
„Sie haben gesagt, dass ich eine leichte Gehirnerschütterung habe, aber es so aussieht, als wäre es kein Schädelbasisbruch.“
„Yay“, freute sich Mia, doch Skye teilte Mias Optimismus nicht.
„I’m really sorry.“
„What for?“
„Because I always get hurt. I’m sorry. But I’ll be okay in the office, I promise.“
„Es war ein Unfall. Solche Dinge passieren – manchen weniger und anderen öfter. Ich war in meinem ersten Jahr hier so oft im Krankenhaus, dass es ein Wunder war, dass meine Versicherung mich nicht gekündigt hat“, erzählte die Deutsche und wenn es nicht so weh getan hätte, hätte Skye gelacht.
Als nächstes fielen EXO in die Praxis ein, bewaffnet mit Blumen und Schokolade.
„Ihr wisst, dass ich heute wieder nach Hause komme?“, fragte sie sicherheitshalber.
„Dann nimmst du die Sachen mit nach Hause“, erwiderte Kai.
Chanyeol hatte ein schlechtes Gewissen und hörte gar nicht mehr auf sich zu entschuldigen.
„Ich hatte Youngjun Bescheid gesagt, dass ich in der Pause noch mal zur Achterbahn wollte, ich hätte dir auch Bescheid sagen müssen.“
Youngjun war Herr Tak. Skye wollte ihm Bösartigkeit unterstellen, doch andererseits hatte sie ihn nicht gefragt. Sie hatte es verheimlichen wollen, um keinen Ärger zu bekommen.
„Es ist nicht deine Schuld, ich hätte nur auf den Boden gucken müssen.“
Aber hey, Everland und die Veranstalter hatten so ein schlechtes Gewissen, dass Skye eine Jahreskarte geschenkt bekommen hatte und einen halben Fanshop. Sie hatte die Sachen in die Spielecke der Praxis bringen lassen, bis auf einen Plüschpanda, den behielt sie.
Bald verabschiedeten sich die Sänger von Skye, doch Kai blieb sitzen.
„Fahrt ruhig vor, ich bring Skye nach Hause“, sagte er zu seinen Kollegen.
Nachdem alle das Zimmer verlassen hatten und wohl schon in der Tiefgarage angekommen waren, schaute Skye zu ihm.
„Sie sind bestimmt schon weg, du kannst jetzt gehen.“
Verwunderung stand in seinem Gesicht.
„Nein, ich bring dich nach Hause.“
„Danke“, sagte sie nach kurzem Grübeln.
Knapp eine Stunde später hatte man Skye entlassen und sie war froh das Kai da war, denn Mia und Jiyong hatten ihr so viele Sachen vorbei gebracht, dass sie gar nicht gewusst hätte, wie sie alles nach Hause bekommen sollte. Vor allem hatte Jiyong ihr eine Jogginghose, einen Sweater und bequeme Stiefel gebracht. Darüber hinaus aber auch ein Kissen und eine Kuscheldecke und jeder hatte vergessen ihr eine Tasche da zu lassen.
Kai schaffte die Sachen ins Auto und hielt Skye seinen Arm hin.
„Danke“, sagte sie noch mal. Sie hatte einige Medikamente intus und fühlte sich wie ein Rehkitz, das versuchte zu laufen.
Im Loft fand sie Eunhyuk und Leeteuk, die aber auch schon wieder auf dem Sprung waren. Skye war das ganz recht. Sie mochte es nicht bemuttert zu werden. In den letzten Jahren hatte sie sich daran gewöhnt alles alleine zu machen und auf jeden aufzupassen. Die Rolle der hilfsbedürftigen Patientin passte nicht in ihre Welt.
„Willst du dich ins Bett legen?“
„Bloß nicht, ich gehe in einen Kokon“, beschloss sie und hievte sich in den großen Kokon, in dem gut drei Leute Platz hatten. Es gab sogar Getränkehalter, was Skye ausnutzte. Kai legte sich zu ihr.
„Hast du nichts zu tun?“
„Man könnte fast meinen, dass du mich loswerden willst.“
„Nein, aber ich will dich auch nicht von der Arbeit abhalten“, erklärte sie. Schließlich wollte sie niemanden zur Last fallen.
„Ich habe heute nichts zu tun, ich stehe dir den ganzen Tag zur Verfügung.“
„Super, bringst du mir bitte meinen Laptop?“
Ein vorwurfsvoller Blick traf sie.
„Nicht zum Arbeiten!“, verteidigte sie sich. „Wir suchen Möbel.“
Sie hatten die ISS eingeschaltet, Kai hatte sich zu Skye gelegt und zusammen durchforsteten sie koreanische Möbelseiten.
„Also, ihr wollt wirklich zusammen ziehen?“, fragte Kai sie irgendwann, auch wenn die Antwort darauf sehr offensichtlich war.
„Zur Probe, ja.“
„Wie zur Probe?“ Gut, vielleicht doch nicht so offensichtlich.
„Na ja, wir schauen, ob es funktioniert oder nicht.“
Kai fing fröhlich an zu lachen.
„Aber so ist es doch immer, wenn man zusammen zieht. Entweder es funktioniert oder nicht.“
Die Amerikanerin zog die Augenbrauen zusammen.
„Nur zur Probe.“
„Was auch immer. Ihr zieht zusammen. Punkt.“
Zumindest stellten sie fest, dass sie einen gleichen Geschmack in Sachen Möbel hatten. Nicht dass das Skye bei ihrem Zusammenleben mit Jiyong helfen würde, aber sie fand es witzig. Sie beide mochten es gemütlich. Big Sofas, Sitzsäcke, Hängematten, flauschige Teppiche. Auch in Sachen Bett dachten sie gleich. Skye hätte gerne Tatami Matten und ein einfaches Futon.
„Ihr habt hier Fußbodenheizung, ein Futon ist super.“
„Erzähle das Jiyong. Er hat ein Wasserbett. Er hat es für mich schon härter machen lassen, aber trotzdem ist es komisch.“
„Wasserbetten sind komisch.“ Kai verzog das Gesicht. Einmal hatte er betrunken in einem Wasserbett geschlafen und es war die schlimmste Nacht seines Lebens gewesen. Schlimm genug, dass sich in seinem Kopf alles gedreht hatte, nein, das Bett hatte sich auch noch bewegt und jedes Mal, wenn sich sein Kumpel umgedreht hatte, kam eine Tsunami-Welle auf Kai zu gerast. Den Folgetag hatte er gedacht er wäre auf einem Schiff, er bekam die Bewegung nicht aus seinem Kopf. Seither hatte er ein gestörtes Verhältnis zu Wasserbetten.
Siwon war der erste, der Zuhause war. Er sah die ISS auf der Leinwand und wusste wo Skye sein musste. Zu seiner Überraschung fand er Kai ebenfalls in dem Kokon. Beide waren eingeschlafen und Siwon kam nicht umhin zu denken, dass sie niedlich zusammen aussahen.
Als nächstes kam Seunghyun zu Besuch und er war besser vorbereitet: Er hatten Essen. Für Essen durfte man Skye wecken und wenn sie ehrlich zu sich war, dann hatte sie einen Bärenhunger.
Heechul und Leeteuk folgten kurz darauf.
„Hi Mia 2.0, wie geht es dir?“, war Heechuls Begrüßung.
„Mia 2.0?“, fragte Skye verwirrt. Sie verstand sonst schon nicht alles, was diese Kerle so von sich gaben, doch jetzt hatte sie auch noch Medikamente und hatte das Gefühl noch mehr zu verpassen.
„Wenn du so weiter machst überholst du sie mit Arztbesuchen“, erklärte Leeteuk.
„Ja, das eine Mal war Eunhyuk verschwunden und sie wollte ihn vor Fans retten und wurde von dem wütenden Mob überrannt“, erinnerte sich Heechul.
„Oder als sie von dem Schrank bei dem Erdbeben in Japan erwischt wurde“, setzte Siwon nach.
„Fans denken immer, dass uns viel passiert, aber sie kennen Mias Krankenakte nicht“, meinte Leeteuk.
„Manche Leute sind ein Magnet für Unfälle. Wisst ihr noch als Henry sich seinen Rücken an einem offenen Fensterrahmen aufgeschnitten hatte?“
„Ja, Henry hat dieses Gen auch“, erwiderte Heechul.
Skye fühlte sich diskriminiert. Das konnte doch passieren! Eigentlich war sie auch nicht tollpatschig, also nicht sehr.
Skye stand auf.
„Ich gehe mich waschen.“
Kai stand ebenfalls auf.
„Der Doktor hat gesagt keine heißen Bäder.“
„Ich weiß, ich weiß, ich will mich nur waschen, ich habe das Gefühl meine Haare stehen vor Blut und ich will mich sauber fühlen.“
Zögernd setzte er sich wieder.
Sie ging ins Bad und zog schwerfällig ihre Klamotten aus. Dann sah sie sich zum ersten Mal im Spiegel und fing an zu schreien.
Die anderen hörten nur den Schrei. Sie sprangen auf, rannten zur Badezimmertür und stockten dann. Sie konnten nicht einfach rein gehen, keiner von ihnen.
„Skye, ist alles okay? Soll ich rein kommen?“, rief Kai durch die Tür, denn wenn sie gestürzt war oder sich verletzt hatte, dann war ihm ihr Schamgefühl herzlich egal.
„Nein, alles okay“, hörte er von drinnen, doch er hörte auch das sie weinte.
„Super, wieso bist du nicht mit ihr zusammen gekommen? Dann könntest du da jetzt rein!“, motzte Leeteuk Siwon an, der ihn nur ungläubig anschaute.
„Was? Ist das jetzt meine Schuld?“
„Von irgendjemand muss es die Schuld sein!“
Mia war in Incheon und konnte nicht kommen, doch sie hatte Lisa angerufen, die ins Loft kam. Die Männer standen alle noch vor der Badezimmertür, hilflos. Lisa klopfte.
„Süße, ich bin’s, ich komme jetzt rein.“ Sie fragte nicht, sie bestimmte. Den anderen bedeutete sie sich zurück zu ziehen.
Sie fand Skye auf dem Boden. Sie hatte ihre Knie angezogen und Lisa verstand ihre Panik. Sie hatte überall blaue Flecken und Blutkrusten. Ihr ganzer Arm war blau, ebenso ihre Hüfte und ihr Oberschenkel. Die Wunde an der Stirn hatte man genäht, doch sie hatte noch Schürfwunden an den Knien und am Arm. Lisa fragte sich, wie sie überhaupt noch wach sein konnte.
Sie ging zur Badewanne und ließ lauwarmes Wasser ein, bis zur Hälfte.
„Komm Schatz, wir bekommen das hin.“
Skye fühlte sich so hilflos. Sie ließ sich zur Wanne führen und setzte sich rein. Alles tat weh, jetzt wusste sie nur wieso. Lisa setzte sich auf den Wannenrand und nahm sich einen Schwamm.
„Mache dir keine Sorgen, das geht weg und wenn ich dir die Haare gewaschen habe, schneide ich dir einen Pony. Man wird deine Wunde gar nicht sehen“, redete sie ruhig auf Skye ein, die entschlossen nickte.
„Was ist passiert?“
Mia kam nach ihrem Termin direkt zum Loft. Heechul, Leeteuk, Siwon und Kai saßen an der großen Tafel und schwiegen sich an.
„Lisa ist da noch drinnen…“
In diesem Moment ging die Tür zum Badezimmer auf. Lisa und Skye kamen heraus und lachten fröhlich. Mias Blick ging zurück zum Tisch, wo ihre Freunde den vorwurfsvollen Blick aufschnappten.
„Hey, sie hat geweint!“, verteidigte sich Leeteuk. Frauen! Erst weinten sie, dann lachten sie. Wer sollte das schon verstehen?!
Nachdem sich die Sänger nun zwei Stunden lang um Skye gesorgt hatten, beschlossen sie etwas trinken zu gehen. Mia und Lisa waren da um zu Babysitten.
Also was machten sie? Pizza und Eiscreme bestellen.
„Und dann sagten sie, dass wir Magnete für Unfälle sind – als gäbe es so etwas!“, beschwerte sich Skye, völlig high auf Medikamente.
„So ein Quatsch, wir sind einfach nur bereit ein Risiko für diejenigen einzugehen, die uns am Herzen liegen“, erwiderte Mia.
„Was hat das mit dem Kleiderschrank in Japan mit Risiko für geliebte Menschen zu tun?“, fragte Lisa, doch Mia winkte ab.
„Fakt ist, dass ich für jeden von Super Junior den Kleiderschrank freiwillig abbekommen hätte, wenn er mich gefragt hätte.“
In Skyes Kopf sah sie die Konversation zwischen dem Kleiderschrank und Mia.
„Es wäre toll, wenn Kleiderschränke sprechen könnten. Dann könnte man sie fragen wo das Lieblingsshirt ist, das man einfach nicht finden kann“, bemerkte Skye verträumt.
„Oder man könnte ihn fragen, was man anziehen soll“, überlegte Lisa.
Skye mochte das, mit Mia und Lisa. Sie war nicht besonders gut darin Freundinnen zu finden – Kumpels waren kein Problem, aber Frauen waren anders. Doch wenn sie Freundinnen hatte, dann mochte sie es.
Jiyong hatte sich gemeldet, dass er noch immer mit Youngbae im Studio war und es war nicht schlimm. Sie hatte genug Gesellschaft und schon jetzt fühlte sie sich ziemlich müde. Skye wollte jedem zeigen, dass es ihr halbwegs gut ging und heute Mittag hatte sie zwar kurz geschlafen, aber seither war Highlife für sie gewesen und es würde nicht lange dauern, da würde sie in einen komatösen Zustand fallen. Sie schaffte es jedoch noch ihm ein Bild von ihrem Pony zu schicken und er schien es zu mögen. Der Pony war nicht zu grade, sondern fiel locker zur Seite. Lisa konnte das wirklich gut und sie hatte erzählt wie ihre Freundinnen und sie sich früher gegenseitig die Haare geschnitten und gefärbt hatten, weil sie kein Geld hatten, um zum Friseur zu gehen.
Skye hatte eine Freundin, die nach der High School Friseurin wurde. Eigentlich war sie Sängerin, aber es war nicht mehr so einfach irgendwo einen Fuß rein zu bekommen und so hatte sie nebenbei in einem Friseursalon gearbeitet und Skye hatte ihre persönliche Haarstylistin gehabt. Wenn da nicht ihre Mutter gewesen wäre. Sie hatte Melissa immer gedroht, falls sie Skyes Haare zu viel abschnitt und Melissa hatte immer etwas Angst vor Skyes 1,50 Meter großen Mutter gehabt. Skye wollte die Haare immer kürzer haben und Melissa hatte sich nie getraut. Skye liebte ihre Haare, aber als Kind war es schon anstrengend mit den langen, dicken, lockigen Haaren. Allein schon wenn sie nach dem Schwimmen oder Baden die Haare kämmen musste. Mit 17 Jahren hatte sie sich tatsächlich mal einen Longbob schneiden lassen – ihre Mama hatte geweint.
Seit dem Tod ihrer Mutter ließ sich Skye nicht mehr die Haare schneiden – ab und an Spitzen ja, aber keine radikaleren Versuche mehr. Bis heute und es war nur ein Pony. Für Skye war es nicht nur ein Pony gewesen, aber es ging ihr gut. Vielleicht lag es auch nur an den Medikamenten.
Irgendwann verabschiedeten sich Lisa und Mia. Skye musste zugeben, dass sie ziemlich erledigt war nach dem Tag und war eigentlich ganz froh für etwas Ruhe. Doch in einer WG wie dieser war es niemals wirklich ruhig und so kam zwei Minuten, nachdem die Mädels gegangen waren, Siwon nach Hause.
Es war noch immer komisch zwischen ihnen, doch Skye musste zugeben, dass sie ihn vermisste. Sie vermisste ihn als Freund, denn im Moment konnte er nichts anderes für sie sein. Sie war frisch verheiratet, es wäre schrecklich, wenn sie Jiyong jetzt schon betrügen würde!
Siwon begrüßte sie zwar, verschwand dann aber im Badezimmer und als nächstes hörte Skye wie die Dusche anging. Vielleicht war es egoistisch ihn als Freund haben zu wollen.
Und so legte sie sich einfach in sein Bett. Er könnte ihr nicht für immer aus dem Weg gehen.
Nach dem Duschen fand Siwon Skye in seinem Bett. Sie war eingeschlafen und sah aus wie ein Engel. Er setzte sich auf die Kante und strich ihr durch das Haar, als er dann aufstehen wollte, hielt sie ihn fest.
„Stay“, murmelte sie und hob die Decke hoch. Für Siwon war es ein Kampf mit seinem Gewissen. Er wollte sich nicht zum Spielball machen lassen. Er war erwachsen. Er war Choi Siwon. Er würde keiner Frau hinterher laufen, die ihn offensichtlich nicht wollte.
Doch andererseits machte er sich Sorgen. Als er gestern gehört hatte, dass sie gestürzt war, war er sofort zum Krankenwagen geeilt, doch da hatten schon Mia und Kai bei ihr gesessen und dann später, als sie in die Praxis gefahren waren, war Jiyong da gewesen. Siwon war selten das 5. Rad am Wagen und er mochte dieses Gefühl nicht. Aber jetzt, hier in seinem Schlafzimmer, war er nicht das 5. Rad am Wagen. Es war gerade 21 Uhr, aber es war klar, dass sie müde war, nach ihren Verletzungen und den Medikamenten.
Siwon schloss die Tür und machte das Licht aus und stieg dann zu Skye ins Bett. Sie murmelte sich an ihn und vorsichtig legte er den Arm um sie. Er wusste nicht was ihr alles weh tat und hatte Angst ihr noch mehr weh zu tun. Normalerweise würde er nicht einfach so jemanden bei sich schlafen, er war da etwas eigen, doch bei Skye konnte er nicht anders.