Wie die Hohe Priesterin gesagt hatte, fand Mia am Ende des Waldes eine Karawane von Beduinen, denen sie sich anschloss auf ihren Weg durch die Wüste.
„Die Wüste lässt sich nur bei Nacht durchqueren. Sie besteht aus Diamantensplittern, gebt also Acht auf Euch. Am Tage scheinen sie so hell, dass sie nach kurzer Zeit einen Menschen erblinden lassen, deswegen machen wir am Tage Halt“, erklärte einer der Männer und half Mia auf das Kamel.
„Wie weit ist es von hier bis zur Stadt der Drachen?“
„Nicht sehr weit, ein paar Stunden nur, doch wir müssen weiter ziehen, bis an das Ende der Wüste.“
Mia schaute in die Ferne. Im Mangrovenwald war alles so dunkel gewesen, kein Licht der Sterne oder der zwei Monde, die es hier gab, hatte durch das dichte Blätterwerk geschienen. Hier war es anders. Die Wüste war in den sanften Schein getaucht und der Himmel war übersät von einem Sternenmeer, was zum Greifen nah schien.
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Sie waren vielleicht eine Stunde unterwegs gewesen, da sah Mia am Horizont etwas.
„Ja, das ist die Stadt der Drachen“, bestätigte der Mann.
„Von hier aus sind es vielleicht noch zwei Stunden.“
Wahnsinn wie etwas so nah aussehen konnte und doch noch so weit weg war.
„Sagt … dort gibt es nicht wirklich Drachen, oder?“, sicher war sicher, doch der Mann fing an zu lachen.
„Seit langer Zeit nicht mehr. Es heißt sie würden schlafen, tief in dem Berg versteckt.“
Puh, Glück gehabt.
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Der Berg wuchs und wuchs und irgendwann nahm er fast ihre komplette Sicht ein. Nun wünschte sich Mia doch Peter herbei um mit ihm da hoch fliegen zu können.
„Wie komme ich da hoch?“
„Das kann ich Euch nicht beantworten Herrin, niemand weiß es.“
„Was?!“
„Es ist die geheime Stadt der Drachen, niemand hat sie bisher betreten.“
„Woher weiß man dass der Sänger dort ist?“
„Weil tagsüber seine Stimme über die ganze Wüste hallt und es keinen anderen Ort gibt, von dem das möglich wäre.“
Wie ist Jonghyun DA rauf gekommen?! Hätte er sich nicht von den Piraten gefangen nehmen lassen können? Das wäre einfacher geworden.
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Bald darauf stand Mia in einer Höhle am Fuße des Berges. Die Karawane hatte ihre Wasserschläuche gefüllt und sie dann ihrem Schicksal überlassen. Sie saß an dem Beckenrand des kleinen Sees und starrte in den Wasserfall. Sie kannte diesen Ort. Es war Dhiammara, die Stadt der Drachen. Mia hatte davon in der Buchreihe ‚Die Artefakte der Macht‘ vor vielen Jahren gelesen. Gelegen in der Diamantenwüste auf einem Plateau das nur über den geheimen Eingang unten am Fuße zu erreichen war. Eine Stadt wie aus 1000 und eine Nacht, mit grazilen Türmen und grünen Gärten.
In der Geschichte konnten Magusch, Mitglieder des magischen Volks und eines der vier Großen Rassen, durch einen Zauber im Wasserfall hoch in die Stadt gelangen. Doch sie war keine Magusch und einen anderen Weg gab es nicht, oder doch? Entschlossen stand Mia auf. Das war immer noch das Nimmerland! Sie stapfte auf den Wasserfall zu.
Hab keine Angst, hab keine Angst, hab keine Angst….
Mia schloss die Augen, das Rauschen des Wasserfalls kam immer näher und näher und … war verschwunden. Skeptisch öffnete sie erst ein Auge, dann das zweite und sie blickte über die wundervolle Stadt der Drachen.
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Gefangen in einer Welt deren Sonne weder auf noch unter ging schaute Mia über die Dächer der Stadt hinweg. Wie erkannte man ob die Sonne auf oder unter ging? Sie erinnerte sich wie ihr vor vielen, vielen Jahren ein Lehrer sagte dass das Rosa des Himmels am Morgen Umweltverschmutzung hieß. Oder war es am Abend? Fakt war eines von beiden war ‚ungesund‘, doch existent an beiden Zeiten. Sie blickte an sich herab. Ein hübsches Kleid bedeckte ihren Körper, wo kam es her? Das Kleid war nicht ganz weiß, nicht beige und Mia fragte sich wie so viel Stoff so leicht sein konnte.
Sie sollte Panik haben, Angst, sich fragen wie sie hier her gekommen war und wie sie wieder zurück fand, doch all das schien egal. An für sich war sie zufrieden, nichts tat ihr weh, um nichts müsste sie sich kümmern. Sie war wie Buffy im Jenseits, wie hatte Buffys Jenseits ausgesehen bevor ihre doofen Freunde dachten irgendein Voodoo-Zauber zu machen um sie zurück zu holen? War sie im Jenseits? Mia glaubte nicht an das Jenseits, sie glaubte an die Wiedergeburt. Jede Seele kehrte zurück, nach einem Jahr und einen Tag. In dieser Zeit reinigte sich die Seele von allem was sie an ihr altes Leben erinnerte um neu geboren zu werden und neu zu lernen. Nein, im Jenseits war sie nicht – und wenn schon, sie konnte daran nichts ändern, wenn es so wäre und im Moment wollte sie auch nichts ändern.
Neugierig fing sie an die Stadt zu erkunden. Obwohl sie die einzige schien, die in der Stadt war, war alles ordentlich, als wären alle anderen eben erst verschwunden, als hätte jemand einen Schalter umgelegt und alle Einwohner waren weg.
Sie hatte keinen Hunger, war nicht müde, hatte nicht das Bedürfnis zu trinken oder sich hinzulegen, dabei war sie die ganze Nacht unterwegs gewesen.
Mia hatte keinerlei Vorstellung wie lange sie hier war, der Himmel bewegte sich nicht. Es konnten Minuten sein, Stunden oder Tag, selbst Jahre, wer wusste es schon und welchen Unterschied machte es?
Sie ging zu dem Palast, der am anderen Ende der Stadt lag und ging durch die großen Hallen, die für Drachen geschaffen waren. Eine Zeit lang legte sie sich auf den Boden und betrachtete die Gemälde an der Decke.
„Gewissen, bin ich tot?“, fragte sie sich erneut im Dori-Modus. War sie tot? War das hier doch das Jenseits? Wenn ja, so beschloss Mia, ließ es sich hier aushalten. Vielleicht gab es ja doch ein Jenseits und ihre ganze Überzeugung war für die Katz gewesen. Sie fragte sich was die anderen machten, aber sie verspürte keine Trauer weil sie die Jungs nicht sehen konnte, eigentlich spürte sie gar nichts außer Zufriedenheit, das Gefühl nach einem langen Weg endlich angekommen zu sein, auch wenn sie nicht definieren konnte wieso sie hier war, nur, dass sie Jonghyun finden wollte.
Mia ging hoch in den Turm und blickte über die Stadt, ihre Stadt. Sie wusste dass etwas nicht stimmte, konnte es aber nicht greifen, als würde sie etwas vermissen. Ob Jonghyun wirklich hier war oder hatte er sich vielleicht selbst eine so hübsche Realität geschaffen? Wie sah sein Nimmerland aus?
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Wie viel Zeit war vergangen? Wen kümmerte das schon? Mia lag im Garten des Palastes. Da sie die einzige hier war, war es nur fair das sie sich selbst zur Königin dieser Welt ernannt hatte. Noch immer trug sie das pompöse Kleid, es störte sie nicht und sie schien auch nicht dreckig zu werden, sie roch einfach nicht. In der letzten Zeit war Mia oft in der Bibliothek gewesen und hatte sich durch die dicken Büchen gewälzt. Verschollenes Wissen, gebunden in Leder. Der ewige Sonnenaufgang hing über der Stadt und umwarb sie mit dem warmen Licht. Mia hatte beschlossen dass es ein Sonnenaufgang war, denn sie mochte Sonnenaufgänge mehr als Untergänge. Allerdings machte diese Zustand es schwer zu definieren, wie viel Zeit tatsächlich vergangen war. Es hätten tatsächlich Tage sein können, wenn man beachtete, was Mia alles schon getrieben hatte und wie lange sie Jonghyun vergebens gesucht hatte.
Die Fragen rundum ihr irdisches Leben hatte sie irgendwo ganz hinten in ihrem Kopf verstaut, sie sah es als Urlaub an, das Jahr war so anstrengend gewesen, sie hatte Urlaub verdient. Wie viele Urlaubstage ihr Kim wohl abziehen würde? Auch das spielte im Moment keine Rolle, sie hatte keinen Computer, kein Telefon, niemand konnte sie erreichen. Immerhin wusste sie auch noch immer nicht wie sie wieder nach Hause kommen sollte, noch ob sie das überhaupt wollte.
Ihr ganzes Leben war Mia immer von Menschen umgeben gewesen, von Stress und zu viel Arbeit, sie hatte immer gearbeitet und gearbeitet und gearbeitet. Lebte man nur um zu arbeiten? Sie erinnerte sich an die langen Tage in der Pizzeria, an die langen Nächte in den Clubs hinter der Theke, an das lange Cheerleadertraining, was sie tatsächlich ‚Hobby‘ genannt hatte. Das Jahr im Saturn, was zwar irgendwie lustig gewesen war, doch es hatte sie auch an den Rande ihrer Nerven getrieben, denn nie mehr hatte sie so viel Verlogenheit und Hinterfotzigkeit auf einem Haufen gesehen. Die Lehre und nebenbei das Dealer-Dasein, die Festanstellung in einer Abteilung die ohne Mia einfach hoffnungslos verloren war, so dass sie wirklich schon halbtot sein musste, bis sie sich die Freiheit genommen hatte zum Arzt zu gehen und trotzdem hatten ihren Kollegen es geschafft ihr für ein oder zwei Fehltage ein schlechtes Gewissen einzureden, weil sie einfach ihren Arsch nicht hoch bekamen um das gleiche an Arbeit weg zu schaffen. Oh war es befriedigend gewesen letztes Jahr am 30. November die Kündigung einzureichen. Sie hatte dann exakt noch eine Woche gearbeitet, hatte ihren Resturlaub genommen und sich die letzten zwei Wochen krank schreiben lassen. Es war ihr egal, ob sie zwei Wochen länger oder kürzer da war, früher oder später mussten ihre Kollegen sich daran gewöhnen schneller zu arbeiten um hinterher zu kommen.
Sie hatte die Zeit genutzt um sich auf Korea vorzubereiten, zu packen, zu verabschieden und die letzten Tage in Deutschland zu genießen.
In Korea hatte sie nicht weniger gearbeitet als in Deutschland, aber es war anders. Ihr Herz war aufgegangen, trotz des Dramas und des Chaos, trotz der Fehlentscheidungen und der Tränen. In Korea hatte sie sich mehr zu Hause gefühlt als die letzten Jahre in Deutschland. Sie hatte sich in einen wundervollen Mann verliebt, gegen den sie sich so lange gewehrt hatte. Nun wusste sie gar nicht mehr wie sie die Kraft hatte aufbringen können sich gegen Donghae zu wehren. So ein sinnloser Kraftverbrauch, er hatte gesagt dass sie ihm gehören würde – hätte sie einfach mal auf ihn gehört …
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„Du siehst hübsch aus.“
Mia erschreckte sich nicht, es war als hätte sie gewusst das Jonghyun hinter ihr stand. Sie lehnte den Kopf weiter nach hinten und schaute zu dem jungen Sänger.
„Wo warst du die ganze Zeit?“
„Keine Ahnung, wo sind wir hier?“
„Keine Ahnung“, antwortete sie ihm und setzte sich auf. Jonghyun kam auf sie zu und ließ sich im Gras neben sie nieder. Gemeinsam beobachteten sie den nie endenden Aufgang der Sonne.
„Komm, ich zeig dir die Stadt“, sagte sie irgendwann, sprang auf und nahm ihn bei der Hand. Sie wusste nicht welche Sprache sie sprachen, sie verstanden sich einfach. Jong hatte eine Leinenhose an und einen lockeren Pullover, ähnlich von der Farbe wie Mias Kleid, sie sahen aus als wollten sie zu einem Fotoshooting. Und so zeigte sie ihm ihre Stadt. Sie ließen sich Zeit, es war ja sonst niemand da, der sie hätte stören können. So gingen sie durch die Straßen und Mia zeigte ihrem Schützling welche Häuser sie schon erkundet hatte und endeten oben auf dem Balkon an dem Turm des Palastes, von wo man aus über die ganze Stadt schauen konnte.
„Noona, liebst du Donghae hyung?“
Die Frage kam aus dem Nichts und verwunderte sie.
„Ja, ich liebe ihn sehr.“
„Ihr solltet euch wieder vertragen, ihr seid so gut zusammen.“
„Vielleicht war es doch zu früh gewesen, vielleicht hätten wir mehr Zeit gebraucht.“
„Zeit ist doch egal, er liebt dich, für was brauchst du Zeit? Schau, wie lange sind wir schon hier? Es ist nicht von Bedeutung.“
Da hatte er irgendwie Recht.
„Wann bist du eigentlich schlauer geworden als ich?“, fragte sie lachend und der Jüngere fuhr sich verlegen durch die Haare.
„Ich habe sie alle sehr gerne, Super Junior, DBSK, so viele, vor allem Onew, Key, Taemin und Minho. Ich habe euch sehr gerne.“
„Ja, ich auch“, stimmte Mia zu.
„Wirst du sie behandeln als wären sie deine wirklichen kleinen Brüder?“
„Sicher.“ Mia machte sich keine Gedanken um die komische Fragestellung.
„So wie du auch mein kleiner Bruder bist, mach dir keine Sorgen, ich passe auf dich auf.“
Jonghyun lächelte.
„Das beruhigt mich.“
Seine Hand umschloss ihre, sie war so warm und Mia lehnte den Kopf an seine Schulter. Er war so jung und talentiert, es war ein Segen ihn zu kennen, sie alle erleben zu dürfen.
„Achte darauf das es ihnen gut geht, das sie nicht zu hart arbeiten, das sie Schlafen und das sie viel Freude in ihrem Leben haben, das sie mehr lachen als weinen, versprichst du das?“
Wieso sprach er von den anderen als würde er nicht dazu gehören?
„Natürlich. Wir werden dafür sorgen das euch jeder kennt, dass eure Namen niemals verloren gehen.“
„Das ist schön.“
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Eine Weile standen sie da und betrachteten die Welt zu ihren Füßen.
„Es ist hübsch hier, ihr wünschte ich könnte bleiben …“
„Was redest du, natürlich kannst du hier bleiben.“ So ein Blödsinn, als würde sie ihn weg schicken.
„Nicht mehr lange und du auch nicht.“
Sie hob ihren Kopf von seiner Schulter, was erzählte er da?
„Wieso? Wo müssen wir hin?“
„Du musst zurück und dich um deine Brüder kümmern.“
„Ich? Und du?“
„Ich weiß nicht genau, aber ich muss woanders hin.“
Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit legte sich eine kalte Hand um ihr Herz.
„So ein Blödsinn, du kommst mit mir!“
„Nein Mia, mir ist ein anderer Weg bestimmt.“
Er war so ruhig dabei, als hätte er es die ganze Zeit gewusst und ihr nichts gesagt und plötzlich war sie sauer auf ihn.
„Was erzählst du da?!“
Lächelnd fuhr er ihr durch die Haare und nahm sie dann in den Arm.
„Ich hab dich sehr lieb Noona, danke dass du dich um die anderen kümmerst, vor allem M81 brauchen dich in Zukunft. Danke. Und vertrage dich mit Donghae. Seid glücklich. Ich werde euch alle sehr vermissen. Danke, dass du mir diesen einen Kuss geschenkt hast. Lebe wohl meine Noona.“
„Aber …“
Jonghyun löste sich aus der Umarmung und gab ihr einen Kuss auf die Stirn bevor er sich umdrehte und von ihr weg ging.
„Jonghyun!“, rief sie, Tränen standen in ihren Augen, denn sie wusste dass sie ihn nicht aufhalten konnte. Wieder lächelte er als er sich umdrehte.
„Ich hatte ein sehr schönes Leben, mache dir keine Gedanken, passe nur auf die anderen auf.“
„Komm mit mir!“, flehte sie.
Schweigend lächelte er.
„Schau, die Sonne geht auf …“
Irritiert drehte sich Mia um, um zu sehen wie sich die Sonne langsam über den Horizont schob und die Wüste in ein funkelndes Meer verwandelte.Als Mia sich wieder umdrehte war Jonghyun verschwunden. Es war also doch ein Sonnenaufgang.