Es hatte Vor- und Nachteile eine Bar im Haus zu haben. Vorteil: Man musste nicht mehr nach Hause fahren – man war ja schon Zuhause. Nachteil: Man trank vielleicht etwas mehr als nötig, eben weil man schon Zuhause war. Man musste es nur in sein Bett schaffen. Und das konnte schwieriger sein, als man dachte.
Gegen 2 Uhr morgens machten sich Jongin, Taehyung, Jimin, Jungkook und Skye auf den Weg zum BTS Tower. Skye wollte den Kerlen zeigen, dass es ganz einfach war die Tür zu öffnen. Doch irgendwie schien das Gebäude gewachsen zu sein und des Öfteren waren sie in der falschen Etage gelandet. Man konnte die Schuld auch nicht gänzlich auf Skye schieben, nur weil sie vorne dran lief. Die anderen hätten ja auch aufpassen können, als sie bemerkten, dass Skye unter spontanem Orientierungsverlust litt.
Schließlich erreichten sie die Fat Lady und Skye war fasziniert von dem Monitor. Die Fat Lady schaute sie an.
„Passwort bitte“, verlangte sie. Skye, die den Strohhalm mit Glitzerpalme mitgenommen hatte, strafte die Schultern.
„Alohomora!“, sagte sie und machte dazu eine Bewegung. Wirklich erstaunlich war, dass sie das mit ihrem Alkoholpegel noch so ohne weiteres aussprechen konnte.
„Guten Abend Skye, spät ist es, husch husch ins Bett“, kam es von dem Bild und die Tür schwang auf. Die vier Sänger standen mit offenem Mund da und staunten.
„Das ist gar nicht das richtige Passwort!“, beschwerte sich Taehyung.
„Das ist der Zauberspruch, der alle Türen öffnet“, klugscheißte Skye und streckte ihm die Zunge raus, bevor sie durch die Tür verschwand.
Die Amerikanerin war sich ziemlich sicher, dass auch im Turminneren Mia ihre Finger im Spiel hatte. Zumindest im unteren Geschoss. Alles war so gemütlich eingerichtet. Es gab einen falschen Kamin an der Wand, der aber wirklich gemauert war und sehr mächtig aussah. Drum herum standen Couchen und Sessel, alles in den Gryffindor-Farben gehalten. Es gab kuschelige Decken und auch einen Kronleuchter. Die Wände hatten die Backsteine behalten, was Skye gut fand. Tapete wäre dann doch etwas zu viel geworden. Die Küche war aus dunklem Holz und passte gut ins Konzept ohne zu altbacken zu wirken.
„Das ist so cool geworden! Ich will hier wohnen!“, meinte die Assistentin, die sich langsam im Kreis drehte. Sie hätte Mia auch ihre Wohnung einrichten lassen sollen.
Tatsächlich schafften es Skye und Jongin nicht mehr in Skyes Apartment und schliefen auf der Couch, bei einem gemütlichen, künstlichen Feuer, ein.
Namjoon war der erste, der am nächsten Morgen wach war. Er hatte nicht mitbekommen, wie Skye die Tür aufgezaubert hatte und somit auch nicht, dass sie hier eingeschlafen haben.
Jin kam gerade die Treppe runter und ließ sich von dem schlafenden Paar nicht sonderlich stören. Zielsicher steuerte er die Kaffeemaschine an.
„Hey, wieso sind die hier?“, flüsterte Namjoon zu seinem Bandkollegen. Jin hatte ganz andere Probleme. Die Kaffeemaschine blinkte fröhlich ‚entkalken‘ und Jin hatte keine Ahnung wie das gehen sollte.
„Wir waren betrunken und sind eingeschlafen“, beantwortete Skye Namjoons Frage. Der erschreckte sich zu Tode und Skye erschreckte sich, weil er sich erschreckte.
„Wieso bist du wach?! Du hast eben noch geschlafen!“
„Ich bin wie Gandalf. Immer auf der Hut“, erwiderte sie, schupste Jin zur Seite und begann mit der Entkalkung der Maschine.
„Das braucht ungefähr eine halbe Stunde. Ich bin bei Super Junior.“
„Und er?“ Jin deutete auf Jongin.
„Sagt ihm wo ich bin.“ Damit drehte sie sich um und verließ den Turm. Die beiden Sänger schauten sich ahnungslos an. Begegnung der 3. Art würden sie später dazu sagen.
„Hattest du das nicht gestern an?“, fragte Siwon, als Skye im Super Junior Dorm einlief. Außer ihm war niemand zu sehen.
„Ja, wir sind im BTS Tower eingeschlafen“, erzählte sie und machte sich eine Chai Latte. Das konnte der Vollautomat von Super Junior.
Die Amerikanerin setzte sich zu Siwon an den Tisch.
„Haben wir etwas zu essen?“, fragte sie wehleidig, kurz vor dem Hungertod. Siwon grinste bei dem Wort ‚wir‘, denn ‚wir‘ gab es eigentlich nicht mehr, seit sie ausgezogen war, aber bei Essen wurden die Grenzen wohl etwas toleranter.
Letztendlich machte sie Rühreier und fand auch noch Toastbrot. Siwon bekochte sie mit, schließlich war er ja da und es wäre unhöflich eine fremde Wohnung zu besetzen und dann dem vermeidlichen Gefangenen nichts zu essen zu geben.
Siwon saß über dem Skript von ‚Royal Vampires‘, doch als Skye es sich nehmen wollte, schnappte er es ihr weg.
„Nix da mit spoilern!“
„Whaaaaaat?!“ Ihr blieb der Mund offenstehen. Da würde sie Mia schon nicht begleiten und war auch ergo bei den Dreharbeiten nicht dabei und jetzt durfte sie noch nicht einmal mehr das Skript lesen. Noch vor der Super Show 8 würden die drei nach Japan für Aufnahmen fliegen. Es war eine ziemlich stressige Zeit, deswegen hatten sie im Moment auch ständig Training, damit bis dahin alles sitzen würde. Dafür wirkte Siwon aber noch entspannt.
„Ich bin Mias Assistentin!“
„Im Moment bist du EXOs Assistentin und soweit ich informiert bin, spielen die nicht mit.“
Traurig schaute sie zu dem Skript und ließ die Schultern hängen.
„Ich mache dir nie wieder Frühstück.“
„Frühstück?“, kam es von Jongin.
„Wie siehst du denn aus?!“
Verwundert schaute er an sich herunter.
„Hast du geduscht?“, fragte Skye und er nickte langsam.
„Super und ich miefe vor mich hin. Okay, ich gehe jetzt auch duschen und dann fahren wir in die Akademie?“
EXO hatten heute frei, doch Jongin wollte ins Studio und Skye hätte Ruhe, um die Mails durchzugehen. Hier im Irrenhaus fand sie diese nicht.
„Und wer macht mir Frühstück?“, fragte Jongin.
„Na entweder du selbst oder Siwon.“
Die beiden Männer tauschten einen fragenden Blick aus und Skye war schon wieder weg.
Gegen Mittag hatte Skye dann alle Sachen aufgearbeitet und die Termine der Sänger aktualisiert. Um 20 Uhr würde sie sich mit Jiyong treffen und je näher der Termin rückte, desto mehr sank ihre Motivation. Sie wusste nicht vor was sie Angst hatte. Nein, Angst war das falsche Wort. Eigentlich fand sie es traurig, dass etwas, was als so wundervoll angefangen hatte, nun so endete. Zugegeben, Skye hatte gewusst, dass Jiyong wahrscheinlich nicht der Mann war, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen würde, aber es hatte sich gut angefühlt. Sie waren zu unterschiedlich und hatten in vielen Dingen eine andere Vorstellung. All das änderte nichts daran, dass sie Jiyong mochte. Sie glaubte auch, dass wenn sie heute in der Klemme sitzen würde, er jemand wäre, den sie anrufen könnte. Wahrscheinlich würde er sie nachts aus Busan abholen ohne Fragen zu stellen. Wahrscheinlich würde Skye aber auch eher Seunghyun anrufen, als Jiyong. Ji war ein guter Kerl, er war eigen, aber das war okay und er war ehrlich und ließ sich nicht verbiegen, auch das war okay. Wieso nur hatte Skye dann ständig das Gefühl ihn würgen zu müssen, wenn sie ihn sah?
Sie war noch nicht einmal wegen dem Ehevertrag sauer, nicht wirklich zumindest. Es war nur die Art und der Zeitpunkt, der ihr bitter aufgestoßen war. Was wusste er schon von Skye? Aber wie sie ihm schon damals gesagt hatte, sie hatte erwartet, dass er sie soweit einschätzen konnte, um zu wissen, dass sie nicht auf sein Geld aus war.
Ein Klopfen an der Tür riss sie aus den Gedanken. Es war Youngjun mit seiner Frau und dem Nachwuchs. Skye, Amerikanerin wie sie war, drückte alle fröhlich an sich, was Youngjuns Frau zwar etwas irritiert, doch sie lächelte es weg.
Sie hielt das kleine Mädchen in den Armen.
„You are such a cutie! You gonna steal a lot of hearts … later … when you’re old enough.“
„Skye, was da in Singapore gelaufen ist …“, begann der Manager und Skyes Augen wurden groß.
„Du wirst mich nicht töten, während ich deine Tochter halte, oder?“
Youngjun rollte mit den Augen.
„Ich habe nicht vor dich zu töten.“
„Hast du nicht?“
„Wenn du noch mal fragst, überlege ich es mir vielleicht noch mal …“ Daraufhin war Skye still und wippte die Kleine.
„Du hast schnell gehandelt, das Problem erkannt und alle pünktlich zur Halle gebracht.“
„Aber?“ Es hörte sich deutlich nach einem ‚aber‘ an. Ein weiser Mann hat einmal gesagt: Alles war vor dem ‚Aber‘ kam, nicht zählte.
„Aber wir wollen nicht aus den Augen verlieren, dass du Glück hattest. Es hätte auch anders ausgehen können.“
„Ja, wir hätten der Bus sein können, der von dem LKW gerammt worden ist“, erwiderte Skye trocken. Sie glaubte nicht an Schicksal oder Bestimmung und wenn der LKW sie gerammt hätte, hätte man es wahrscheinlich auch noch ihr in die Schuhe geschoben, da es ja ihre Idee gewesen war nach Sentosa zu fahren. Darf ich vorstellen: Die Schuldige 2019.
Youngjun strafte sie mit einem mahnenden Blick.
„Ich möchte nur nicht, dass du zu übermütig wirst. Für dich sind das vielleicht normale Kerle, doch für die Welt da draußen sind sie-“
„Aliens!“ Sie hat es gewusst!
„Superstars!“ Man hörte einen leicht genervten Unterton in seiner Stimme. Er nahm ihr seine Tochter ab, jetzt wurde es gefährlich.
„Übrigens, nächste Woche hast du ein Fotoshooting mit Jongin für das W.“
„Ja, ich hatte das gelesen, dachte aber es wäre ein Fehler.“ So ganz konnte sie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden gefotoshootet zu werden – sie war nur die Assistentin.
„Nein, kein Fehler.“
Youngjun und seine Frau wanderten weiter durch die Büros und wurden von einem freudige Quietschen begleitet. Babys. Skye hatte gemischte Gefühle zu Babys. Es gab Arschlochbabys – was, wenn sie so eins bekommen würde? Ja, es gab auch tolle Babys, aber das wusste man vorher ja nicht und Geld-Zurück-Garantie gab es auch nicht. Es war nicht wie bei Hunden und Katzen, die man vorher kennenlernen konnte, um zu sehen, ob es passt. Für den Fall das es nicht passte, gab es wohl Babyklappen, aber gesellschaftlich waren die nicht wirklich anerkannt und unter uns, wer hätte schon Verständnis, wenn man sagen würde ‚Sorry, war ein Arschloch‘?
Erneut klopfte es an der Tür. Diesmal stand Seunghyun darin und hob Tüten hoch.
„Lust auf Thai?“
Das musste man Skye nicht zweimal sagen und sie klappte den Laptop zu.
„Bist du hier, um Jiyong über meinen heutigen Gemütszustand zu informieren?“, fragte sie, nachdem der grobe Hunger gestillt war. Seunghyun lachte fröhlich.
„Eigentlich habe ich dich vermisst, aber jetzt wo du es ansprichst: Wie ist dein Gemütszustand?“
„Ich vermisse dich auch. Ich habe überlegt ob ich das geteilte Sorgerecht mit in den Vertrag aufnehme.“
Seunghyun würde heute Abend gerne Mäuschen spielen. Das würde sicher interessant werden, auch wenn ihm nicht bewusst war, dass er plötzlich Teil der Verhandlungen war.
Zu guter Letzt schrieb ihr dann auch noch Noah, ob sie heute Abend singen könnte. Sie wusste, dass sie einen Deal mit ihm eingegangen war und schrieb zurück, dass sie gegen 23 Uhr da sein würde. Nun suchte sie Jongin und fand ihn im Tanzstudio. Sie schloss die Tür hinter sich und legte sich flach auf den Boden. Jongin hörte auf zu tanzen und stoppte die Musik.
„Was ist mit dir?“, fragte er grinsend.
„Kennst du dieses Gefühl, wenn du meinst ein Tag hätte 50 Stunden?“
Er setzte sich im Schneidersitz zu ihr.
„Ja, das kenne ich sehr gut.“
„Ich gehe heute zu Noah singen.“
„Okay, wollen wir an deinem Swag arbeiten?“
Schlagartig setzte sie sich auf.
„Bitte?“
„Na ja, als Entertainer muss man etwas mehr als gut singen und hübsch aussehen.“ Er forderte sie nur heraus.
„Hallo? Ich war Turnerin! Und Cheerleader! Ich bin kein Bewegungs-Legastheniker.“ Er wusste, dass sie tanzen konnte – sie hatten schon zusammen getanzt. Sie konnte vielleicht nicht auf ihren Zehenspitzen stehen wie eine Ballerina, doch einen Grand Jete würde sie noch hinbekommen. Im Zweifel.
„Na dann zeig mal was du draufhast.“
Skye beäugte ihn mürrisch und suchte auf dem Handy das Playback zu einem der Songs, den sie heute singen wollte. ‚Sugar‘ vom Star Cast. Was Jongin nicht wusste war, dass Skye die Originale Choreo gelernt hatte und die war alles andere als jugendfrei. Sie nahm sich also einen Stuhl in die Mitte des Studios und setzte Jongin auf einen Stuhl in der Mitte des Spiegels.
Dann begann die Musik und Skye räkelte sich auf dem Stuhl und den Boden und Jongin wurde auf seinem Stuhl immer nervöser.
„Du, ich, Dusche, jetzt“, mehr bekam er nicht raus und zog Skye in die Umkleide. Sie hatte nicht geplant sich heute noch einmal komplett zu stylen, doch Mimi würde ihr bestimmt helfen.
„Auf gar keinen Fall tanzt du so bei Noah!“, verbat er ihr, nach dem Duschen.
„Hatte ich auch nicht vorgehabt“ erwiderte sie grinsend und gab ihm einen Kuss. Sie würde sexy sein, aber nicht zu sexy. Sie hatte sich noch Lieder von Ailee und Rihanna rausgesucht und ungefähr eine Stunde Programm im Kopf.
Jongin sagte sie, dass sie vorher noch etwas erledigen musste und sie sich später im Najima treffen würden. Auf gar keinen Fall würde er sich die Show entgehen lassen. Allein schon um zu prüfen, was sie anhatte und wie sie tanzen würde.
Mimi steckte sie in eine Pluderhose und schwarze Overknees. Dazu ein schwarz glitzerndes Oberteil.
„Du musst dir nicht so viel Mühe geben.“ Skye hatte ohnehin schon ein schlechtes Gewissen die Stylistin zu behelligen und nun kämpfte sie auch noch mit Skyes Mähne.
„Machst du Scherze? Ich style die ganze Zeit nur EXO, ich finde es toll mal wieder eine Frau vor mir zu haben. Und du meckerst weniger als sie.“
Ihre Blicke trafen sich im Spiegel und beide mussten lachen. Skye hatte lange gedacht, es gäbe nur noch sie und nun stellte sie fest, dass sie ein ganzes Dorf um sich herumhatte.
„Danke dir.“
„Gern geschehen.“
Frisch gestylt fühlte sich die Amerikanerin auch für Jiyong gewappnet und mit dem Auto fuhr sie zu der Adresse, die er ihr geschickt hatte. Zehn Minuten zu spät. Mit voller Absicht.
Er hatte ein Restaurant in der Nähe der Mapo Brücke gewählt. Ein großes, modernes Restaurant mit Separee. Eine Angestellte führte Skye in den abgetrennten Raum, in dem Jiyong, sein Anwalt und Anthony, Skyes Anwalt, saßen.
„Entschuldigt bitte die Verspätung“, sagte sie so dahin und nahm Platz eben Anthony. Jiyong schenkte ihr einen Blick, der sie wissen ließ, dass er genau wusste, dass sie mit Absicht zu spät war.
„Habe ich etwas verpasst?“ Eine Kellnerin kam und nahm Skyes Bestellung auf.
„Nein, nein, wir haben nur ein paar Punkte durchgesprochen“, erwiderte Anthony. Jiyong begann mit dem Kugelschreiber zu spielen.
„Gut, fassen Sie zusammen.“
„In dem Vertrag wird definiert, dass bei Scheidung und auch davor keine Ansprüche eines Partners auf Unterhalt erhoben werden. Sie haben keinen gemeinsamen Besitz, das macht die Sache einfach. Sie haben keinen Anspruch auf das Vermögen von Herrn Kwon und Herr Kwon wiederum hat keinen Anspruch auf Ihr Vermögen.“ Skye nickte, doch Jiyong rollte mit den Augen.
„Welches Vermögen denn? Hier ging es nie darum, dass ich Ansprüche auf Skyes angebliches Vermögen erhebe.“ Er war G-Dragon und sie Mias Assistentin. Wieso plusterte sie sich denn jetzt so auf?
Sie wurden unterbrochen, als die Kellnerin mit Skyes Bestellung wiederkam.
„Anthony, ich bin so schlecht mit Zahlen. Welches Vermögen denn?“, fragte Skye mit samtiger Stimme.
„Well, let’s see … mit Ihren Firmenanteilen, den Immobilien, Ländereien, Forschungszentren und Stiftungen, beläuft sich ihre Vermögen momentan auf circa 6,6 Milliarden US Dollar. Tendenz steigend.“
In diesem Moment hätte Skye gerne eine Kamera ausgepackt, denn Jiyong fiel in diesem Moment alles aus dem Gesicht.
„Danke Anthony – also über dieses Vermögen reden wir.“ Jiyongs Anwalt schaute seinen Klienten fassungslos an. Schweigen legte sich über den Tisch.
„Ich denke ich muss eine rauchen – kommst du mit?“, fragte Jiyong Skye, die nur nickte.
Das Separee hatte einen eigenen Balkon und so standen sie draußen, unter dem Heizstrahler.
Jiyong, der sonst so redegewandt war, hatte noch immer nicht gänzlich seine Stimme wiedergefunden.
„Feels like you’ve got hit by a train? Yeah … I know that feeling. Zum Beispiel wenn man von dem Groupie seines Ehemanns informiert wird, dass dieser einen Ehevertrag will. Das fühlt sich ähnlich an.“
Jiyong zog scharf den Rauch ein.
„Ich habe mich dafür entschuldigt. Woher hast du 6 Milliarden Dollar?“
„6,6 Milliarden und selbst wenn ich die Organe kleiner Kinder auf den Schwarzmarkt verkaufen würde, würde dich das wohl nichts mehr angehen.“
„Und wieso spielst du die arme Assistentin? Wieso das Theater?“
„Ich habe nie die arme Assistentin gespielt, du hast mich zu der gemacht. Ich habe nie gesagt, dass ich arm bin. Ich habe Geld nie thematisiert, das warst du und wieso? Weil ich über Geld so wenig nachdenke, wie über die Luft die ich gerade atme. Hast du nie darauf geachtet, was ich anhabe, welchen Schmuck ich trage? Ich denke du kannst Strasssteine von Diamanten unterscheiden. Und wieso dieses Theater? Weil es gut tut normal zu sein. Ich kann nicht nur auf einer Insel hocken und die Seele baumeln lassen, das liegt mir nicht. Ich habe es aber auch nicht nötig mich durch mein Geld zu profilieren und Instagram mit Luxusartikeln vollzuspammen. MCM Koffer sind nur Prestigemittel, die die Mittelschicht als Luxus erkennt. Meine Kreditkarte ist so exklusiv, dass ein normaler Verkäufer sie nicht als solche erkennt. Doch es ist wichtig, dass man nicht die kleinen Dinge aus den Augen verliert, dass man nicht vergisst sich über eine Kleinigkeit zu freuen. Dich hat dein Geld so verblendet, wenn man es dir wegnimmt, was bleibt dann noch übrig? Nehme mir mein Geld weg und ich weiß wenigstens noch wer ich bin.“
Skye war wütend. Nur weil man Geld hatte, hieß das nicht, dass man seinen Soll sich auf ein T-Shirt drucken lassen musste. Tatsächlich war es so, dass viele sehr reiche Leute es eben nicht raushängen ließen. Es waren die Neureichen und Halbreichen die es toll fanden sich mit goldenen Nerzen zu behängen und ihre Luxushäuser abzulichten. Skye würde nie so sein. Sie kaufte sich auch einen Pulli für 15$, wenn sie ihn süß fand. Geld war egal geworden, was nicht bedeutete, dass sie mehr ausgab, als sie musste. Deswegen kaufte sie Meilen und verglich die Preise.
„Das ist schön, dass du so leben kannst, du darfst dabei aber nicht vergessen, dass niemand dich kennt. Du kannst über die Straße gehen, ohne eine Massenpanik auszulösen. Ich kann das nicht. Ich habe nur die Luxusartikel.“
Skye wand sich schon ab und verharrte kurz.
„Ji, wir alle sind nur so einsam, wie wir uns haben wollen. Manchmal glaube ich, du bist einsam, weil es dir Spaß macht.“ Dann ging sie wieder rein.
Es war nicht so, als könnte sie mit Jongin, Taehyung, Changmin oder sonst wem irgendwo hin gehen, ohne dass sie auffielen, doch im Zweifel störte es sie nicht oder sie machten etwas Zuhause. Hauptsache man war zusammen. Skye war manchmal gerne allein, doch dann beschwerte sie sich auch nicht darüber und wenn sie Gesellschaft wollte, dann fand sie diese auch. Alleine und einsam war auch nicht das gleiche. Wer einsam war, kam nicht damit klar alleine zu sein.
Nach ihrem Gespräch auf der Terrasse herrschte zwischen den beiden Funkstille. Ihre Anwälte regelten die Formalitäten und nach 20 Minuten war alles unterzeichnet.
„I think the divorce will not take longer than 2 months, I’ll try to push the matter at court“, sagte Anthony beim Verlassen des Restaurants.
„Thank you.“ Skye drückte ihn und machte sich auf den Weg. Sie hatte damit gerechnet, dass die ganze Sache länger dauern würde. Zum einen hatte sie Hunger, zum anderen hatte sie noch ewig Zeit, bis sie zu Noah musste. Sie holte sich in einem kleinen Supermarkt Instand-Nudeln und beschloss etwas über die Hangang Brücke zu laufen. Sie wollte in der Mitte schweben und ihre Gedanken ordnen.
Von der Mapo Brücke aus hatte man einen tollen Ausblick über Yeouido und den Rest von Seoul. Vielleicht hätte sie nicht so harsch sein sollen. Allerdings mochte Skye es nicht als Wohltätigkeitsobjekt betrachtet zu werden. In den letzten Jahren hatte sie vieles über Leute gelernt. Sie hatte gelernt niemanden nach seinem Äußeren zu beurteilen, nicht nach seinem akademischen Stand und nicht an seinen Freunden. Nicht jeder hatte den besten Schulabschluss, was nicht bedeutete, dass man auf den Kopf gefallen war. So viele Leute hatten nicht die Möglichkeit gehabt zu studieren und hatten trotzdem tolles in ihrem Leben erreicht und wieder andere studierten sich müde und waren mit Anfang 30 noch immer auf der Uni, ohne auch nur einmal richtig gearbeitet zu haben.
Die Amerikanerin hatte sich Musik auf die Ohren gesetzt. Ihre Handtasche inklusive Handy war im Auto. Sie hatte nur etwas Geld mitgenommen für den Supermarkt und ihren Ipod, um Musik zu hören. Sie brauchte keine Anrufe.
Wie konnte das mit Jiyong noch schlimmer werden, als es vorher schon war? Sie verstand es nicht. Vielleicht würde es ihnen guttun, wenn die Scheidung durch war und sie etwas Abstand voneinander gewinnen konnten. Skye starrte hinaus, über den Hangang, doch dann stülpte ihr jemand etwas über ihr Gesicht und noch bevor sie begriff, was los war, wurde sie hochgehoben und über das Geländer geworfen. Sie spürte wie sie fiel und fragte sich noch, wie hoch die Brücke war und dann erinnerte sie sich an nichts mehr.