Skye blieb nicht lange. Gegen Mitternacht hatte sie Jongin ins Pit gescheucht, um seinen Koffer zu packen. Die Ansage war: Sommer, Sonne, Sonnenschein. Dann wollte sie selbst in ihr Apartment, doch irgendwo war irgendwie irgendwas umgefallen und Skye stand kurz davor eine ausgewachsene Panikattacke zu bekommen. Sie war kein ängstlicher Mensch, beziehungsweise stellte sie sich ihren Ängsten, aber heute, nur heute, da durfte sie etwas Schiss haben. Changmin kam gerade aus der Bar, um zu telefonieren und sah Skye an der Treppe stehen.
„Alles okay?“
„Ja, ja, ich gehe gleich hoch“, erwiderte sie und schaute argwöhnisch die Treppe hinauf. Changmin beobachtete sie einen Moment und erkannte dann das Problem. Er ging zu ihr, legte ihr einen Arm um die Schultern und lächelte sie an.
„Komm, ich bringe dich nach Hause.“
„Das musst du nicht.“
„Ich weiß“, erwiderte er nur und gemeinsam gingen sie nach oben.
Auf dem Weg fing er an lustige Geschichten über Yunho zu erzählen und bis sie vor Skyes Tür standen, tat ihr der Bauch weh vor Lachen. Sie wusste, dass er sie nur ablenken wollte, aber es funktionierte hervorragend.
„Danke dir“, sagte sie noch mal zu Changmin und gab den Code in das Pad ein.
„Ist Jong schon hier oder soll ich warten?“
„Er wird gleich kommen, schon gut.“
Der Sänger ließ sich nicht beirren und schob sich an Skye in die Wohnung. Die Amerikanerin wollte gerade ansetzen, ließ es aber bleiben.
„Wieso hast du so ein Problem, um Hilfe zu bitten?“ Er klang nicht vorwurfsvoll, sondern schien sich wirklich zu wundern. Bei Siwon hätte es sich vorwurfsvoll angehört, aber er war ja auch Gottes Ritter des Lichts auf Erden.
„Weil … weil ich nie jemanden hatte. Ja, ich hatte Freunde, als das ‚große Sterben‘ anfing, aber irgendwann willst du halt nicht mehr das arme Mädchen sein, dem die Familie ständig wegstirbt. Es war, als hätten alle auf einmal ein schlechtes Gewissen Spaß zu haben, weil bei mir ja alles so schrecklich war und irgendwann hatte ich es satt. Ich wollte nicht mehr, dass sich andere wegen mir verbiegen und habe versucht alleine klar zu kommen.“
Changmin hatte sich auf die Couch gesetzt und die Beine übereinandergeschlagen.
„Skye, wir sind eine Familie und du gehörst jetzt irgendwie dazu. Du kannst immer um Hilfe fragen und wie du heute gesehen hast, sind wir ziemlich gut darin aus schlechten Situationen das Beste zu machen.“
Da hatte er allerdings Recht. Skye war es nur nicht gewohnt eine Schulter zu haben, an die sie sich lehnen konnte. Als ihre Mutter ins Koma gefallen war, war in der gleichen Nacht ihre Oma väterlicherseits gestorben. Anstatt das ihr Vater ihr als Tochter zur Seite stand, war es Skye die ihn getröstet hatte. Bei dem Tod ihrer Mutter war ihr Vater auch keine wirkliche Hilfe gewesen und die beste Freundin ihrer Mutter war den ganzen Tag nur am Weinen gewesen. Skye hatte für so etwas gar keine Zeit gehabt! Sie war Einzelkind, die hatte sich um alles kümmern müssen. Ihre Tante musste auf ihren 84-Jahre alten Onkel Acht geben und konnte nur für die eigentliche Beerdigung kommen. Doch alles drum herum war an Skye hängen geblieben.
Als ihr Vater im Sterben lag, war seine neue Ehefrau zu nichts in der Lage gewesen. Auch hier hatte Skye sich um alles kümmern müssen, inklusive der Maßnahmen, die die Ärzte ergreifen sollten im Falle von XY. Mit Anfang 20 waren das alles keine netten Aufgaben, doch Skye schaltete in solchen Momenten auf Roboter. Sie musste funktionieren – wenn nicht sie, wer dann?
Hier war die Situation für Skye völlig neu. Keiner rannte vor Problemen davon und alle waren ziemlich tough. Deswegen war es auch in Ordnung, wenn man mal Schwäche zeigte. Es bildete sich eine Traube um die Person, um sie zu halten. Es war eine ungewohnte Abwechslung für Skye und so ganz hatte sie sich noch nicht daran gewöhnt.
Der nächste Morgen kam schneller als gedacht. Unerbittlich bimmelte der Wecker, doch heute stand Skye gerne auf.
„Urlaub!“, rief sie fröhlich und sprang aus dem Bett. Jongin schaute ihr skeptisch nach. Sonst war sie morgens nicht so motiviert. Beim Frühstück schaute der Sänger skeptisch zu den Koffern. Er hatte einen großen Koffer dabei. Skye hatte gesagt es würde warm werden. Eigentlich hatte er nur ein paar Shirts und Shorts dabei, Badehosen, Flip Flops und zwei Pullis. Er hatte natürlich Platz gelassen, zum Shoppen oder keine Ahnung was. Skye hingegen hatte nur einen kleinen Trolley, der in einem großen Koffer steckte.
„Wieso nimmst du einen großen Koffer mit, wenn alles in den Kleinen passt?“ Er kam nicht umhin zu fragen, es irritierte ihn zu sehr.
„Vielleicht will ich ja mehr mit zurücknehmen, als ich hinnehme.“
Das machte ihn nicht schlauer. Er hatte keine Ahnung wohin es ging – warm & Wasser waren nicht wirklich hilfreich gewesen. Er freute sich auf ein paar Tage ungestört mit ihr.
Der Van setzte sie in Gimpo am Business Gate ab, wo sie ein Mitarbeiter in Empfang nahm.
„Guten Morgen Ms Jones, ich hoffe es geht Ihnen heute besser“, sagte der junge Mann. Natürlich wusste er wer Skye war und natürlich wusste er, was geschehen war.
„Wir sind froh ein paar Tage weg zu kommen“, erwiderte sie.
Auch während des Check-Ins konnte Jongin keine Airline erkennen. Man hatte sie in die Lounge gesetzt und Skye naschte am 2. Frühstück.
„Babe … wo fliegen wir hin?“
„2nd star to the left and then straight to the morning“, erwiderte sie grinsend und schob sich eine Erdbeere in den Mund. Jongin wusste, dass sie so ‚Zuhause‘ bezeichnete, das Nimmerland, aber wo verdammt lag das?!
Bevor er sich mit dieser Frage weiter beschäftigen konnte, wurde er von einer ganz anderen überrumpelt. Und die hieß: Was zur Hölle ist das?!
Man hatte sie mit einer Limousine abgeholt und fuhr mit ihnen zu einem Flugzeug. Es war gelb und lila und es stand ‚Dubai Star‘ darauf. Irritiert blieb er stehen. Es gab keiner Airline die Dubai Star hieß. Noch während er starrte, griff Skye nach seiner Hand.
„Komm, ich glaube wir müssen uns unterhalten.“
Das Flugzeug war eine Boeing 767, die eine, Geschäftspartner von Skye gehörte. Sie schwebten 10.000 Meter über der Erde, saßen auf Loungsesseln, tranken Champagner und Jongin fühlte sich als würde er träumen.
„Erklär mir das – wieso bist du reich?“ Wobei ‚reich‘ hier wohl die Untertreibung des Jahres war!
„Mein Vater hat immer Lotto gespielt. Am Anfang des Jahres, wenn er den Bonus seiner Firma bekommen hatte, hat er sich immer ein Jahreslos geholt. Schon als ich klein war. Als er gestorben ist und ich seine Wohnung aufgelöst habe, habe ich das doofe Los gefunden gehabt. So viele Jahre hatte er so viel Geld aus dem Fenster geworfen, eigentlich wollte ich es wegschmeißen. Doch irgendwie hat es mich an ihn erinnert, es war das letzte Los, was er gekauft hatte und es war November, es würde nicht mehr lange gültig sein. Bei der Ziehung in der Weihnachtswoche, war es ein Rekord-Jackpot. Dreimal darfst du raten, wer das einzige Feld mit diesen Zahlen hatte? Dieser Hund! Es war wie in einem Film, als wollte Karma mit etwas zurückgeben. 867 Millionen US Dollar, nach Abzug der Steuern. Allein schon in diesen Zahlen konnte ich nicht denken. Ich wusste gar nicht, was ich damit anfangen sollte …“
Skye nahm einen Schluck.
„Ich habe mit zwei Männern studiert, sie waren einer der Besten des Jahrgangs. Sie sind schlaue Köpfe. Der eine macht Marketing, der andere IT. Ich habe jedem von ihnen 100 Millionen gegeben – zum Spielen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich bei Gewinn ihnen die Hälfte überlasse. Und seither hört es nicht mehr auf. Teilweise kaufen sie Firmen, peppeln sie auf und verkaufen sie dann gewinnbringend weiter. Manche Firmen mögen wir. So haben wir ein Maklerbüro für Edelsteine, auch Diamanten, Gold, Öl, allgemein Güter. Jemand will Diamanten – wir vermitteln sie. Jemand braucht einen Frachter – wir besorgen ihn. Die Firma haben wir recht lange. Wir machen viele Geschäfte in Dubai und Abu Dhabi. Das Flugzeug gehört einem guten Partner und Freund.“
Jongin brummte der Schädel. Tausend Fragen schwirrten ihm im Kopf umher. Wer bitte besaß eine Boeing 767 als Privatflugzeug? Er wollte gar nicht wissen, was allein schon das Tanken kostete.
„Ich habe zwei Fragen, die ich nicht böse meine“, warnte er vor und Skye nickte.
„Wieso gehst du arbeiten? Du müsstest nie wieder einen Finger rühren mit all dem Geld.“
„Ich bin nicht mit Geld aufgewachsen, ich habe immer gearbeitet für mein Geld und ich bin auch der Meinung, dass jeder, der will, Arbeit findet. Die ersten Monate, nach dem Gewinn, habe ich mich ausgeklinkt. Okay, mein Onkel war gestorben … dann meine Tante … dann habe ich eine Insel gekauft und am Anfang war es schön. Es hat ein paar Monate gedauert, bis alles so war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Zwischen drin bin ich reisen gegangen, dann war ich wieder auf Fiji, dann wieder unterwegs, aber irgendwann … irgendwann brauchst du wieder eine Aufgabe.“
Das konnte er verstehen. Es gab Leute, die reich geboren wurden und die nie wirklich etwas schaffen mussten und die kamen bestimmt damit klar am Pool zu liegen und das Leben zu genießen, doch bei Skye konnte er sich das nicht vorstellen. Sie war zu quirlig, zu unruhig. Sie musste etwas tun.
„Die zweite Frage?“
„Wieso zahle ich dir Geld?!“ Es war mehr eine Scherzfrage und beide fingen an zu lachen.
„Keine Sorge, das Geld, auch das Gehalt als Assistentin, kommt auf ein eigenes Konto und damit plane ich etwas für euch.“
„Dafür, dass du immer so tust, als wärst du eigennützig und egoistisch, denkst du ganz schön viel an andere.“
„Ja, aber ich will etwas tun, weil ich es will, nicht weil ich mich dazu genötigt fühle. Auf der Nachbarinsel zu Adavaci Island leben 9 einheimische Familie und mit den Anwohnern der Inseln drum herum, haben wir ein kleines Unternehmen aufgebaut. Sie stellen traditionelle Sachen her, Schüsseln, Körbe, Schmuck, Schnitzereien und wir verkaufen es als Fair Trade im Internet und auf Märkten. Es macht mir Spaß sie zu unterstützen, du wirst sehen, dass sie sehr warmherzig und bescheiden sind.“
Es warf sie immer etwas zurück in die Realität, wenn sie sah, wie wenig diese Leute hatten und dabei so zufrieden waren. Und in der westlichen Welt kloppte man sich beim H&M Sale wegen einer Bluse. Die Welt war total banal.
Nach dem Lottogewinn hatte sie sich von den meisten Menschen total zurückgezogen. Wenn man so einen Gewinn machte, wurden einem auch direkt ein Finanzberater und ein Psychologe zur Seite gestellt. Man hatte Skye empfohlen erst einmal Urlaub zu machen und mit wenigen Leuten darüber zu sprechen. Oft posierten Gewinner mit der Lottogesellschaft, doch Skye hatte sich geweigert. Sie wollte auch nicht, dass ihr Name veröffentlicht wurde. Plötzlich sah man die Welt mit anderen Augen. Was würden die Leute auf einmal für Erwartungen an sie haben?
Anfangs begriff man gar nicht was passiert war. 800 Millionen waren auch eine Summe, in der man nicht denken konnte. Man flog ein paar Tage in den Urlaub, irgendwo hin, wo es schön war. Skye flog nach Hawaii.
Dann begriff man was passiert war und man sagte sich: Ach, komm, gönn dir doch was! Dann lief man bei Louis Vuitton ein und kaufte sich ein Kofferset für 150.000 Dollar. Dann bekam man Schnappatmungen an der Kasse, doch nach einem weiteren Champagner hatten sich die Nerven dann auch wieder beruhigt.
Skye war nicht auf Marken fixiert, aber auf Geld auch nicht mehr. Wenn sie einkaufen ging, kaufte sie, was ihr gefiel, ohne darauf zu achten von dem es war, ob es überhaupt ein Designer war und wenn nicht, dann war das auch okay. Doch irgendwann hatte man 50 Luxushandtaschen im Ankleidezimmer und dann war man erstmal ausgeshoppt. Für eine Weile.
So schön Fiji auch war, so lag es doch am anderen Ende der Welt. In einem Privatflugzeug wurde einem jeglicher Komfort geboten. So gab es auch drei Schlafzimmer an Bord. Jongin und Skye hatten sich im Master Bedroom eine Weile abgelegt, bevor sie mit weiteren Köstlichkeiten überhäuft wurden.
Völlig satt kamen sie abends am Flughafen Nadi an, doch da endete ihre Reise nicht. Sie wurden von dem tropischen Klima in Empfang genommen. Skye hatte extra Wechselklamotten für sie dabeigehabt, damit sie von der Hitze und der Luftfeuchtigkeit nicht total überrumpelt wurden.
Gemeinsam stiegen sie die Treppe zum Flugzeug hinab und blieben stehen, schlossen die Augen und atmeten tief ein.
„Wie ich die Wärme vermisst habe“, murmelte Jongin und Skye nahm ihn bei der Hand.
„Miss Laila! Welcome back! It is so good to see you!“
„Good evening Mikey, thank you. I’m glad to be back too. I hope your family is fine?“
Skye kannte den Piloten seit sie die Insel gekauft hatte. Er hatte drei kleine Flugzeuge und belieferte die kleineren Inseln. Er hatte zwei Wasserflugzeuge und ein kleines Flugzeug, für die Inseln, auf die es tatsächlich Landebahnen gab.
Skyes kleine Insel hing an einer größeren Insel dran, auf der es eine Landebahn gab. Dafür gab es keine wirklichen Wege und dann müsste man mit dem Boot übersetzen. Skye war das zu aufwendig und so hatte sie einen Steg bauen lassen, auf der Ostseite. Die Lagune war im Westen, im Osten war das Wasser tiefer. Sie hatte eine kleine Meeresforschungsstation auf der Insel und eine Tauchbasis. Also sie hatte einen Captain für ihr Boot und drei Crewmitglieder und sie hatte einen Divemaster, der gerne Einsiedler war und die Riffe rund um die Insel erkundete. Sie konnte ihre Flaschen selbst befüllen und hatte mehrere Ausrüstungen auf der Insel – falls mal etwas kaputt ging. Der Steg war also angebracht gewesen.
„Laila?“, fragte Jongin nun doch irritiert.
„Laila Skye Jones. Skye benutze ich, wenn ich nicht will, dass die Leute mich googlen können.“
„Hast du sonst noch irgendwelche Leichen im Keller, von denen ich wissen sollte?“
„Nicht, wenn du nicht auch eine Leiche im Keller werden willst“, erwiderte die Amerikanerin zwinkernd und stieg in das Wasserflugzeug.
Leider war es bereits dunkel, ansonsten hätte Jongin am Fenster geklebt. Der Anblick war ein Traum. Doch sie flogen durch die Dunkelheit. Hier und da sahen sie ein Fischerboot, doch eigentlich war es stock finster.
„Siehst du, da ist es“, sagte Skye und deutete auf den beleuchteten Steg in der Finsternis und er dachte sich nur, dass wenn er Pilot wäre, er hier nicht nachts landen würde. Mikey hingegen kannte die Strecke in- und auswendig und traute sich das zu. Sanft setzte der Flieger auf dem Wasser auf und fuhr zu dem Steg, wo bereits vier Männer auf die beiden Besucher warteten.
„Welcome home Ms Laila“, begrüßte sie ein älterer Mann, den Skye in den Arm nahm.
„Schön dich zu sehen“, erwiderte Skye auf Fiji.
„Nazil ist … keine Ahnung, meine Augen und meine Ohren. Er organisiert den ganzen Haushalt. Er koordiniert die Arbeiten und Einkäufe. Wir bereiten unser eigenes Wasser auf und wir haben eine Palmenaufzucht und eine Ordchideenaufzucht. Ich habe keine Ahnung, was sie hier treiben, wenn ich nicht da bin, aber solang alles okay ist, wenn ich hier bin, ist es mir egal, wenn ich ehrlich bin“, sagte sie zu Jongin gewandt.
Skye war großzügig. Sie zahlte das Personal das ganze Jahr, ob sie da war oder nicht und sie bezahlte sie gut. Glückliches Personal war gutes Personal.
„Would you like to take the golf cart?“, fragte Nazil, doch Skye schüttelte den Kopf.
„I’d like to show my guest around.“
Jongin war völlig überwältigt. Von allem. Er kam sich vor wie in einen Traum und wahrscheinlich würden die Informationen von heute noch einen Moment brauchen, bis sie durchgesickert waren.
„Die Insel hat 48 Hektar. Eigentlich sieht sie aus wie dieses Lederzeichen in den Klamotten“, erzählte Skye lachend.
„Im Süd-Westen liegt das Haupthaus, zwischen zwei Stränden. Wenn man vom Haupthaus weiter läuft kommt man zu der Forschungs- und Tauchstation und am Ende der nächsten Bucht sind drei Gästehäuser. Es gibt einen Weg um die Insel herum und wir haben Golfcarts – eher für Lieferungen. Die Mitte der Insel ist erhöht, dort gibt es einen Grillplatz und im Süden des Hügels ist eine … Hütte. Im Norden sind wir halb mit der Nachbarinsel verbunden – wenn Ebbe ist ja, wenn Flut ist nein. Das Schlafhaus der Angestellten ist in der Nähe vom Steg.“
Sie liefen gemütlich den Weg entlang, der leicht beleuchtet war. Sie arbeiteten mit Solarzellen auf den Häusern und hatten Stromaggregate. Manchmal genoss es die junge Frau auch einfach mit einer Taschenlampe loszuziehen. Schließlich zog man nicht auf eine einsame Insel um es ständig hell zu haben. Anfangs war es total ungewohnt. Wenn man als Großstadtkind hierherkam, wo es keine Nebengeräusche gab, nur das Rauschen des Meeres und das Flüstern der Palmen und Bäume, war das anfangs beängstigend. Skye hatte auf jedes Rascheln geachtet. Man war das gar nicht mehr gewohnt, diese Dunkelheit, der Blick auf die Sterne. Der einzige Ort, wo sie die Stille und Einsamkeit genauso erlebte wie hier, war auf Korsika. Natürlich dort nicht in den Städten, aber auch auf Korsika konnte man fern ab von Gut und Böse sein.
Nach ein paar Minuten sahen sie das Haupthaus zwischen den Bäumen leuchten. Es passte in die Umgebung, mit viel Holz und vielen Fenstern. Eine Frau stand an der Tür und begrüßte Skye. Die Amerikanerin hatte schon am Steg die Schuhe ausgezogen, doch Jongin war noch viel zu irritiert von der Gesamtsituation, als sich um solche Kleinigkeiten wie Schuhe zu kümmern.
Skye war natürlich klar, dass er sich total überrumpelt vorkommen musste und sie wusste, dass sie ihn heute nicht überfordern durfte. Sie zeigte ihm also nicht das Haus. Stattdessen lief sie durch das Wohnzimmer, das komplett verglast war, und schob die Schiebetüren zur Seite. Das Haus lag direkt am Ufer und die riesige Terrasse war über dem Meer gebaut. Jongin folgte ihr einfach und Skye ließ sich auf einem Doppelsitzsack nieder.
Jongin ging zum Geländer und schaute in die Nacht. Es war abnehmender Mond und er erhellte das Meer.
„Wie konntest du das vor mir verschweigen?“ Er klang weniger vorwurfsvoll, als verletzt.
„Wir kennen uns noch nicht so lange – weiß ich denn alles über dich?“
„Das Internet weiß mehr über mich, als ich selbst“, scherzte er und setzte sich zu ihr.
„Du bist wie ein anderer Mensch.“
„Nein, darum geht es mir. Ich will nicht, dass mich jemand als etwas sieht, was ich nicht bin. Ich bin ich. Ich bin der gleiche Mensch, der ich gestern war oder vorgestern. Mein Konto ändert mich nicht.“
„Hast du nur ein Konto?“, fragte er ungläubig.
„Nein … ich habe 12 oder so, aber das ist irrelevant.“
Jongin zog sie in den Arm.
„Ja, das ist es.“ Geld war ihm egal. Mit ihrem Kontostand konnte er zwar nicht mithalten, doch auch er verdiente nicht schlecht. Eigentlich fand er es gut, dass sie sich nicht davon beeinflussen ließ, doch er dachte an seine Bandkollegen, die schon etwas geahnt hatten ohne zu wissen, dass es etwas zu ahnen gab.
Sie ließen den Abend beim Grillen und mit einer Flasche Wein ausklingen. Natürlich grillten sie nicht selbst, einer von den Köchen stand am Grill und zauberte ihnen etwas zu essen. Es gab frisches Brot mit Knoblauchbutter. Skye erzählte, dass sie das auch Madeira gerne gegessen hatte und dass der eine Koch sich ein Rezept gesucht hatte, um das Brot selbst zu backen. Dazu gab es frische Früchte, von denen Jongin vermutete, dass sie sogar hier auf der Insel wuchsen und das Fleisch kam vom Grill.
Nach dem Essen gingen sie noch in den Pool, der an die Terrasse grenzte. Der Sänger wollte schon fragen, wieso man einen Pool brauchte, wenn man von Wasser umgeben war, andererseits würde er nachts nicht einfach ins Meer steigen.
Skye brachte nicht sehr viele Leute hier her. Marcel und Chris, ihre beiden Geschäftspartner waren schon öfters hier gewesen und wenn sie bei einem neuen Kunden besonders viel Eindruck schinden wollten, flogen sie mit ihm auch hier her, doch eigentlich war Adavaci Skyes Nimmerland und sie teilte es nicht gerne. Heute war sie froh, dass sie ihn mitgenommen hatte.