In dieser Nacht wurde Skye von einem komischen Traum verfolgt. Eigentlich neigte sie dazu mittags merkwürdige Dinge zu träumen, was dazu führte, dass sie mittags nicht mehr gerne schlief. Es waren intensive Träume und immer, wenn sie aufwachte, hatte sie unheimlichen Hunger auf Schokolade und eine Zigarette.
Jedenfalls war sie ein Pirat oder besser gesagt wollte sie einer werden. Was brauchte ein Pirat? Ein Schiff. Doch Skye hatte kein Geld für ein Schiff und so war sie auf das Schiff eines anderen Piraten am Hafen eingestiegen und hatte sich genug Gold geholt, um sich ein eigenes Schiff zu kaufen. Es war ein kleines Schiff, eine Brigg, denn bisher hatte sie noch keine Crew. Natürlich hatte sie jemand gesehen und man fing an sie zu verfolgen.
Es war Jongin und Yesung, die sie schnappten, aber irgendwas geschah, als sie Jongin in die Augen sah. Sie wusste, dass er kein schlechter Mensch war und er hatte die Handschellen viel zu locker angelegt. Etwas war zwischen ihnen geschehen, als sich ihre Blicke trafen.
„Warte dort bis wir kommen“, sagte er zu ihr und deutete auf den Bahnhofseingang. Es war praktisch eine Einladung zur Flucht. Sie bleib einen Moment in der Vorhalle stehen, bis sie außer Sichtweite waren, dann ging sie los. Sie rannte nicht, das wäre zu auffällig.
„Hey Püppchen.“ Ein schmieriger Kerl grinste sie an und anstatt weiter zu gehen, rammte Skye ihn und presste seinen Kopf gegen die Mauer.
„Was hast du gesagt?“
„Hey!“ Eine Trillerpfeife war zu hören und sie sah zwei Polizisten auf sie zu rennen.
„Was ist hier los?“ Der eine Polizist schaute auf ihre Handschellen, die sie noch angelassen hatte. Skye streifte sie auf eine Seite.
„Schmuck, der neuste Trend. Nichts ist hier los“, erwiderte sie und machte sich weiter.
Sie sah einige Gleise und unzählige Menschen eilten durch den Bahnhofsbereich. Skye suchte einen Ticketautomaten. Sie hatte Geld dabei und keiner hatte das geprüft, nachdem man sie geschnappt hatte. An dem Automaten versuchte sie durchzublicken, Hauptsache weg! Zwei ältere Frauen drängelten sie und Skye tippte auf irgendein Ticket und bezahlte den Betrag.
Sie konnte nicht fassen, dass noch niemand nach ihr gesucht hatte. Zug 904 stand auf ihrem Ticket und sie lief auf ein Gleis. Dort fuhr gerade der Zug 108 ein. Es hätte ihr egal sein sollen. Wäre sie bei der nächsten Station ausgestiegen oder hätte eine Strafe bezahlt, doch sie stieg nicht ein und ging zurück zum Hauptgang, als ihr Yesung entgegenkam.
„Da bist du!“
Eilig streifte sie sich die Handschellen wieder über.
„Komm’ jetzt!“
Sie ging ihm hinterher, bis er sich irgendwann nicht mehr alle zwei Sekunden umdrehte und rannte dann los – geradewegs in Jongins Arme. Vor ihnen war eine Treppe und Skye hatte gehofft, dass sie zu einem Gleis führen würde als sie losrannte, doch es war ein Abstellplatz und sie war von Zäunen umgeben.
Jongin kam am Ende der Treppe an.
„Tu das nicht“, bat sie ihn und sie sah, dass es ihm schwerfiel. Doch dann nahm er eine Art Zauberstab und unsichtbare Seile umschlangen sie. Bevor sie fallen konnte, war er da um sie zu halten. Sein Mund öffnete sich, doch dann kam Yesung fluchend die Treppe runter.
Sie führten Skye zu einem Parkplatz. Jongin lief vor und hielt dabei Skyes Hand. Gemeinsam hätten sie Yesung überwältigen können, doch Jongin tat es nicht und Skye landete auf der Rückbank.
Der Pirat, von dem sie gestohlen hatte – wobei Skye sich darüber Gedanken machte, ob es wirklich noch Stehlen war, wenn man wusste, dass derjenige das Gold auch nur gestohlen hatte – hatte auf einem Berg ein riesiges Anwesen das gut bewacht wurde. Sobald das Auto vorgefahren war, waren sie von zwei Dutzend Männern umgeben.
Sie warteten auf ein Zeichen sie hoch zu bringen, als einer der Piraten anfing zu lachen. Er war riesig, fast doppelt so groß wie Skye, doch furchtlos stellte sie sich vor ihn.
„Hey, hast du ein Problem?“
Der Kerl schaute zu ihr runter und Jongin wollte sie wegziehen, doch sie schüttelte ihn ab.
„Ich habe gefragt, ob es hier ein Problem gibt?“
„Ich weiß nicht wovon du redest.“
„Gut, sonst hätte ich dich als erstes töten müssen.“
Piraten-Skye war total badass.
Sie begannen mit dem Aufstieg und sie sah Gefängnisse und alle möglichen Kreaturen. Jongin lief vor ihr und drehte sich immer wieder zu ihr um. Schließlich sprang sie über die Brüstung und schlitterte den Berg hinab. Es gab Kämpfe und alles war sehr durcheinander, doch irgendwann war sie am Ende des Berges und rannte, rannte um ihr Leben, bis sie das Gefühl hatte, dass ihr niemand mehr folgte. Sie wurde langsamer und schaute über das Meer hinaus, als ihr auffiel, dass dort jemand stand. Sie ging näher heran und sah, dass es Jongin war.
Dann wachte sie auf. Es war 4:30 Uhr und sie fühlte sich total benommen. Was wäre passiert, wenn sie nicht aufgewacht wäre? Hätte sie mit Jongin fliehen können, um ihn zum ersten Crewmitglied zu machen?
Jedenfalls hatte sie Hunger. Schlaftrunken ging sie zum Kühlschrank. Butter, Würstchen, Kartoffeln, Milch, Pizza-Reste. Toll. Sie überlegte, wie sie jetzt an etwas Süßes kam. Im Dorm, Pit oder Tower danach zu suchen war vergebens. Solche Sachen kauften die Manager nicht ein. Sie wusste, dass D.O einen geheimen Vorrat an Süßigkeiten hatte, hatte jetzt aber nicht die Kraft danach zu suchen. Ansonsten vernichteten die Jungs jegliche Beweise auf Zucker sofort, damit die Manager ihnen später keinen Vorwurf daraus machten.
Sie zog sich also einen Kaputzenpulli an, steckte etwas Geld ein und verließ die Wohnung.
Um die Ecke gab es einen kleinen Supermarkt und Skye war dankbar. In Amerika hatten die großen Supermärkte 24 Stunden auf und die kleinen in der Regel bis 23 Uhr. Allerdings gab es die großen Supermärkte nicht überall, also musste man mit dem Auto fahren. In Korea waren die großen Malls nachts geschlossen. Dafür gab es Hunderte oder Tausende kleine Supermärkte, die Rund um die Uhr aufhatten.
Skye nahm sich eine Packung Real O Brownies und diese coolen Pizza-Chips, die mit Käse überbacken waren, als sie ein Lachen hörte.
„Was ist denn mit dir passiert?“
Langsam drehte sie sich um und sah Noah und Fynn. Sie hatte einen schwarzen Pulli von Jongin an, aber die Hello Kitty Pyjama-Hose – die sie die ganze Zeit nicht an hatte, weil es einfach zu unsexy war, wenn man mit Männern wie Jongin und Jiyong ausging – konnte sie nicht verstecken.
„Ich hatte einen komischen Traum, dann wollte ich Zucker – wohne mal mit Idols, die haben keinen Zucker.“
Noah lachte fröhlich, während Fynn nur mit den Augen rollte.
„Sag mal, wenn ich dich gerade treffe … ich habe gehört du hast frei, hast du Lust heute Abend zu kommen und zu singen?“
„Ja klar, sag mir nur, wann ich da sein soll“, erwiderte sie und ging an die Kasse. Hey, jetzt hatte sie einen Abendplan!
Im Endeffekt hatte Skye nur einen Brownie gegessen und die waren wirklich klein, dann war sie wieder eingeschlafen. Gegen 9 Uhr wachte sie auf und stand etwas neben sich. Hatte sie nur von Noah geträumt? Nein, die Chipstüte und die Brownies waren Beweis, dass sie heute Nacht irgendwann beim Supermarkt war. Sie Alternative wäre gewesen, dass die Piratengeschichte wahr war und das mit Noah nur geträumt – diese Kombi wäre lustiger.
Vorsichtig schlich sie sich ins Super Junior Dorm. Seit dem Anschiss hatte sie etwas Angst dort einzulaufen, doch sie wurde fröhlich von Leeteuk, Heechul, Eunhyuk und Yesung begrüßt.
In den vergangenen drei Monaten hatte sie gelernt, dass nicht alles so war, wie es schien und so blieb sie skeptisch stehen.
„Ich kann auch wieder gehen, wenn ihr wollt“, bot sie von sich aus an, was wiederum die andren verwirrte.
„Wieso?“, fragte Eunhyuk.
„Weil ich nicht weiß, ob ich willkommen bin.“
Eunhyuk und Leeteuk stürmten sofort auf sie zu und legten jeweils einen Arm um ihre Schultern.
„Frauen sind bei uns immer willkommen“, sagte Leeteuk.
„Das kannst du nicht pauschalisieren. Schöne Frauen sind bei uns immer willkommen“, korrigierte ihn Eunhyuk und gemeinsam führten sie Skye zum Esstisch.
„Und Ausländer.“
„Ja, Ausländer sind total willkommen.“
„Vor allem Amerikanerinnen.“
„Yes, we love america.“
„Die reden sich um Kopf und Kragen, oder?“, flüsterte Yesung zu Heechul.
„Jup“, sagte der Sänger nur und schaute gar nicht von seinem Handy auf.
Skye wand sich aus dem Griff der beiden und seufzte.
„Und was war das letztens?“
„Das waren zu oft zu viele Leute, die uns die Haare vom Kopf essen – mit dir kommen wir klar. Du redest nicht so viel, du isst nicht so viel und dekorativ bist du hübsch an zu sehen“, kommentierte Kyuhyun, der gerade die Treppe runterkam.
„Danke … glaube ich“, sagte sie nach kurzem Grübeln.
Skye machte sich Toasts mit Käse und holte sich einen Kaffee.
„Was machst du mit deiner neu gewonnenen Freizeit?“, fragte Heechul.
„Heute Abend bin ich im Najima. Seunghyun wollte vorher was essen gehen. Heute Vormittag will ich in den Gyeongbokgung – Sakura hat angefangen.“
„Wirklich?“ Sakura war die Kirschblütenzeit in Korea und in der Regel begann sie im Süden etwas früher als im Norden, doch der März war mild und vor allem in den letzten Tagen waren die Temperaturen angestiegen. Vorgestern war sie an Kirschbäumen vorbeigefahren und sie waren am Blühen gewesen. Die nächsten vier Wochen würde es sehr rosa in Korea werden. Skye mochte die weißen Blüten lieber, wenn sie ehrlich war.
„Ich hoffe es, ich habe sie schon blühen sehen. Dann wollte ich etwas nach Bukcheon zum Fotografieren und ich glaube dann geh ich zu Hans Deli.“
„Cool – wer kommt mit?“, wollte Leeteuk wissen.
„Niemand. Euch kann man ja nicht mitnehmen“, stellte Skye ernüchternd fest. Mit Promis auf Sightseeing? Unmöglich.
„Meinst du nicht … nach der Sache…“, begann Yesung doch Skye unterbrach ihn.
„Ich werde mich nicht zur Geisel der Verrückten machen. Korea ist eines der sichersten Länder der Welt und ich werde alleine durch die Stadt laufen.“
Die Sänger sagten nichts mehr dazu. Manchmal gab es Momente, da diskutierte man nicht mit Frauen.
Das Wetter war ausgesprochen sonnig und mild. Skye hatte Turnschuhe an und ein T-Shirt, mit einem dünnen Cardigan darüber. Wann war es eigentlich Frühling geworden? Die Paläste waren immer gut besucht, meistens von Touristengruppen, aber auch oft von Schulklassen.
Skye liebte Korea für diese Waage zwischen Kultur und Moderne. Die Paläste und Schreine waren in einem Top-Zustand. Ständig würde an ihnen gearbeitet. Im Sommer gab es in manchen Palästen in Seoul auch Nachtführungen. Sie waren super schnell ausgebucht, es war aber auch eine schöne Erfahrung. Jeder bekam Laternen und es gab eine traditionelle Aufführung. Dazu bekam man noch Geschenke!
An diesem Morgen waren zwar einige Gruppen im Gyeongbokgung unterwegs, doch die Anlage war so riesig, dass es sich gut verteilte. Skye ging durch das große Tor und strahlte, als sie die ersten blühenden Kirschbäume sah.
Die Amerikanerin kannte die Palastanlage, aber sie nahm sich Zeit für’s Fotografieren und setzte sich am Ende in das Café. Jongin hatte ihr öfters geschrieben. Gestern Nacht waren sie wohl abgehauen, um etwas richtiges zu Essen zu bekommen und natürlich hatte man sie erwischt. Skye grinste fröhlich. Obwohl sie einen Anschiss kassiert hatten, hatten die Manager das wohl mit den Universal Studios heute durchgezogen. Sie überlegte wie viel Liter Butterbier sie bis jetzt schon getrunken hätte.
Nach dem Palast wanderte sie langsam rüber nach Bukcheon. Es war komisch für Skye. Früher war sie immer nur zum Spaß in Korea, okay sie hatte studiert, aber auch das sah sie eher locker. Nun war sie hier zum Arbeiten und ja, sie hatte vieles gesehen, was sie vorher nicht kannte. Sie hatte die Chance hinter die Kulissen zu schauen und im Endeffekt war sie auch den ganzen Tag unterwegs. Doch heute gehörte sie nur sich selbst. Sie konnte selbst entscheiden wohin sie ging und was sie machte.
In Bukcheon ging sie etwas durch die kleinen Läden shoppen und holte sich ein paar Sachen für die Wohnung, Kategorie: Dinge, die die Welt nicht braucht, aber unbedingt haben muss.
Sie nahm sich Zeit zum Fotografieren und setzte sich in zwei Cafés auf dem Weg.
Gegen 14 Uhr war sie über Insadong dann in Myeongdong gelandet. Hier gab es immer etwas zu tun. Zuerst ging sie zu Hans Deli, um etwas zu essen, dann ließ sie sich die Wimpern auffüllen und dann schlenderte sie etwas durch das Einkaufsviertel. Bei SPAO blieb sie stehen und schaute EXO an. Früher hingen hier Super Junior und Girls Generation, heute waren es EXO und Red Velvet. So änderten sich die Zeiten. Skye ging in das Klamottengeschäft und schaute sich etwas um, holte sich sogar zwei Shirts.
Skye stand an der Kasse und schaute sich um, als ihr jemand auffiel. Jemand, der heute Morgen schon im Palast war. Jemand der auch in Bukcheon unterwegs gewesen ist. Jemand der zufällig in Insadong in dem einen Geschäft war. Jemand der an dem Hotteok-Stand gestanden hatte, als Skye aus dem Kosmetikstudio gekommen ist. Es reichte ihr. Sie ging von der Kasse weg und nahm die Rolltreppe in den ersten Stock. Im Vorbeigehen nahm sie sich einen kleinen Regenschirm. Im ersten Stock angekommen versteckte sie sich zwischen den Kleiderständern. Mit der Hand schob sie die Pullover zur Seite, um zu sehen, ob der Mann ihr immer noch folgte. Andererseits gab es keinen anderen Ausgang, irgendwann müsste sie wieder runterkommen.
Nach ein paar Minuten stand sie auf, weit und breit keine Spur von ihm. Dann drehte sich Skye um und er stand genau hinter ihr. Schreien stolperte sie nach hinten, der Schirm sprang auf und knockte den Mann um. Skye hingegen fiel in einen Kleiderständer.
Keine Stunde später saß die Amerikanerin auf der Polizeiwache in Jongno. Bei ihrem Sturz hatte sie ein Regal mitgenommen und sich am Oberarm aufgerissen. Soweit sie es erkennen konnte musste es nicht genäht werden, doch es hatte ganz schön geblutet. Der Cardigan war am Arsch. Sie mochte diesen Cardigan.
„Nein, ich habe ihn nicht tätlich angegriffen. Er verfolgt mich seit heute Morgen, ich wollte mich verstecken und dann BOOM – stand er da. Ich habe mich erschreckt, bin auf den Knopf gekommen, der Schirm sprang auf und sein Gesicht war im Weg – aber ernsthaft, ich bin das Opfer hier!“
Der Polizist war bereits bei der zweiten Tasse Kaffee und massierte sich die Schläfen.
„Wieso hatten Sie den Schirm in der Hand?“
„Zur Selbstverteidigung! Ich weiß nicht ob sie Nachrichten schauen … oder Zeitung lesen … oder Social Media haben, aber vor kurzer Zeit hat man versucht mich umzubringen, also ja, wenn ich denke, dass mich jemand verfolgt, dann wehre ich mich.“
„Herr Park sagt er wurde als ihr Bodyguard engagiert.“
Nun stutzte Skye.
„Von wem?“
Hatte sie SME nicht deutlich gesagt, dass sie nichts davon hielt? Aber vielleicht steckte auch SME gar nicht dahinter. Wer könnte dahinter stecken? Jongin? Jiyong? Super Junior? Heute Morgen hatten sie so komisch reagiert, als Skye gesagt hatte, sie wolle alleine losziehen. Woher hätte der Mann sonst wissen sollen wo sie war? Oder er hatte ihr schon Zuhause aufgelauert? Gruselig.
„Choi Seunghyun.“
„What?!“ Kurzzeitiger Sprachverlust.
In diesem Moment klopfte es an der Scheibe und der Polizist stand auf. Seunghyun? Damit hatte sie nicht gerechnet.
Es vergingen einige Minuten und niemand kam. Skye wurde genervter, als ohnehin schon. Sie schaute auf die verspiegelte Schibe und fragte sich, was dahinter besprochen wurde. Man würde sie doch nicht ins Gefängnis werfen, oder? Und wessen Schuld war es? Nein, nicht die von Seunghyun, sondern die von Youngjun! Wenn er ihr nicht verboten hätte mit EXO nach Japan zu fliegen, wäre das alles nie passiert. Sie hätte die Universal Studios aufgekauft und würde jetzt im Hotelzimmer liegen, weil ihr von dem ganzen Butterbier schlecht wäre. Dem würde sie was erzählen, wenn man sie ins Gefängnis stecken würde.
Die Tür öffnete sich und der Polizist blieb stehen.
„Frau Jones, Sie dürfen gehen.“
Die Assistentin hob erstaunt die Augenbrauen, doch sie brauchte keine zweite Aufforderung. Im Gang kamen ihr Mia und Seunghyun entgegen und aus einem anderen Zimmer kam Herr Park, sein Auge fing an blau zu werden.
„Skye! Are you okay?“, fragte Mia und eilte auf sie zu.
„Du! Hast du davon gewusst?“
„Ich? Also … wir hatten … aber dann … und irgendwie… ich denke schon.“ Den letzten Teil nuschelte Mia.
„Was?“
„Was?“, fragte Mia zurück.
„Was?“
„Was hast du gehört?“ Verwirrungstaktik hatte Mia die letzten Jahre intensiv bei Heechul studiert.
Skye schnaufte und ging zu Seunghyun, der die Arme öffnete, doch stattdessen schupste sie ihn.
„Was. Hast. Du. Dir. Gedacht?“
„Deine. Sicherheit“, äffte er sie grinsend nach. Skye drehte sich um und verließ die Polizeiwache.
Sie fuhr nach Hause, ging direkt in ihre Wohnung und holte sich Eiscreme aus dem Gefrierfach. Ihre Sicherheit. Pah! Sie hatte den Mann mit einem Knirps ausgeschaltet. Sie war ein Ninja. Keine Ahnung, was Nikolai ihr Morgen noch beibringen wollte.
Skye schlief irgendwann ein, als es gegen 19 Uhr bei ihr klingelte. Verschlafen machte sie die Tür auf und fand Seunghyun davor. Kommentarlos schloss sie die Tür wieder, doch eigentlich war ihr klar, dass sich die Situation nicht so einfach lösen würde. Seunghyun klingelte also noch mal.
„Was willst du?“
„Mit dir essen gehen – hatten wir doch ausgemacht.“
„Das war bevor du dich als Verräter entpuppt hast.“
„Ver-was?“ Entsetzt schaute er sie an.
„Ich hatte das vielleicht von Jiyong erwartet, aber nicht von dir.“
Um ehrlich zu sein war es Jiyongs Idee. Ji hatte nur gewusst, dass wenn Skye wusste, dass die Idee von ihm kam, ihr Menschenverstand sich auf natürliche Weise dagegen wehren würde, während Jiyong der Meinung war, dass sie bei Seunghyun vielleicht Verständnis dafür hätte. All das wusste Skye nicht und Seunghyun hatte jetzt auch nicht vor das Ganze auf seinen Bandkollegen zu schieben.
„Skye, ich bin dein Freund! Ich mache mir Sorgen um dich. Ich weiß du bist die harte Frau, die ihre ganze Familie verloren hat und die gelernt hat alleine klar zu kommen, aber ich sage dir was: Du gehörst jetzt dazu. Ob es dir gefällt oder nicht, ob du mit Jiyong zusammen bist oder nicht oder mit Jongin oder meinetwegen auch Siwon, all das ändert nicht, dass wir Freunde sind. Du wärst fast gestorben. Es geht nicht mehr nur um dich, nein, wir stecken da alle mit drin. Du bist nicht mehr alleine.“
Sie hatte Seunghyun noch nie aufgebracht gesehen und zugegeben, sein gutes Aussehen führte dazu, dass man ihn nicht richtig ernst nahm, doch irgendwie berührte er Skye und schweigend umarmte sie ihn und seine Arme umschlossen sie.
„Ich will, dass du Herrn Park kündigst“, sagte sie ruhig und schaute lächelnd auf.
„Ab Morgen mache ich Selbstverteidigung und ich habe einen ‚Knirps‘.“ Knirps konnte sie nicht übersetzen und so sagte sie es auf Deutsch, denn in Amerika hatten sie kein wirkliches Wort für kleine Regenschirme, deswegen fand Skye es so niedlich, als sie es das erste Mal in Deutschland gehört hatte. Seunghyun wusste nicht was ein Knirps war, aber es spielte auch nicht wirklich eine Rolle.
Die Amerikanerin hatte nicht damit gerechnet, dass Seunghyun noch mit ihr essen gehen würde, nach der Szene in der Polizeistation und so war sie natürlich noch nicht einmal annähernd fertig. Seunghyun holte sich etwas zu trinken und setzte sich auf die Couch.
Es gab keine Wand zwischen Wohnzimmer und dem Schlafzimmer, was die Treppe hoch lag. In Anbetracht der Tatsache, dass doch öfters Leute bei ihr waren, hatte Skye sich japanische Trennwände geholt. Für Seunghyun war das sehr unangenehm, denn er sah ihre Silhouette hinter dem Papier. Er versuchte wegzuschauen, aber das war gar nicht so einfach.
„Was sagst du?“
Sie trug ein weißes Kleid aus Spitze mit Spaghettiträgern. Es hatte ein Boho-Muster und war ziemlich durchsichtig. Um die Hüfte und den Busen war es nicht durchsichtig und es war hinten länger als vorne. Seunghyun konnte nicht anders, als sie mit offenem Mund anstarren. Sie hatte eine tolle Figur, eine schmale Hüfte und ein Dekolleté, was einen zwar nicht ansprang, was aber absolut da war.
„Meine Mutter würde sagen das ist Reizwäsche“, erwiderte er grinsend.
Skye schaute an sich runter. Sie liebte dieses Kleid und es war Frühling. Generell liebte sie Kleider und Röcke. Seunghyun hingegen kannte sie meistens nur in Obersize-Pullis, die warm und kuschelig waren, in Leggins und mit dicken Boots. Nun trug sie goldene Pumps. Ihre Erscheinung machte ihn etwas durcheinander.
„Noah hat gesagt: Sexy, aber nicht nuttig.“
„Das ist sehr zutreffend.“
Und dann griff sie auch noch zum roten Lippenstift.
„Und du wunderst dich, dass du die ganzen Kerle verrückt machst“, bemerkte er, als sie am Gehen waren. Sie schaute ihn völlig unschuldig an, mit ihren großen Augen und den roten Lippen, als wüsste sie nicht, wie er das meinte.
Die beiden waren ins Najima gefahren, weil Skye ja nicht mit anderen Männern gesehen werden durfte. Vor allem nicht in diesem Kleid und auf gar keinen Fall mit Seunghyun. Der Skandal wäre vorprogrammiert. Im Najima hatten sie wenigstens ihre Ruhe. Halbwegs zumindest – Noah war da.
„Das mit deinem Vermögen hat Jiyong wirklich geschockt – und ich habe ihn selten geschockt gesehen“, erzählte der Seunghyun.
„Und dich?“
„Ich wusste wer du warst.“
Skyes Gesichtsausdruck brauchte wohl keine Worte.
„Ich kam zu dir ins Büro, als du eure Boardkarten für den Flug nach Vegas ausgedruckt hast. Sie lagen im Drucker, ich habe beiläufig einen Blick darauf geworfen und dort stand Laila-Skye Jones. Es war ziemlich schlau, als Assistentin regelst du alles. Die ganzen Trips, du checkst alle ein, keiner sieht deine Unterlagen. Jedenfalls habe ich mich gefragt, wieso dort Laila stand und was du verbergen wolltest. Also habe ich Google gefragt.“
Er hatte ihre Masche durchschaut, denn genau so war es. Sie war das Schlusslicht. Sie buchte Flüge und Hotels. Während die anderen in der Lounge saßen, hatte sie alle Unterlagen fertig gemacht. Und im Geschäftsbereich sprach man sie mit dem Nachnamen an.
„Und du hast Jiyong nie davon erzählt?“
„Es war nicht meine Geschichte zu erzählen.“
Seunghyun verstand auch ihre Intention. Manchmal wünschte er sich, er könnte einfach neu anfangen. Skye hingegen ging es gar nicht darum die Idols nie darüber einzuweihen. Sie wollte nur, dass sie Skye kennenlernten wie sie war, unabhängig von all dem Geld. Sie wäre noch nicht einmal auf Seunghyun sauer gewesen, wenn er es Jiyong erzählt hätte. Die beiden waren Freunde, Bandkollegen, sie hätte es verstanden. Umso beeindruckter war sie, dass er es nicht erzählt hat.
„Du bist ein wirklich guter Freund.“
Er lächelte und stieß darauf an.
„Okay, was ist mit Honey und Jiyong?“
Seunghyun lachte fröhlich.
„Sag mir nicht, dass du eifersüchtig bist?“
„Auf Ji? Quatsch – jede die nicht Jennie ist begrüße ich mit offenen Armen und gebe ihnen meinen Segen … es ist nur … ich habe das Gefühl, als wäre ich für einige ein Honey-Ersatz gewesen. Und jetzt ist sie wieder da und ich … keine Ahnung, es ist albern.“
„Total albern“, bestätigte er ihr.
Und er sollte Recht behalten. So viele kamen. Leeteuk, Heechul, Shindong, Yesung, Eunhyuk und sogar Kyuhyun. Mia kam natürlich auch. Seungri kam mit Lisa und Rose. Taehyung, Jimin, Namjoon und Jungkook kamen. Irene kam mit Yeri. Changmin war da, gemeinsam mit Yunho. Und dann hieß es Showtime. Skye sang 40 Minuten, machte dann Pause und sang noch einmal 30 Minuten. Sie mixte koreanische und englische Lieder, sang auch selbstgeschriebene Sachen und erntete viel Lob.
„Hey Diva!“, sagte Mia, als die Show fertig war und nahm Skye in den Arm.
„Das war wundervoll!“
„Ja, es würde mich nicht wundern, wenn sich alle Entertainments um dich reißen würden“, meinte Lisa.
„Wirklich gut gemacht.“ Namjoon strich ihr über die Haare.
Etwas später saß sie mit Seunghyun, Taehyung, Changmin, Yunho und Mia zusammen.
„Ich verstehe nicht, wieso du nie eine Gesangskarriere gestartet hast. So eine Stimme muss doch gehört werden! Du hast so eine gute Technik, du triffst die Noten, du flirtest – du bist eigentlich ein fertiger Entertainer. Wenn man dir eine Halle gibt, würdest du sie füllen.“
Skye machten Yunhos Komplimente verlegen.
„Meine Mutter war Sängerin. Ich liebe es zu singen, aber ich mochte nie die Industrie dahinter, der Druck, die Erwartungen und jetzt? Ernsthaft, für was sollte ich singen? Ich habe mehr Geld als ein Mensch ausgeben kann. Es geht doch heute gar nicht mehr ums Singen. Man verkauft sich, man ist Vorbild, man muss immer gut aussehen, man muss präsent sein, immer, jeden an seinem Privatleben teilhaben lassen – wenn man denn eins hat. Ich singe, weil es mir Spaß macht, weil es für mich eine Art ist meine Gefühle auszudrücken – so wie das Tanzen für Jongin und Mia. Aber ernsthaft, wer von euch würde machen, was er jetzt macht, wenn er nicht auf das Geld angewiesen wäre?“
Die Gruppe dachte darüber nach, Changmin war der erste, der sich zu Wort meldete.
„Aber dieses Gefühl auf der Bühne zu stehen, im Tokyo Dome, in Seoul Stadion … es ist unbeschreiblich, wenn dir Tausende zujubeln, diese Energie ist unglaublich.“
„Ja, aber wie oft haben sie euch die Worte im Mund umgedreht? Wie oft wurdet ihr wegen jedem kleinen Fehlschritt fertig gemacht? Oh schau was sie wieder an hat, oh denkt er denn gar nicht nach bevor er den Mund aufmacht? Er ist zu dick, sie ist zu dünn, hat sie sich operieren lassen? Er hat sich schon wieder ein Haus gekauft? You know what? Screw them! They can all kiss my beautiful ass. Sänger sollten nach ihrem Gesang beurteilt werden, aber nein, es wird von euch erwartet, dass ihr nicht nur singen könnt, ihr müsst auch modeln, sollt lustig sein, politisch korrekte Aussagen treffen und nie frustriert sein – ihr wollte ja nur die Aufmerksamkeit auf euch ziehen. Das ist Bullshit.“
Wenn es denn nur ums Singen gehen würde! Wenn man auf die Bühne geht und singt und danach geht man nach Hause und ist wieder Mensch. Skye würde nie wieder etwas anderes tun. Doch die Wirklichkeit sah anders aus und deswegen hatte Entertainer Depressionen, nahmen Drogen und wurden alkoholabhängig, brachten sich um, weil sie es nicht mehr ertragen konnten ständig unter Beobachtung zu sein, keinen Schritt ohne Paparazzi gehen zu können und ständig unter dem Druck zu sein alles richtig zu machen, um nicht öffentlich zerfleischt zu werden.
Nur weil man gut sang hieß das nicht, dass man perfekt war, oder nett, oder sich für kranke Kinder einsetzen wollte. Mariah Carey war eine abgedrehte Diva, doch es ist doch egal, solang sie sing. Ariana Grande soll ein Biest sein – wen kümmert’s? Solang sie ihren Job als Sänger gut machte war es Skye egal ob sie eine Zicke war. Und wenn ein Pilot einen Fußfetisch hatte, war das doch irrelevant, solang er seinen Job gut machte. Wenn eine Ärztin politisch eine andere Meinung hatte, war es doch egal, solang sie ihren Job gut machte. Wenn ein Anwalt nach Feierabend gerne die Kleider seiner Mutter anzog, war das Skye auch egal. Aber nein, Sänger standen ja in der Öffentlichkeit. Sie mussten jedem gefallen und wehe sie waren übermüdet und dachten eine Millisekunde nicht über ihre Aussage nach. Dann waren sie Netizen-Futter. Onew wurde in einen Skandal gezogen, weil er besoffen im Club beim Aufstehen einer Frau ans Bein gefasst hatte. In Amerika würde das niemand interessieren. In Korea wurde eine Petition gestartet um ihn aus der Band zu werfen. Jonghyun wurde mit einem Mädel im Park ‚erwischt‘ wie sie Händchen hielten und gemeinsam Musik hörten. Skye fand das zu goldig. Wie süß war das denn? In Korea hatte sich Jonghyun öffentlich entschuldigt dafür. What?! Als Skye das gesehen hatte, wäre sie im liebsten nach Korea geflogen um Jonghyun zu ohrfeigen. Was ging die Fans sein Privatleben an? Händchen halten, pff und wenn sie gevögelt hätten! Okay, dann hätte Skye das Theater vielleicht noch verstanden.
„Also dazu sage ich nur: Skye for president!“, kam es von Taehyung und alle hoben die Gläser.