Natürlich hatte Chen den Streit mit angehört. Er war ziemlich gut im Schleichen, so das ihn keiner bemerkte. Er verstand beide, auch wenn er verstand, wieso Skye Jongin nicht verstand. Seine letzten Beziehungen waren wegen Lügen auseinandergebrochen. Seine Freundinnen hatten gesagt sie sind Zuhause und lernen oder arbeiten und dann hat er Bilder von ihnen in Bar und Clubs gesehen. Was viele nicht wussten und was Chen auch nur aus Zufall wusste, war das Kyrstal ihn betrogen hatte. Jongin hasste es deswegen, wenn jemand log oder sich die Wahrheit so zurechtlegte, wie er es gerade brauchte. Skye konnte das nicht wissen und auch wenn sie ihn nicht betrogen hatte, so fühlte er sich betrogen. Rational oder nicht spiele da keine Rolle.
Er verstand Skye, sie wollte einen Neuanfang und wenn sie gewusst hätten wer sie war, dann hätten sie Skye sicherlich erst einmal anders behandelt. Allein schon die Geschichte mit ihrer Familie war tiefst traurig und dann das ganze Geld. Chen verstand wieso sie einfach mal ein normales Leben haben wollte. Natürlich konnte sie nicht immer davor wegrennen, sie hatte mehrere Firmen und oft sah er sie am Handy und am Laptop und er war sich sicher, dass es nicht immer was mit ihrer Arbeit als Assistentin zu tun hatte, doch zumindest ein wenig normales Leben hatte sie hier in Korea erwartet. Bis Jongin sie berühmt gemacht hatte. Sie hatte in Kauf genommen, dass Leute sie erkennen oder Nachforschungen über sie anstellen und das nur für ihn und das bevor sie wirklich zusammen waren. Jongin hingegen registrierte wahrscheinlich gar nicht, was sie für ihn auf’s Spiel setzte.
Als der Streit seinen Höhepunkt erreicht, wäre er am liebsten runter gestürmt um ihnen zu sagen, dass sie beide dämlich waren, doch das tat er nicht und als er hörte, wie Jongin die Treppe hinauf stürmte, versteckte er sich schnell um die Ecke.
Unsicher was er als nächstes tun sollte, schrieb er Taehyung, der tatsächlich Zuhause war.
Skye war sauer. Sie empfand seine Argumentation als ungerecht, als würde er nur noch sehen wollen, was er sehen wollte um ihr dann alle Worte im Mund umzudrehen. Eigentlich war es egal was sie sagte, er legte es sich aus, wie er es gerade brauchte. Sie hasste es. Hasse es, wenn es so anstrengend wurde. Beziehungen sollten nicht anstrengend sein. Bei einem Partner sollte man sich fallen lassen können.
Als es an der Tür klopfte, ging sie davon aus, dass es Jongin war, weil ihm noch irgendetwas eingefallen war.
„Was denn noch?!“, fragte sie als sie die Tür aufriss, doch davor standen Chen und Taehyung.
„Tequila!“, riefen sie gemeinsam und hoben eine Flasche hoch.
„Wow sehend deine Haare toll aus!“, setzte Tae hinterher, der Skye bisher nicht gesehen hatte.
Irgendwie war es befreiend mit jemand darüber reden zu können. Ja, andere wussten auch von ihrer Pressebeziehung wie Mia, Lisa und Seunghyun … und Noah, doch sie waren über die letzten Ereignisse noch nicht im Bilde und Skye wäre es zu anstrengend gewesen das alles noch mal aufzurollen. Also gab sie sich mit diesen beiden zufrieden.
„Also, ohne jetzt zu sehr in dem Thema zu sein, aber mir persönlich kommt es so vor, als hättet ihr beide Angst davor verletzt zu werden und indem ihr versucht zu vermeiden verletzt zu werden, verletzt ihr den jeweils anderen“, sagte Taehyung als Skye ihm von dem Streit erzählte.
„Meinetwegen, aber er argumentiert auf einer Ebene, auf der alles was ich sage generell verkehrt ist. Und wenn ich sagen würde ‚Der Himmel ist blau‘ würde er im Moment alleine aus Trotz sagen ‚Nein, ist er nicht‘.“
„Das kommt bei Jongin vor“, wand Chen ein und zuckte mit den Schultern. „Er muss seinen Kopf abkühlen, gebe ihm etwas Zeit.“
Skye war durchaus bewusst, dass sie auch nicht immer einfach war. Auch sie war stur und hitzköpfig und ein Besserwisser und sie rannte niemand hinterher. Noch nie. Sie rief Leute zweimal an und wenn diese Personen dann nicht bei Skye meldeten, löschte sie den Kontakt. Immerhin war sie ein Einzelkind, sie hatte von klein auf gelernt alleine zu sein.
Jongin hingegen lag wach in seinem Bett. Es war ungewohnt ohne sie. Er vermisste ihren Geruch, ihre Wärme und den Klang ihrer Stimme. Vielleicht war er zu hart gewesen. Vielleicht stritten sie sich über völlig belanglose Dinge. Ihr Name war doch egal und er musste Skye Recht geben, wenn sie sagte, dass sie sich erst noch kennenlernten. Natürlich wussten sie nicht alles übereinander und auch er hatte sich bisher ihr gegenüber noch nicht komplett offenbart.
Gegen 2:30 Uhr gab er den Kampf auf und ging zu ihr. Unter der Tür sah er Licht und Jongin gab den PIN in das Eingabefeld ein. ‚Zugang verweigert‘. Was sollte das denn heißen? Er versuchte es noch einmal.
Skye, im Inneren, hörte das Piepsen. Chen und Tae waren auf der Couch eingeschlafen und Skye schlich sich an die Tür. Eigentlich hatte es nur Jongin sein können – oder ein Einbrecher, wobei die Amerikanerin gerade nicht wusste was ihr lieber war.
„Ist das wieder so ein Ding wo ich dich frage wieso du mir den neuen Code nicht gesagt hast und du erwiderst ‚Weil du nicht gefragt hast‘?“, fragte er sie und deutete auf das Eingabegerät.
„Eigentlich ja. Ich habe den Code erst heute Morgen geändert, weil – dank dir – den viel zu viele Leute haben und nein, als wir vorhin miteinander Schluss gemacht haben, habe ich zufällig nicht daran gedacht dir den neuen Code mitzuteilen!“ Sie wollte Tae und Chen nicht wecken und flüsterte deswegen – aber sie flüsterte so energisch sie konnte. Jongin wunderte sich allerdings über das Flüstern und schaute an Skye vorbei, dann wieder zurück zu ihr.
„Ach, schon Ersatz gefunden? War bei Jiyong ja auch schnell gegangen.“
Und ehe er sich versah, hatte er eine Schelle von ihr gefangen.
„Denk daran, dass wir einen Vertrag haben und wenn du nicht willst, dass ich dir die nächsten Monate zur Hölle machen, wäre ich an deiner Stelle etwas vorsichtiger mit deinen Vorwürfen.“ Skye stieß an die Grenzen ihrer Geduld. Jongin hatte die Hand auf seine Wange gelegt und schaute sie ungläubig an und dann schloss sie die Tür auch noch vor seiner Nase. Okay … vielleicht war er etwas … unfair gewesen. Vielleicht.
Die Nacht war für Skye gelaufen. Sie zog sich um und verschwand durch ihr Fenster, über das Dach, über die Feuerleiter in den Hof und rief Noah an, um zu fragen wo er war. Er schickte ihr die Adresse und sagte, dass Fynn sie unten abholen würde. Die Anschrift war ungefähr 20 Minuten von der Fabrik entfernt, doch sie musste laufen. Die frische Luft tat ihr gut und das Laufen half. Am liebsten wäre sie noch weitergelaufen, doch dann sah sie an der nächsten Kreuzung Fynn. Sie schaute das Gebäude hoch, doch er schüttelte den Kopf.
„Nein, wir müssen nach unten.“
Super, die Unterwelt.
Über den Hintereingang und durch eine lange Treppe, die sowohl oben, als auch unten von schweren Brandschutztüren verschlossen wurde, gelangten sie in das 2. oder 3. Kellergeschoss. Skye hatte keine Ahnung wie hoch Keller in Korea waren. Als sie die zweite Brandschutztür öffneten, war Skye klar wo sie waren und genau das hatte sie vermutet.
„Ein Puff?“
„Ich bitte dich! Es ist eine Burlesque Bar! By the way – love the hair!“, kam es von Noah. „So spät noch wach?“
„Ich kann nicht schlafen“, erwiderte Skye während sie sich noch umschaute.
„Und der Lover?“
Genervt rollte sie die Augen.
„Ich dachte das ist eine Bar kein Verhör.“
Noah hob die Hände und verschwand hinter der Theke.
„Hat das was mit dem Hochzeitsding, das nicht erzählt wurde, zu tun?“ Fynn hörte sich nicht wirklich so an, als ob es ihn interessierte.
„Ein wenig, ja“, gab sie zu.
Ein paar Minuten später kam Noah mit Getränken. Er wollte Skye ein Glas reichen und stockte dann.
„Wie bist du hergekommen?“
„Zu Fuß.“
Er schaute sie an, als würde er das Wort nicht verstehen.
„I’ve walked“, wiederholte sie in Englisch.
„Ich habe dich schon verstanden, ich habe ‚es‘ nur nicht verstanden – wieso läuft man soweit?“
„Ist beruhigend, solltest du vielleicht mal versuchen.“
Noah schüttelte leicht den Kopf, als fühlte er sich von ihrem Vorschlag benebelt.
„Aber wenn du schon hier bist, magst du nicht etwas singen?“ Er ließ Skye eigentlich gar keine Zeit zum Antworten und winkte eine Frau heran. „Skye, dass ist Karma. Sie ist in Cheerleadersprache hier der Captain, vielleicht kannst du dich mit ihr kurzschließen?“
„Karma? Das ist interessant, ich wusste, dass ich dich irgendwann kennenlerne“, sagte Skye grinsend und die Frau verstand den Witz.
„Please don’t tell me you have a list of people I’ve missed“, erwiderte die Frau und die beiden fingen an zu lachen.
Karma sah toll aus. Skye sah aus wie eine Puppe, große Augen, klein und zierlich und viele empfanden es als süß, aber Skye wollte nicht immer süß sein, sie wäre auch gerne mal sexy. Karma war unheimlich sexy und sie hatte unendlich lange Beine. Sie kam aus Kuba, hatte einen natürlichen Teint, lange schwarze Haare, ein kantiges Gesicht mit einem sinnlichen Mund. Skye fragte sich ob es Karma war, dass Karma so aussah.
Sie führte die Amerikanerin in die Umkleideräume und stellte sie dort ein paar anderen Tänzerinnen vor. Sie wusste noch nicht ob sie sich wohl oder unwohl fühlte. Sicher, all diese Frauen konnten wahrscheinlich toll tanzen, doch sie zeigten auch ihren Körper und sicherlich passierte bei dem ein oder anderen Gast mehr – das verübelte Skye ihnen noch nicht einmal, denn sie würde es genauso machen.
„So what’s your game? Let me hear something.“
Skye wählte einen Beat aus, den sie gerade erst gemacht hatte. Es war eine Mischung zwischen R&B und Blues, es war ein ruhiges Lied, doch mit einem schönen Beat. Im Text ging es um das Spiel zwischen Hass und Liebe, wie man es hassen konnte jemanden zu lieben, wie man es liebte jemanden zu hassen. Die Geschichte kam nicht von ungefähr, zwar stellte Skye sich nach außen hin cool, doch die Sache mit Jongin nahm sie schon mit. Sie hatte ihn wirklich gerne und gleichzeitig machte er sie wahnsinnig und sie würde sich nicht von ihm schikanieren lassen.
Die Frauen fingen zuerst an mit dem Kopf zu nicken und dann standen sie auf und machten sich sofort an eine Choreografie. Bis Skye fertig war standen alle und tanzten und jubelten.
„This girl’s got some Blues!“, lobte Karma sie. Würde sie tatsächlich in einem Stripperclub singen? Sie hörte die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf ‚Wie hat es nur so weit kommen können!‘.
„But before we get out there we have to dress you.“
„Dress me?“
Anscheinend fand Karma eine Haremshose und ein Shirt nicht angemessen. So steckte sie Skye in einen schwarzen Body mit einer Netzstrumpfhose und hohen lackfarbenen Overknees. Dazu rote Lippen und etwas Haarspray und schon sah Karma zufrieden aus – Skye eher weniger. An für sich hatte sie kein Problem mit sexy Outfits, nur hier, in dieser Umgebung, fühlte sie sich nackter als sie war.
„You look fabolous!“, versuchte die Kubanerin ihr Mut zu machen, doch es brauchte einen Gin Tonic, bis sie sich wirklich auf die Bühne traute. Es war Dienstagnacht und doch waren noch ungefähr 60 Leute anwesend. Skye wurde in die Mitte gestellt, noch immer fühlte sie sich nicht wohl in Haut, aber nun gut, sobald sie anfing zu singen, vergaß sie sowieso die Welt.
Drei Lieder sang sie, sie hatte gar keine Zeit groß nach den Tänzerinnen zu schauen, doch nach jedem Lied erntete sie Applaus. Am Ende verbeugten sich alle und die Tänzerinnen sammelten das Geld auf, was ihnen auf die Bühne geworfen worden war.
Fynn wartete hinter der Bühne und lehnte gegen die Wand.
„You know there is something dark and broken in your voice.“
„Deswegen solltest du dich auch besser von mir fernhalten.“
Sie ging an ihm vorbei, doch dann hielt er sie am Handgelenk fest.
„Was ist mit dir und Prince Charming?“
„Interessiert dich das wirklich?“
„Nein“, erwiderte Fynn und küsste sie.
Als Skye aufwachte war es schon recht hell. Sie blieb einen Moment liegen und versuchte sich zu erinnern wo sie war, wer sie war und welcher Tag heute war. Es dauerte ein wenig, doch dann kam es zurück. Der Streit mit Jongin, die Bar im Keller, Fynn… Fynn! Abrupt setzte sie sich auf. Sie war in einer Wohnung, in einem Bett, doch neben ihr lag nicht Fynn. Sie fand ihn in der Küche, nur mit einem Handtuch bedeckt.
„Guten Morgen.“ War das ein Lächeln? Eine seltene Erscheinung bei ihm.
„Morgen…“
„Ich habe im Bad eine Zahnbürste, Abschminktücher und Handtücher“, meinte er.
„Du machst das wohl öfters?“
„Eigentlich nicht, aber ich habe eine kleine Schwester die mich gerne besuchen kommt und da ist man auf Frauenbesuch vorbereitet.“
Fast schon hatte Skye ein schlechtes Gewissen ihn so angemacht zu haben.
„Okay…“, sagte sie und verschwand im Bad. An die bunten Haare hatte sie sich noch nicht so richtig gewöhnt und kurz stutzte sie bei dem Blick in den Spiegel. Sie steckte sich die Haare hoch und sprang unter die Dusche während sie sich dabei die Zähne putzte. Eigentlich sollte sie sich schlecht fühlen, wegen Jongin, aber eigentlich fühlte sie sich okay. Fynn war keine sexuelle Offenbarung, aber hübsch anzuschauen war er und er hatte es geschafft sie ein paar Stunden erfolgreich abzulenken.
Es roch nach Kaffee und Toast als sie aus dem Bad kam und da fiel ihr Blick auf die Küchenuhr.
„Oh shit!“
„Was?“
„Wir haben in 30 Minuten ein A&R Meeting!“
Panisch suchte sie in ihrer Tasche nach den Klamotten die sie ursprünglich an hatte und fand sie natürlich nicht. Ihr Handy war auch aus. Super, läuft.
„Wo sind wir?“
„Yeouido“, erwiderte er etwas irritiert.
„Shit, shit, shit!“ Sie war am anderen Ende der Stadt, die Akademie könnte sie halbwegs pünktlich … nein, sie musste der Wahrheit ins Auge sehen, sie würde es nicht pünktlich schaffen. Aber auf gar keinen Fall würde sie es schaffen vorher nach Hause zu fahren. Sie schaute zu ihm.
„Hast du Klamotten? Für Frauen?“
Fynn schien zu überlegen.
„Ernsthaft? Eben hälst du mir den ‚Kleinen Schwester‘-Vortrag über Pflegeprodukte aber Klamotten hast du nicht?“
„Ich glaube beim letzten Mal hatte sie hier etwas vergessen …“
Die Leute, die Skye in der U-Bahn saßen, mussten denken, dass sie Schauspielerin war … oder verrückt. Sie trug den schwarzen Body, als Unterbekleidung einen weißen Tennisrock, die schwarzen Overknee-Lackstiefel und ein schwarz-weiß gestreiftes Hemd von Fynn, weil sie sich irgendwie für den öffentlichen Verkehr zu nackt gefühlt hatte. Immerhin passte es farblich zusammen, auch wenn sie noch immer überlegte, wie sie sich von diesem Meeting fernhalten konnte. Sie wusste genau wie es laufen würde. Jongin würde sie strafend anschauen, Skye würde einen Tacker nach ihm werfen.
Sie empfand keine Schuld, das lag nicht in ihrer Natur. Es war nur Sex. Es war nicht so, als würde sie sich in Fynn verlieben und nach dem ersten Streit mit Jongin war sie sich noch nicht ganz sicher gewesen, ob es aus war, doch spätestens nach dem Streit gestern Nacht war diese Frage wohl geklärt. Skye war kein Kind von Traurigkeit und wieso sollte sie auch? Weil es sich für Frauen nicht schickte? So ein Quatsch. Skye glaubte nicht an Geschlechtertrennung und es war ihr auch egal, wenn sie in Korea rauchte – was sich auch nicht für Frauen schickte. Wer dachte denn daran, was sich für Männer alles nicht schickte? In Skyes Augen schickte es sich für Männer nicht mittags faul in der Jogginghose auf der Couch zu liegen und Playstation zu zocken. Oder sich den Rücken nicht zu enthaaren, wenn man den Haarwuchs eines Bären hatte oder sich die Haare nicht zu schneiden oder regelmäßig zu waschen, weil man dachte so würde man ‚nerdig‘ aussehen oder sich die Füße nicht pflegen zu lassen, wenn man einen eingewachsenen Nagel hatte oder die T-Shirts nicht regelmäßig zu wechseln, so dass dieser Geruch von kaltem Schweiß entstand. Ekelhaft. Sie war auch der Meinung, dass es sich nicht schickte Frauen hinterher zu pfeifen, während die eigene Frau Zuhause saß mit den Kindern. Und da wunderte sich die Gesellschaft, dass es immer mehr Frauen gab, die fragten ‚Wieso soll ich mir so etwas antun?‘ und lieber Single blieben, sich auf ihre Karriere konzentrierten, um sich das selbst leisten zu können, wofür die Frauen früher Männer gebraucht haben. Wieso sich einen versoffenen, faulen Kerl ins Haus holen, der der Meinung war aufgrund seines Penis ein Geschenk Gottes zu sein, nur um zweimal im Jahr in den Urlaub zu fahren, eine Wohnung und eine Krankenversicherung zu haben, wenn man das auch alles haben konnte, ohne nach einem 8 Stunden Tag nach Hause zu kommen, zu sehen dass er noch nicht mal die Wohnung gestaubsaugt hat und um dann gefragt zu werden ‚Was gibt’s denn zu essen?‘?
Skye hatte ihren Großvater sehr liebgehabt, mütterlicherseits. Er war gestorben, als Skye 9 Jahre alt war und alle Erinnerungen, die sie an ihn hatte, waren gut, doch ihre Mutter hatte ihr später von ihrer eigenen Kindheit erzählt. Wie sie Skyes Großvater nachts aus den Bars geholt hatte, wie er Skyes Großmutter geschlagen hatte, betrogen hatte – irgendwo hatte Skye wohl noch einen Onkel rumrennen. Damals war das so. Die Frauen waren froh, einen Mann zu finden, der sie absicherte. Ein kleines Häuschen, regelmäßiges Einkommen. Skyes Opa war Polizist gewesen. Frauen hatten noch nicht viel zu sagen gehabt. Eine Familie alleine großziehen? Nie im Leben. Sich gar den Job aussuchen? Undenkbar! Skyes Mutter war mit 17 Zuhause ausgezogen, um ihren Traum zu verfolgen, denn ihr Vater hätte gerne gehabt, dass sie Sekretärin bei einem Notar geworden wäre.
Doch heute? Heute war alles anders – wobei zugegeben in Korea das Bild der Frau noch nicht so modern war wie in Europa oder Amerika. Frauen die sich hier scheiden ließen wurden immer noch gemobbt und häusliche Gewalt war keine Seltenheit, aber man durfte ja auch nicht vergessen, dass der Penis ein Geschenk Gottes an die Menschheit ist … Natürlich gab es auch in Amerika häusliche Gewalt und noch genug dumme Weiber, die es mit sich machen ließen und dachten er würde sich schon ändern. Doch viele Frauen hatten gar nicht das Selbstbewusstsein für sich einzustehen, weil sie jahrelang von Idioten untergebuttert worden waren, bis sie nur noch Schatten ihrer selbst waren.
Aber wehe man brach einem Mann einmal das Herz, dann war er geschunden für’s Leben! Und dann hasste er Frauen so sehr, dass er mit einem Lieferwagen in eine Fußgängerzone fuhr um so viele Frauen wie möglich zu töten. Wenn Frauen all ihren Hass auf die Männer in solchen Aktionen ausleben würden, gäbe es wahrscheinlich keine Männer mehr. Kein Wunder das die Sex-Spielzeugindustrie so boomte. Und wie süß die Sachen auch aussahen! Putzige, pinke Elefanten mit vibrierenden Ohren – und die hörten nicht auf, nur weil sie schon fertig waren!
Skye fand Männer nützlich. Zum Heben von schweren Dingen, für Arbeiten an Stromkabeln oder in Atomkraftwerken und ja, sie war gerne in Beziehungen, sofern der Mann verstand das er kein Pascha war und sie keine Konkubine. Natürlich genoss sie eine Beziehung wie die mit Jongin. Wie sie sich zusammen auf der Couch einkuschelten, um einen Film zu gucken oder wie sie die ganze Nacht reden und lachen konnten oder sich manchmal nur anschwiegen, weil Worte gar nicht nötig waren. Natürlich war das schön, aber nicht überlebenswichtig. Skye brauchte keine Beziehung um vollkommen zu sein. Es gab Menschen, die sprangen von einer Beziehung in die nächste, weil sie nicht alleine sein konnten. Sie bewunderte solche Leute und fragte sich, wo die immer wieder die neuen Partner fanden, wenn sie damit wirkliche Probleme hatte, doch vielleicht erwarteten sie auch nicht so viel von ihrem Partner wie Skye. Vielleicht waren sie einfach damit zufrieden, dass jemand da war, auch wenn man heimlich von der perfekten Beziehung träumte.
Es kam ihre Station und Skye riss sich aus der Gedankenwelt und eilte los, was in den hohen Stiefeln gar nicht so einfach war. Die Blicke der Leute ignorierte sie, auch als sie bei SME ankam. Sie war 7 Minuten zu spät, doch so wie sie ihre Kerle inzwischen kannte, fehlten da sicherlich auch noch welche. Die Fahrstuhltür ging und vor ihr Stand Mia. Skyes Blick ging sofort auf ihre Schuhe. Sie trug Cowboystiefel aus Jeansstoff.
„I need your shoes“, war Skyes Begrüßung. Mia betrachtete die Amerikanerin von oben bis unten.
„Do I wanna know what happened?“
„I don’t think so.“
Schulterzuckend zog Mia die Stiefel aus und tauschte mit Skye. Mia würde wahrscheinlich runter zu den Stylisten fahren und sich neue Schuhe geben lassen, doch Skye hatte für den Umweg keine Zeit. Ihre Schuhe waren der Assistentin etwas zu groß, doch lieber zu groß, als zu klein.
„Love the hair!“, rief Mia ihr noch nach und dann verschwand Skye in dem Meetingraum.
Wie erwartet hatte das Meeting noch nicht angefangen. Baekhyun und Chanyeol waren noch nicht da, doch zuerst gingen alle Blicke zu Skye. Youngjun hob die Augenbrauen, verkniff sich aber sein Kommentar, so wie alle anderen.
„Guten Morgen“, sagte sie fröhlich und nahm zwischen Sehun und Chen Platz. Ihr Blick traf sich mit Jongins, doch Skye schaute weg, sie wollte nicht schon jetzt einen Tacker nach ihm werfen.
„Interessantes Outfit“, flüsterte Chen ihr zu. Chen und Taehyung hatten bei ihr geschlafen, sie wollte gar nicht wissen, was sie gedacht hatten, als sie heute Morgen aufgewacht waren und Skye war nicht da gewesen.
Nur ein paar Minuten später waren sie vollzählig und Youngjun offensichtlich genervt. Das A&R Team stellte ihnen vier potentielle Songs als Titelsong für das Repackalbum vor. Erstaunlicherweise war ein Song von Jongin und Chanyeol geschrieben und so gerne Skye das Lied abgeschmettert hätte, so musste sie zugeben, dass es gut war. Es hatte einen Beat der im Ohr blieb, es war ein Sommersong, so ein Lied, dass man im Cabrio, wenn man eine Langstraße entlangfuhr, aufdrehen wollte, aber nicht so kitschig wie ‚Power‘, vom Flow eher wie ‚DNA‘. Auch die restlichen EXO Mitglieder schienen beeindruckt.
„Das habt ihr beide geschrieben?“, fragte Sehun begeistert.
„Ja, eigentlich war es für mein Solo-Album geplant, aber ich fand es passte zu EXO besser als nur zu mir“, sagte Jongin. Toll, jetzt war Skye auch noch selbst für ihr Schicksal verantwortlich. Youngjun würde sie ins Studio mitschicken, weil sie sich dort gut auskannte und da Jongin den Song geschrieben hatte, würde er auch da sein, anstatt den Tanz dazu zu machen und wegen wem hatte er überhaupt angefangen seine eigenen Songs zu schreiben? Eben, wegen ihr.
Als es zur Abstimmung kam fühlte sich Skye wie eine Angeklagte mit erdrückender Beweislage und sie bekam die Höchststrafe. Der Song war beschlossen und ‚Anytime‘, das Lied von Chanyeol und Jongin, hatte gewonnen. Skye starrte vor sich auf den Tisch und fragte sich, was sie eigentlich verbrochen hatte.
Chen, Chanyeol, Jongin und Baekhyun gingen ins Studio. Die Tontechniker verfeinerten den Beat und mit dem Vocal Coach wurde besprochen wer welchen Teil übernehmen sollte. Die Amerikanerin wusste, dass das der Moment war, indem sie sich gut wegschleichen konnte um sich umzuziehen.
„Hey, ich gehe rüber ins Café – wer will was trinken?“
Alle gaben ihre Bestellungen auf, nur Jongin war vertieft in einem Gespräch mit dem Tontechniker.
„Kai, willst du auch etwas?“
Und plötzlich hörten alle Gespräche auf. Bis auf Chen schauten alle verwirrt zwischen Jongin und Skye hin und her. Kai. Der Name war lange nicht mehr gefallen. Jongin stand auf und bedeutete Skye mit vor die Tür zu kommen. Dort blieben sie nicht stehen, zu viele Ohren waren in der Nähe und so ging er mit ihr in ein leeres Tonstudio und schloss die Tür.
„Was soll das?“, fragte er schließlich.
„Du führst mich hier her, um mich das zu fragen? Es ist dein Name.“
„Es ist nicht dein Name für mich.“
„Oh, ich denke schon. Jongin ist privat und Kai ist das Idol.“
Skye wusste es tat ihm weh, auch wenn er sich wohl eher die Zunge abbeißen würde, als das zuzugeben. Unruhig lief er auf und ab.
„Und überhaupt! Was ist los mit dir? Du kommst du spät und dann in diesem Aufzug“, er deutete auf sie und Skye war froh, dass er die Lackstiefel nicht gesehen hatte.
„Ich denke das geht dich nichts an.“
Und dann ging sie. Sie dachte daran ihm vorzuwerfen, dass er ihr nicht erzählt hatte, dass er einen selbstgeschriebenen Song mit in das Rennen für das Repackalbum-Album schicken würde, er, der von ihr alles wissen wollte, doch Skye empfand es als albern. Wie sie zu sagen pflegte: jeder hatte Geheimnisse. Niemand wusste alles über einen Menschen. Zumindest nicht nach sechs Wochen.
Der Kaffee kam nie an. Sie traf Mia unten bei den Stylisten, wo sie noch am Plaudern war. Die Deutsche merkte, dass etwas nicht stimmte und so waren die beiden etwas trinken gegangen. Skye erzählte was passiert war, doch Mia hielt sich ausnahmsweise mit ihrer Meinung etwas zurück.
Als sie wieder bei SME ankam hatte Youngjun ein Meeting mit den Stylisten um das Konzept des Comebacks zu besprechen und danach hatte sich Skye hinter einem Computer verkrümelt, um alles andere zu machen als in dieses Studio zurück zu kehren.
„Ich fand dein Outfit von heute Morgen besser.“ Chen hatte sie aufgespürt und stand grinsend in der Tür.
„Ja, ja, schon gut … fährst du nach Hause?“
„Ja, ich denke wir sind durch heute.“
Inzwischen war es auch schon nach 19 Uhr, ihnen brummte bestimmt schon der Schädel.
„Kannst du mich mitnehmen?“
„Wo ist dein Auto?“, wollte er wissen.
„Zuhause!“
Chen lachte nur.
Zuhause angekommen setzte sie sich einen Moment hin. Eigentlich müsste sie müde sein. Skye hatte heute Nacht kaum geschlafen. Vielleicht sollte sie sich einfach hinlegen.
In diesem Moment klopfte es. Karma, dachte sie und musste grinsen, weil sie an Karma dachte – also an die Frau, nicht das andere. Sie fand Suho vor der Tür.
„Hey, wir gehen etwas essen, kommst du mit?“
Skyes Mund öffnete sich, doch dann zögerte sie.
„Er ist nicht dabei“, beantwortete der Bandleader ihre unausgesprochene Frage. Skye mochte es nicht, wenn man sie so leicht durchschaute, doch heute machte sie da eine Ausnahme.
„Sehr gern“, erwiderte sie schließlich.
D.O, Baekhyun, Sehun, Xiumin, Suho und Skye zogen los. Sie fuhren in Richtung Konkuk Universität. Dort in der Nähe war das Super Junior Dorm, in dem EXO bis vor kurzem gewohnt hatten und wo nun NCT eingezogen waren. Sie kannten sich hier aus und in dem Geflecht aus Straßen und unzähligen Restaurants war man wohl auch halbwegs sicher vor Presse und Fans. Nichtsdestotrotz hatten sie zwei Sicherheitsleute von SME dabei und Skye fühlte sich damit auch wohler.
Die Sänger führten ihre neue-alte Assistentin in den Hinterhof eines Hinterhofs und dann in den dritten Stock. Hier versteckte sich eine Roofbar mit einem Roofgarden. Es war recht mild und sie setzten sich auch tatsächlich nach draußen.
„Jongin hat uns die volle Geschichte von euch erzählt“, begann Suho. Na das hatte ja nicht besonders lange gedauert!
„Oh … kay.“
„Gott sei Dank!“, kam es von Bae.
„Also das er etwas von dir wollte war ja klar, aber du? Jongin? Ernsthaft? Was ist passiert? Hast du dieses Amsterdam-Syndrom?“
„Stockholm-Syndrom und nein. Eigentlich denke ich, dass wir ein nettes Paar waren.“
„Das denke ich auch“, stellte sich Xiumin auf ihre Seite.
Jedenfalls verlief der Abend sehr locker, viel lockerer als sie es von den meisten Anwesenden gewohnt war. Mit Chen hatte sie sich schon immer gut verstanden und Baekhyun hatte sein schwarzes, sarkastisches Herz ohnehin auf der Zunge liegen, aber die anderen schienen plötzlich aufzutauen, als hätte sie Skyes Beziehung mit Jongin davon abgehalten sich näher mit der Amerikanerin zu beschäftigen. Sie machten Späße und waren recht locker. Dabei hatte Skye gedacht, dass die Wahrheit die Mitglieder von ihr entfernen würde. Sie war froh, dass es nicht so war.