„Shut the front door!“
Lachend klappte Mia den Laptop zu.
Nein, nein, das war jetzt nicht wahr! Sie öffnete den Laptop wieder und vergrub das Gesicht in den Händen. Nein, auf gar keinen Fall!
„Ach du scheiße! Nein!“
Wieder lachte sie auf, leicht hysterisch inzwischen.
Aber wir spulen etwas vor. Es war 21 Uhr, alle vier Kids waren im Bett – und hoffentlich am Schlafen. Bei Minjae und Jonghyun war das zu bezweifeln. Diese zwei Teufel schliefen nie vor Mitternacht. Mia war froh zuerst zwei Jungs bekommen zu haben, die Mädels, die danach kamen, waren ein Klacks dagegen. Wirklich, Jungs hatten ein ganz anderes Energielevel. Donghae nannte es das ‚Super Junior‘-Gen. Würde zumindest einiges erklären.
Mia saß im Gästezimmer unten, um ihre Ruhe zu haben. Solange keine Gäste da waren, war das hier ihr Safe-Space – und wenn sie müde wurde, hatte sie ein Bett, in das sie sich einfach fallen lassen konnte.
Ihr Haus, auf dem Dach des Parkhauses, in dem sie immer noch wohnten, war wunder-wunderschön, aber es hatte viele große Räume, dafür nicht so viele, wie sie manchmal bräuchten. Anfangs hatte sie oben noch ein Arbeitszimmer gehabt, doch wer hätte schon ahnen können, dass sie vier Kinder bekamen?
Am wenigsten Mia.
Das mit Hogwarts hatte bei den Zwillingen auch nicht geklappt. Wenn es nach Donghae ginge, wären da noch ein paar gekommen, aber nach Lina, die 2020 geboren wurde, hatte sie ihm Baby-Verbot erteilt – oder er sollte sie kriegen.
‚Ich würde das machen, wenn es ginge!‘, hatte er sich verteidigt, ganz der stolze Papa.
‚Ja, du würdest bei einer Geburt halt sterben‘, hatte Heechul recht nüchtern festgestellt und Mia war froh gewesen, dass ihr jemand zur Seite stand.
‚Also ich wäre dafür, dass ihr für jedes Super Junior Mitglied, dass noch keine eigenen Kinder hat, eines bekommt‘, hatte Leeteuk vorgeschlagen.
‚Ach und was mache ich mit dem Kind, wenn einer von euch denn dann mal endlich produktiv wird?!‘, hatte sie gefragt, denn außer Sungmin hatte es noch keiner geschafft sich zu reproduzieren – wer wusste schon, ob es nicht zum Besten aller war.
‚Verkaufen, die sind ja recht niedlich‘, war Kyuhyuns Antwort gewesen, was für großen Protest sorgte.
Jedenfalls war Donghae jetzt closed for business – der Eingriff war viel einfacher. als bei Mia und diesen Kampf hatte sie gewonnen.
Sie war 41 Jahre und hatte 4 Kinder. Es reichte.
Jedenfalls lagen die Kids im Bett und Donghae und Eunhyuk waren im Keller, wo sich Donghae ein Studio eingerichtet hatte und bastelten an keine Ahnung was. Mia saß in ihrem Ersatzbüro und hatte seit Wochen eine Mission: Festplatte ausmisten.
Die Deutsche war, was Datensicherung betraf, etwas … nennen wir es: Überempfindlich.
Generell hatte sie keine Daten auf den Laptops oder PCs, sie hatte eine externe Festplatte. Falls dieser externen Festplatte etwas passierte, hatte sie eine Back-Up Festplatte, die die Hauptplatte spiegelt. Mal abgesehen davon hatte sie ihre Bilder in der Cloud. Better safe than sorry. Dieses System hatte sie schon in Deutschland. Alle paar Jahre kamen neue Festplatten, die die alten ersetzten – nicht, dass sie die alten wirklich wegschmiss, weil was, wenn den neuen Platten etwas passierte?!
Jedenfalls hatte sie vor ein paar Wochen festgestellt, dass sie geisteskrank viele Dateien hatte. Sie hatte allein schon 350.000 Urlaubsbilder. Gut, jetzt war Mia ein kleiner Fotograf und sie schoss von vielem drei Bilder und selektierte später das Beste – deswegen gab es in jedem Ordner einen 1st Choice und 2nd Choice Ordner.
Lange Rede, kurzer Sinn: Mia hatte unfassbar viele Dateien und hatte angefangen die Back-Up Festplatte auszumisten. Sie hatte angefangen die ganzen 2nd Choice Ordner zu entsorgen, da sie eh keiner mehr anschaute und auch die 1st Choices ging sie mal in Ruhe durch.
Das war wie eine Zeitreisen. Man vergaß mit der Zeit ja auch ein paar Dinge und Mia stieß auf Sachen, die sie wirklich verdrängt hatte.
Sie machte das so peu à peu, wie sie eben Zeit fand und heute hatte sie sich an die Dokumente ran gemacht. Bewerbungsunterlagen, die 17 Jahre alt waren, brauchte sie wohl kaum noch und dabei war sie gerade auf den Ordner ‚Ein verrücktes Jahr‘ gestoßen.
Alter Schwede. Als sie 2011 nach Korea gekommen war, hatte sie angefangen Tagebuch zu führen. Sie führte selbst heute noch Tagebuch, aber 2011 hatte sie es wirklich übertrieben.
Mia öffnete die erste Word Datei, die benannt war mit ‚Januar‘ und sie hatte 252 Seiten!
„Du verarschst mich doch“, murmelte sie auf Deutsch und schüttelte nur den Kopf.
Wann hatte sie die Zeit gefunden, das alles niederzuschreiben?! Ganz im Ernst, zu der Zeit hatte sie kaum Zeit gefunden zu essen oder gar zu schlafen, aber Hauptsache hatte wohl Zeit gehabt hier Romane zu schreiben, die mit ‚A Song of Ice and Fire‘ anscheinend locker mithalten konnten.
Und so begann sie zu lesen, mit der Stirn gegen ihre Hand gelehnt, immer zwischen Lachen und Kopfschütteln. Als sie mit Tag 1 durch war, stand sie auf und holte die JBL Box. Sie brauchte Musik. Sie brauchte Super Junior. Natürlich hatte sie eine Playlist der Jungs, sie war ja schon stolz auf die Welpen.
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Donghae und Eunhyuk wurden im Studio aufgeschreckt, als ‚Mr Simple‘ durch die Lautsprecher schallte. Verwundert schaute Hae auf. Sie hatten – natürlich – ein Heimnetzwerk, bestehend aus Lautsprechern im ganzen Haus, außer in den Schlafzimmern der Kinder – die sollten ihren eigenen Quatsch hören.
„Was tut sie?“, fragte Eunhyuk lachend und nach dem dritten Super Junior Song beschlossen die beiden, das herauszufinden.
Ich weiß nicht, ob ihr das Mihae Haus noch im Kopf habt, aber das Haus war zweigeteilt, getrennt von einem Wintergarten in der Mitte. Das Wohnzimmer und die Gästezimmer waren zum Wintergarten komplett verglast. Donghae und Eunhyuk kamen über die Haupttreppe, beim Wohnzimmer hoch und konnten von dort aus Mia im Gästezimmer sitzen sehen. Im Wohnzimmer war das Licht aus, solang sie es geschickt anstellten, würde Mia sie nicht sehen.
Sie sahen die Deutsche vor ihrem Laptop sitzen, singend. Es lief gerade ‚So I‘. Das war SO lange her! Was taten zwei verantwortungsbewusste Männer? Das kann ich euch nicht sagen, aber diese beiden setzten sich auf die Couch und taten so, als wäre Mia der Fernseher.
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Mia hingegen war gerade an der Stelle, als sie und Hae sich das erste Mal geküsst hatten. Und sie hatte sich so dagegen gewehrt! Hätte sie damals gewusst, wie das enden würde, hätte sie sich die ganzen Umwege gespart. Armer Teukie. Sie schüttelte den Kopf, was der Kerl alles hat aushalten müssen. Und sie hatte das alles wirklich witzig beschrieben! Teilweise ganze Dialoge! Es war praktisch ein Filmskript!
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Es kam ‚Sexy, Free & Single‘ und Mia tanzte sitzend mit. Eine halbe Stunde war vergangen. Inzwischen hat Donghae einen Gruppen-Video-Call am Laufen mit Leeteuk, Kyuhyun, Shindong, Heechul und Sungmin. Sie wollten es den anderen nicht vorenthalten, das wäre egoistisch gewesen.
„Krass, schaut doch wie Choreo sicher sie ist! Also ich könnte das nicht mehr alles!“, kam es von Shindong.
„Was heißt Choreo sicher? Sie ist auch Text sicher und ich behaupte, dass ich die Hälfte der Songs noch nie gehört habe!“, kam es von Heechul.
„Ich finde es so niedlich! Wer hätte gedacht, dass sie irgendwann zum Fangirl wird?“, warf Leeteuk in die Runde ein.
Sie hatten schon ‚Reset‘ und ‚It’s you‘ hinter sich und man hatte Mia ansehen können, dass sie die Songs richtig fühlte.
Es ging weiter mit ‚Sorry Sorry‘ und hier sprangen alle auf und tanzten mit – so wie Mia.
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Wer dachte, dass Mia sich da völlig unbewusst zum Affen machte, dachte falsch. Zwischen drin hatte sie nach den Kids über die Kameras geschaut und hat natürlich auch das Studio gecheckt, in dem keiner mehr war, also hatte sie gesucht und die beiden Kerle im Wohnzimmer gefunden, wo sie im Dunkeln saßen und sie beobachteten. So wie Hae sein Handy hielt, war klar, dass er einen Videoanruf hatte – mit mindestens einem anderen Welpen, wenn nicht sogar allen. Siwon war in New York, ihn störten sie wahrscheinlich nicht und seit Ryeowook geheiratet hatte, hatte er so etwas wie einen geregelten Alltag.
Es war ihr egal, sollten sie ruhig sehen, dass sie songsicherer war, als die tatsächlichen Mitglieder dieser Band.
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Eine halbe Stunde später lief gerade ‚Marry U‘ und Mia schmolz dahin. Es war so putzig! ‚Miracle‘ war auch goldig! Bald hätten sie 20-Jähirges. Das war doch verrückt! Sie grinste vor sich hin, wegen der Musik, aber auch wegen dem Tagebuch. Es war so absurd. Das konnte sich keiner ausdenken! Das war völlig geisteskrank! Wie hatte sie das alles unter einen Hut bekommen und Zeit gefunden, ständig irgendein Boy-Drama zu haben? Wie viele Stunden hatte ihr Tag bitte gehabt?
‚Wir beobachten dich‘, ploppte es in ihrem Insta Messenger auf und Absender war Kyuhyun.
‚Ich weiß‘, schickte sie zurück und es kam nur eine Lach-Smilie-Reihe zurück. Wenigstens einen Freund hatte sie in diesem Haus!
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Bei ‚No Other‘ gab Leeteuk auf.
„Gehst du da jetzt bitte hin und fragst sie, was sie tut?!“
Es war fast 23 Uhr und er würde nicht schlafen gehen, ohne zu wissen, was diese Nostalgie-Session ausgelöst hatte. Donghae erhob sich und Hyukie folgte. Sie liefen ganz locker, als wären sie gerade erst hochgekommen und überquerten den Wintergarten.
„Schatz“, begann er und steckte den Kopf durch die Tür, „Was machst du?“
Mia ließ sich gar nicht aus dem Konzept bringen und tanzte weiter.
„Ich hatte gerade Sex mit Yunho, weil ich auf Kyu sauer war.“
Und dann sang sie einfach weiter!
Wirklich, sie hatten mit vielem gerechnet, aber DAS brachte alle komplett aus dem Konzept und alle fingen an durcheinander zu sprechen. Heechul lachte einfach hysterisch und Kyu verbarg sein Gesicht mit den Händen.
Das hatte selbst er verdrängt.
„Ich habe mein Tagebuch aus 2011 gefunden“, klärte sie auf und es war nicht hilfreich zur Aufklärung.
„Warte, warte, du hast Tagebuch geführt?!“, fragte Eunhyuk nach, als halbwegs Ruhe eingekehrt war.
„Oh ja.“ Es klang fast wie eine Drohung und im Hintergrund spielte ‚Rockstar‘.
„Du hast alles aufgeschrieben?“, fragte nun Teukie.
„Oh ja.““
‚Come on DJ, turn it up, come on DJ turn it, come DJ nolcha, I I I I’m a rockstar…‘
Die Sänger waren ruhig geworden.
„Gut!“, kam es überraschend von Hyukie.
„Können wir uns über all die – völlig unberechtigten – Strafen unterhalten? Wie der Verlust meiner Körperbehaarung?“
„Das Einsacken von Handys“, kam es von Donghae.
„Das Einsperren in der Wohnung“, fügte Kyuhyun bei.
„Die Geldstrafen für vergessene Gegenstände im Hotel“, fiel Heechul ein.
„Salz im Kaffee.“
„Ohrfeigen!“
„Permanente Erniedrigungen!“
Nun rollte Mia die Augen.
„Ganz ehrlich, wenn ich selbst reflektiere, kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass ihr das alles verdient habt.“
Anfangs hatte sie ganz kurz gedacht, dass sie zu streng gewesen ist, aber nein, sie hatten das alles verdient und wenn Mia darüber nachdachte, was sie heute mit ihnen anstellen würde, hatten sie es damals wahrscheinlich noch gutgehabt!
Die sollten dankbar sein!
Sie hat niemand an die Diamentenmienen in Afrika verkauft oder öffentlich zur Adoption freigegeben. Das Mia keinen Herzinfarkt bekommen hatte, grenzte an ein Wunder.
Wie oft sie ihr einen Schrecken eingejagt hatten!
Und sie konnte sich nur grob daran erinnern, was noch alles kam. Nach dem Lesen würde sie wissen, wie viel sie tatsächlich verdrängt hatte. Da würde noch einiges kommen. Kyuhyun, Jihoon, Jaejoong …puh. 2011 war wild gewesen und hatte den Grundstein ihres heutigen Lebens gelegt. Eunhyuk und Leeteuk waren immer noch Mama und Papa, was witzig war, wenn ihre Eltern in Korea waren und es bei gemeinsamen Abendessen regelmäßig zu Verwechslungen kam. Sie hatte Jiyong als besten Freund gewonnen und in den Mädels von Girls Generation und f(x) Schwestern gefunden.
Viele wunderbare Dinge waren 2011 passiert. Und viele ganz furchtbare.
Jonghyun.
Mia hoffte, dass es noch lange dauerte, bis sie soweit gelesen hatte, wusste sie doch jetzt schon, dass sie weinen würde. Aber da gab es auch diesen Kuss mit Jjong und auf diese Stelle, damals im Riesenrad, freute sie sich. Wo war das gewesen? In Singapur? Die Deutsche war sich nicht mehr sicher, aber sie würde es bestimmt bald herausfinden.
„Aber Mia“, kam es von Teukie, „du weißt, dass das niemals jemand – außer uns – lesen darf?“
Die Deutsche zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht veröffentliche ich es und sage es ist eine Fanfiction.“
Und alle fingen an zu lachen.