Jongin kam nicht wieder und es ging auch niemand nach ihm schauen.
„Du weißt, du hättest das auch hübscher verpacken können“, meinte Mia irgendwann.
„Wie soll ich das hübscher verpacken? Es ändert alles. Für ihn, für Krystal, für EXO, für SME.“
„Wie lange weißt du es schon?“
„Seit einer Woche oder so.“
„Und was wäre passiert, wenn Youngjun dich nicht angerufen hätte? Hättest du es ihm gesagt?“
„Ja, hätte ich.“ Sie wusste nur nicht wann oder wie, aber sie hätte es ihm gesagt.
Was Skye nicht wusste war, dass Jongin und Krystal sich inzwischen wieder ganz gut verstanden. Sie waren nicht zusammen, aber Jongin hatte sich damit abgefunden, dass Krystal schwanger mit seinem Kind, seiner Tochter, war und hatte sie unterstützt. Sie hatten gemeinsam in ihrer Wohnung das Kinderzimmer eingerichtet und er kam, wenn sie Schwangerschaftskurse hatte – die bei ihr Zuhause stattfanden. Es war grundsätzlich nicht falsch gewesen, dass Skye es ihm gesagt hatte, doch für ihn brach erneut eine Welt zusammen.
Skye lag gegen 1 Uhr wach in ihrem Bett und schaute aus dem Fenster, als sie die Tür hörte. Sie drehte sich um und sah Jongin im Türrahmen stehen. Er schloss die Tür hinter sich. Wortlos legte er sich zu ihr ins Bett. Skye drehte sich ganz zu ihm, mit fragendem Blick, doch dann küsste er sie schon. Sie ließ es zu, vielleicht weil sie ihn vermisst hatte, vielleicht aber auch, weil sie sich selbst testen wollte. Sex hatte nicht immer etwas mit Gefühlen zu tun. Sex war Leidenschaft und Lust und mehr war es auch nicht. Sie und Jongin hatten tollen Sex, daran hatte sich auch nichts geändert, aber ihre Gefühle hatten sich geändert und es war nicht mehr so, wie es einmal war. Sie hatte es gebraucht, um zu wissen, dass es zwischen ihnen vorbei war und sie glaubte, dass es ihm nicht anders ging.
Sie griff zu ihrem Nachttisch und zündete zwei Zigaretten an, eine für ihn, eine für sich. Sie wusste, dass ihm die Nachricht hart getroffen haben musste. Er liebte Kinder und Skye wusste, dass er sein eigenes bedingungslos lieben würde.
„Es tut mir leid“, sagte er schließlich.
„Schon gut. Es ist, wie es ist. Du hattest das alles nicht geplant.“
Jongin kam gar nicht auf die Idee bei ihr zu schlafen, was Skye auch ganz recht war. Sie wollte nicht, dass die anderen anfingen irgendwelche Dinge zusammen zu stricken, die gar nicht gestrickt gehörten. Es war vorbei und es war das erste Mal, dass Syke sich das emotional eingestehen konnte.
Der nächste Morgen kam viel zu schnell, wobei Skye ja eigentlich keinen Stress hatte. EXO hatten einen Auftritt in einer Morgensendung um 9 Uhr, aber das war nicht Skyes Problem. Sarah, ihre Köchin hatte alle Hände voll damit zu tun EXO zu bewirtschaften. Es war gerade einmal kurz nach 6 Uhr, doch alle waren schon wach.
„Skye, der Kaffee ist hervorragend“, lobte Youngjun, als er seine Tasse anhob.
„Und es ist richtiges Brot! Wo kommt das Brot her?“, fragte Chen und biss in seine Brotscheibe.
„Aber der Käse ist doch auch importiert! Der schmeckt wie der, den Mia sonst aus der Schweiz mitbringt“, kam es von Suho.
Die Amerikanerin war noch nicht so richtig wach, doch das hier durchschaute sie.
„Könnt ihr vergessen, ich kommen nicht mit euch mit.“
Ein Seufzen ging durch die Reihen.
„Ihr habt zwei Manager und meine Fahrer – ihr werdet den Tag überleben.“
Da schaute auch Mia auf, die von Anfang an nicht daran geglaubt hatte, dass sie Skye mit etwas Schleimen zurückgewinnen würden.
„Der Ablauf ist einfach. Mein DHL Wagen fährt euch ins Hotel, dort steigt ihr in den Tourbus, damit die Fans denken ihr habt dort geschlafen, ihr fahrt zur Morning Show, seid gegen Mittag draußen und fahrt zur Halle. Mittagessen, Soundscheck, bla bla, Pressekonferenz, Maske, Showtime und nach der Show steigt ihr in den Bus, winkt den Fans zu und ein paar Straßen weiter steigt ihr wieder in den DHL Wagen und dann zur Aftershowparty – die ich organisiert habe … in einer tollen Location. Aber hey, da sehen wir uns wieder.“
Skye versuchte das alles so motiviert wie möglich zu verpacken.
„Wie? Erst heute Abend? Aber …“ Chanyeols Argumentation kam ins Stocken.
„Ich bin nicht mehr eure Assistentin und ich habe auch nicht vor es wieder zu werden. Also nein, ich rennen nicht den ganzen Tag mit euch durch die Gegend, versuche Leuten aus dem Weg zu gehen, die mich potentiell töten wollen und hänge nicht stundenlang in einer Halle rum.“
Das war deutlich und wieder legte sich so eine bedrückende Stille über die Gruppe.
„Super, alles klar, viel Spaß, bis heute Abend.“ Und so einfach wechselte Skye wieder in den Cheerleader-Modus, grinste und ging davon.
Die Amerikanerin legte sich wieder ins Bett. 6 Uhr! Sie würde noch mindestens zwei Stunden schlafen. Wenige Momente später kam Mia in ihr Zimmer und legte sich zu ihr ins Bett.
„Emotional noch etwas instabil?“
„Ein wenig. Morgen machen wir Girls Day“, gab Skye zu.
„Girls day?“
„Oh yes, we’re having breakfast at Tiffanys!“
Seit 2017 gab es bei Tiffanys tatsächlich ein Café und somit konnte man wortwörtlich ein Frühstück bei Tiffanys haben. Mias Augen wurden groß.
„But I thought they are taking reservations only 30 days ahead and they are always fully booked!“
Es wurde ein riesen Hype daraus gemacht Mini-Kuchen von Tiffany Geschirr zu essen.
„Yeah well, when you know the right people…“
Mia schien darüber nachzudenken.
„Okay, you can sleep as long as you like, but would you still come to the venue? I can get you a jacket…“
„You know I already have a jacket“, stellte Skye fest. Also würde sie Skye mit einer Exo-Jacke bestehen können.
„Yes but that one is in Seoul and we are in New York.“
„You know it’s like … summer out there … I don’t need a jacket.“
„Okay … you’ll come with me because it’s fun?“
Skyes Blick ließ darauf schließen, dass sie nicht überzeugt war. Plötzlich zog Mia die Augenbrauen zusammen.
„Is it just me or does it smell like sex in here?“
„Jongin came by last night.“
Es schien einen Moment zu dauern, bis Mia die Verbindung knüpfte.
„You had sex with Jongin? In here?“
„Jup, but don’t worry – sex was great but emotionally I’m so over him.“
Sofort sprang Mia aus dem Bett und eilte nach unten.
Um 10:30 Uhr war Skye dann wach und erwischte sich dabei, wie sie die Morning Show einschaltete. Sie waren mit ‚The way you love‘ schon halb durch. Sie bereute es schon fast heute Morgen so garstig zu ihnen gewesen zu sein – nur fast. Es fiel ihr schwer sich EXO anzuschauen, ihr Fokus lag immer noch auf Jongin. Sie machte den Fernseher aus. Sie würde nicht zur Geisel von Kpop werden und sie konnte auch ganz alleine Spaß in New York haben! Sie brauchte EXO nicht.
Eine halbe Stunde später saß sie im Auto und fuhr zur Halle. Mia hatte ihr eine Staff-Karte dagelassen, in weiser Voraussicht. Die Fahrt nach Newark von der Upper Eastside war schon etwas Weg und nach einer halben Stunde beschloss Skye doch nicht zur Halle zu fahren. Tatsächlich hatten sie noch nicht einmal Manhattan verlassen.
„Jason, I’ve changed my mind, please take me to Chelsea Market“, sagte sie ihrem Fahrer. Chelsea Market war super, es gab kleine Läden und viel zu essen. Sie hatte noch nicht gefrühstückt und würde sich dort etwas zu essen suchen.
Von wegen. Nichts schien ihr zu gefallen, sie schlenderte zwar durch die Läden, doch nichts sprach sie an und zu Essen fand sie auch nichts. Es war frustrierend. Normalerweise war Skye Profi im Allein-Beschäftigen, doch heute scheiterte sie einfach. Sie wollte aber auch nicht Youngjun beweisen, dass er Recht hatte. Sie musste etwas zu tun finden!
Doch zuerst brauchte sie etwas zu essen. Sie fuhren im Flat Iron Building, dort um die Ecke war Skyes ernannte ‚Beste Pizza in New York‘. Es war ein kleiner Laden, total unscheinbar, wenn man draußen daran vorbei ging. Man sah nur den Pizzaofen und dann führte ein Gang nach hinten rein. Dort gab es dann Tische. Hübsch war anders, aber die Pizza war toll. Vorne bestellte sie sich ein Stück Salami – wir fingen mal klein an.
„Hey girl, what’s up? You’re looking upset.“
Skye kannte die Frau an der Kasse, auch wenn sie nicht wusste, wie sie hieß. Skye hingegen schien bei ihr aber auch einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Wahrscheinlich waren Leute, die mit einem Towncar kutschiert wurden, leichter für die Erinnerung.
„Ah it’s just … you know when you want something but you actually don’t want it but there is nothing you can do to avoid wanting it?“
„Oh girl, that sounds like boy trouble to me – who’s that guy?“
„Actually eight guys … but not romantically though, just friendship.“
„So what did they do that you don’t wanna be friends with em anymore?“, fragte die Frau und kassierte Skye dabei ab.
„You know those WWF people?“ Die Frau nickte als Antwort.
„So okay, they come up to you with these pictures of cute little polarbears and you wanna help them, because … you know, they are cute. So you decide to donate for those cute little polarbears which lost their mother during global warming on an … iceberg … whatever. But it’s not the end. You can not go on, living your life like nothing happened, just happy that you’ve helped polabearbabys. No. They mail you, they text you, they call you – the WWF people … not the polar bears … abviously … because they expect you to donate more and actually you can’t donate more, because you already working three jobs a week and barley get around but do you wanna tell those guys that you can’t save polarbearbabys anymore? No, because then they would gudge you and you are actually a good person and don’t wanna be judged so you continue to donate until you can’t pay your bills anymore and one day you’ll wake up living on a street, with an WWF magazine as a blanket and an plush polarbear, which is all you have left. Do you know what I mean?“
Die Frau schaute Skye an und blinzelte, als dachte sie, sie hätte das gerade geträumt.
„I feel you girly!“, rief ein Mann, der hinten in der Ecke saß.
„Okay, you know what? I’ll get a you second slice on the house and then you’ll go fix you eight-boy trouble, alright?“
„Thanks“, erwiderte Skye nur und wusste, dass sie wohl etwas zu sehr ausgeholt hatte.
Sie setzte sich in die Mitte des kleinen Raums und aß ihre zwei Stückchen Pizza, die einfach so gut waren. Nicht, dass dadurch ihre Probleme gelöst wurden, aber mit vollem Magen ließ es sich besser denken. Es war nun 14 Uhr. Wie könnte sie sich weiter ablenken? Sie könnte ins Kino gehen, doch wenn sie schon keine Nerven zum Shoppen hatte, dann würde sie mit Sicherheit nicht 2 Stunden ruhig in einem Film sitzen bleiben.
Jason schaute nicht schlecht, als Skye wollte, dass sie zur Polizeistation fuhren. Sie ging hinein, an den Schalter und beharrte darauf, dass man sie einsperren musste. Der Mann schaute gelangweilt auf.
„And what crime did you commit?“
„I’m a terrible friend and a much worse kpop management assistant.“
Kommentarlos schaute er sie an.
„Is this some kind of a joke? You know we actually have stuff to do. Get outta here.“
„No for real, you have to lock me up, just a couple of hours … like until … 10PM would that be alright? I pay for it! Do you have different menus to choose from for dinner because I’m kinda picky.“
Unnötig zu sagen, dass sie Skye nicht behalten wollten. Sie setzte sich wieder ins Auto.
„Has this something to do with that band?“, fragte Jason und drehte sich zu ihr um.
„Yeah.“
„You wanna grab a coffee and tell me about it?“
„Yeah, sure.“ Zeit schinden!
Und so fuhren sie zum Central Park, holten sich etwas zu trinken und setzten sich an den See bei der Berthesda Terrasse. Sie erzählte Jason die Kurzform und ließ so manche Details aus, wie Krystals Schwangerschaft oder dass sie Jiyong geheiratet hatte.
„I really like them, I like working with them but I don’t wanna be dragged back into that drama anymore and I know that at this point I just couldn’t work with Jongin. I’m not quiet over it yet, although I’m over him but still, it’ll be awkward. I mean they were fine before me and they will be fine without me, but …“
„You’ve gotten used to them“, beendete Jason den Satz.
„I guess so …“
Darüber zu sprechen machte es nicht einfacher.
„Let me get that straight: you love Korea and you love these guys and you actually love working together with ‘em but you don’t wanna work for them – and just outta respect I’ll not ask why you work at all, I’m guessing you’re bored of being some spoiled rich mid-twenty bitch.“
Da fiel ihr der Kiefer runter, doch Jason grinste.
„Just kidding – I mean you are rich and spoiled … a little, but you’re not like these other Upper-Eastside women.“
„Thanks … I guess …“ Seine Ehrlichkeit war erfrischend.
„So why don’t you build a business that lets you work with them but not for them. You could be your own boss.“
Skye blies die Wangen auf und dachte nach. Sie wusste was er meinte und eigentlich war es ziemlich schlau, doch was sollte sie machen? Es gab genug Fotografen, die mit den Entertainments zusammenarbeiteten und tolle Arbeit leisteten.
Für Songwriter hatte sie nicht genug Ausdauer. Manchmal sprudelten die Ideen nur so aus ihr heraus, aber es war ein Unterschied, ob man für sich selbst schrieb, oder für andere. Zumal in Korea die Entertainments einfach Songdemos hamsterten und dann schauten zu welcher Band ein Song passen könnte. Meistens war am Ende nichts mehr von dem Originaldemo übrig. Nein, das war auch nichts.
„I just don’t know what business that could be which isn’t already there a hundred times …“
„Sometimes it’s not about reinventing the wheel – you just have to have the best damn wheel. Or the sexiest but I don’t know about ‚sex sales‘-strategie in Korea.“
„When did you became that smart?“
„Jamals is taking me to all these NYU parties so I get to hang with the smart ones“, erzählte er lachend.
Also was geschah? Natürlich fuhr sie zur Halle. Vorne stand schon eine riesige Menschentraube. Sie hatte fast vergessen, wie viele Menschen in so eine Halle passten und dass sie kein Fan von Menschenmassen war. Jason fuhr hinter die Halle und Skye ging auf das Tor zu. Der Ausweis, den Mia ihr dagelassen hatte, reichte aus, um ohne große Fragen in den Backstagebereich zu kommen. Schon wieder war sie nervös, ohne zu wissen wieso. Sie war nicht zum Arbeiten hier, sie war hier als Freund der Band. Und sie kam sich dabei so dämlich vor – noch dämliche, als in der Polizeistation.
Sie drehte sich also wieder um und verließ die Halle, um davor eine zu Rauchen. Womit sie nicht gerechnet hatte war, dass sie Chanyeol und Baekhyun dort treffen würde.
„Skye? Was tust du hier?“, fragte Chanyeol und sie beiden kamen auf sie zu.
„Ich … rauche nur eine.“
„Du hast Angst rein zu gehen“, stellte Bae fest und erntete einen genervten Blick von der Amerikanerin.
„Wann haben wir angefangen dir Angst zu machen?“, wollte Chanyeol wissen.
„Seit … ich euch hängen gelassen habe.“
Tatsächlich hatte sie ein schlechtes Gewissen gegenüber der Band, weil sie ihre eigenen Gefühle, über das Wohl von EXO gestellt hatte. Sie war ein schlechter Koreaner gewesen.
„Skye, wir können alle nachvollziehen, wieso du weg bist – wir haben es nicht gemocht, aber wir haben es verstanden. Und wir haben dich vermisst und wir sind froh, dass du wieder da bist.“
Baekhyun verzog bei Chanyeols Geständnis etwas das Gesicht, unterbrach ihn aber nicht.
„Du bist immer noch Teil unseres Teams.“
Seine Worte bedeuteten ihr viel, auch wenn diese Schwere noch immer nicht ganz von ihren Schultern verschwunden war.
Gemeinsam gingen sie in die Halle und die anderen begrüßten Skye. Jongin saß am Handy und schaute angestrengt darauf. Er und Krystal würden einiges zu besprechen haben, auch wenn sie sich vorstellen konnte, dass Youngjun das persönlich machen wollte.
„Willst du etwas essen?“ Chen riss sie aus den Gedanken und sie nickte langsam. Das komische Gefühl verschwand nicht gänzlich, als würde sie nicht hierhergehören, als hätte sie sich ihren Platz hier nicht verdient und doch war sie hier.
„Was stehst du da so rum, als hättest du nichts zu tun?“ Mit großen Augen drehte sich Skye zu Seunghwan um, der sie anblaffte.
„Ehm … was?“
„Sieht die Bühne etwa so aus, als würde sie von alleine gecheckt werden? Hallo? In 15 Minuten ist Soundcheck!“
Skye starrte ihn an, doch bevor er den Mund noch mal aufmachte, eilte sie davon.
Chen schaute den Tourmanager fragend an. Es vergingen ein paar Momente und dann fing er herzlich an zu lachen. Das sah man nicht sehr oft bei ihm.
„Du bist gemein!“, stellte Chen fest.
„Wieso? Ihr habt das was ihr wollt und ich habe auch noch Spaß dabei!“ Mit einem selbstzufriedenen Grinsen schlenderte er davon.
Skye hatte tatsächlich die Bühne gecheckt und stand beim Soundcheck bei den Technikern, um zu gucken, ob alles gut eingestimmt war – es war ja nicht so, als würden sie dafür bezahlt werden.
Später verteilte sie noch Wasserflaschen rund um die Bühne, bis Mia vor ihr stand.
„Was tust du?“
„Ich verteile Wasser“, erwiderte Skye.
„Wieso tust du das?“
„Weil …“ Skye stockte. „Seunghwan hat mich angefahren, dass ich die Bühne checken soll und … ich dachte mir, wenn ich schon dabei bin …“
„Skye, hör auf. Wir holen dir jetzt einen Lightstick und ein T-Shirt und dann setzen wir uns in die VIP Area.“
Ihr Mund klappte auf und wieder zu.
„Aber …“
„Du hast die Show noch nie gesehen. Beim Opening hast du Türsteher gespielt und danach warst du immer hinter der Bühne. Du bist nicht mehr ihre Assistentin, du kannst die Show genießen.“
Irgendwie tat es weh es so zu hören, aber genau das hatte sie heute Morgen selbst gesagt: Sie war nicht mehr EXOs Assistentin.
Es war … komisch. Sie saßen in der VIP Lounge, mit Stars und Sternchen aus New York, die gekommen waren, um sich das Konzert anzuschauen. Jay-Z war da und Lady Gaga, was Skye sehr beeindruckend fand, doch sie hatte nur Augen für EXO. Es gab schon Unterschiede in Kpop. Es gab Sänger, die wirkten unbeholfen auf der Bühne, verloren, doch dann gab es Sänger, die nahmen die Bühne einfach ein, wie Big Bang, Super Junior, BTS und auch EXO. Es war ihre Bühne, da gab es gar keinen Zweifel. Unweigerlich blieb sie oft an Jongin hängen. Es hätte alles so schön sein können. Sie hatten so gut zusammengepasst und jetzt war alles anders. Natürlich liebte sie ihn noch und ein Teil von ihr würde ihn immer lieben. Er hatte einen Platz in ihrem Herzen und eigentlich wollte sie ihn auch nicht in ihrem Leben missen, aber sie konnte ihn im Moment nicht so nah an sich heranlassen, dafür war sie noch zu verletzt, aber vielleicht … irgendwann … könnten sie normal miteinander umgehen. Freunde werden.
Skye erinnerte sich an die vergangene Nacht. Noch immer waren sie gut zusammen, doch ihr Herz war nicht dabei und ein Gefühl sagte ihr, dass es ihm nicht anders ging und das gestern Nacht nur ein Versuch war an etwas festzuhalten, was so nicht mehr da war.
Für nach dem Konzert hatte Skye das ‚Top of the Standard‘ reserviert – für alle Angestellten. Am Chelsea Market fing die High Line an. Früher war es eine Überlandschiene vom Chelsea Market – was früher eine Schlachthalle war – zu den Docks. Doch irgendwann wurden die Güterzüge von LKWs ersetzt und gut 20 Jahre blieb die Bahnstrecke unbenutzt. Eine Organisation kam um die Ecke und wollte daraus ein Erholungsgebiet machen, doch die Stadt sah darin keinen Sinn. Daraufhin sammelten sie Spenden, um die neue High Line zu verwirklichen. Die High Line war praktisch von New Yorkern erschaffen worden. Man konnte die alten Schienen noch sehen und man wollte sie auch bewachsen lassen, so wie sie all die Jahre zugewuchert war. Natürlich wurde das jetzt kontrolliert, man hatte geschaut das es stabil war, Bänke aufgestellt und andere Sitzgelegenheiten. Es war zu einem coolen neuen Spot in der Stadt geworden und rund um die 1,5 Kilometer lange Strecke, war ein neues Szeneviertel entstanden und genau die Leute, die das Projekt damals abgelehnt hatten, hatten dort nun futuristische Gebäude hingestellt und machten damit richtig fett Geld.
Recht am Anfang der High Line gab es ein Hochhaus mit einem Hotel darin, The Standard, durch das die High Line durchführte und dort, ganz oben, lag das Top of the Standard – wie der Name schon sagte. Es war eine hippe Bar, in der auch gerne ein DJ auflegte, mit einer großen Terrasse und Blick auf Manhattan und den Hudson.
Es war ein großer Bereich drinnen und draußen für sie reserviert worden. Gestern gab es Koreanisch, heute gab es Burger – wobei sie tatsächlich auch ‚Korean fried chicken‘ auf der Karte hatten. Skye hatte ein Buffet für die Crew aufbauen lassen, weil es für die Kellner so einfacherer war, als wenn 50 Koreaner versuchten Essen zu bestellen.
„Ist alles okay?“
Skye stand an der Brüstung und rauchte. Rauchen in New York gab es kaum noch – auch wenn jeder rauchte und das Päckchen Zigaretten sündhaft teuer war – doch hier oben auf der Terrasse durfte man tatsächlich noch rauchen. Aber das war auch nur Teil der Etikette. Je gehobener das Publikum, umso mehr versuchte man zu ermöglichen und in einem Lokal, in dem selbst French Fries 10$ kosteten, wollte man seine Gäste nicht 20 Etagen tiefer zum Rauchen schicken. Nein, sie sollten hier sitzen, sich wohlfühlen, teure Cocktails bestellen und dabei rauchen, wenn sie das wollten. Skye hatte Youngjuns Kreditkarte angegeben für die Abrechnung.
Nun hatte sich Chen zu ihr gesellt.
„Du bist für deine Verhältnisse ausgesprochen ruhig“, sagte er weiter mit einem Grinsen.
„Wenn du mir vor 48 Stunden gesagt hättest, dass ich in 48 Stunden mit euch in New York zusammen feiere, hätte ich dich für verrückt erklärt“, meinte sie und schaute weiter über das Lichtermeer der Stadt. New York war besonders. Seoul war auch besonders, aber Seoul war Seoul und New York war New York und so wie sich Skye in Seoul verliebt hatte, so hatte sie sich in New York verliebt. Es war kein Zufall, dass über New York so viele Lieder gesunden wurden, wie sonst kaum über eine Stadt. In den vergangenen drei Jahren hatte sie hier viel Zeit verbracht und doch gab es immer wieder etwas Neues zu entdecken – so wie in Seoul. Es gab immer Orte, an denen man noch nie war, ein Museum, dass man noch nicht besucht hatte. Zum Beispiel gab es in Lower Manhattan ein Museum in einem Lastenfahrstuhl. Wenn es geschlossen hatte, dann konnte man durch ein Fenster hineinschauen. Skye hatte auch viele Stunden im Night Court verbracht – das Gerichtsgebäude, dass bis spät in die Nacht geöffnete hatte, eben weil sie so viel zu tun hatten. Zwischen 17 Uhr und 1 Uhr fertigte man hier zwischen 70-90 Klagen ab und es war für die Öffentlichkeit zugänglich und kostenlos. Wieso Law & Order gucken, wenn man live dabei sein konnte? Das wäre etwas, was sie mit Taehyung machen würde. Er würde das sicherlich unheimlich interessant finden, auch wenn er kaum etwas verstehen würde. Sie müsste an seinem Englisch arbeiten.
„Wenn du mir gesagt hättest, dass du uns in 48 Stunden zur Rettung kommst, hätte ich dich für verrückt erklärt“, konterte er.
„Verrückte Welt!“
Einen Moment lang schwiegen sie.
„Was machst du als nächstes? Wo willst du hin?“
„Nach Seoul“, erwiderte sie und der Sänger hob die Augenbrauen. „Irgendwie kann ich es nicht loslassen.“
„Hast du Kontakt mit Taehyung?“
Skyes Blick reichte, um Chen eine Antwort zu geben.
„Es war Zufall“, sagte sie eilig. Das war keine Lüge.
„Ihr zwei … das wird nicht mehr lange dauern.“
„Ich weiß nicht … er kennt mich im Endeffekt gar nicht“, gab sie zu. Wieso sollte jemand wie Taehyung sich in jemand wie sie verlieben? Er konnte jede haben. Hallo? World most handsome man 2018?!
„Das hat weder Jiyong noch Jongin … noch Siwon davon abgehalten, etwas in dir zu sehen.“
„Aber genau das ist das Problem. Sie sehen etwas in mir, was ich gar nicht bin. Ich bin Amerikanerin, ich entspreche eurer körperlichen Anatomie: Klein, dünn, niedlich. Und ich bin exotisch. Glaube nicht, dass ich nicht weiß, dass Ausländerinnen ein ‚Cool‘-Aushängeschild für koreanische Männer sind. Ich bin offen, ich warte keine drei Monate bis ich mit jemand schlafe – stell dir mal vor der Sex ist schlecht! Dann hätte ich drei Monate verschwendet!“
Chen fing fröhlich an zu lachen.
„Du hast nicht so einen flachen Hintern wie Koreanerinnen. Deiner ist herzförmig … also … pikförmig eigentlich … sehr sexy.“
Sie schupste ihn.
„Anyway … ich will kein Aushängeschild sein, ich will als Partner ernst genommen werden, ich will ein Mädchen sein, bei dem man überlegt, ob man es heiraten will, Kinder bekommen will. Ich will nicht nur die sexy Ausländerin für ein Abenteuer sein.“
„Aber du erinnerst dich, wie du einen von den drei Kerlen die ich aufgezählt habe, geheiratet hast? Ich denke du weißt auch, dass du für Jongin kein Abenteuer warst. Es hätte auch alles ganz anders laufen können.“
Da hatte er Recht. All diese ‚wenn’s und ‚hätte’s. Wenn Jongin sich damals in den Club getraut hätte, in dem er sie gesehen hatte, wären sie vielleicht schon damals zusammengekommen. Er wäre nie mit Krystal zusammengekommen. Alles wäre anders gewesen. Wenn Krystal ihn nicht tyrannisiert hätte, hätte es nie diese Pressebeziehung gegeben und sie wären vielleicht nie zusammengekommen. Vielleicht wäre sie noch mit Jiyong zusammen. Es war anstrengend über Dinge nachzudenken, von denen man nie wissen würde, ob es so gekommen wären und an denen man nichts ändern konnte. Vielleicht würden sie in fünf Jahren wieder zusammenkommen. Vielleicht würde sie tatsächlich Taehyung heiraten und nie wieder an einen anderen denken. Vielleicht würde Taehyung ihr das Herz brechen und in ihrer Trauer wäre Jiyong für sie da und sie würden wieder zusammenkommen. Oder sie würde morgen von einem Bus überfahren werden. Alles war möglich und unmöglich und nur die Zukunft würde zeigen, was tatsächlich geschah.