„Gewissen, bin ich tot?“
Das wollte Mia schon immer einmal sagen, ob es die angemessene Situation war, war wohl fragwürdig. Sie saß in einem Kegel mit gedämmtem Licht, um sie herum war alles tief schwarz und sie erkannte nicht was außerhalb des Dämmerlichtes lag.
Sie versuchte zu erörtern wie sie hierhergekommen war und wo dieses ‚hier‘ war.
„Also … ich fasse zusammen. Jong und ich waren auf dem Weg nach Seoul und dann? Was dann? Und wieso führe ich Selbstgespräche?!“
Vielleicht weil niemand da war, der sie hören konnte. Wenn die Theorie, dass ein Baum, wenn er fiel und niemand da war, um es zu hören, kein Geräusch machte, stimmte, führte man dann ein Selbstgespräch, wenn keiner da war um zu hören, dass man Selbstgespräche führte? Ohnehin waren Leute die Selbstgespräche führten, obwohl sie nicht alleine waren, ziemlich gruselig. In dem Park, gegenüber ihrer alten Firma, war ein Penner gewesen der immer imaginäre Leute anbrüllte. Sie hatten ihn Lutz genannt. Mia fand ihn ziemlich gruselig.
Nichts desto trotz brachte es sie nicht weiter einfach nur herumzusitzen. Sie rappelte sich auf und ging ein paar Schritte. Fasziniert stellte sie fest, dass das Licht ihr folgte, sie war stets im Inneren des Kegels. Die Deutsche legte den Kopf in den Nacken und schaute hinauf, um zu erkennen, woher das Licht kam, konnte jedoch nichts erkennen. Es war weder warm, noch kalt, es wehte auch kein Wind. Mia lief eine Weile umher, ziemlich ziellos angesichts ihrer kompletten Orientierungslosigkeit.
Also wenn sie wirklich tot war, war sie jetzt schon genervt. Könnte es dann nicht wenigstens so eine lustige Szene sein, wie die in der Jack Sparrow gefangen war? Dann könnte sie sich zumindest mit sich selbst streiten. Sie könnte auch einfach so tun, als wäre sie ein Huhn, doch das erschien ihr witzlos.
Jedenfalls kam sie nirgendwo an. Sie war gefangen in einer unendlichen, dunklen Einöde. Laufen machte keinen Sinn, also legte sie sich flach auf den Boden, starrte in den Hauch von Licht.
Na gut, noch mal von Anfang an. Was war geschehen? Sie war mit Jonghyun bei dem Fotoshooting, Mia hatte sich auf Versöhnungs-Sex gefreut, dann waren sie in den Van gestiegen und auf die Autobahn gefahren. Jong fragte nach Obst und dann? Da waren Geräusche, sie waren laut gewesen, alles hatte sich gedreht, doch sie wusste nicht in welche Richtung. Hatten sie einen Unfall gehabt? Das würde jedoch immer noch nicht erklären wo sie war. Im Auto jedenfalls nicht mehr und für ein Krankenhaus hielt sie das hier auch nicht. Und Jonghyun? Wo war er? Sie hatte niemanden gesehen, niemanden gehört – eigentlich hatte sie gar nichts gehört seit sie hier war, außer ihre eignen Schritte und ihren Atem. Sie atmete noch, das war gut oder nicht?
Sie musste aber weg, irgendwo hin. Ah, das Dancebattle. Sie musste Eunhyuk in den Hintern treten. Wenn sie nicht auftauchen würde, würde er am Ende noch denken sie hatte Angst gegen ihn anzutreten. Ihr Tanz war so gut, sie konnte nicht zu spät kommen und die anderen hängen lassen.
Wo war eigentlich ihre Handtasche? Im Regenwald konnte sie drei Wochen überleben, zur Not, doch hier, im Nichts, ohne Handtasche, fühlte sie sich ziemlich aufgeschmissen. Sie war in einem komischen Zustand, sie wurde nicht müde, ihre Position wurde nicht unbequem, obwohl der Boden weder weich, noch richtig fest war, sie verspürte keinen Hunger und obwohl Mia nicht einschätzen konnte, wie lange sie schon hier war, so müsste sie doch irgendwann Hunger bekommen, oder nicht? Sie hatte auch keinen Durst und musste nicht auf die Toilette.
Es war komisch.
All das hier war komisch.
„Vielleicht bin ich durch ein Wurmloch in eine andere Realität gereist …“
Das hatte man davon, wenn man zu viel Stargate guckte. Wenn sie sich eine alternative Realität hätte aussuchen können, dann hätte sie sich in die Fabrik von Willy Wonka gewurmlocht. Da gab es Flüsse aus Schokolade und Bäume aus Kaugummi. Hier gab es nichts.
Da lag sie nun, mit nichts weiter als ihren Gedanken. Was, wenn sie wirklich einen Autounfall gehabt hatte? Sollte sie nicht Angst haben? Sollte ihr nicht etwas weh tun? Sie machte sich Sorgen um Jonghyun. Wieso war er nicht hier? Vielleicht ging es ihm gut und er war in Sicherheit. War sie nicht in Sicherheit? Sie fühlte sich nicht unsicher, auch wenn sie mit diesem Ort hier wenig anzufangen wusste.
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Seit Stunden saßen Leeteuk und Eunhyuk im Wartezimmer des Krankenhauses.
„Wie lange kann so eine Operation dauern?“
„Ich weiß nicht“, erwiderte Leeteuk müde.
„Wie sollen wir das Donghae erklären?“, fragte der Bandleader.
„Wir könnten … es ihm einfach nicht sagen“, schlug Eunhyuk vor und erntete den finstersten Blick, zu dem Leeteuk nach knapp 36 Stunden ohne Schlaf fähig war.
„Was denn?! Ich denke nicht, dass Mia will, dass wir unseren Humor verlieren! Das will sie nicht, ich weiß es genau. Sie will, dass wir stark sind und zusammenhalten, dass wir unsere Hoffnung bewahren und …“, anfangs war Eunhyuk noch ziemlich überzeugend gewesen, doch je mehr er sprach, umso größer wurde der Kloß in seinem Hals und schließlich schluchzte er herzzerreißend, dass Leeteuk ihn in den Arm nahm.
„Wir verlieren die Hoffnung nicht…“
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Allerdings verlor Mia die Hoffnung oder eher die Geduld.
„Zehn kleine Mialein wollten nicht mehr bleiben,
Neun haben sich auf dem Weg gemacht, die letzte konnten sie nicht leiden.
Neun kleine Mialein sehnten sich nach Essen,
Sie gingen in den Supermarkt, doch eine haben sie vergessen.
Acht kleine Mialein gönnten sich ne Pause,
Sie lagen in der Gegend rum, nur eine ging nach Hause.
Sieben kleine Mialein haben sich nicht vertragen,
Sechs haben sich zusammengerauft, um sich über eine zu beklagen.
Sechs kleine Mialein vermissten sogar die Kopfschmerzen,
Eine wollte nicht auf sie hören, die anderen nahmen’s sich zu Herzen.
Fünf kleine Mialein gingen langsam die Ideen aus,
Sie gründeten ne Band, aber eine schmissen sie raus.
Vier kleine Mialein vermissten ihren Ehemann,
Sie stritten sich darum, wer ihn wirklich haben kann,
Drei kleine Mialein waren noch immer einsam,
Sie zogen gemeinsam los, nur eine wollt‘ allein sein.
Zwei kleine Mialein konnten sich nicht für einen Weg entscheiden,
Sie stritten sich ganz schrecklich um einander zu vertreiben.
Eine kleine Mialein liegt hier immer noch rum,
Wenn nicht bald etwas passiert werd‘ ich im Kopf noch dumm.“
Das Ding hatte sie zumindest einige Zeit beschäftigt. Wie lange konnte sie nicht sagen, sie hatte ja ihr Handy nicht – das war in der Survivor-Handtasche.
Und nun? Unschlüssig setzte sie sich auf und schaute sich um, nichts hatte sich verändert, weil nichts da war, um sich zu verändern. Genervt ließ sie sich nach hinten fallen und schloss die Augen. Doch da war es auch nur schwarz, was es nicht besser mache, dann doch lieber der Lichtkegel.
Wenn das hier nur eine Illusion ihres eigenen Gehirns war, wieso konnte sie keinen Einfluss darauf nehmen? Wie Neo in Matrix. Wenn sie einen Löffel zur Hand gehabt hätte, dann hätte sie versucht ihn zu verbiegen – aber war ja keiner da. Vielleicht könnte sie einen herdenken! Angestrengt konzentrierte sie sich auf einen Löffel, doch nichts geschah.
„Doof.“